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Mit Algorithmen-Ethik gegen Kontrollverlust

Es ist paradox: Je komplexer Probleme werden, desto eher müssen wir auf Algorithmen zurückgreifen, die wir nicht mehr verstehen, erleiden damit jedoch indirekt einen Kontrollverlust, was unseren Stress wiederum erhöht. Außer wir vertrauen blind auf Algorithmen. Dafür bräuchte es allerdings eine intensive Beschäftigung mit Algorithmen-Ethik. Denn die Vorbehalte gerade in Deutschland gegen die Digitalisierung und die Macht künstlicher Intelligenzen sind groß.

Wer sich mit Algorithmen-Ethik beschäftigt kommt an der Bertelsmann-Stiftung und der Webseite https://algorithmenethik.de und dem Buch von Jörg Dräger und Mark Müller-Eiselt “Wir und die intelligenten Machinen” nicht vorbei.

Die folgenden Prinzipien im Umgang mit Algorithmen – inspiriert durch die genannten Quellen – zeigen Ihnen, wie eine Algorithmen-Diskussion in Ihrem Unternehmen stattfinden kann:

Vertrauen in die Technik

Algorithmen erleichtern nicht nur unser Leben. Viele Probleme in einer komplexen Welt ließen sich nicht mehr ohne Künstliche Intelligenz lösen. Umso wichtiger ist es, transparent mit dem Einsatz von KI umzugehen. Algorithmen sollten nicht dafür da sein, Mitarbeiter:innen zu überwachen und zu Höchstleistungen anzutreiben, sondern zur Unterstützung in der Arbeit. Die Mitarbeiter:innen müssen nicht verstehen, wie Algorithmen funktionieren. Es sollte jedoch transparent sein, was der Sinn und Zweck eines Algorithmus ist.

Zeit für das Wesentliche vs. Erhöhung der Effizienz

Chatbots oder Roboter-Assistenten können uns dabei helfen, uns auf das zu konzentrieren, was uns wirklich am Herzen liegt. KI-Systeme können Spammails aussortieren, automatische Programme verfassen Standardpressemitteilungen und Ärzte und Pfleger haben dank Versorgungsrobotern mehr Zeit für die Patienten. Dabei müssen wir jedoch aufpassen, dass damit keine neuen Standards gesetzt werden und die frei gewordene Zeit langfristig nicht für andere Tätigkeiten verbucht wird. Die Gefahr ist groß, denn die vergangenen technischen Revolutionen führten häufig zu Entlassungen, anstatt den Berufsalltag sinnvoller und menschenfreundlicher zu gestalten.

Faire Unternehmensentscheidungen

Was wäre, wenn in Bewerbungsgesprächen in Zukunft nicht der Bauch oder die Noten entscheiden würden, sondern eine Mischung aus logisch nachvollziehbaren Faktoren? Vor einigen Jahren entwickelte Amazon einen Algorithmus, der die Bewerbungsunterlagen mit den ausgewählten Kandidaten abglich, um herauszufinden, inwiefern man bereits aus den Unterlagen eine Entscheidung ableiten kann. Das Ergebnis stellte sich als zutiefst frauenfeindlich heraus, da die Bewerber der letzten 10 Jahre mehrheitlich männlich waren und damit alle anderen Kriterien überschatteten. Daraus folgt zweierlei: 1. Augen auf bei der Auswahl der Daten. Und 2. Faire Entscheidungen sollten sich nicht nur auf die Vergangenheit beziehen, sondern auch in die Zukunft gerichtet sein. Dies gilt selbstredend nicht nur für das vermeintlich einfache Beispiel der Personalentscheidungen, sondern ebenso für komplexe Unternehmensentscheidungen. Wollen wir die Zukunft fairer gestalten als die Vergangenheit müssen entsprechende Kriterien im Unternehmenskonsens erarbeitet und in Algorithmen eingearbeitet werden.

Eng mit den Unternehmensentscheidungen ist die Verteilung von Ressourcen verbunden. Wie oft passiert es, dass am Jahresende schnell noch ein paar 1000 € ausgegeben werden müssen, oftmals sinnlos, während dasselbe Geld an anderer Stelle fehlt? Oder dass ein Projekt besonders unterstützt wird, weil es von namhaften oder rhetorisch gut geschulten Unterstützern gefördert wird, während andere Projekte vor sich hin dümpeln? Ein Algorithmus, der das gesamte Unternehmen im Blick hat und ebenso weiß, welche Potentiale in einem Projekt schlummern, könnte dem ein Ende setzen. Damit würden nicht mehr Beziehungen oder Präsentationskompetenzen über den Zugang zu Ressourcen bestimmen, sondern leicht nachvollziehbare Fakten.

