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Wann Optimismus sinnvoll ist und wann nicht

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Wann Optimismus schädlich sein kann

Macht Optimismus wirklich resilient? Lässt uns Optimismus schwierige Umstände besser aushalten? Und ist Optimismus gesund?

Fakt ist: Depressive Menschen schätzen sich selbst viel zu inkompetent ein und ihr Umfeld viel zu kompetent. Der normale Mensch hingegen schätzt sich selbst viel zu positiv ein. Männer glauben zu 80% überdurchschnittlich gute Liebhaber zu sein, zu 90% eine überdurchschnittlich hohe Intelligenz zu haben und zu 75% überdurchschnittlich gut Auto zu fahren. Frauen wiederum schätzen ihre Popularität im Freundeskreis oder die Dauer ihrer Ehe zu hoch ein (vgl. Hasler, S. 81). Selbst bei der Präsentation solcher Zahlen sagen sich wohl die meisten: Das ist ja verrückt, aber bei mir stimmt es nun mal.

Eine solche unrealistische Sichtweise wäre nun grundsätzlich kein Problem. Die Welt ist schlimm genug. Wären da nicht die negativen Konsequenzen eines übertriebenen Optimismus:

  • Wer glaubt, super gut Auto zu fahren, geht mehr Risiken auf der Autobahn ein.
  • Wer glaubt, eine Top-Freundin zu sein, ist überrascht, wenn plötzlich kritische Stimmen aufkommen.
  • Wer glaubt, ein super Liebhaber zu sein, fällt aus allen Wolken, wenn die eigene Frau eines Tages die Koffer packt.

Auch auf der großen Politikbühne kann Optimismus schädlich sein. Putin glaubte offensichtlich, er könne die Ukraine im Handstreich erobern, was nicht funktionierte. Und Selenskyj glaubt daran – zumindest hat es den Anschein – die Krim zurückzuerobern. Der Beweis steht noch aus, aber einfach wird es nicht. Jedenfalls gilt es festzuhalten, dass Kriege nicht von Pessimisten, sondern idR. unrealistischen Optimisten geführt werden. Die Welteroberungsphantasie eines Adolf Hitler ist da wohl nur die absolute Spitze des Eisbergs.

Solche narzisstischen Machbarkeitsgedanken fußen letztlich auf einem übertriebenen Selbstwertgefühl. Während Psycholog*innen seit den 70ern davon ausgingen, man müsse nur das Selbstwertgefühl der Menschen mit Therapien und Feelgood-Programmen steigern, um eine bessere Welt zu schaffen, legen neuere Studien nahe, dass ein zu hohes Selbstwertgefühl zu Aggressionen und Narzissmus führen kann. Eigentlich logisch: Wer mit dem Mantra aufwächst, einzigartig zu sein und alles erreichen zu können, wenn er oder sie es nur will, dann jedoch auf Widerstände stößt, gerät schnell in eine Frustrations-Aggressions-Spirale. Was bei Menschen mit Depressionen oder allgemein einem unrealistischen Pessimismus funktioniert, hat bei Menschen, die ohnehin schon einen unrealistischen Optimismus an den Tag legen – und das geht wohl den meisten von uns so – einen negativen Effekt (vgl. Hasler, S. 88f). Ein Thema, das uns in Zukunft aufgrund der Instagramisierung der Welt sicherlich noch reichhaltig beschäftigen wird.

Wann Optimismus angebracht ist

Wann ist Optimismus also angebracht?

Letztlich geht es immer darum zwischen Situationen zu unterscheiden, die ich beeinflussen kann und solchen, auf die ich kaum einen Einfluss habe:

  • In Situationen, die ich beeinflussen kann, sollte ich eine gewisse Demut an den Tag legen, insbesondere wenn andere Menschen von mir abhängig sind. Kriege sind hier der Extremfall. Aber auch im Alltag sind andere Menschen von meinem Fahrverhalten oder meinen Leistungen in der Arbeit oder als Freund*in abhängig.
  • In Situationen, die ich nicht beeinflussen kann, beispielsweise in Krisen wie dem aktuellen Personalmangel oder einer dauerhaften Unterbesetzung im Team, brauche ich Optimismus, Zuversicht und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hier richtet mein Optimismus keinen Schaden an, weil ich ohnehin wenig ausrichten kann.

