Immer wenn ich ein wenig Luft habe, meist ist das in der Sommerzeit oder um Weihnachten der Fall, denke ich über mögliche neue Seminar-Angebote nach. Manchmal werde ich auch aktiv gefragt: “Könnten Sie nicht mal was zum Thema Generation Z machen?” Und dann geht die Gehirn-Maschine los:
Soll ich mir das wirklich antun? Lohnt sich der Aufwand? Immerhin muss ich mich in das neue Thema gut einarbeiten.
Und ein wenig unsicher ist es auch oft zu Beginn.
Aber spannend wäre es schon, mal wieder ein neues Thema anzugehen?
Und Spaß macht es auch, einen Stapel Bücher auszuleihen, neue Grafiken zu erstellen und dem Leben neue Blickwinkel hinzuzufügen.
Um solche Gehirnakrobatiken strukturierter anzugehen, helfen mir die vier IKIGAI-Filter:
Natürlich lässt sich die Reihenfolge der vier Filter auch verändern, je nach gusto.
In meinen Moderations-Seminaren ist manchen Teilnehmer*innen der Unterschied zwischen einer Präsentation und einer Moderation unklar. Die Seminare werden i.d.R. von der Personalentwicklung im Paket gebucht, oft wie mir scheint ohne groß darüber nachzudenken, ob es überhaupt sinnvoll ist, ein Moderations-Seminar anzubieten.
Daher stelle ich hier in aller Kürze die wichtigsten Unterschiede vor:
Präsentation
Moderation
Ziele
Informationen und Wissen vermitteln, Zuhörer*innen überzeugen und begeistern
Fragetechniken, Gesprächsführungsprozesse, Feedback-, Brainstorming-, Konsens- und Gruppenentscheidungsmethoden
Der Wechsel zwischen dem Präsentations- und Moderationsmodus ist freilich fließend. Dennoch stellt sich die Frage nach dem Schwerpunkt:
Ein Schulungsteam, dessen Aufgabe als Multiplikator*innen besteht, klassische Schulungen zu veranstalten, bspw. zu Software-Updates, braucht Moderations-kompetenzen, wenn es darum geht, Fragerunden zu diskutieren, mit Widerstand umzugehen, Sicherheit zu vermitteln oder die Teilnehmer*innen zu motivieren. Der Schwerpunkt liegt jedoch in der Informations- und Wissensvermittlung und damit bei der Präsentation.
Ein modernes Team, das Meetings nicht als One-Person-Show betrachtet, sondern als Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen und gemeinsame Entscheidungen zu treffen, lernt in einem Moderations-Seminar, einen solchen Austausch klar und strukturiert anzugehen. Zu moderieren bedeutet nicht, Teamleitung sein zu müssen. Im Gegenteil: Wechselt die Moderation reihum, entlastet dies zum einen die Teamleitung, zum anderen sind alle dazu eingeladen, sich (noch) aktiv(er) an Meetings zu beteiligen.
Eine Frage der Lernkultur
Dabei spielt auch die Lernkultur eine zentrale Rolle:
Je mehr Teammitglieder es gewohnt sind, sich aktiv zu beteiligen, umso mehr gewinnen sie durch ein Moderations-Seminar.
Je mehr die Unternehmenskultur hierarchisch definiert ist, desto schwieriger ist es, die Möglichkeiten einer Beteiligung im Rahmen einer Moderation zu nutzen.
Moderations-Seminare können hier den entscheidenden Veränderungsschwung in ein Unternehmen bringen. Warum nicht eine Gruppe von Moderator*innen ausbilden, die intern in anderen Teams Veränderungen begleiten und damit die dortige Team-, Bereichs- oder Abteilungsleitung als neutrale Moderation unterstützt? In diesem Sinne sind Moderations-Seminare als flankierende Maßnahme immer dann sinnvoll, wenn Unternehmen die Interessen ihrer Mitarbeiter*innen ernst nehmen und deren Beteiligung fördern wollen.
Wenn ich mit einem Freund telefoniere und mein Nachbar so laut Musik hört, dass ich kaum etwas verstehe, kann ich entweder meinen Freund bitten lauter zu sprechen oder das Zimmer wechseln, um die Musik nicht mehr (so laut) zu hören. Im ersten Fall erhöhe ich das Ausgangssignal. Im zweiten Fall reduziere ich das Hintergrundrauschen.
Der zweite Fall ist sinnvoller. Die Tonlage meines Freundes ist im Ursprung genau so laut wie sie sein soll und damit authentisch. Soll er lauter sprechen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Gespräch anders verläuft als geplant. Vielleicht kürzer oder auch aggressiver.
