Dass wir uns gerade in einer sich schnell drehenden Welt anpassen und verändern sollten, liegt auf der Hand. Doch wie einfach ist es, sich zu weiterzuentwickeln?
In meinen Konfliktmanagement-Seminaren frage ich manchmal zu Beginn ab, in wessen Familie offen diskutiert und gestritten wurde und bei wem offene Konflikte tabu waren, meist mit Rücksicht auf ein erkranktes Elternteil. Die Erkenntnisse dieser Mini-Umfrage decken sich ziemlich genau mit der Frage, wer eher offen und unerschrocken und wer eher zurückhaltend in Konfliktgespräche geht. Aus solchen Erfahrungssituationen unseres Lebens entsteht dann nach und nach ein mutiges, neugieriges, (un)geduldiges, aufbrausendes, ausdauerndes, selbstreflexives, willensstarkes, aushaltendes, gütiges, strenges, vertrauendes oder skeptisches Selbst.
An dieses Unbewusste kommen wir heran, wenn wir eine Liste zusammen stellen aus Satzanfängen wie:
- Ich bin ein Mensch, der …
- Oder: Ich bin nicht ein Mensch, der …
Diese Satzanfänge lassen sich mit verschiedenen Rollen ausweiten, die wir im Leben einnehmen: Mann, Frau, Kolleg*in, Freund*in, Vater, Mutter, Führungskraft, usw.
Aber Vorsicht! Bei den Rollen vermischt sich die eigene Sicht mit Erwünschtheiten. Deshalb ist es wichtig, klar zwischen der eigenen Sichtweise und fremden Erwartungen zu trennen, um herauszufinden, worin das Eigene besteht.
Was bin ich also für ein Mensch? Was bin ich für eine Führungskraft? Und wie kann ich mich verändern? Dazu möchte ich Ihnen ein Programm aus drei Schritten anbieten:
Schritt 1: Inventur
Als erstes brauchen wir eine Inventur der oft unbewussten inneren Selbstaussagen:
- Ich könnte ein Mensch sein, der lange Diskussionen nicht aushält.
- Ich könnte jemand sein, die es meist sehr genau nimmt, auch bei der Vorbereitung eines Sommerfests.
- Ich könnte ein Mensch sein, der sehr gut und geduldig zuhören kann (oder auch nicht).
- Ich könnte jemand sein, der sich von der Enttäuschung eines Mitarbeiters leicht mitreißen lässt. Oder, der sich im Gegenteil gut abgrenzen kann.
- Ich könnte sehr kritisch gegenüber Neuerungen sein. Oder stattdessen schnell zu begeistern sein.
- Es könnte mir leicht oder schwer fallen, Entscheidungen gegen Widerstände durchzusetzen.
Schritt 2: Einordnung des Inventars
Als zweites ist es wichtig, unser Inventar zu sortieren. Folgende Kategorien sind dazu hilfreich:
- Damit bin ich zufrieden. Das kann so bleiben, weil ich damit Erfolg habe.
- Damit bin ich unzufrieden. Das will ich verändern, weil ich damit keinen Erfolg habe und mir mein Leben oder meine Arbeit erschwere.
- Damit bin ich selbstzufrieden. Denn insgeheim könnte es sein, dass ich nur zu bequem bin, um mich zu verändern.
Schritt 3: Weiterentwicklung
Wie jedoch lässt sich das eigene Selbst überarbeiten?
Zuerst einmal ist es wichtig, das eigene Selbst zu wertschätzen: Da ist eine Macherin, ein Empath, ein Mutiger oder eine Neugierige. All das ist erst einmal gut und hilfreich. Wir sind jedoch nicht nur ein mutiger Typ, sondern auch ein mutiger Typ. Es geht also um Differenzierung anstatt Ausschluss. Die Frage ist nur: In welchen Situationen ist welcher Selbst-Anteil von mir sinnvoll?
Zum zweiten stellt sich die etwas kompliziertere Frage, warum mir ein Teil meiner selbst wichtig erscheint. Warum halte ich Diskussionen nicht aus bzw. warum “muss” etwas in mir nach maximal zehn Minuten ein Machtwort sprechen?
Zur tieferen Beschäftigung mit den Hintergründen von meinem Selbst ist die Warum-Methode aus dem japanischen Lean-Management hilfreich. Im Ursprung lautete die Anleitung dazu: Frage fünf mal Warum, bevor du eine Entscheidung triffst. Analog dazu könnte die Anleitung hier lauten: Frage fünf mal Warum, um zu erkennen, wer du wirklich bist und was dir wichtig ist:
- Warum halte ich Diskussionen nicht aus? → Weil wir dann nicht mit der Arbeit voran kommen.
- Warum ist es mir wichtig, mit der Arbeit voran zu kommen? → Weil es in meiner Verantwortung als Chef liegt.
- Warum ist mir Verantwortungsübernahme wichtig? → Weil mir Kontrolle wichtig ist?
- Warum ist es mir wichtig, Kontrolle zu haben? → Weil es sich sicherer anfühlt. Ich weiß dann, was als nächstes zu tun ist.
- Warum ist es mir wichtig, zu wissen, was als nächstes zu tun ist? → Weil ich mich ungern auf Unwegbarkeiten einstelle.
Manchmal braucht es mehr als fünf Runden, manchmal weniger. Fakt ist jedoch: Wir stellen unser Selbst bzw. uns selbst infrage, werfen dadurch ein Licht auf Stellen, die wir ansonsten ungern beleuchten und sind durch diese Bewusstmachung in der Lage, an uns zu arbeiten und uns weiter zu entwickeln. Es geht nun nicht mehr darum, Diskussionen per se laufen zu lassen. Es kann durchaus sinnvoll sein, an der ein oder anderen Stelle ein Machtwort zu sprechen. Es geht vielmehr darum, für sich selbst zu klären, wie ich besser mit Unwegbarkeiten umgehen kann bzw. den daraus resultierenden Kontrollverlust besser aushalte. Bereits diese Selbst-Erkenntnis ist ein erster, essentieller Schritt in Richtung Veränderung.
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