Optimismus-Strategien

Doch wie bringe ich mich in eine positive Stimmung und sollten wir in Krisen nur noch positiv denken?

Die Vielzahl der Ratgeber zum Thema macht es sich hier zu einfach. Alles Negative rosarot sehen und dann wird das schon mit der Resilienz? In Wirklichkeit ist es beruhigenderweise komplizierter. Zwar legen Untersuchungen nahe, dass die Zunahme positiver Emotionen hilfreich ist, um besser mit Krisen umzugehen. Auch das eigene Leben wird dadurch verlängert. Dafür müssen negative Gedanken jedoch nicht ignoriert werden. Ein umfassende Gedankenhygiene ist also nicht notwendig. Es geht nicht um eine stoische Umdeutung vom Negativen ins Positive, sondern um ein Ausschöpfen der ganzen emotionalen Bandbreite im Sinne von: „Es ärgert mich, dass wir dauerhaft unterbesetzt sind, dadurch wächst das Team aber auch enger zusammen.“

Durch die Ergänzung der negativen Sichtweise weitet sich nach der Broaden-and-Build-Theorie nach Barbara Fredrickson unser kreatives Denkfeld (vgl. Hübler, S. 25):

  1. Broaden: Eine positive Stimmung führt zu einer Erweiterung unserer Wahrnehmung. Zudem können positive Emotionen wie Optimismus, Freude, Inspiration, Hoffnung oder Neugier die Folgen negativer Stimmungen aufwiegen. Die veränderte Wahrnehmung verändert unser Denken. Ich gehe kreativer mit Problemen um und bekomme auch einen schärferen Zukunftsblick.
  2. Build: Damit baue ich langfristig Expertenwissen auf, komme mehr in Kontakt mit anderen und werde flexibler im Handeln. Geht es mehr Menschen im Team so, ergeben sich positive Kettenreaktionen.

Wie erreiche ich nun einen solchen positiven Blick für den Umgang in Krisenzeiten:

  • Ich kann meine negativen Sichtweisen mit einer positiven Sichtweise ergänzen.
  • Ich kann über den Sinn hinter einer Belastung nachdenken. Gerade in Krisen zeigt sich bspw. wer wahre Freunde sind.
  • Ich kann zu mir sagen: Egal wie lange die Belastung anhält, irgendwann ist sie zu Ende. Oder aber ich bin so daran gewachsen, dass sie mir nicht mehr als Belastung vorkommt.
  • Ich kann zu mir sagen: Die Belastung betrifft nur einen Teilaspekt meiner Person und meines Lebens.
  • Ich kann zu mir sagen: Manche Dinge passieren, auf die ich selbst keinen Einfluss habe. Jetzt gilt es, diese unverschuldete Belastung auszuhalten.

Literatur:

Greogor Hasler – Resilenz: Der Wir-Faktor

Michael Hübler – Mit positiver Führung die Mitarbeiterbindung fördern

Der gekränkte Mensch der Moderne: Pandemie, Umwelt, KI und die eigene Biographie

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(Der folgende Text findet sich ausführlicher in meinem eBook „Du bist nicht schuld“ als Kindle-Version auf Amazon, wurde jedoch an manchen Stellen aktualisiert.)

Warum kochen bei vielen Menschen die Emotionen bei Themen wie Corona, Atomkraft, Krieg, Gendern, usw. so hoch wie vermutlich noch nie in unserer Geschichte? Dies mag zum einen an der Digitalisierung liegen. Im Internet treffen Filterblasen aufeinander, die ansonsten nichts miteinander zu tun hätten. Zudem sind Diskussionen in digitalen Medien nicht gerade produktiv, sondern eskalationsfördernd. Untersuchen wir jedoch den Ursprung solcher Eskalationen, stoßen wir schnell auf das Phänomen der Kränkung, einen Begriff, mit dem sich auch die Autoren Oliver Nachtwey und Carolin Amringer bei ihrer Untersuchung des Querdenken-Milieus beschäftigen.