Dieses Phänomen wird im Weber-Fechner-Gesetz aus der Psychophysik beschrieben: Die Deutlichkeit eines Signals hängt von der Stärke des Hintergrundrauschens ab.
Sobald uns dieses Prinzip bewusst wird, erkennen wir es plötzlich in vielerlei Situationen:
Die Sterne sind erst sichtbar, wenn es auf der Erde dunkel wird.
Ich kann mich besser konzentrieren, wenn der Lärm von draußen abnimmt. Viele Autoren schreiben deshalb am liebsten früh am morgen oder in den Abendstunden.
Ich nehme erst richtig wahr, was meine Frau von mir will, wenn die Kinder nicht mehr schreien.
Innere und äußere Signale
Signale wiederum können von innen oder außen kommen. Ein gutes Zuhören erfordert einen ruhigen Raum – im weitesten Sinne. Ein gutes inneres Zuhören erfordert ebenso Ruhe bzw. wenig Hintergrundrauschen.
Deshalb ist eine innere Achtsamkeit so wichtig. Wer die Fähigkeit besitzt, sich mit innerer Achtsamkeit für einige Momente die äußere Welt vom Leib zu halten, hält auch das Hintergrundrauschen von sich fern. Diese innere Gelassenheit wiederum hilft, auf die eigenen inneren Signale – Bedürfnisse, Ideale, Zukunftsvisionen, usw. – zu horchen und damit letztlich bessere Entscheidungen zu treffen.
Literatur
Halko Weiss & Dyrian Benz: Auf den Körper hören. Hakomi-Therapie. Eine praktische Einführung
„Mama told me when I was young Come sit beside me my only son And listen closely to what I say And if you do this it′ll help you Some sunny day. Oh take your time don’t live too fast Troubles will come and they will pass Go find a woman and you′ll find love And don’t forget son there is someone up above And be a simple kind of man Oh be something you love and understand Baby be a simple kind of man Oh won’t you do this for me son if you can“
So sangen es einst Lynyrd Skynyrd in ihrem Song „Simple Man“.
Einerseits hat die Maxime der Einfachheit 50 Jahre später aufgrund einer unüberschaubaren Welt inklusive Pandemie, Krieg und Umweltthematik an Faszination eher noch zugenommen. Andererseits hat die Einfachheit oft einen Beigeschmack von Dummheit, als würde dem einfachen Menschen die Intelligenz fehlen, sich mit schwierigen Themen auseinander zu setzen. Wer in der Öffentlichkeit punkten will, muss sich gut präsentieren können und kluge Sätze von sich geben.
Wie also lässt sich dieser vermeintliche Widerspruch auflösen?
Die Kernfrage hier lautet: Warum will ich einfacher leben?
Einfachheit als intuitive Fokussierung
Ist es wirklich klug, sich in der Komplexität der Welt zu verlieren? Die Komplexität der Welt ist ein Fakt. Politische Entscheidungen sind komplex. Die Umweltthematik ist komplex. Beziehungen sind komplex. Führung ist komplex. Der Umgang mit Kunden ist komplex. Grundsätzlich ist alles Menschliche komplex. Anders formuliert: Egal was du tust, irgend jemand ist immer unzufrieden.
Sich diese Tatsache des Menschseins bewusst zu machen, sie wahr- und anzunehmen ist eine Sache. Ich kann jedoch gleichzeitig Komplexität wahrnehmen und einfach handeln, indem ich zeitliche oder inhaltliche Prioritäten setze: So wie keine Theorie zu 100% in die Praxis umgesetzt werden kann, bedeutet Handlungsfähigkeit auch, sich in der Umsetzung einer Handlung auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Sowohl seinen Anforderungen in der Arbeit als auch seinen Beziehungen kann ein Mensch niemals zu 100% gerecht werden. Einfach zu sein bedeutet, trotz des Wissens um mögliche Verfehlungen oder Fehlentscheidungen das zu tun, was genau jetzt richtig und wichtig erscheint:
Genau jetzt kümmere ich mich um diesen einen Azubi, weil er genau jetzt meine Hilfe braucht. Für diesen Moment vergesse ich alle anderen anstehenden Anforderungen, denen ich erst später gerecht werden kann.
Genau jetzt rufe ich bei einem Freund an und frage ihn wie es ihm geht, weil mir das genau jetzt wichtig erscheint.
Genau jetzt verschweige ich meiner Partnerin, dass ich mir Sorgen um etwas mache, weil es genau jetzt nicht zeitlich passend ist.
Einfachheit hat folglich viel mit Intuition, Bauchgefühl und Spontaneität zu tun, und damit mit einer kindlichen Natürlichkeit, die wir im Alter meist eher haben als als Kind. Denn als Kind orientieren wir uns noch sehr an Äußerlichkeiten. Im Alter haben wir idR. die Chance, uns von solchen Zwängen zu lösen.