Diversität: Teilhabe an sozialen Prozessen vs. erzwungene Gleichheit

Eine Teilhabe am Leben bzw. in Firmen an den täglichen sozialen Prozessen ist für jene interessant, die sich aufgrund eines Handicaps schwer tun, mit den Kolleg:innen mitzuhalten. Menschen mit autistischen Zügen könnte beispielsweise eine App dabei helfen, schwierig zu deutende Situationen besser einzuordnen. Dabei sollten wir jedoch aufpassen, Handicaps nicht überzukompensieren, im Sinne von: Wenn du schon diese App hast, musst du auch angemessen an sozialen Prozessen teilhaben. Damit würde sich der Stress, unter dem diese Menschen leiden vielleicht sogar potenzieren. Andererseits macht gerade die Ungleichheit soziale Prozesse spannend und kreativ, wenn verschiedene Sichtweisen in einem Projekt berücksichtigt werden. Denn auch die Kunden haben oft extrem unterschiedliche Sichtweisen und Bedürfnisse.

Prävention versus Erkennung von Problemen

Reicht es für die Gesundheitsvorsorge in einem Unternehmen aus, eine App zu haben, die Krankheiten, bspw. Depressionen, an der Stimme erkennt? Dies kann sicherlich hilfreich sein, auch wenn man hier darauf achten sollte, Stigmata zu verhindern. Dennoch ist eine Gesundheitsapp nach wie vor weniger wert als ein präventiv arbeitendes Gesundheitsprogramm im Unternehmen. Die KI kann ergänzend, nicht jedoch ersetzend wirken. Das gleiche gilt für die Fehlererkennung auf Organisationsebene.

Personalisierte Weiterentwicklungen

Die Weiterbildung wird in der Zukunft ebenso KI-unterstützt stattfinden. Während sich früher meist die üblichen Verdächtigen in Seminaren fortbildeten oder coachen ließen, können in der Zukunft viele E-Learning-Trainings erschwinglich für alle Mitarbeiter angeboten werden, inklusive persönlichem KI-Lerncoach. Algorithmen werden jedoch auch hier immer aus den Daten der Vergangenheit gespeist. Die Entscheidung für eine Fortbildung, die vielleicht nicht auf den ersten Blick ins Bild passt, jedoch entscheidend für die persönliche Weiterbildung ist, sollte nach wie vor erlaubt sein.

Ein Unternehmensfahrplan für Algorithmenethik

Jörg Dräger und Mark Müller-Eiselt empfehlen einen klaren Fahrplanung im Umgang mit Algorithmen im Unternehmen:

  1. Transparenz im Rahmen einer breiten Debatte. Werden im Hintergrund bzw. der Dunkelverarbeitung Entscheidungen getroffen, die kein Mitarbeiter nachvollziehen kann, ist die Ablehnung groß.
  2. Fortlaufende Transparenz und Kontrolle. Algorithmische Entscheidungen müssen klar erkennbar und für Nutzer oder unabhängige Dritte überprüfbar, nachvollziehbar und im Zweifel anfechtbar sein. Stellt sich heraus, dass ein Algorithmus den sozialen Frieden in einem Unternehmen bedroht, sollte sein Einsatz rückgängig gemacht werden.
  3. Vermittlung von Algorithmen-Kompetenz. Jeder Mitarbeiter sollte die Relevanz der Entscheidungen von Algorithmen für ihn einschätzen können. Wer Software beauftragt, entwickelt und anwendet, muss deren psychologische und soziale Konsequenzen für das Unternehmen mitdenken.

Wenn von KI die Rede ist scheint nur der Himmel die Grenze zu sein. Wir haben es selbst in der Hand, dass die Reise in die Zukunft nicht wie bei Ikarus endet.

Entscheidungen und der Sinn des Lebens

Gäbe es einen Sinn, auf den alles Leben zuströmt, gäbe es auch keine freien Entscheidungen. Einen Endzweck wie Liebe, Frieden oder Gerechtigkeit kann es folglich nicht geben. Und dennoch streben wir danach, an etwas Höheres zu glauben.

Das Streben nach Schönheit

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet uns das Gesetz der Schönheit, das auf Johannes Kepler zurückgeht. Er meinte, wir alle besitzen eine Wahrnehmung für Schönes, für geometrische Muster ebenso wie für “angenehme” Verhaltensweisen im Zusammenleben. Die einzelnen Muster selbst wiederum verweisen auf etwas Größeres, das große Ganze, so wie in einem einzelnen Apfelkern bereits der gesamte Apfel und im kleinsten Teil eines Eiskristalls der gesamte Kristall enthalten ist. Werner Heisenberg meinte dazu in einer Rede vor der Bayerischen Akademie der Schönen Künste von 1970: Einzelne geometrische Formen besitzen nicht nur eine Schönheit ansich, sondern weisen auch auf eine Gesamtschönheit hin, die in Kombination aus den Einzelteilen entsteht. Nur dadurch haben die einzelnen Bauarbeiter eine Vorstellung der Vollendung Kathedrale, an der sie soeben bauen. Ohne diese Vorstellung wären vermutlich wenig motiviert. Die Vorstellung jedoch verleiht ihrem Tun einen Sinn.