Die großen Kränkungen der Menschheit

Kränkungen gibt es nicht erst seit kurzem. Auf der einen Seite gibt es die alltäglichen Kränkungen beispielsweise durch Mobbing am Arbeitsplatz oder die Nichtbeachtung im Falle einer Beförderung. Daneben gibt es jedoch auch die mit großen Umbrüchen und Veränderungen verbundenen Kränkungen der Menschheit oder zumindest großer Teile von Bevölkerungsschichten. Nachdem Sigmund Freud auf drei große, globale Kränkungen hinwies, kommen im Zuge der Digitalisierung und insbesondere dem Einsatz einer KI wie ChatGPT weitere Kränkungen hinzu:1

  • Die erste Kränkung bestand nach Freud darin, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist.
  • Die zweite Kränkung bestand in der Erkenntnis, dass der Mensch vom Affen abstammt und damit nicht die Krone der Schöpfung Gottes ist.
  • Die dritte Kränkung bestand darin, dass es ein Unterbewusstsein gibt und der Mensch weniger Kontrolle über sein Leben hat, als er bislang dachte.
  • Die vierte Kränkung begann in den 50er Jahren mit der Automatisierung der Arbeitswelt. Zwar helfen Maschinen dem Menschen, schwere oder stupide Arbeiten zu erledigen. Dennoch droht damit immer auch die Ersetzbarkeit des Menschen. Und je schneller und genauer unsere Computer werden, desto größer ist die Kränkung.
  • Die fünfte Kränkung schließlich sieht intelligente Computer als dem Menschen ebenbürtig oder sogar überlegen an. Mit Big Data lassen sich in wenigen Sekunden Zukunftsmodelle errechnen, für die der Mensch Jahre bräuchte.2 Und mit ChatGPT könnte es sogar kreativen Berufszweigen an den Kragen gehen.

Emotionen können Algorithmen noch nicht empfinden. Sollte jedoch eines Tages ein Computer dazu fähig sein, genauso spontan und emotional zu reagieren wie ein Mensch, wäre dies die sechste Kränkung. Filmische Visionen davon gibt es bereits. In Alien 4 beispielsweise spielt Winona Ryder eine Androidin, die menschlicher ist als die Menschen um sie herum. Wir sollten uns also darüber freuen, dass ChatGPT aktuell noch eher langweilige, weil rezitierende Ergebnisse liefert.

Natürlich war auch die Pandemie eine einzige große Kränkung. Wer glaubte, das Leben würde immer so weitergehen und wir müssten vor Epidemien wie der Pest keine Angst mehr haben, musste sich eines besseren belehren lassen. Auch der drohende Umweltkollaps, die Energiekrise oder ein Krieg direkt von der eigenen europäischen Haustür lassen sich als Kränkungen bezeichnen. Mutter Erde hat lange gebraucht, um nach jahrhundertelanger Ausbeutung „zurückzuschlagen“. Jetzt ist es wohl soweit. Und nachdem wir jahrzehntelang gut von billigem russischem Gas lebten, hat auch das ein Ende.

Dabei zeigt sich bei großen Menschheitskränkungen, dass nie alle Menschen gleich betroffen sind. Kopernikus war sicherlich nicht gekränkt, sondern die Kirche. Auch Darwin wurde vermutlich nicht durch seine eigenen Studien gekränkt. Wer während Corona ohnehin schon im Homeoffice war, musste sich kaum umstellen. Wer im Norden und nicht gerade am Wasser lebt, könnte den Klimawandel begrüßen. Und wer von Automatisierungen, der Digitalisierung, dem Internet und smarten Algorithmen profitiert, wird sich kaum von der Geschichte übergangen fühlen, sondern diese gesellschaftlichen Veränderungen als Chance betrachten. Wer jedoch bislang sein Geld mit Handarbeit verdiente und nun sieht, dass 2014 alleine der Verkauf von Whats App an Facebook 22 Milliarden Dollar wert war, fragt sich, ob die Welt, in der er sich befindet, noch die seine ist.

