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Der Mythos vom bösen Menschen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben

Ist der Mensch von Grund auf gut oder schlecht? Die öffentliche Meinung geht eher davon aus, dass der Mensch böse ist und deshalb – wie Thomas Hobbes es in seinem Leviathan beschrieb – kontrolliert werden muss. Davon lässt sich dann auch das Bestreben einer immer stärkeren Überwachung des Menschen, beispielsweise über Kameras im öffentlichen Raum oder während der Pandemie über die Kontrolle der Verhaltensweisen der Menschen ableiten. Andernfalls könnten wir Vertrauen darauf haben, dass der Mensch so handelt, dass es nicht nur ihm nützt, sondern auch anderen - zumindest denen in seinem direkten Umfeld - dass der Mensch also kooperative Gene hat, wie es in einem Buch von Joachim Bauer beschrieben wird.

Die immergleichen Studien, auf die sich die Befürworter eines Leviathans berufen, legen etwas anderes nahe. Das Zimbardo-Experiment zeigte doch schließlich, mit welcher Brutalität die Wärter ihre Machtposition ausnutzten. Und das berühmte Ferienlagerexperiment von Muzafer Sherif zeigte doch ebenso deutlich, wie die beiden Gruppen von Jugendlichen in dem Ferienlager aufeinander losgingen.

Nur: Die Anweisungen im Stanford-Prison-Experiment von Zimbardo enthielten nicht nur eine sachliche Rollenbeschreibung, sondern wurden bewusst manipulativ verfasst. Der französische Geisteswissenschaftler Thibault Le Texier untersuchte die Unterlagen der Studie, laut derer die (gespielten) Gefängniswärter genau wussten, was von ihnen erwartet wurde. Die Forscher griffen laut einer Audioaufnahme sogar direkt ins Geschehen ein. Dabei wurde ein Wärter explizit ermahnt härter durchzugreifen.1

Zimbardo schreibt selbst: Die Schlussfolgerung dieser Studie lautet also: Starke soziale Situationen können die Identität von guten Menschen auf negative Weise verändern.

Bei aller wissenschaftlichen Mängel schlussfolgert auch er nicht, wie es oft verkürzt dargestellt wird, dass der Mensch schlecht ist, sondern dass ihn die Umstände dazu machen.

Wenn Zimbardo genau das zeigen wollte, ist im das gelungen: Gebe einer Gruppe von Menschen Macht in Form einer Position und weise sie an, brutal durchzugreifen. Die meisten werden es tun, ohne sich dagegen zu wehren.

Eine solche hierarchische Macht zeigte sich auch im Milgram-Experiment, in dem Menschen dazu angeleitet wurden, einer Person in einem anderen Raum Stromschläge zu verabreichen, wenn sie Fragen falsch beantworteten. Auch aus diesem Experiment lassen sich unterschiedliche Erkenntnisse heraus lesen: Neben der Erkenntnis zu was Menschen alles fähig sind, gibt es auch die Erkenntnis, dass Menschen dann moralisch verwerfliche Dinge tun, wenn sie sich mit Autoritäten identifizieren, die diese Handlungen als tugendhaft darstellen.2 Es geht also auch hier mehr um das Setting und weniger um die Schlechtigkeit des Menschen ansich.

Das gleiche passierte im Experiment von Muzafer Sherif. Auch hier wurden die Gruppen zuerst aufeinander gehetzt. Sherif arbeitete mit Gerüchten über die jeweils andere Gruppe, um eine noch nicht vorhandene gegenseitige Feindschaft anzustacheln.3 Es strafen also nicht zwei neutrale Gruppen aufeinander, was die Objektivität des Experiments verzerrt. Zudem nahm das Experiment im weiteren Verlauf eine überaus positive Wendung. Als Sherif die Jugendlichen vor Aufgaben stellte, die sich nur gemeinsam lösen ließen, kooperierten sie erst gezwungenermaßen und später durchaus freundschaftlich miteinander.4 Es geht also auch hier nicht darum, dass der Mensch ansich gut oder schlecht ist, sondern darum, was ein sozialer Umstand mit den Menschen macht.

All diese Studien belegen folglich weniger die grundsätzliche Schlechtigkeit der Menschen, sondern allenfalls wie leicht der Mensch durch soziale Umstände geprägt und durch Rollenbeschreibungen oder -vorbilder instruiert und manipuliert werden kann.