Die Kernfrage hier lautet: Was sagt mir genau jetzt mein Bauchgefühl?
Wäre es so schlimm, diesem Gefühl spontan zu folgen? Es könnte am Ende das Leben lebendiger machen.
Einfachheit bedeutet eindeutig sein
Wer sich auf die Komplexität der Welt beruft, sagt damit auch aus, dass er sich nicht entscheiden kann oder will, weil er dieser Komplexität letztlich niemals gerecht wird. Dass wir uns mit jeder Entscheidung für etwas gleichzeitig auch gegen etwas ent-scheiden, macht die eigentliche Schwierigkeit in Entscheidungen aus:
Wenn ich dem Azubi helfe, bleiben andere Aufgaben liegen, was zu anderen Enttäuschungen führen kann.
Wenn ich diesen einen Freund anrufe, kann ich jemand anderen nicht anrufen oder einem Hobby nicht nachgehen, auf das ich ebenso gerade Lust hätte.
Wenn ich meiner Partnerin meine Sorgen verschweige, könnte sie mir später Vorwürfe darüber machen, dass ich nichts gesagt habe.
In allem, was wir tun besteht folglich eine Zwiespältigkeit. Auch hier gilt: Ich sollte diese Dilemmata erkennen und dennoch handeln. Anders formuliert: Wenn ich mich in diesen Dilemmata verliere, bin ich entweder handlungsunfähig oder aber ich handle im wahrsten Sinne des Wortes halbherzig. Dann …
… helfe ich widerwillig.
… rufe aus einem Pflichtgefühl heraus an.
… sage zwar nichts, bin aber dennoch schlechter Laune.
Einfach zu sein bedeutet folglich, in genau diesem Moment eindeutig statt doppeldeutig zu sein. Muss ich dafür schauspielern? Vielleicht. Oder aber ich mache mir bewusst, dass ich genau jetzt einen Teil meines Ichs lebe und später einen anderen Teil. Schließlich ist niemandem mit einer unzufriedenen Doppeldeutigkeit geholfen. Der Azubi wird ein schlechtes Gewissen haben. Der Freund und die Partnerin wissen nicht, woran sie sind.
Die Kernfrage hier lautet: Was ist genau jetzt dringend und wichtig?
Einfachheit als Ehrlichkeit
Wer einfach ist, hat keine Hintergedanken. Er agiert nicht, um sich darzustellen. Er denkt nicht daran, wie er bei anderen ankommt. Er muss sich nicht präsentieren, um etwas zu erreichen. Er ist einfach nur er selbst. Er sagt, wenn es ihm schlecht geht, damit sich sein Gegenüber keine Gedanken machen muss. Er denkt nicht an morgen, sondern nur daran, jetzt ein gutes Gespräch zu führen.
Das ist nicht zu verwechseln mit brutaler Direktheit. Auch höfliche, zuvorkommende oder diplomatische Menschen können einfach sein, wenn die Höflichkeit und Diplomatie ehrlich und angemessen ist. Denn auch Höflichkeit und Diplomatie können Hintergedanken haben. Haben sie es nicht, sondern dienen dem gerade jetzt stattfindenden Gespräch, passen sie sehr gut zur Einfachheit.
Die Kernfrage hier lautet: Wie mache ich es meinem Gegenüber möglichst einfach?
Einfachheit bedeutet mutig zu sein
Sich dergestalt für diesen einen Moment auf eine Handlung festzulegen ist mutig. Immerhin kann später der Vorwurf kommen, dass ich mich genau dafür entschieden habe. Dies erfordert folglich nicht nur Mut, sondern auch eine Reflexionsfähigkeit jenseits einfacher Bauchgefühle. Ich muss also wissen, warum und wofür ich in diesem Moment genau so entschieden habe. Lag es an der Bedürftigkeit des Azubis? Ist das letzte Telefonat schon so lange her? Oder ist die Stimmung gerade ungünstig und die Zeit nicht vorhanden für ein intensives Gespräch?
Die Kernfrage hier lautet: Worum geht es gerade wirklich?
Einfachheit bedeutet demütig zu sein
Ein Mensch alleine kann weder die Welt retten, noch seiner eigenen Welt jederzeit gerecht werden. Er kann es allenfalls nach und nach. Zudem kann der Mensch nicht in die Zukunft blicken. Er weiß nicht, welche Konsequenzen seine Handlungen nach sich ziehen. Diese Unvollkommenheit erfordert Demut. Der einfache Mensch weiß um seine Unvollkommenheit und konzentriert sich darauf, das zu tun, was in seiner Macht liegt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Die Kernfrage hier lautet: Was kann ich tun, um meine Welt ein klein wenig besser zu machen?