Die eigene Biographie als Kränkung

Eine Kränkung verletzt einen Menschen in seiner Ehre, Würde, seinen Gefühlen und seiner Selbstachtung. Sie erschüttert die eigenen Werte, den Selbstwert und Gerechtigkeitssinn. Kränkungen können nur stattfinden, wenn zuvor etwas anderes erwartet wurde. Sie haben immer mit einer Enttäuschung oder sogar einem Schock zu tun.3 Oftmals hängen Kränkungen auch mit einem Vertrauensbruch oder empfundenen Ungerechtigkeiten zusammen.

Wenn wir uns Personen ansehen, die häufig im Kreuzfeuer stehen, lassen sich klare Muster erkennen. Ein Dieter Nuhr war früher bei den Grünen und beobachtet nun, dass sich die einstige Friedenspartei doch ein wenig gewandelt hat. Auch ein Jan Fleischhauer betont, dass er früher politisch Links stand. Dass sich Menschen wandeln, wenn sie älter werden, ist logischerweise normal. Dennoch ist eine subliminale Kränkung nicht auszuschließen. Das gleiche Phänomen beobachte ich selbst auch in meinem Freundeskreis: „In den 80er-Jahren war die Rede vom sauren Regen, der unsere Wälder zerstört. Und jetzt hat sich der Bayerische Wald wieder erholt.“ Zumindest oberflächlich – den unsichtbaren Wassermangel ausgeklammert – scheint es so zu sein, als wäre es nicht so schlimm gekommen wie propagiert.

Anderes Beispiel: „Als Kind habe ich in den 80ern angefangen Müll zu trennen, nur um jetzt – über 30 Jahre später – in der Doku „Die Recyclinglüge“ auf ARD zu sehen, was wirklich mit dem Inhalt des Gelben Sacks passiert. Da fühlt man sich doch ein wenig vera…“.

Um bei diesem einen, drastischen Beispiel zu bleiben: Das jahrelange Recyceln scheint in diesem Fall wenig gebracht zu haben. Damit wird ein Teil der eigenen Überzeugungen entwertet. Gleichzeitig scheint in den letzten Jahrzehnten auf der großen politischen und industriellen Ebene wenig vorangekommen zu sein. Sprich: Wir haben unseren Müll getrennt, aber ansonsten ging es weiter wie gehabt.

Und die aktuelle Kriegsdiskussion folgt einem ähnlichen Schema: Während früher Friedensdemos in einer bestimmten Szene angesehen waren, gelten sie nun als unsolidarisch.

Kein Wunder, dass manche Menschen hier nicht mehr mitkommen und entweder auf die Barrikaden gehen oder sich zynisch von der Politik abwenden.

Vom Umgang mit Kränkungen

Wenn Kränkungen v.a. diejenigen betreffen, die sich etwas anderes erwarteten, ist auch denkbar, dass diejenigen Menschen, die sich in den letzten Jahrzehnten am meisten engagiert haben auch diejenigen sind, die am meisten gekränkt sind.

Bereits diese Erkenntnis könnte uns milder stimmen im Umgang miteinander, insbesondere wenn es um Generationenkonflikte geht. Denn jüngere Generationen konnten logischerweise noch nicht so stark enttäuscht werden wie engagierte, ältere Generationen.

1 Vgl. https://digital-magazin.de/kraenkungen-des-menschen-digitalisierung

2 Vgl. Michael Hübler: New Work (2018), S. 35ff

3 Vgl. www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/praevention/kraenkungen-folgen.html

Gedankenhygiene betreiben

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Wir können uns sowohl positiv als auch negativ hypnotisieren. Welchen Weg wir wählen hängt weitgehend von unseren Gedanken ab. Als meine Kinder klein waren, war bei ihnen im Kindergarten der Begriff „Scheiße“ verboten. Als verantwortungsvoller Vater erklärte ich daraufhin meinen Kindern den Unterschied zwischen „Mist“ und „Scheiße“: „Wenn ihr eine Tasse kaputt macht, ist das Mist. Wenn ihr jedoch einen Kakao auf meinen Laptop verschüttet ist das Scheiße.“