Was für den Bau einer Kathedrale oder die Entwicklung eines Apfels gilt, sollte folglich auch für uns Menschen gelten. Kommunikation zum Beispiel kann “schön” sein oder “hässlich”. In einer “hässlichen” Kommunikation, bestehend aus Verbal-Attacken, Vorwürfen und Manipulationen, ist das hässliche Ende bereits angelegt. Eine “schöne” Kommunikation sollte analog dazu auch zu einem besseren Ende führen.

Damit haben wir die Wahl. Wir können uns für Schönheit oder Hässlichkeit entscheiden, für Gut oder Böse. Und wir können uns mitten auf dem Weg jederzeit umentscheiden. Der Sinn ist damit so oder so von Beginn an gegeben, wenn auch nicht vorbestimmt.

Der Sinn des Lebens besteht nun nicht mehr in einer Entscheidung für das Gute, sondern in der Freiheit von Beginn an. Der Zweck des Lebens ist es nicht, zu kämpfen oder anderen zu helfen, sondern – nach Baruch Spinoza – die Notwendigkeit freier Entscheidungen, weil nur die Freiheit sowohl Gottes als auch des Menschen eine Koexistenz beider zur Folge hat. Würde Gott allmächtig unser Leben vorbestimmen, hätten wir keine Wahl im Leben. Gott jedoch oder eine andere Sinnhaftigkeit brauchen wir, weil wir im Leben immer wieder auf Momente stoßen, die für uns unerklärlich sind. Das Göttliche als letzte Instanz hilft uns dabei, die Grenzen unserer Erklärungen hinzunehmen und auszuweiten. Die Wissenschaft schafft logische Verknüpfungen. Der Glaube beginnt da, wo die Logik aufhört. Da unser Leben aus mehr als Logik besteht, brauchen wir einen Glauben, um diese Lücke auszufüllen.

Das Streben nach Freiheit und Grenzen

Der Sinn des Lebens besteht demnach darin, sich im Sinne einer Selbstvervollkommnung so weiterzuentwickeln, eine möglichst hohe Anzahl an Wahlmöglichkeiten zu haben. Dies schafft in uns eine innere Weite. Die Beschränkung auf nur eine Entscheidungsmöglichkeit schafft Zwänge, innere Enge und Ängste. Weil uns zu viele Wahlmöglichkeiten jedoch überfordern, setzen wir uns Grenzen, indem wir diese künstlich beschränken. Diese Beschränkungen können von außen kommen, durch Gott, Gesetze und internalisierte Moralvorstellungen oder von innen. Der Vorteil eines Rückgriffs auf allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten besteht in der Entlastung des Menschen. Der Mensch bezieht sich damit auf etwas Äußeres, das er nicht rechtfertigen muss.

Innere Begrenzungen dagegen wurden schon immer mit Neid und Angst betrachtet. Lässt sich ein Mensch von eigenen ethischen Vorstellungen leiten, gar von einer autonomen Moral, ist er für die Gesellschaft nicht mehr einschätzbar und damit nicht mehr greifbar. Das Leben nach autonomen Moralvorstellungen wird dann toleriert, wenn es sich an den Rändern der Gesellschaft abspielt. Wenn der Chef der Formel-Eins Nazi-Spiele praktiziert, sich Musiker auf der Bühne betrinken und prügeln oder ein Künstler in die Ecke kackt, wird dies empört wahrgenommen, letztlich jedoch als unerheblich für den Weltengang eingestuft. Die sind so, das hat jedoch mit unserem Leben nichts zu tun. Haben autonome ethische Grundsätze eine spürbare Auswirkung auf unser Leben jenseits von Kunst und Kultur, hört die Toleranz auf. Die autonome Moral eines Colonel Kurtz aus dem Herzen der Finsternis von Joseph Conrad, besser bekannt aus dem Film Apokalypse Now von Francis Ford Coppola, als extreme Verkörperung des Übermenschen von Nietzsche, gerät in einen unlösbaren Konflikt mit den Moralvorstellungen des amerikanischen Generalstabs. Kurtz trifft brutale Entscheidungen, die innerhalb seines im Dschungel abgeschlossenen Systems, sogar innerhalb des us-amerikanischen Systems absolut stimmig sind. Er lässt unter anderem süd-vietnamesische Offiziere umbringen, weil er von ihrer Tätigkeit als Doppelagenten überzeugt ist. Anschließend nehmen die Feindaktivitäten rapide ab. Offensichtlich hatte er die richtigen erwischt. Das Problem seiner Entscheidungen besteht jedoch darin, dass die Offiziere keinen offiziellen Prozess bekamen. Kurtz traf seine Entscheidung losgelöst von den Gesetzmäßigkeiten des Generalstabs, weshalb er für verrückt erklärt wurde und beseitigt werden musste.

