Archiv der Kategorie: Mediation

Das letzte Gefecht

Der Kampf der Kulturen

Ich komme mir vor wie in einem zweitklassigen Stephen King Film. Die Mächte des absolut Bösen kämpfen gegen das absolut Gute. Der hübsche und rhetorisch begabte Jüngling Macron kämpft gegen das mit allen alternativen Wassern gewaschene Schlachtroß Le Pen. Entkernt von moderaten Kräften treffen zwei Antipoden, wie so oft in letzter Zeit, aufeinander und wollen beide auf ihre Weise die Welt retten. Steuern wir mit großen Schritten auf das Armageddon zu? Auf das letzte Gefecht?

Die Urprinzipien des Lebens

Dahinter stehen tatsächlich die Urkräfte des menschlichen Lebens. Das urmännliche Streben nach Freiheit und das urweibliche Prinzip der Begrenzung derselben:“Heute kommst du früher nach Hause! Es war gestern schon so spät! Und trink nicht so viel!“ Mann wird nicht jünger. Die Erde auch nicht. Und bevor jemand die Genderkeule schwingt: In den USA hat der Rollentausch sauber funktioniert. Trump spielt die weibliche Mama des „Genug ist genug!“ mehr als perfekt. Als narzistische Diva bereitet ihm dies offensichtlich keine Probleme. Vielleicht erreicht er damit ungewollt mehr für die Frauenbewegung als wir alle glauben.

Politik ist wie Erziehung

Könnte es sein, dass viele Wähler tatsächlich denken, sie würden als Statisten in einem B-Streifen mitspielen? Wen sollte es kümmern, wenn die Politik kaum Veränderung verspricht, da die Strippen ohnehin andere ziehen? Am Beispiel Trump zeigt sich allerdings, dass Politik dem zentralen Prinzip der Erziehung folgt: Gute Erziehung ist unsichtbar. Wenn du alles richtig machst, bemerkt das keine Sau. Die Franken sagen: Bassd scho! Mehr Lob wird es nicht geben. Fehler jedoch können schnell drastische Folgen haben. Goodbye Statistenrolle!

Das letzte Gefecht

Wo also soll es hingehen nach dem letzten Gefecht? Wollen wir zurück in eine Welt der Herzogtümer, in der jeder Herrscher „L’etat c’est moi!“ ruft und jedes Land seine eigenen Gesetze erlässt? Eine Welt der Sicherheit, solange die eigenen Grenzen nicht verlassen werden. Der Austausch zwischen den Ländern und Menschen verschiedenen Nationen sowieso ist unerwünscht. Es sei denn zwischen guten Ausländern. Nur: Wer beurteilt das? Und woran macht er das fest? Oder wollen wir eine Welt der Freiheit, des Freihandels und der Umweltzerstörung? Frei für all jene, die gebildet genug sind und es sich leisten können.

Im Guten glitzerte immer schon das Böse sowie im Bösen das Gute. Solange wir jedoch das Gute im anderen nicht sehen (wollen), wird sich der Kampf der Kulturen fortsetzen, bis hin zu einem Armageddon, dass sich wenig heroisch und filmreif, sondern ganz banal als Spaltung unserer Gesellschaft zwischen uns schleicht.

Die Furcht vor der Freiheit und die Angst vor dem Anhalten

Erich Fromm beschrieb 1941 die Furcht vor der Freiheit als Urgrund des Nationalsozialismus: Warum in der Ferne schweifen, wenn die Heimat liegt so nah? Nur blöd, wenn einem die Heimat dann doch zu eng wird. 76 Jahre später pflanzt sich der Virus der Furcht medial wie ein Lauffeuer fort und wird kongenial ergänzt durch seinen Bruder, die Furcht vor dem Anhalten, dem Begrenzen, dem Einfachen.