Gingen wir tatsächlich davon aus, dass der Mensch im Grunde gut ist, wie es nicht nur diverse Sozialforscher (u.a. Vertreter der positiven Psychologie oder der klientenzentrierten Gesprächstherapie), sondern in neuerer Zeit auch Neuroforscher (u.a. Gerald Hüther und Joachim Bauer) behaupten, würde dies unseren Blick auf Konflikte und Widerstände enorm verändern:

  • Wir hätten mehr Vertrauen zueinander und müssten uns weniger gegenseitig kontrollieren.
  • Wir würden davon ausgehen, dass Mitarbeiter*innen (Nachbarn oder Menschen ansich) im Grunde gut sind.5
  • Wir würden davon ausgehen, dass erst negative Umstände und Rollenzuschreibungen Menschen davon abbringen, sich offen zu begegnen.
  • Und wir würden die Schuld eines abweichenden Verhaltens nicht dem Menschen ansich zuschreiben, sondern den sozialen Umständen, in denen er sich befindet.

Was lässt sich aus diesen Gedanken ableiten:

  1. Meine innere Haltung (beispielsweise als Führungskraft): Ich würde dann davon ausgehen, dass meine Nachbarn, Kolleg*innen, Freunde, etc. im Grunde gut sind und lediglich aus ihrer Erfahrung heraus manchmal (in meinen Augen) schlechte Dinge tun. Dieser Optimismus im Umgang miteinander könnte Türen öffnen, Widerstände vermeiden und Konflikte verhindern. Es handelt sich dabei nicht um einen naiven Optimismus, denn das Vertrauen in andere sollte immer ein Angebot sein, dass auch angenommen wird. Ist dies nicht der Fall, kann ich mein Angebot auch jederzeit rückgängig machen.
  2. Rollenschreibungen (beispielsweise im Team oder in der Familie): Wie lauten meine Erwartungen an mich? Soll ich als Vater, Mutter oder Führungskraft streng sein, um mich durchzusetzen? Bin ich erst eine gute Führung, wenn ich meine strukturelle Macht einsetze? Oder gibt es Möglichkeiten, sich auf Augenhöhe zu treffen und dennoch eine klare Verantwortungsteilung jenseits von Machtpositionen zu leben?
  3. Strukturen (beispielsweise Räumlichkeiten und Ressourcen): Wie sehen die Räumlichkeiten bei uns (in der Familie oder im Team) aus? Hat jede*r seinen/ihren Freiraum, d.h. Rückzugsmöglichkeiten (Stichwort Großraumbüro)? Gibt es genügend Ressourcen, insbesondere Zeit, Geld und Materialen, um gut zu arbeiten? Oder sind die Räumlichkeiten so eng, dass es bei Stress keine Fluchtmöglichkeiten gibt und Aggressionen vorprogrammiert sind?
  4. Atmosphäre: Und wie sieht es mit der Atmosphäre (im Team oder Familie) aus? Ist diese auf einen offenen, ehrlichen, freundschaftlichen und kooperativen Austausch angelegt, im Rahmen dessen jede*r seinen Platz findet? Oder auf einen kompetitiven und aggressiven Wettbewerb, weil wir davon ausgehen, dass der Mensch erst durch Konkurrenz sein Bestes gibt? Vielleicht gibt es aber auch einen Weg dazwischen, eine Art freundschaftlichen Wettbewerb, der humorvoll mit kleinen Seitenhieben auf der Basis eines gegenseitigen Wohlwollens ausgetragen wird? Dann leben wir vermutlich in der besten aller Welten, die weder schwarz (böse), noch weiß (gut), sondern wie das Leben selbst bunt ist.6

Externe Links und Quellen

1Vgl. https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/stanford-prison-experiment

2Vgl. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/psychologen-deuten-experimente-von-milgram-und-zimbardo-neu-a-868461.html

3Vgl. https://soundcloud.com/user-534548529/einfuhrung-in-den-atcc-ansatz?

4Vgl. https://www.heise.de/tp/features/Ueberschreiten-der-Gruppengrenze-5043970.html?