Wir wählen nicht nur bestimmte Gedanken und Begriffe aus. An diesen Begriffen hängen durch die Vernetzung in unserem Gehirn ganze Gedanken- und Gefühlswelten. Wenn wir von Problemen und Konflikten sprechen, merken wir sofort, wie unsere Stimmung negativ wird. Sprechen wir jedoch von Aufgaben, Projekten, Chancen oder Herausforderungen, wirkt sich dies meist positiv auf unser Gemüt aus. In meinen Seminaren führe ich dazu ein Gedankenexperiment durch, dass ich mir von dem Hypnosystemiker Gunther Schmidt ausleihe – hier in einer Schnellversion:

  • Denken Sie an ein Problem aus der letzten Woche und achten darauf, wie es Ihnen damit körperlich geht.
  • Tauschen Sie nun den Begriff des Problems gegen den Begriff der Aufgabe aus. Wie geht es Ihnen körperlich damit?
  • Tauschen als als nächstes den Begriff der Aufgabe gegen den Begriff der Herausforderung aus. Wie geht es Ihnen damit?

Das Fazit ist immer ähnlich:

  1. Das Austauschen ist für 11 von 12 Personen emotional angenehmer, weil Probleme negativ besetzt sind. Meist ist ein Problem dabei, das sich nicht so einfach austauschen lässt. Die „Täuschung“ erscheint zu einfach.
  2. Das Austauschen gegen den Begriff der Aufgabe versachlicht das Thema und macht es damit handhabbarer. Bei vielen entsteht im Gehirn spontan eine Art Projektplan. Aufgaben passen meist – nicht immer – besser in den beruflichen Bereich und hängen eng mit Erwartungen und Rollen in der Arbeit zusammen.
  3. Das Austauschen gegen den Begriff der Herausforderung kann sowohl in privaten als auch beruflichen Bereichen passen. Manche Teilnehmer*innen wehren sich gegen den Begriff der Herausforderung im beruflichen Bereich, weil dieser in den letzten Jahren zu inflationär eingesetzt wurde: „Sehen Sie es als Chance! Wir stehen vor einer großen Herausforderung!“ Oftmals sollen damit reale Probleme verdeckt werden, wogegen sich unser Gehirn wehrt. Wenn es dennoch funktioniert, berichten die meisten von einem inneren Motivationsschub.

Es geht also nicht um ein simples „Think positiv!“ oder um ein magisches Austauschen von Begriffen, wie dies auf manchen Blog-Seiten propagiert wird. Um im Bild zu bleiben: Es geht nicht darum, zu einem klinisch sauberen Gehirn zu kommen, sondern darum, sich bewusst zu machen, wann ich mir übertriebene Sorgen mache und wann es angebracht ist, sich Sorgen zu machen. Es geht also um ein real angepasstes „Think positiv!“.

Organische Solidarität als Basis einer gelungenen Teambindung

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Teufelskreis Fluktuation

Viele Firmen haben derzeit einerseits mit einer hohen Fluktuation und andererseits mit einer Zusammenarbeit auf Distanz zu kämpfen. Beide Faktoren machen den Aufbau tiefer Beziehungen schwierig. Dabei wären Bindung und gegenseitiges Vertrauen so wichtig, um gut mit Stress und Krisen umzugehen. Damit befinden sich viele Teams in einem Teufelskreis:

  • Die hohe Fluktuation verhindert langfristige Bindungen.
  • Das Homeoffice kann gerade bei jungen Teams auch zu emotionalen Distanzen führen.
  • Damit wird jede*r mit Stress in Krisenzeiten alleine gelassen.
  • Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit eines frühzeitigen Wechsels.

Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?