Wenn wir nicht endlich beginnen, die propagierten Freiismen zu begrenzen und uns selbst von den Zwängen des „Immer mehr“ durch die Freiheit der Selbstbeschränkung befreien, wird uns unsere Diversität alsbald politisch um die Ohren fetzen. Die Revolution fängt niemals bei denen da oben an, sondern immer bei uns da unten. Die Revolution fängt damit an, sich selbst die Frage zu stellen, wie viel Freiheit ich wirklich brauche: Reisen in ferne Länder? Um was zu tun? Etwas zu entdecken, dass ich auch vor Ort entdecken könnte? Am Ende sich selbst? Ach was! Erdbeeren im Winter? Aber die schmecken doch so gut! Den billigsten Stromanbieter? Ich muss schließlich auch schauen, wo ich bleibe.

Und wie viel Sicherheit brauche ich wirklich? Mein Helm, mein Gurt, mein Ersatz-Smartphone. Wie wäre es mit: Augen auf und ohne GPS durch den gefährlichen Großstadtdschungel! Wie wäre es damit, sich planlos, aber respektvoll auf das nächste Gespräch einzulassen?

Das Amfortas-Syndrom

Als Parzifal Amfortas am Krankenbett besuchte, kann ihm dieser sein Reich nicht überlassen, weil Parzifal sich nicht traut, die richtige Frage zu stellen. Das Reich muss somit unregiert vor sich hindümpeln. Erst ein Jahr später schafft er es und stellt die Frage: Was schmerzet dich.

Ich glaube, wie sind alle ein wenig krank, blind, sicherheits- und freiheitsvernarrt und trauen uns nicht, dorthin zu gehen, wo es wirklich schmerzhaft wäre. Wir trauen uns nicht, einzugestehen, wovor wir selber am meisten Angst haben und zu fragen, was unser Gegenüber wirklich bewegt. Doch wovor fürchten wir uns, wenn wir die wesentlichen Fragen stellen?

Vielleicht vor der eigenen, schmerzhaften Ehrlichkeit.

Die Wahren, Guten und Schönen Fakten

Auf Platon geht unser Wahres, Gutes und Schönes zurück. Das Wahre ist die Wissenschaft. Hier geht es um die Wahrheit, um objektiv überprüfbare Fakten. Das Schöne betrifft unser individuelles Empfinden insbesondere für Kunst und Kultur. Das Gute jedoch, für Platon das wichtigste Element unter den Dreien, betrifft die Idee eines identitätsstiftenden, einigenden Wir-Gefühls über Religion, Ethik, Moral und Wertvorstellungen.

Platons Ideenlehre geht davon aus, dass sich aus einer allumfassenden, göttlichen Idee, dem Guten, das mannigfaltig Erfahrbare entwickelt, die anfassbare Wissenschaft und bewundernswerte Kunst. Moralvorstellungen oder Gesetze sind in dem Sinne nicht erfahrbar und damit auch kaum bewertbar. Es bleiben Ideen, auf die wir uns gemeinsam einigen. Sie sind nicht schön oder wahr, sondern einfach gut. Was also ist das Gute im Menschen?

Zu Platons Zeiten gab es noch keine Gehirnforschung. Heute wissen wir (das Wahre), dass wir zum Helfen geboren sind. Es gibt genügend Studien von Neurowissenschaftlern wie Bauer, Tomasello, Hüther oder Singer, die belegen, dass wir uns in Krisenzeiten verteidigen, jedoch in normalen Zeiten unsere Gene auf Kooperation ausgerichtet sind. In unserer medialen Welt scheint es jedoch auszureichen, Krisen auf der populistischen Klaviatur herauf zu beschwören, die Katastrophen, die Flutwellen, das Chaos, ohne, dass es dieser Krisen in der wahren Welt bedürfe, die in diesem Moment alles andere als wahr ist.

Was passiert jedoch, wenn wir uns als Menschen immer mehr auf der empirischen Oberfläche des (scheinbar) Wahren und Schönen tummeln? Wir wischen, scrollen, zappen und shoppen uns durchs Leben. Wir konsumieren Kunst als wäre es Fast Food. Unbequem-politische Kabarettisten haben es schwer zwischen Jokes-per-Minute-Zählern und öffentlich-rechtlicher Zensur. Wo bleibt da noch Raum für die Idee des alle Menschen (was bei den Griechen zugegebenermaßen ein paar weniger waren) verbindenden Guten? Und was passiert, wenn immer weniger Menschen in die Kirche gehen, und weder Eltern noch Lehrer nur selten in die moralisch-wertige Erziehungsbresche springen?