5Auch diesen Titel habe ich mir frech ausgeliehen: Rutger Bregman: Im Grunde gut

6Siehe auch https://www.m-huebler.de/ein-new-work-manifest-auf-der-basis-einer-positiven-fuehrung oder ausführlicher: https://www.amazon.de/positiver-F%C3%BChrung-Mitarbeiterbindung-f%C3%B6rdern-Bindungskultur-ebook/dp/B09X1YM7V2

Die Rolle der Personalabteilung in Konflikten

Personalabteilungen im Spannungsfeld von Konflikten

Die Funktion von Personalabteilungen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Gerade mit Blick auf New Work und digitalisierte Arbeitswelten kamen und kommen neue Herausforderungen auf Unternehmen und Teams zu. Und damit auch neue Konflikte, sei es wegen einem erhöhten Stress und Zeitdruck oder aufgrund der Kommunikation über Distanz.

Bei Konflikten zwischen Mitarbeiter*innen und Vorgesetzten sind Personalverantwortliche (neben dem Betriebsrat) oft die erste Anlaufstelle. Doch was passiert, wenn beide Parteien eine Art Richterspruch erwarten, wie es häufig in Konflikten passiert?

Ein Beispiel: Mitarbeiterin Schubert fühlt sich mit dem steigenden Arbeitsvolumen durch ihren Vorgesetzten überfordert, klärenden Gesprächen geht er aus dem Weg, die schriftliche Kommunikation, insbesondere im Homeoffice verläuft zunehmend angespannter. Auf ihrer Seite häufen sich Fehler mit entsprechend negativen Feedbacks. Frau Schubert denkt, man könnte aus dem Teufelskreis leicht aussteigen, wenn ihr Chef sie nicht so abblocken würde. So jedoch weiß sie oft nicht, was zu tun ist und arbeitet auf Verdacht. Kein Wunder, dass es dann zu Fehlern kommt. Da ihr Chef vorgibt, keine Zeit für Klärungsgespräche zu haben, sucht sie den Weg zur Personalabteilung.

Als erstes gilt es nun zu klären, worum es Frau Schubert in geht und welche nächsten Schritte anstehen. Frau Schubert könnte ihre Führungskraft darüber informieren, dass sie den gemeinsamen Konflikt gerne mit Unterstützung der Personalabteilung angehen möchte. Je nachdem, wie verfahren die Situation ist, ist dies jedoch ein heikles Unterfangen. Konflikte werden auch daher immer noch nicht so häufig angegangen, weil die beteiligte Führungskraft einen Gesichts- und/oder Kontrollverlust befürchtet. Alternativ kann die Personalabteilung direkt tätig werden.

Nun gilt es zu entscheiden, ob eine externe Moderation notwendig ist oder nicht.

Für eine externe Moderation spricht:

  • Der Konflikt ist bereits eskaliert, die Fronten sind verhärtet.
  • Es gibt ein klares Misstrauensvotum von mindestens einer Seite gegenüber der Unparteilichkeit des Personalabteilung.
  • Die Personalabteilung hat Sympathien oder Antipathien für bzw. gegen eine Seite.
  • Es besteht ein zu hoher Grad an Vertrautheit, was oft in kleinen Organisationen anzutreffen.
  • Bisherige Lösungsversuche waren erfolglos.
  • Es bestehen Interessenkonflikte aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen, bspw. aufgrund langjähriger persönlicher Beziehungen zwischen zwei Parteien.
  • Die Personalabteilung verfügt nicht über das notwendige Know-how zur Moderation von Konflikten.
  • Es fehlen zeitliche Ressourcen zur Bearbeitung des Konflikts.

Es gibt also eine ganze Menge Gründe, eine externe Moderation zu beauftragen, die zum einen die nötige Erfahrung mit bringt und sich zum anderen leichter damit tut, heikle Themen offen anzusprechen.

Aufgaben für Personalabteilungen in Konflikten

1. Klären, worum es geht

Nachdem die leidendere Seite sich bereits äußerte, sollte die Personalabteilung mit einem noch nicht eskalierten Konflikt zumindest erste Klärungsgespräche führen und dann entscheiden, wie es weiter geht. Als Mediator weiß ich auch oft nicht, wo die Reise hingeht und wie groß der Konflikt bereits ist. Das erfahre ich idR erst im Laufe der ersten Sitzung.

2. Klären, wie der Prozess abläuft

Der oder die Personalabteilungsverantwortliche sollte nun den Prozess verdeutlichen, der auf die beiden Parteien zukommt. Dies kann je nach Konfliktkultur im Unternehmen unterschiedlich sein. Manche Unternehmen engagieren sofort eine/n externe/n Mediator*in. Andere – insbesondere wenn die Kompetenzen vorhanden sind – versuchen den Fall zumindest inhaltlich so zu klären, dass ein/e externe/r Mediator*in schnell loslegen kann.

