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Freud revisited, oder: Über eine gelingende Integration

Freud meinte, wir bestünden aus unterschiedlichen Antrieben. Vor allem zwei sich widerstrebende Aspekte machte er aus: Den Lebens- und den Todestrieb. Was auf den ersten Blick seltsam erscheint, wird auf den zweiten ersichtlich: Der Lebenstrieb ist das, was Nietzsche als dyonisisch bezeichnete: Große Abenteuer erleben anstatt zuhause vor dem Fernseher zu sitzen. Dieses Er-Leben kann jedoch schnell umkippen. Wir erfuhren dieses Kippphänomen Anfang des letzten Jahrhunderts, als die des langweiligen Bürgertums müde gewordene erlebnispädagogische Wandervogelbewegung in den 1. Weltkrieg zog. Und wir erlebten es Jahre später, als Hitler die Massen mit der Lebendigkeit des totalen Krieges infizierte. Für die “richtige” Sache zu kämpfen und zu sterben erschien vielen Menschen in Anbetracht von Weltwirtschaftskrisen und Alltagstristess ein probates Mittel, sich endlich wieder lebendig zu fühlen.

Um nicht zu destruktiv zu wirken, so Freud, müssen diese Triebe, von der Kultur umgewandelt werden. Natürlich gibt es eine Schattenwelt, in der egoistische Triebe ausgelebt werden. Ob Menschen dabei Sado-Maso-Spiele betreiben oder sich heimlich ihre Gewaltphantasien von der Seele schreiben. Solange niemand zu schaden kommt, was freilich nicht immer leicht zu bemessen ist, sollte es diese Nischen auch weiterhin geben.

Ein anderer Teil freilich wird öffentlich subliminiert: Die aus dem Kontext gerissenen Fratzen von Fußballspielern können furchterregend sein und wären auch in kriegerischen Kontexten nicht fehl am Platz. Von Kampfsportarten ganz zu schweigen. Bei manchem Wirtschafts-, Polit- oder Forschungprojekt scheint es bisweilen um Leben und Tod zu gehen. Und kulturelle Phänomene jeglicher Couleur, aus Theater, Film, Musik, Malerei oder Literatur, würden uns wahrlich blutleer vorkommen ohne Emotionen wie Begeisterung, Wut, Hass, Enttäuschung, Angst, Ekel oder Trauer. So leiden die Helden aus unseren Lieblingsfilmen und -romanen stellvertretend für uns. Und ab und an verspüren wir selbst einen letzten Funken Lebendigkeit, wenn wir uns selbst an ein Gedicht wagen, im Urlaub mit der Digitalkamera auf Großwildjagd gehen, auf Volksfesten uns solange im Kreis drehen lassen, bis sich der Magen entleert, im Karneval der Frau gegenüber aus Versehen an die Titten fassen, in Erlebnisparks dem All-You-can-do fröhnen oder die berühmten Warholschen 5 Minuten auf einer Bühne auskosten. Immerhin. Dass dabei so mancher über die Strenge schlägt, verwundert kaum. Ist doch die Grenze zwischen Spaß und Destruktion oftmals hauchdünn. Ein wenig “purge”, wie die erfolgreiche Filmreihe zeigt, braucht es anscheinend doch. Taxidriver lässt grüßen. Zumindest lassen die Zuschauerzahlen eine gewisse Sehnsucht vermuten.

Der Rest der Emotionen wird durch Regelwerke, Verbote und Hierarchien eingedämmt, damit wir uns nicht doch noch die Köpfe einschlagen. Diese heilige Dreifaltigkeit aus Verboten, dem heimlichen oder offen ausgelebten echten Erleben und der kulturellen und damit erlaubten Umwandlung erscheint mir wie ein unbewusster Gesellschaftsvertrag.

Was jedoch passiert, wenn einem Teil der Gesellschaft die beiden ersten Säulenheiligen versagt bleiben? Was passiert, wenn Teilen der Gesellschaft der Zugang zur kulturellen Umwandlung nicht möglich erscheint oder sie diese Umwandlung als für sich nicht nutzbringend ansieht? Wenn diesem Teil zudem der Zugang zu Wirtschaft, Sport, Wissenschaft oder Politik verwehrt ist und er somit seine Aggressionen auch hier nicht produktiv umwandelt? Wenn auch das Geld nicht für eine Safari-Tour in Afrika oder den Funpark um die Ecke reicht? Dann bleiben wohl nur noch Verbote und Gebote übrig: Rauchverbot, Anschnallpflicht und Fleisch ist sowieso ungesund. Wenn dann noch Fremde kommen, die ihre Energien integrieren, in den örtlichen Fußballverein gehen oder kirchliche Träger unterstützen, perfektes Deutsch sprechen oder gar beginnen, Theaterstücke aufzuführen? Dann kracht es gewaltig!