Das Wahre zeigte uns, wie das Gute aussieht. Doch ohne die Idee des Guten bleibt es leider bei alternativen Fakten. Nur, weil ich die Wahrheit kenne, muss ich noch lange nicht danach handeln (das müsste jetzt ein Zitat sein, leider habe ich den Namen des zu Zitierenden gerade nicht parat). Das Problem der Fake News lässt sich – mit Platon gedacht – nicht über das Wahre lösen, sondern nur über das Gute, über Moral, Ethik und Werte.

Und die Rolle des Schönen? Gute(!) Kulturveranstaltungen – auch die ehrwürdige Betriebsfeier – zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht sektieren, sondern Menschen mit altem, jungem, männlichem, weiblichem, reichem, armem, größerem und kleinerem Bildungs-Hintergrund zusammenbringen. Das Schöne könnte Brücken bauen. Könnte.

Toleranz ist auch keine Loesung

Tolerant zu sein kann eine Identität ausmachen. Intoleranz ebenso. Wenn wir Diversity ernst nehmen, müssten multiidentitäre Tolerante die Intoleranten akzeptieren, während die identitären Intoleranten alles hassen, was sie nicht selbst sind. Doch wie sieht es mit Respekt aus?

Respekt speist sich daraus, zu jemandem aufsehen zu können. Es respektabel finden, was jemand leistet. Meist hat dies mit Dominanz zu tun. Und Dominanz lässt sich auf dreifache Weise zeigen:

  1. Humor: Das ist ja lachhaft!
  2. Gelassenheit: Aufgrund meines Wissens und Könnens bin ich da ganz entspannt.

Zusammengefasst bietet eine Heitere-Gelassenheits-Einstellung den Vorteil, Angriffe abprallen zu lassen, ohne sich damit auseinandersetzen zu müssen.

Ein tiefenentspannter Aikidomeister lässt die Aggression seines Gegenübers ins Leere laufen. Das bringt ihm den Respekt seines Gegners ein. Wer jedoch mit voller Wucht in der Hoffnung auf Widerstand gegen eine Nebelwand rennt, fällt auf die Nase. Das ist schmerzhaft. Gibt es Zuschauer, erntet er zusätzlich Spott und Häme, was seine Wut noch potenziert.

In diesem Moment darf er Respekt, selbst wenn er ihn hätte, nicht mehr zeigen. Zum Erhalt seines Selbstwerts muss er den Gegner diffamieren. Er wird ihm unlautere Mittel vorwerfen. Lug und Trug.

Vielleicht wollte der Aikidomeister seinen Gegner sogar schützen. Doch da die Nachricht einer Botschaft immer der Empfänger bestimmt, ist die Absicht irrelevant. Wird Heitere Gelassenheit als Arroganz wahrgenommen, kann ich es noch so gut gemeint haben.

Die 3. Möglichkeit, sich Respekt zu verschaffen, ist der ‚ehrliche‘ Kampf. Ohne Tricks und doppelten Boden. Wer Reibung erwartet und Reibung bekommt, wird zufrieden sein.

Man könnte sich entspannt zurücklehnen, wenn die Trumps, Höfers, Petrys, Höckes, LePens, Putins und Erdogans der Welt ehrliche Kämpfer wären. Die seeligen Jahre für Privilegierte würden zuneige gehen. Die Stunde des kleinen Mannes und der kleinen Frau würden nun schlagen. Nur fair. Doch wer postfaktische Fake News (für die Google-Suchmaschine: Fake News Fake News Fakes News postfaktisch postfaktisch postfaktisch) einsetzt, geht kaum als ehrlicher Kämpfer durch. So mancher Populist erinnert eher an den freundlichen, charmanten und wortgewandten Parteifunktionär O’Brien aus 1984 von George Orwell. Das Ministerium für Wahrheit kreierte ebenso seine eigenen Fakten.