Mechanische versus organische Solidarität

Der Soziologe Emile Durckheim unterschied zwischen einer mechanischen und einer organischen Solidarität. Die mechanische beruht auf einer Solidarität unter Gleichen, über die nicht nachgedacht werden muss, was in Familien der Fall ist. Oder aber die mechanische Solidarität wird künstlich hergestellt, wie wir das von Sekten, der Mafia oder aus dem Kommunismus kennen, indem die Gleichheit überbetont wird und persönliche Unterschiede unterdrückt werden.

Die organische Solidarität wiederum beruht auf Ergänzung durch Unterschiede. Während Kollege A kreativer ist, hat Kollegin B ein besseres Zeitmanagement. Eine organische Solidarität beruht daher nicht auf engen Gruppenzugehörigkeiten und damit engen meist persönlichen Bindungen, sondern auf der wechselseitigen Angewiesenheit aufeinander. Wie in einem Körper die verschiedenen Organe aufeinander angewiesen sind, kann in einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft das eine soziale Segment nicht ohne das andere bestehen. Die organische Solidarität beruht also nicht auf Ähnlichkeit, sondern auf einer gesellschaftlichen Notwendigkeit der Zusammenarbeit.

Die Stärke von Schwächen

Die organische Solidarität lässt sich gut mit einem Körper vergleichen. Ein Körper besteht aus verschiedenen Körperteilen mit unterschiedlichen Funktionen. Die Hände greifen, die Beine bringen uns voran, der Kopf denkt, der Magen verdaut, usw. Um geistig zusammengehalten zu werden, braucht unser Körper einen Sinn. Dieser kann im Selbsterhaltungstrieb, einer Vision von Glück und Zufriedenheit, der Abwesenheit von Schmerzen und Krankheit oder schlicht einem Gefühl von Lebendigkeit zu finden sein. Worin jedoch besteht die Idee des Zusammenhalts in einer organischen Solidargemeinschaft, beispielsweise einem Arbeitsteam?

Am wichtigsten sind sicherlich auch hier gemeinsame Ziele, eng verbunden mit dem Sinn der Team-Existenz: Wofür und für wen machen wir das alles? Wollen wir vielleicht sogar die Welt ein klein wenig besser machen?

Desweiteren gilt es aber auch, sich des Miteinanders stärker bewusst zu werden:

  • Wie wollen wir miteinander umgehen? Wie wollen wir uns loben und kritisieren? Wie mit Fehlern umgehen? Wie humorvoll darf es sein? Wie offen und ehrlich? Wofür gibt es Anerkennung? Was ist tabu?
  • Welche Stärken und Schwächen haben wir und wie können wir uns gegenseitig ergänzen?

Der zweite Punkt verdeutlicht, dass der alleinige positive Fokus auf Stärken für eine gegenseitige Bindung nicht ausreicht. Es braucht auch das Bewusstsein der eigenen Schwächen und damit verbunden die Demut, die Kolleg*innen zu brauchen.

Mechanische versus organische Teams

Viele Teams, die ich in den letzten Jahren begleitete, hatten einen familiären Charakter. Sie sahen sich als Teams, die nicht nur funktional zusammen arbeiten, sondern auch in der Teeküche gerne private Themen austauschten. Die Zusammenarbeit auf Distanz brachte hier eine drastische Zäsur. Plötzlich gab es viel weniger Möglichkeiten, sich spontan in der Pause über Privates auszutauschen. Damit wurde solchen Teams jedoch eine starke Quelle zur Bindung und zum gegenseitigen Vertrauen geraubt, im Sinne von: Wenn ich von A’s Kindern weiß, kann ich A auch von meinem Problemen erzählen. Solche Teams funktionierten folglich (zumindest zum Teil) als eine Gemeinschaft unter Gleichen nach dem Prinzip der mechanischen Solidarität.

In mechanischen Solidargemeinschaften ist Harmonie wichtig. Daher ist es schwierig, Probleme anzusprechen. Gleichzeitig glauben sie daran, wenig regeln zu müssen, wie miteinander umzugehen ist, wie gelobt und kritisiert werden sollte, wie mit Fehlern umgegangen wird, wofür es Anerkennung gibt und was tabu ist. In einer Gemeinschaft unter Gleichen braucht es dies auch nicht. Man kennt sich schließlich und trifft lieber spontane Vereinbarungen.