Einfachheit als Achtsamkeitsübung
In einer komplexen Welt gibt es mehr Angebote als wir jemals verarbeiten können. Während ich in meiner Studienzeit schon aus Geldgründen monatlich maximal zwei CDs kaufte und diese solange hörte, bis ich sie auswendig kannte, bieten heute Spotify und Co. mehr Auswahl als ich jemals hören könnte. Das gleiche gilt für Filme oder Bücher ebenso wie für potentielle Projekte oder Marketingstrategien. Das Paradoxe daran ist: Je mehr Wissen und Kompetenzen ich habe, desto mehr Zugang und Auswahl habe ich auch.
Das Leitprinzip der Achtsamkeit besteht in der Konzentration darauf, was ich genau jetzt wahrnehme. Entweder ich schaue mir einen Film an oder ich esse mein Abendessen. Wer beides gleichzeitig macht, nimmt beides nur zur Hälfte wahr und kann sich – wie der Soziologe Hartmut Rosa schreibt – von nichts von beidem affizieren lassen. Solche Doppelhandlungen machen zudem unglücklich. Oberflächlich betrachtet sparen wir Zeit. In Wirklichkeit verschwenden wir jedoch Lebenszeit.
Einfachheit im Sinne von Achtsamkeit bedeutet, sich auf eine Quelle der Wahrnehmung zu fokussieren. Wenn wir wandern, konzentrieren wir uns auf die Natur und denken nicht an das anstehende Projektmeeting in der nächsten Woche. Wenn wir essen, konzentrieren wir uns auf den Geruch und Geschmack des Essens. Wenn wir einen Film ansehen, lassen wir uns von der Atmosphäre oder Spannung des Films mitreißen. Wenn wir ein Gespräch führen, konzentrieren wir uns auf das Gespräch. Wenn wir jemandem helfen, tun wir das mit ganzem Herzen.
Die Kernfrage hier lautet: Was fasziniert mich an dem, was ich gerade mache und worauf sollte ich mich deshalb genau jetzt konzentrieren?
Gerade in hektischen Zeiten scheiden sich die Geister, was unsere Intuition angeht. Die einen verlassen sich dann lieber auf ihren Verstand, um nicht zu emotional zu entscheiden. Den anderen erscheint das logische Denken unter Stress viel zu langsam. Was also ist unsere Intuition? Und wann sollten wir sie wie bei der Entscheidungsfindung einsetzen?
Intuition als interner Moderator
Laut dem Philosophen Henri Bergson vermittelt Intuition zwischen unserem Intellekt und unserem Instinkt. Würden wir nur auf unseren Intellekt hören, kämen vermutlich unsere Bedürfnisse zu kurz. Würden wir nur auf unseren Instinkt hören, wäre unser Verhalten ab und an vermutlich etwas maßlos. Da wir jedoch in der Regel in einem sozialen Umfeld leben, brauchen wir – insbesondere in der Arbeit – noch eine vierte Instanz, die leider nicht ebenso wie die anderen drei mit I anfängt, sondern mit E: Unsere Empathie, die häufig auch als soziale Intuition beschrieben wird.
Mein Intellekt ist folglich für folgende Fragen zuständig:
Was nehme ich wahr?
Welche Fakten kann ich berücksichtigen?
Was weiß ich?
Was sagt meine Erfahrung?
Kann oder soll ich mein Wissen auslagern, um Energie und Zeit zu sparen, beispielsweise Computer nutzen?
Kann oder soll ich bei häufig vorkommenden Entscheidungen Checklisten oder Prozessablaufpläne nutzen?
Mein Instinkt kümmert sich um meine Bedürfnisse:
Was brauche ich?
Was will ich vermeiden?
Wovor sollte ich mich schützen?
Wie kann ich meine Lust vergrößern oder Unlust vermeiden?
Meine Empathie beschäftigt sich mit meinem sozialen Umfeld:
Was ist mein Gegenüber für ein Mensch?
Was braucht mein Gegenüber?
Was regt mein Gegenüber in mir an (Stichwort: Spiegelneuronen)?
Womit könnte ich mein/em Gegenüber überraschen / enttäuschen / wütend machen ängstigen / eine Freude machen?
Bleibt noch meine moderierende Intuition übrig, die nach Bergson grundlegend darauf achtet, dass Handlungen eher lebendigkeitsfördernd sind:
Was hält mich und mein Gegenüber lebendig?
Wann sollte ich auf meinen Intellekt, wann auf meinen Instinkt und wann auf meine Empathie hören?
Quelle: Philosophie Magazin 02/2023
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