Um dem etwas entgegen zu setzen, reicht kluge Gelassenheit nicht mehr aus. Es braucht ehrliche Kämpfer, einen Gysi, Brandt oder Schlingensief. Streitbare Menschen ohne Zeigefinger, mit Macken, Fehlern und Humor. Helden, die ohne eisiges Kalkül aus der Reihe tanzen. Trinker, Raucher, Charmeure. Echte zerrissene Helden, die dennoch den Mut haben, für Ihre Ziele zu streiten. Ob die Gesellschaft solch streitbare Helden noch aushält, ohne sie sofort medial in der Luft zu zerpflücken? Vielleicht ist es nicht die politische Korrektheit, die uns schadet, sondern deren Folge, dass sich niemand mehr traut, unpopulär in seinem Denken zu sein. Als Selbsttest gegen Langeweile empfehle ich, auf facebook einen der folgenden Posts zu erstellen:

Beginnen wir mit einem harmlosen Tabu:

  • Ich mag Beamte.

Spannender wird es damit:

  • Ich habe meine Kinder nicht impfen lassen. Steigerung: Stattdessen behandle ich sie mit homöopathischen Mitteln.
  • Ich bin gegen Abtreibungen. Steigerung: Ich finde es super, wenn Frauen 5 Kinder oder mehr in die Welt setzen.
  • Gentrifizierung hat auch seine guten Seiten. Steigerung: Ich mag Banker.

… bis zum Highlight:

  • Ich rauche vor meinen Kindern. Steigerung: Am Küchentisch.

Zur weiteren Vertiefung:

  • Reinhard Kreissl – Feinde
  • Matthias Horx: Anleitung zum Zukunftsoptimismus.

Wollen Sie den anschließenden Shitstorm wieder beenden, suchen Sie sich zwei Quellen im Internet heraus: Eine, die ihre Meinung stützt und eine, die sie widerlegt. Wenn Ihr Schlusskommentar auf mindestens 10 Zeilen die komplexe Dualität des Themas darlegt, hat niemand mehr Lust, weiterzufeuern. Das Leben ist kompliziert und wir stecken irgendwo dazwischen.

Auch wenn sich Populisten damit brüsten, unpopuläre Meinungen zu äußern, liegt der Fall doch anders. Würden sie diese Meinungen auch äußern, stünde der Zeitgeist nicht auf ihrer Seite? Sind Populisten wirklich mutig? Ist es mutig, eine Stimme für die schweigende Mehrheit darzustellen?

Populisten sind sich immer zu 100% sicher. Immer! Zu 100%! Doch wer ganz und gar weiß, was in der Zukunft passieren wird, lügt. Ich selbst habe keine Ahnung. Ich war noch nicht da. Man möge ihm zurufen: Wir haben beide keine Ahnung! Es geht aber auch weniger darum, die Welt zu erklären, sondern mehr darum, zu lernen mit der Ahnungslosigkeit umzugehen.

Eine Strategie, damit umzugehen, ist eine Heitere Gelassenheit. Der Zweifel und das Unwegbare gehören zum Leben wie das Salz in die Suppe. Zweifeln macht uns menschlich. Doch über sich selbst, seine Fehler und Zweifel zu lachen, geht jedem Populisten ab. Oder kennen Sie einen humorvollen Populisten? Trotz aller Streitbarkeit ist Gysi ist ein amüsanter Redner. Brandt sagte: Die besten Reden sind die, die nicht gehalten werden. Die zweitbesten sind die scharfen, die drittbesten die kurzen. Und Schlingensief notierte sich selbst Schulnoten und amüsante Kommentare zu den oft sehr kritischen Kritiken zu seinen Filmen.

Wer der Unsicherheit über komplexe Zusammenhänge mit einfachen Lösungen begegnet, gibt vor, die Zukunft zu kennen, ohne Zweifel, ohne Wenn, ohne Aber. Doch wer die Zukunft kennt, könnte in der Wirtschaft mehr Geld verdienen als in der Politik. Außer natürlich, er will die Welt zu einem besseren, menschenfreundlicheren Ort machen.