Mögliche Aufgaben der Personalabteilung im Sinne einer höheren Verantwortung zu Beginn und auch während einer Mediation können sein:

  • Unterstützung bei der Konflikt-Analyse
  • Ansprechpartner*in für Führungskraft, wenn es um eine Reflexion der eigenen Führungsrolle geht
  • Klärung möglicher Anschlussmaßnahmen, beispielsweise Teamentwicklungen oder Coachings
  • Klärung möglicher Konsequenzen bei einer Nichtlösung, beispielsweise Versetzung oder Entlassung

3. Zusammenarbeit mit externen Mediator*innen

Der Erstkontakt mit externen Konfliktmoderator*innen wird zum einen genutzt, um die Ausgangslage und das Anliegen zu schildern. Gleichzeitig agieren Personalveranwortliche auch als Kulturvermittler*innen: Sie geben wichtige Hinweise zur Konfliktkultur im Unternehmen und helfen zu verstehen, wie die Probleme im speziellen und allgemeinen entstehen oder eskalieren konnten, wie üblicherlicherweise vorgegangen wird und welche Hindernisse im speziellen und allgemeinen auftreten könnten.

Darüber hinaus werden die Rollen im weiteren Prozess sowie Form, Inhalt und Umfang der Rückmeldungen definiert. Insbesondere ist die Klärung von Verschwiegenheiten bzw. deren Grenzen wichtig. In der Regel wird vereinbart, dass in der Mediation besprochene Inhalte vertraulich behandelt werden, die Personalabteilung am Schluss jedoch eine Kopie der vereinbarten Massnahmen sowie ein Feedback zum Verlauf des Prozesses und der Mitarbeit der Beteiligten erhält.

Basierend auf den Vereinbarungen zwischen Personalabteilung und Mediator*in wird den Konfliktparteien der weitere Verlauf der Mediation vorgestellt. Die Personalabteilung und der oder die Mediator*in arbeiten sozusagen als perfektes Team auf Zeit zusammen. Dies spart dem Unternehmen Zeit und Geld, Mediator*innen Nerven und erhöht die Erfolgschancen enorm.

In der nächsten Phase tritt die Personalabteilung in den Hintergrund. Die Verantwortung für die eigentliche Konfliktbearbeitung liegt nun bei den Parteien und der externen Moderation.

4. Präventionsarbeit

Jenseits des aktuellen Konflikts sollte die Personalabteilung zusammen mit der Geschäftsleitung bzw. dem Topmanagement die Konfliktkultur aktiv gestalten. Konflikte sollten etwas Normales sein, das sich lösen lässt und das man nicht verdrängen oder verschweigen sollte. Dazu braucht es das Vertrauen der Mitarbeiter*innen, Konflikte bei Führungskräften und der Personalabteilung anzusprechen. Wer Konflikte anspricht ist also kein Nestbeschmutzer, sondern sucht nach Lösungen für einen reibungsfreieren Arbeitsablauf. Hierzu ist es auch hilfreich, den Betriebsrat ins Boot zu holen, da auch dieser häufig als Anlaufstelle für Konflikte genutzt wird.

Kompetenzen der Personaler*innen

Damit Personaler*innen diese Aufgaben erfüllen können, braucht es ein Basiswissen in drei Bereichen:

  1. Konfliktmanagement-Basiswissen: Natürlich wäre eine Grundausbildung in Mediation sehr hilfreich. Grundsätzlich reicht es jedoch aus, den
  • Prozess einer Mediation, beispielsweise das Harvard-Modell,
  • Gesprächs-, insbesondere Fragetechniken für das Klärungsgespräch und
  • Eskalationsstufen (Ab wann kann ich als Personaler*in nichts mehr tun?) zu kennen.

Ein solches Wissen lässt sich, ohne zu tief in Konflikte einzusteigen, in 1-2 Tagen vermitteln.

  1. Auswahl des Mediators / der Mediatorin: Wie finde ich eine/n geeignete/n externe/n Konfliktmoderator*in? Welche Kriterien sind mir wichtig? Was passt zu unserem Unternehmen? Darf es beispielsweise emotional werden oder sollte die Mediation lieber sachlich ablaufen?
  2. Trennungsmanagement: Ähnlich wie in privaten Beziehungen werden Konflikte aufgrund von Ängsten vor möglichen negativen Konsequenzen lieber ausgehalten. Am Ende könnte sich herausstellen, dass Führungskräfte nicht führen können oder dass es für einen Mitarbeiter einfach nicht mehr passt im Unternehmen. Die Führungskraft könnte notfalls gecoacht werden. Doch eine Kündigung ist entgültig. Wenn sich das Personalmanagement darauf vorbereitet, sich ethisch sauber von Mitarbeiter*innen zu trennen, kann dies viel Angst vor Konflikten nehmen.