Im Vergleich zu einer Familie wird also deutlich: Je weniger gut sich Menschen kennen und je geringer daher die (natürliche) Bindung ist, desto wichtiger ist eine organische Solidarität. In dem Moment, wo sich mechanische Gemeinschaften auflösen, braucht es wieder mehr Regeln, Rituale und Rollen, aus denen die jeweiligen Stärken der Beteiligten deutlich hervorgehen.

Eine Bindung im Team ist also durchaus auch bei einer hohen Fluktuation möglich, wenn die Erwartungen aneinander und der Umgang miteinander von Beginn an offen und ehrlich geklärt werden. Damit dies gelingt, braucht es eine moderierende, emotional kompetente und positive Führungskultur.

Literatur (externe Links)

Michael Hübler – Die Führungskraft als Mediator

Michael Hübler – Mit positiver Führung die Mitarbeiterbindung fördern

Michael Hübler – Wir sollten reden!

Warum uns idealistische Vorstellungen in Krisenzeiten nur bedingt helfen

Über das Improvisieren in Zeiten der Krise

Idealismus versus Materialismus

Wird unser Sein durch unser Bewusstsein bestimmt? Oder unser Bewusstsein durch unser Sein? Der Idealismus geht vom ersten aus. Der Materialismus vom zweiten – mit weitreichenden Konsequenzen für unsere Sicht auf die Welt, unsere Verbissenheit im Umgang mit Zielen, unsere Moralvorstellungen und unseren Umgang mit Stress.

Grundsätzlich würden vermutlich die meisten Menschen eine idealistische Sichtweise bevorzugen. Warum soll ich mich in mein Schicksal ergeben, wenn ich von einer besseren Welt oder einem eigenen, besseren Leben träumen kann? Wir wollen doch die Welt retten. Oder zumindest den Klimawandel verzögern. Oder nicht?

Tragisches versus lustvolles Scheitern

Dabei liegt gerade das idealistische Träumen nahe an der Tragödie. Die Tragödie suggeriert dem Menschen, dass etwas idealisiert Großartiges niemals Erfolg haben kann. Held*innen versuchen es dennoch und scheitern. Die wahre Freiheit kann für Idealisten daher nur in der Zukunft stattfinden. Die Welt, in der wir leben ist unvollkommen und muss verbessert werden. Der Mensch muss erzogen oder zumindest entwickelt werden. Daher ist bei idealistischen Menschen auch die Moral niemals weit weg. Für die Durchsetzung der Moral wird gekämpft und werden Kriege geführt, ähnlich den religiösen Kreuzzügen im Mittelalter oder dem modernen Dschihad, dem heiligen, islamischen Krieg.

Wenn wir es jedoch nicht schaffen, dass eine neue Welt entsteht – was aufgrund der Ferne zu den realen Verhältnissen zumindest teilweise immer scheitern muss – entstehen Schuldgefühle, weil wir uns nicht genug angestrengt haben. Deshalb haftet Idealisten immer auch etwas Verkrampftes, Verbissenes, Humorloses und Lustfeindliches an. Dürfen sie es sich überhaupt erlauben, Spaß in einer Welt zu haben, die aus ihrer Sicht dem Untergang geweiht sind? Wäre das nicht ein Frevel?

Eine idealistische Sichtweise auf das Leben muss auch im Einzelfall scheitern, weil es unmöglich ist, dem neoliberalen Mantra der totalen Gleichheit zu folgen. Weil wir über unterschiedliche Startbedingungen verfügen, ist es zwar aus Gleichberechtigungsgründen ethisch richtig, Randgruppen mehr zu ermöglichen als früher. Dennoch kann nicht jede*r alles werden. Diese Rahmenbedingungen erkennt der Materialismus an, wenn er davon ausgeht, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt.