Eine weitere Möglichkeit, mit Unwägbarkeiten umzugehen, ist die Berufung auf Werte: Respekt, Menschenfreundlichkeit, Toleranz, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Optimismus, Vertrauen, Freiheit, Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens, Verantwortung, Frieden, Nachhaltigkeit, Demut, Ehrlichkeit, Achtsamkeit.

Vielleicht sind gemeinsame Werte der einzig wahre Grund zu kämpfen.

Sozialphobie

Auf der Beliebtheitsskala der meisten Menschen steht der Montagmorgen nicht unbedingt ganz oben. Außer man hat Kinder, schnappt sich seine „Endlich Montag“-Tasse und freut sich, hinter seinem Computer verschwinden zu dürfen, dem Soziophobiker-Instrument schlechthin. Die Welt des Internets ist wie geschaffen für Misanthropen.

Doch womit hat das zu tun? Ist es die mangelnde Selbstbestimmung? Am Wochenende kann ich tun und lassen, was ich will. Diese Freiheit ist am Montagmorgen vorbei. Jetzt werde ich wieder gezwungen, mich auf das Fremde, Unbestimmte einzulassen?

Wenn ich als alter Sozialphobiker in meinem Beruf viel unter Menschen bin, fällt es mir leichter, dem am Abend noch eins obenauf zu setzen. Die Maschine ist geschmiert und läuft. Zwischendrin genieße ich meine Schreib-Tage zur Erholung von unwägbarem Menschenaustausch. Bücher, Artikel, Rechnungen, Skripte. Der Modus, in dem geschrieben wird, zeichnet sich durch ein gewisses Maß an Sozialphobie aus. Die Geschehnisse der Welt sind inspirierend. Wenn ich mich jedoch zuviel ablenken lasse, kommt kein neues Buch zustande. Ereignisse wollen reflektiert, fokussiert und konzentriert werden. Am liebsten, aaaah, mit Hilfe klassischer Klavierkonzerte von Beethoven oder Liszt.

Wie fühlt sich wohl ein Arbeitsloser? Keine Arbeit und wenig Geld heisst wenig Kontakte zu anderen Menschen. Kon-Takte jedoch lassen nicht planen. Hier können wir nur Mit-Schwingen. Wer sein Leben zu 100% durchplanen möchte, sollte zuhause bleiben, am besten im Bett. Sobald ich nach draußen gehe, bleibt das Wagnis, jemandem zu begegnen. Ich könnte mir Scheuklappen anziehen. Das würde helfen. Kontakte bleiben wackelig.

Schon der vermeintlich einfache Kontakt mit der Bäckersfrau ist komplex: Wird sie verstehen, was ich will? Was soll ich sagen, wenn Sie mir einen guten Tag wünscht? Was will sie von mir? Soll ich ehrlich antworten? Oder höflich? Diplomatisch?

Auszug aus einer meiner Lesungen

Aufgrund meiner Unsicherheit in der Kommunikation fing ich an, mir Sprüche anzueignen, die … meistens passen. Ich wusste nie, was ich entgegnen soll, wenn die Bäckersfrau sagte: Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Früher überlegte ich … 21, 22: Was sagst du jetzt darauf?

„Einen schönen Tag noch.“

„Was wollen Sie von mir hören?“

Ich hab es ausprobiert. Schlechte Idee. Nicht machen.

Seitdem ich darüber nachdenke, verstehe ich diesen Ghetto-Slang viel besser: Ey, was willst du von mir? heisst in Wirklichkeit: Ich bin unsicher und weiß nicht, was du von mir erwartest. Bitte hilf mir.