Mediation und Konfliktmanagement in Zeiten von Corona

Wie können Teams bei unterschiedlichen Meinungen trotzdem zusammen arbeiten?

Seit der 3G-Regel in Unternehmen häufen sich die Hinweise auf ein hohes Konfliktpotential in der Arbeit. Sind jedoch Konfliktgespräche zum Thema Corona, wenn es um Abstandsregeln, Masken und insbesondere um Impf- oder Testverweigerungen geht, überhaupt möglich?

Grundsätze einer Mediation und eines Konfliktgesprächs

Bevor ich aus Mediationssicht eine Antwort auf diese Frage gebe, sollten wir einen Blick auf die Ziele eines Konfliktgesprächs richten. Ich fokussiere mich dabei auf drei Punkte:

  1. Offenheit: Ein Konfliktgespräch sollte – wie grundsätzlich jedes Gespräch – ergebnisoffen sein. Natürlich kommt am Ende jeden Gesprächs ein Ergebnis heraus, mit dem die beteiligten Parteien leben müssen. So kann es dazu führen, dass Mitarbeiter*innen nicht bereit sind
  2. Verstehen: In der Mediation gilt der Grundsatz einer Allparteilichkeit. Allparteilichkeit bedeutet, Personen aus ihrem Kontext heraus zu verstehen. Ich selbst würde vermutlich anders handeln. Ich kann jedoch zumindest zu versuchen, die Beweggründe einer Person aufgrund ihrer biografischen Erfahrungen zu verstehen.
  3. Einigung: Eine Einigung ist erst möglich, wenn ein gegenseitiges Verstehen stattfindet. Die Lösungen nach einer Phase des gegenseitigen Verstehens sind oftmals überraschend. Meist geht es auch wesentlich schneller als erwartet.

Konfliktlösungen mit Mitarbeiter*innen zu Corona-Themen

Wenn wir uns diese Grundbedingungen ansehen, wird deutlich, dass es schwierig bis unmöglich erscheint, Konfliktlösungen zu Corona-Themen gemeinsam zu erarbeiten im Sinne einer Win-Win-Situation. Stattdessen dominieren sowohl medial als auch politisch erwünschte oder unerwünschte Bilder von der einen und von der anderen Seite der Konfliktparteien. Bekanntermaßen geht dies nicht nur in eine moralische Richtung, sondern auch eine juristische. Es geht hier strukturell betrachtet also nicht nur um Meinungsverschiedenheiten, über die moralisch unterschiedlich geurteilt werden könnte, sondern v.a. um rechtliche Vorgaben. Tragfähige Lösungen im Sinne eines Aufeinanderzubewegens zweier oder mehrerer Parteien sind daher nicht möglich. Und damit rücken auch Heilungen und Einigungen in weite Ferne.

Konfliktverschiebungen

Wenn Konfliktlösungen nicht möglich, aber die Meinungsverschiedenheiten dennoch vorhanden sind, was passiert dann mit dem Frust der Kontrahent*innen?

Zum einen finden Konfliktverschiebungen statt. Schauen wir uns solche Verschiebungen an einem typischen Beispiel aus meiner Mediationspraxis an: Ein Mitarbeiter kann oder will sich nicht impfen lassen. Er weiß, dass er sich dann vor Ort täglich testen lassen muss. Seine Arbeit erlaubt es, aus dem Homeoffice zu arbeiten. Da er jedoch der einzige im Team ist, empfinden dies die anderen Kolleg*innen als ungerecht, weil er viele Aufgaben aufgrund der Ferne nicht mitbekommt. Warum also verweigert er die Testungen?

Auch wenn die genauen Umstände im Einzelfall vielleicht bekannt sind, erlebe ich es in meiner Praxis auch bei anderen Themen sehr häufig, dass Führungskräfte eher zu wenig als zu viel von den Hinter- und Beweggründen ihrer Mitarbeiter*innen wissen. Daher plädiere ich grundsätzlich erst einmal für die Offenheit und Neugier des Wissenwollens. Ich muss nicht gut finden, warum mein*e Mitarbeiter*innen dies oder jenes tun. Interesse dafür sollte ich jedoch mitbringen.