Würde der Mensch sich nun lediglich als Realist in die realen Verhältnisse seines Lebens ergeben, wären die bestehenden Verhältnisse für alle Zeiten zementiert. Der Materialist im Sinne des österreichischen Philosophen Robert Pfallers (Wofür es sich zu leben lohnt) erkennt diese Umstände an und beginnt jedoch anstatt einer bloßen Akzeptanz mit ihnen zu spielen. Damit ist er der Komödie näher als der Tragödie. Er ist kein Held, der einen idealen Zustand anstrebt, sondern begibt sich lust- und humorvoll in die Rolle des einfachen Menschen. Mit großformatigen Helden können wir uns nur identifizieren, wenn wir auch im realen Leben weit über uns hinauswachsen. Andernfalls entlassen sie uns frustriert zurück in unser einfaches Leben. Mit einem Clown, der auf einer Bananenschale ausrutscht, identifizieren wir uns (vermutlich) alle, weil wir alle Situationen eines zufälligen Scheiterns kennen.

In Komödien geht es um das kleine Scheitern im Alltag auf der Basis kleiner Katastrophen und Missverständnisse, während in Tragödien das große Scheitern angesagt ist. Dies wird besonders deutlich in Verwechslungskomödien wie beispielsweise in Charlie Chaplins „Der große Diktator“, wo ein einfacher Friseur aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Diktator Hinkel verwechselt wird. Der Friseur hat keinen idealistischen Plan zur Verbesserung der Welt, sondern wird mit einem manifesten, materialistischen Fakt konfrontiert. Fortan muss er auf diese aufgezwungene Rolle reagieren, was zu einigen paradoxen Situationen führt. Er wird nicht zu einem authentischen Helden, der einer eigenen Agenda folgt, sondern zu einem Helden wider Willen. Diese komödiantischen Verwicklungen und erzwungenen Improvisationen liegen unserem eigenen Alltag wesentlich näher als ein Idealismus mit epischen Zielen zur Rettung der Welt.

Während also die wahre Freiheit und das wahre Glück für Idealisten niemals stattfindet, weil wir uns in Gedanken immer eine bessere und schönere Welt vorstellen können, gibt sich der Materialist nicht mit der Welt ab – das würde ein Realist tun – sondern begibt sich wie im Improvisationstheater in eine Rolle, in der er humor- und lustvoll mit dem spielt, was er vorfindet. Er sucht sich folglich eine Nische, in der er ein gutes Leben führen kann, und vielleicht gerade aufgrund der Ferne einer idealistischen Verbissenheit die Welt zu einem besseren Ort macht.

Improvisieren in Krisenzeiten

Was folgt nun aus all dem? Ein idealistisches Bild von der Welt ist sicherlich hilfreich, um bestehende Umstände zu verbessern. In Zeiten von Krisen können sich viele Menschen ein solches Bild jedoch nicht mehr vorstellen, weil sich die Bilder von einer besseren Zukunft, die ihnen bis dato präsentiert wurden, als unerreichbar herausstellten.

In solchen Fällen ist es sinnvoller, die Umstände materialistisch anzuerkennen und zu lernen, damit zu spielen. Ein Spiel wiederum erfordert klare Rollen und Regeln. Das einfachste Rollensystem im Improtheater besteht im Unterschied zwischen einem Hoch- und einem Tiefstatus. Der Realist würde nun die damit verbundenen Machtverhältnisse anerkennen. Der Materialist erkennt lediglich an, dass es Unterschiede im Status gibt, was jedoch nicht bedeutet, dass ein Mensch im Tiefstatus automatisch unterlegen sein muss. Bereits Hegel wusste: Meister und Untergebene sind voneinander abhängig. Denn was wäre ein Meister, wenn der Untergebene das „Spiel“ nicht mehr mitspielt oder die wunden Punkte des Meisters, beispielsweise seinen Stolz, manipuliert?

Die einfachste Regel im Improtheater lautet „Alles annehmen. Niemals Nein sagen“. Das wieder bedeutet nicht, dass wir alles auf alle Zeiten akzeptieren müssen. Stattdessen können wir mit dem Gegebenen experimentieren, anstatt bloß von einer idealen Zukunft zu träumen und so zu Lösungen kommen, die nicht einmal in unseren kühnsten, idealistischen Träumen auftauchten.