Es ist unfair. Die Verkäuferinnen besitzen einen Feldvorteil. Ich befinde mich auf ihrem Kampfgebiet. Ein Herumgestottere war das früher. Bis ich auf die Idee kam von „Ebenso“. Früher hatte ich oft solche Ja-Momente. Ich kaufte ein, der Mann an der Scannerkasse wünschte mir ein schönes Wochenende. Und ich sagte: Ja, Ja Ja, Ja Ja Ja. Als ich „Ebenso“ für mich entdeckte, ging ein Raunen durch meinen Körper. „Ebenso“ machte mich zu einem soziablen Element der Gesellschaft. „Ebenso“ passt fast immer …

Neulich im Hotel. Der Portier laberte mich in Trance: Telefon, Internetzugang, Minibar, Öffnungszeiten der Sauna, Frühstückszeiten, Masseusen, Pros…tituierte? Im Fichtelgebirge? 3. Stock, Gang runter, dann links, digitaler Schlüssel. Ich nicke, nicke, nicke. Der Pfortenmann kam zum Ende: Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt bei uns. Ich: Ebenso … Verlegenes kleinkindliches Lächeln. Jetzt aber flugs aufs Zimmer! Am besten nur noch telefonieren.

Dieser digitale Schlüssel. Die digitale Revolution vergaß mich mitzunehmen. Als ich eine Minute später die Tür ins Schloß fallen ließ, befand ich mich in einem Raum, der nach Licht hungerte. Wenigstens war ich auf der richtigen Seite der Tür, ich stand auch schon ohne Schlüssel auf der falschen Seite, in Unterhosen, während der einzige Weg zu einem Schlüsselmeister durch die Gaststätte des Hotels führte, das war allerdings am Bodensee. Anderes Hotel, andere Geschichte. Verzweifelt suchte ich nach einem Lichtschalter. Als ich diesen nach zweieinhalb gefühlten Schienbeinbrüchen fand, funktionierte der Schalter nicht. Können die nicht dafür sorgen, dass der Strom funktioniert? Ich rief die Pforte an. Wenigstens funktionierte das Telefon.

Obacht! Wie ein kleines HB-Männchen durch das Telefonkabel zu explodieren, wenn die Antwort lautet: Sie müssen Ihre Karte neben der Zimmertür in eine Wandtasche stecken, damit das Licht angeht, ist ziemlich peinlich. Dass ich das Telefon benutzte, ersparte mir wenigstens die Schmach, die mit recht verdrehten Augen des Pförtners zu sehen: Was für ein Idiot! Erst ‚ebenso‘ und jetzt das!

Ich steckte die Karte in die vorgesehene Vorrichtung und ein Gefühl von Weihnachten mit eingebautem Fernsehaquarium breitete sich aus. Ein vollverglaster Badetempel in grünem Lichtlametta fraß sich in die Zimmerlandschaft. Könnte ich mich klonen, hätte ich Spass daran gehabt, mir von der Toilette aus zuzuwinken.

Nach dieser digitalen Lektion erinnerte ich mich wieder an meinen Faux-pas von vorhin:

Ich brauchte dringend eine Erweiterung meines Sprachrepertoires. Was soll ich erwidern, wenn es persönlicher wird? Wenn jemand zu mir sagt: Grüße an die Frau Gemahlin. Ich kam auf die Idee, mir ein „Du auch“ anzueignen, den emotionaleren Verwandten von Ebenso. Das Dumme ist, dass sich mit einer wiederholten Nutzung Muster in meinem Gehirn einfurchen, die später auch in ungeeigneten Situationen abgerufen werden. Es gibt Szenen, in denen „Du auch“ im Bereich des Suboptimalen anzusiedeln ist. Du kaufst dir eine Fahrkarte an einem Bahnschalter und der Mann hinter dem Schalter sagt: Gute Fahrt. Ihnen auch! Ebenso!

Du kaufst dir ein Kinoticket und die Dame hinter dem Tresen sagt: Viel Spaß! Ihnen auch! Du bestellst einen Schweinebraten im Restaurant. Die Bedienung sagt: Guten Appetit! Ebenso! Suboptimal. Neulich war im Krankhaus. Auch bei Nachtschwestern als Reaktion auf „Schlafen Sie gut“, lieber stöhnen und einen totkranken Mann markieren, kurz vor dem Exitus. Das sollte uns Männern nicht besonders schwer fallen.