Was könnte sich nun hinter unserem Beispiel verbergen:

  • Wohlwollend formuliert könnte es sein, dass er sich unwohl fühlt in einem Team, in dem er der einzige Ungeimpfte ist und sich erklären muss.
  • Eventuell kann er sich aufgrund einer schwerwiegenden Krankheit nicht impfen lassen. Gleichzeitig ist es ihm unangenehm darüber zu sprechen.
  • Es könnte auch sein, dass er die aktuelle Situation als ungerecht empfindet und die einzige Macht nutzt, die ihm bleibt: Der stoische Ungehorsam bzw. die Verweigerung des Testens. Eine Nichthandlung als Machtdemonstration.

Mir geht es hier nicht um logisch nachvollziehbare Hintergründe, sondern darum, was in den Menschen emotional vorgeht, welche Bedürfnisse sie haben und welche Wege sie bewusst oder unbewusst einschlagen, um ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.

Interessanterweise stieg die Krankenquote zu Beginn der 3G-Regelung für Unternehmen bei den Berliner Verkehrsbetrieben stark an, sodass sogar S-Bahnen ausfielen. Auch Krankheit – simuliert oder entwickelt – ist eine typische Verschiebung von ungeklärten Konflikten auf die Körperebene.

Weitere typische Aggressionsverschiebungen sind:

  • Innere Kündigung
  • Passive Aggressionen: Die Menschen sind dann oberflächlich überfreundlich und beschwichtigend. Unter der Oberfläche werden jedoch Aktionen sabotiert, Termine verschleppt oder Gerüchte in Umlauf gebracht.
  • Auf einer aktiven Ebene wird genörgelt, gegrantelt oder es kommt sogar zum Mobbing.

Filterblasenbildung

Egal in welcher Situation: Jeder Mensch hat Bedürfnisse nach körperlicher oder finanzieller Sicherheit, sozialer Anerkennung und Wertschätzung. Jeder Mensch sucht nach einem Platz in der Welt und möchte ernst genommen werden. Nur die Wege, wie wir Menschen dies erreichen wollen, sind unterschiedlich. Gibt es keine Möglichkeit, seine Bedürfnisse zu befriedigen, werden Notfallpläne aktiviert. Die bedrohten Menschen gehen in Gegenwehr, wie wir dies von Nörglern oder Blockierern kennen, stellen sich tot und hoffen, dass es nicht so schlimm wird oder flüchten. Das Homeoffice in unserem Beispiel ist in diesem Sinne eine Art Flucht als mehr oder weniger aggressive Notwehr – zumindest aus Sicht der agierenden Person.

Gleichzeitig sind die Bedürfnisse immer noch unbefriedigt, was häufig zu einer starken Fokussierung auf Gleichgesinnte führt. Die Person wird sich – außer sie ist ein radikaler Einzelgänger – ähnlich denkende Menschen suchen und sich mit diesen im realen oder virtuellen Leben austauschen. Dadurch wird sie jedoch immer mehr in ihrem Denken bestätigt. Die Angst vor einer Impfung wird also größer. Die Wut auf die Andersdenkenden und die Bestätigung im Recht zu sein ebenso.

Währenddessen passiert im Unternehmen genau dasselbe. Die vor Ort verbleibenden Mitarbeiter*innen befinden sich ebenso in einer Filterblase und bestätigen sich gegenseitig in ihren Sichtweisen gegen dem fehlenden Mitarbeiter.

Wir haben es also mit einem klassischen Konflikt mit Gruppenbildung auf einer mindestens mittleren Eskalationsstufe zu tun, der sich jedoch wie dargestellt nicht so leicht läsen lässt.