Stellen wir uns eine Gesellschaft als eigenes autonomes Gebilde vor, wird sie alles tun, um sich am Leben zu erhalten. Für Normalsterbliche wird die Gesellschaft deshalb freie Entscheidungen auf der Grundlage eigener ethischer Überzeugungen weitgehend verhindern, da ein autonomes Denken die Sinnhaftigkeit von Gesetzen, Arbeit und Konsum immer wieder in Frage stellt.

Wenn der Sinn des Lebens nun darin besteht, einen eigenen Weg zwischen Freiheit und Grenzen zu finden, besitzen wir auch die Freiheit, unsere eigenen Grenzen soweit zu beschränken, dass andere für uns Entscheidungen treffen. Wir haben also die Wahl, sollten uns jedoch jederzeit darüber im klaren sein, dass jede Entscheidung einen Preis hat und sei es der Neid anderer.

Lust auf weniger: Hier wird’s praktisch.

Die Wahren, Guten und Schönen Fakten

Auf Platon geht unser Wahres, Gutes und Schönes zurück. Das Wahre ist die Wissenschaft. Hier geht es um die Wahrheit, um objektiv überprüfbare Fakten. Das Schöne betrifft unser individuelles Empfinden insbesondere für Kunst und Kultur. Das Gute jedoch, für Platon das wichtigste Element unter den Dreien, betrifft die Idee eines identitätsstiftenden, einigenden Wir-Gefühls über Religion, Ethik, Moral und Wertvorstellungen.

Platons Ideenlehre geht davon aus, dass sich aus einer allumfassenden, göttlichen Idee, dem Guten, das mannigfaltig Erfahrbare entwickelt, die anfassbare Wissenschaft und bewundernswerte Kunst. Moralvorstellungen oder Gesetze sind in dem Sinne nicht erfahrbar und damit auch kaum bewertbar. Es bleiben Ideen, auf die wir uns gemeinsam einigen. Sie sind nicht schön oder wahr, sondern einfach gut. Was also ist das Gute im Menschen?

Zu Platons Zeiten gab es noch keine Gehirnforschung. Heute wissen wir (das Wahre), dass wir zum Helfen geboren sind. Es gibt genügend Studien von Neurowissenschaftlern wie Bauer, Tomasello, Hüther oder Singer, die belegen, dass wir uns in Krisenzeiten verteidigen, jedoch in normalen Zeiten unsere Gene auf Kooperation ausgerichtet sind. In unserer medialen Welt scheint es jedoch auszureichen, Krisen auf der populistischen Klaviatur herauf zu beschwören, die Katastrophen, die Flutwellen, das Chaos, ohne, dass es dieser Krisen in der wahren Welt bedürfe, die in diesem Moment alles andere als wahr ist.

Was passiert jedoch, wenn wir uns als Menschen immer mehr auf der empirischen Oberfläche des (scheinbar) Wahren und Schönen tummeln? Wir wischen, scrollen, zappen und shoppen uns durchs Leben. Wir konsumieren Kunst als wäre es Fast Food. Unbequem-politische Kabarettisten haben es schwer zwischen Jokes-per-Minute-Zählern und öffentlich-rechtlicher Zensur. Wo bleibt da noch Raum für die Idee des alle Menschen (was bei den Griechen zugegebenermaßen ein paar weniger waren) verbindenden Guten? Und was passiert, wenn immer weniger Menschen in die Kirche gehen, und weder Eltern noch Lehrer nur selten in die moralisch-wertige Erziehungsbresche springen?

Das Wahre zeigte uns, wie das Gute aussieht. Doch ohne die Idee des Guten bleibt es leider bei alternativen Fakten. Nur, weil ich die Wahrheit kenne, muss ich noch lange nicht danach handeln (das müsste jetzt ein Zitat sein, leider habe ich den Namen des zu Zitierenden gerade nicht parat). Das Problem der Fake News lässt sich – mit Platon gedacht – nicht über das Wahre lösen, sondern nur über das Gute, über Moral, Ethik und Werte.

Und die Rolle des Schönen? Gute(!) Kulturveranstaltungen – auch die ehrwürdige Betriebsfeier – zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht sektieren, sondern Menschen mit altem, jungem, männlichem, weiblichem, reichem, armem, größerem und kleinerem Bildungs-Hintergrund zusammenbringen. Das Schöne könnte Brücken bauen. Könnte.