Nach langem Grübeln bin ich darauf gekommen, zusätzlich zu „Ja“, „Du auch“, „Sie auch“ und „Ebenso“ ein „Danke“ hinzuzunehmen. Damit komme ich fast reibungslos durch die verbale Welt. Ich darf meine Kommunikationsretter nur nicht verwechseln.

Auszug Ende

Globalisierung ist nicht mehr als die Potentierung eines Zustandes, den wir alle kennen. An manchen Tagen hast du einfach keine Lust auf das Fremde. Zum Glück sind es nur manche Tage. Und zum Glück werden im Umgang mit dem Fremden unsere schlimmen Vorsehungen meistens enttäuscht.

Nachtrag: Ein guter Freund von mir behauptet, ich wäre gar kein Sozialphobiker, sondern nur ein Sozialfastidiker. Ein schöner Begriff, der leider aufgrund seiner präfaktischen Existenz von keiner Suchmaschine gefunden wird.

 

Über moderne Familien und Populisten

Es war einmal eine moderne Bären-Familie. Mama-Bär arbeitete in ihrem Traumberuf als Baumpflegerin und kümmerte sich nebenher so gut es ging um ihre Kinder. Sie fühlte sich verantwortlich für deren Bildung, genauso wie für ihre Gesundheit. Papa-Bär ging auch arbeiten. Da er aber als Mann mehr verdiente und das Reiheneckenhaus noch abbezahlt werden musste, schuftete er noch viel mehr als seine Frau. Am Wochenende gehörte Papa-Bär jedoch ganz seinen Kindern. Meistens jedenfalls.

Dann kam ein Wochenende, an dem Mama-Bär auf eine Fortbildung fuhr. Als es um die Essensfrage ging, sprach der Vater schmunzelnd: Die Mama immer mit ihrem gesunden Essen. Kinder, was haltet ihr von McDonalds? Dort gibt es fette Honig-Burger. Viel zu süß und schmeckt wie Gummi. Ist aber wenigstens verboten! Die Kinder schrien „Hurra! Papa ist der Beste!“ Papa-Bär jedoch flüsterte: Aber nichts der Mama erzählen.

Die Kinder erzählten der Mama auch nichts. Doch sie posteten es auf facebook. Und vergaßen dabei, dass Mama-Bär auch bei facebook ist. Es kam, wie es kommen musste zu einem riesigen Streit. Bisher hatte Mama-Bär immer recht. Sie hatte sozusagen die gesammelten Fakten der Wissenschaft und des gesamten Gesundheitsministeriums auf ihrer Seite. Doch jetzt mischte sich Papa-Bär ein, der als Baumfäller von Gesundheit nicht wirklich Ahnung hatte:

Ab und zu mal was Ungesundes kann doch nicht so schlimm sein, oder?

Ist auch billiger, als die Kinder später zum Therapeuten-Bär zu schicken.

Mama-Bär blieb hart und zog alle Register: In Honig-Burgern ist schließlich Analog-Honig! Das weiß doch jeder! Doch die Bären-Kinder hatten im Internet erfahren, dass Kinder in Familien auf der ganzen Welt das gleiche Problem haben. Sie hatten damit nicht nur ihren Vater auf ihrer Seite, sondern zusätzlich zumindest gefühlt die halbe Kinderwelt. Und außerdem hieß analog jetzt nicht mehr analog, sondern vegan.

Soweit die kleine Bärengeschichte. Wir tauschen in dieser Geschichte die Kinder gegen kleine, marginalisierte BürgerInnen aus. Papa-Bär gegen Trump, Höcke, Petry oder einen Populisten ihrer Wahl. Und Mama-Bär gegen Merkel, Clinton und die Medien. Das Internet hat sich noch nicht entschieden, auf welcher Seite es steht.