Lösungsansätze

  1. Verstehen statt Lösungen: Für Führungskräfte oder Mediatoren kann es keine Lösung im Sinne einer Win-Win-Situation geben, wie dies normalerweise angestrebt wird. Es kann höchstens ein Verstehen der jeweiligen Positionen geben, sofern dies erwünscht ist. Für das Verstehen muss deutlich signalisiert werden, dass es eine gleichzeitige rechtliche Handlungsbindung gibt.
  2. Emotionen statt Meinungen: Eine Möglichkeit der Annäherung sind Emotionen. Die Meinungen sind mittlerweile sehr verhärtet. Interessanterweise sind die Emotionen aller Parteien jedoch ähnlich. Auf der einen Seite ist da die Wut auf die Gegenpartei. Auf der anderen Seite aber auch eine verbindende Angst. Die eine Partei hat Angst vor Ansteckungen. Die andere Partei hat Angst vor einem neuartigen Impfstoff. Auch wenn die Meinungen unterschiedlich sind, über die gegenseitige Akzeptanz der Emotionen könnte eine Annäherung stattfinden.
  3. Lösungen auf Zeit: Wie im genannten Beispiel kann eine Lösung auf Zeit vereinbart werden, bspw. bis ein Totimpfstoff vorhanden ist, es zu neuen Regeln oder Gesetzen, zu einer allgemeinen Impfpflicht kommt oder die Regeln wieder gelockert werden. Bis dahin ist es wichtig, jenseits von Ressentiments und Vorurteilen möglichst reibungsfrei zusammen zu arbeiten. Die Ansage an alle Parteien müsste lauten: Wir haben kein Verständnis füreinander und respektieren uns dennoch. Dies ist nur auf der Basis gemeinsamer Ziele möglich. So sollte es allen wichtig sein, einen guten Job zu machen und respektvoll miteinander umzugehen. Das gemeinsame Ziel sollte eine sachliche Kooperation sein, anstatt sich in Nebenkriegsschauplätzen wie Blockaden oder Mobbing zu verirren.
  4. Bindungsarbeit jenseits einer Lösung: Eine Führungskraft könnte beispielsweise den direkten Kontakt zu diesem Mitarbeiter per Telefon suchen und sich regelmäßig erkunden, wie es ihm geht. Es kann in diesen Gesprächen wie gesagt nicht um eine Lösung des Problems oder Konflikts handeln, sondern lediglich um die Aufrechterhaltung der Bindung über die Zeit hinweg. Deshalb ist es sinnvoll, dieses Thema ruhen zu lassen und sich stattdessen produktiveren Themen zu widmen. In der Hoffnung, dass eines Tages wieder eine echte Annäherung stattfinden kann.
  5. Die Führungskraft als Shuttle-Mediator: Da beide Parteien in ihren Filterblasen stetig bestätigt werden, könnte eine Führungskraft es als ihre Aufgabe verstehen, zwischen diesen Parteien zu vermitteln. Auch hier kann es aufgrund der aktuell rechtlichen Situation nicht darum gehen, eine Vermittlung anzustreben, sondern lediglich das Verstehen füreinander zu fördern. Die Führungskraft muss folglich zwischen der rechtlichen Ebene und der Verstehens-Ebene unterscheiden. Dies funktioniert ähnlich bei einer Frau, die jahrelang von ihrem Mann missbraucht wurde und diesen schließlich im Schlaf erschlug. Versetze ich mich in das Leben der Frau, kann ich dies nachvollziehen. Rein rechtlich ist sie dennoch des Mordes schuldig, da sie auch anders hätte handeln können, beispielsweise flüchten.
  6. Fragen statt Statements: Daran knüpft nahtlos die Arbeit mit Fragen an. Dominiert in der gegenseitigen eher eine vorwurfsvolle oder eine fragende Haltung. Als Führungskraft könnten Sie konkret die Fragen ihrer Mitarbeiter*innen sammeln und diese der jeweils anderen Seite zum nachdenken vermitteln. Dabei sind alle Fragen bis auf die Warum-Frage erlaubt, bspw: Was macht der Kollege den ganzen Tag? Ist er manchmal früher fertig? Wie oft macht er Pausen? All diese Fragen bzw. deren Beantwortung könnten dazu führen, wieder Vertrauen zueinander zu fassen.
  7. Denken in Alternativen: All das steht und fällt mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Einsatzes. Will ich wirklich verstehen, was meinen Mitarbeiter bewegt? Will ich das Risiko eingehen, eventuell selbst unter Beschuss zu geraten, wenn ich dessen Beweggründe verstehen will? Will ich Bindungsarbeit leisten? Will ich zwischen den Parteien vermitteln? Wenn nein, wie lautet die Alternative? Ist Kündigung eine reale Option? Oder gibt es die Möglichkeit, dass nur ich als Führungskraft und nicht das Team mit dem Mitarbeiter zu tun habe? Eventuell bekommt er auch nur solche Aufgaben, für die es keinen Austausch mit dem restlichen Team braucht.