In den letzten Jahrzehnten gaben die Eliten und die Medien als strenge Eltern vor, was wir zu denken haben. Ein Teil der Gesellschaft machte das gerne mit. Man nennt sie Gutmenschen oder Demokraten oder Liberale. Menschen, die das Gefühl haben, dass der Wandel normal ist und dass es besser ist, sich anzupassen. Als unsere Vorvorvorfahren von Süden nach Norden pilgerten, kamen sie nicht umhin, Nadel und Faden, Hütten und Werkzeuge zu entwickeln, um der Kälte zu trotzen. So tummeln wir uns heute in Jobs, für die es vor 20 Jahren noch nicht mal einen Namen gab und führen Kulturveranstaltungen durch, für die man vor 50 Jahren in die Psychiatrie gekommen wäre. Die Sesshaftigkeit führte auch dazu, dass ein Schussel einen Früchtebrei zu lange stehen ließ, bis dieser gärte. Danke dafür: Ohne Wandel keinen Alkohol! Und ohne Fehler müssten wir auf so manche Erfindung verzichten.

Vielleicht aber hat diese Anpassung ihren Preis. Wir alle werden ungern mit unseren Schwächen konfrontiert. Ganz ehrlich: Mein kindliches Ego tendiert nicht dazu, einer Frau im Vorbeigehen zwischen die Beine zu greifen. Doch ab und an die politische Korrektheit beiseite zu lassen, zum Beispiel im Improtheater auf behindert zu machen und anderen in der Nase zu bohren, das hat was. Solche Ausrutscher bestätigen jedoch die Regeln, nach denen wir leben. Nennen wir es nicht politische Korrektheit. Nennen wir es einen Gesellschaftsvertrag auf der Basis humanistischer Werte: Sich umeinander kümmern, Mitmenschlichkeit, Bindung zueinander. Zwischen Alt und Jung, Mann und Frau, Arm und Reich. Mit der Möglichkeit, ab und an, und sei es im Karneval, Dampf abzulassen. Wenn ich mir manche politische Agitatoren ansehe, habe ich das Gefühl, dass sie zu wenig lachen, der Druck im Druckkessel bleibt und sie zu sehr von ihrer Moral gesteuert sind. Als Menschen macht sie das unnahbar. Elite eben!

Der andere Teil der Gesellschaft fremdelt mit dem Wandel. Aus welchen Gründen auch immer. Sein Ich will so bleiben, wie es ist, sei es aus Angst oder Bockigkeit. Leider log uns eine bekannte Werbung aus den 90ern schamlos an: Gerade du darfst eben nicht!

Jedenfalls ging diesem Teil schon seit Jahrzehnten der permantente Wandel auf die Eier(stöcke). Genauso lange war es jedoch nicht erlaubt, seinen Emotionen nachzugehen. Die strenge Mama war im Haus und kontrollierte den Zugang zum Internet. Jetzt kam es zu einem Befreiungsschlag: Der fürsorgliche Vater sorgte sich um seine Kinder und sprach: Schaut her! Auch ich beiße von diesem Burger ab! Und gerade weil das Zeug so ungesund ist, bestelle ich mir noch einen! Und was ich mir erlaube, solltet ihr euch auch erlauben! Du darfst! Just do it!

Auftritt Mama-Bär: Aber Kinder! Bedenkt doch die Fakten!

Die gefühls-emanzipierten Kinder jedoch bildeten sich im Internet weiter und rufen: Bleib mir mit deinen Fakten vom Leib! Früher hatten die Menschen im Alter auch keine Krankheiten! Gesundheitsvorsorge ist doch nur eine Verschwörung!

Die Verbindung zu dieser übergroßen Moral wurde durchbrochen. Endlich kann der kleine Mensch von der Straße tun, was er will.

Das Problem lautet allerdings: Mama-Bär machte die Kinder zu unterwürfigen Ja-Sagern. Papa-Bär erzieht seine Kinder zu trotzigen Nein-Sagern. Beide machen sie jedoch abhängig von sich. Bei beiden lernen sie nicht, selbstverantwortlich ihr Leben zu gestalten. Doch wer sein Leben nicht selbst in die Hand nimmt, sondern sich von anderen an die Hand nehmen lässt, bleibt auf Dauer unglücklich.