Mediation in Zeiten von Corona

Die Meinungen zu Covid-19 und den politischen Maßnahmen gehen immer noch weit auseinander. Während 2020 viele Mitarbeiter:innen im Homeoffice waren und sich mehr oder weniger mit anderen Menschen über die Distanz stritten, treffen sie nun in der Arbeit aufeinander. Damit wird aus einem kalten oder schwelenden bisweilen ein offener Konflikt.

Manche Therapeut:innen sagen: „Sobald ein Klient etwas in Richtung Verschwörungstheorie äußert, breche ich die Therapie ab.“ Auch unter Mediator:innen gibt es diese Haltung. In der Tradition eines Marshall Rosenberg, der mit allen Menschen sprach, beschäftige ich mich mit allen Meinungen, sofern sie nicht extremistischer Natur sind. Eine kategorische Cancel Culture in Mediationen halte ich persönlich für hinderlich, um langfristige Versöhnungen anzustreben. Denn oft sind unterschiedliche Meinungen lediglich die Spitze eines Konflikts, der zuvor unbewusst und verdeckt vorhanden war und nun eskaliert.

Dazu beschäftige ich mich seit Anfang 2020 intensiv mit Konflikten rund um das Thema sowie deren Hintergründen (siehe auch mein eBook zum Thema). Für mich zählt als erstes der Mensch und nicht seine Meinungen. Eine Mediation sollte ergründen, warum ein Mensch so denkt, fühlt und handelt wie er es tut, um eine gegenseitige Annäherung zu erreichen.

Dass die Gräben auch bei langjährigen Beziehungen und Kolleg:innen nach der langen Zeit in Distanz teilweise groß sind und die Meinungen weit auseinander gehen, macht die Sache nicht einfacher. Konflikte auszusitzen ist jedoch aus meiner Sicht die schlechteste Option. Die Alternativen lauten dann „dauerhafter Sand im Getriebe“, eine schlechte Stimmung, Verlagerung des Konflikts in andere Bereiche (beispielsweise Mobbing), bis hin zu einer Trennung bzw. Kündigung. Darauf zu hoffen, dass sich die tiefen Gräben von alleine wieder auffüllen, ist utopisch. Dafür sind die gegenseitigen Verletzungen zu groß.

Sollten Sie einen Konflikt im Betrieb oder privat haben, sprechen Sie mich an. Ich kläre gerne mit Ihnen, welche Möglichkeiten Sie haben und wie ich Sie als Mediator dabei unterstützen kann.

Die Führungskraft als Mediator

Führungskräfte stehen heutzutage zwischen allen Stühlen. Von der einen Seite werden überzogene Kundenwünsche und der allgegenwärtige Konkurrenzkampf über die überlasteten Mitarbeiter und die ungeduldige Generation Y und Z an sie herangetragen. Von der anderen Seite stoßen sie auf Systemstrukturen, die sich v.a. in größeren Organisationen selten so zügig und adaptiv an die neuen agilen Bedingungen anpassen, wie es für reibungsfreie Abläufe wünschenswert wäre.

Mit diesen aktuellen Herausforderungen beschäftigt sich mein Buch “Die Führungskraft als Mediator“, veröffentlicht zum Jahresbeginn bei Springer-Gabler. Seit einem Monat gibt es nun den dazugehörigen e-Learning-Kurs auf iversity.org: https://iversity.org/de/courses/die-fuhrungskraft-als-mediator?r=c8ff0

Worum geht es in diesem Kurs?

In diesem Kurs bekommen Sie in 7 Kapiteln das Handwerkszeug vermittelt, um diesem Druck nicht nur Stand zu halten, sondern zudem mit mediativen Kompetenzen gezielt zwischen den Fronten zu vermitteln.

Folgende Themen werden behandelt:

  • Führung am Limit
  • Aufgaben einer Führungskraft im 21. Jahrhundert
  • Das Mindset einer Führung in agilen Zeiten
  • Die Führungskraft in Kontakt mit sich selbst
  • Wie Führung in Veränderungen stabil und standhaft bleibt
  • Die Führungskraft als authentisches Vorbild in Veränderungen
  • Die mediative Führungskraft als Prozessbegleiter

An wen richtet sich der Kurs?

Zielgruppe des Kurses sind Manager und Führungskräfte aller Hierarchien.

Was ist in dem Kurs enthalten?

Im Kurs enthalten sind Lernvideos, Leseressourcen, weiterführende Literaturtipps, Übungen, Selbsttests und Reflexionsaufgaben sowie eine Teilnahmebestätigung nach Absolvierung des Kurses.