Vielleicht sollten wir endlich begreifen, dass es nicht um die Fremden geht. Die sind lediglich ein Auslöser für ein viel tiefer liegendes Problem. Wir befinden uns mitten in einem Kulturkampf und sprechen immer noch über Migranten als Mutter aller Probleme? Wie sagte ein Pegida-Demonstrant so treffend: Wir fühlen uns denen (den Fremden) oftmals näher als denen da oben (den abgehobenen Politikern, Medien und Kulturschaffenden).

Das letzte Gefecht

Der Kampf der Kulturen

Ich komme mir vor wie in einem zweitklassigen Stephen King Film. Die Mächte des absolut Bösen kämpfen gegen das absolut Gute. Der hübsche und rhetorisch begabte Jüngling Macron kämpft gegen das mit allen alternativen Wassern gewaschene Schlachtroß Le Pen. Entkernt von moderaten Kräften treffen zwei Antipoden, wie so oft in letzter Zeit, aufeinander und wollen beide auf ihre Weise die Welt retten. Steuern wir mit großen Schritten auf das Armageddon zu? Auf das letzte Gefecht?

Die Urprinzipien des Lebens

Dahinter stehen tatsächlich die Urkräfte des menschlichen Lebens. Das urmännliche Streben nach Freiheit und das urweibliche Prinzip der Begrenzung derselben:”Heute kommst du früher nach Hause! Es war gestern schon so spät! Und trink nicht so viel!” Mann wird nicht jünger. Die Erde auch nicht. Und bevor jemand die Genderkeule schwingt: In den USA hat der Rollentausch sauber funktioniert. Trump spielt die weibliche Mama des “Genug ist genug!” mehr als perfekt. Als narzistische Diva bereitet ihm dies offensichtlich keine Probleme. Vielleicht erreicht er damit ungewollt mehr für die Frauenbewegung als wir alle glauben.

Politik ist wie Erziehung

Könnte es sein, dass viele Wähler tatsächlich denken, sie würden als Statisten in einem B-Streifen mitspielen? Wen sollte es kümmern, wenn die Politik kaum Veränderung verspricht, da die Strippen ohnehin andere ziehen? Am Beispiel Trump zeigt sich allerdings, dass Politik dem zentralen Prinzip der Erziehung folgt: Gute Erziehung ist unsichtbar. Wenn du alles richtig machst, bemerkt das keine Sau. Die Franken sagen: Bassd scho! Mehr Lob wird es nicht geben. Fehler jedoch können schnell drastische Folgen haben. Goodbye Statistenrolle!

Das letzte Gefecht

Wo also soll es hingehen nach dem letzten Gefecht? Wollen wir zurück in eine Welt der Herzogtümer, in der jeder Herrscher “L’etat c’est moi!” ruft und jedes Land seine eigenen Gesetze erlässt? Eine Welt der Sicherheit, solange die eigenen Grenzen nicht verlassen werden. Der Austausch zwischen den Ländern und Menschen verschiedenen Nationen sowieso ist unerwünscht. Es sei denn zwischen guten Ausländern. Nur: Wer beurteilt das? Und woran macht er das fest? Oder wollen wir eine Welt der Freiheit, des Freihandels und der Umweltzerstörung? Frei für all jene, die gebildet genug sind und es sich leisten können.

Im Guten glitzerte immer schon das Böse sowie im Bösen das Gute. Solange wir jedoch das Gute im anderen nicht sehen (wollen), wird sich der Kampf der Kulturen fortsetzen, bis hin zu einem Armageddon, dass sich wenig heroisch und filmreif, sondern ganz banal als Spaltung unserer Gesellschaft zwischen uns schleicht.

Die Furcht vor der Freiheit und die Angst vor dem Anhalten

Erich Fromm beschrieb 1941 die Furcht vor der Freiheit als Urgrund des Nationalsozialismus: Warum in der Ferne schweifen, wenn die Heimat liegt so nah? Nur blöd, wenn einem die Heimat dann doch zu eng wird. 76 Jahre später pflanzt sich der Virus der Furcht medial wie ein Lauffeuer fort und wird kongenial ergänzt durch seinen Bruder, die Furcht vor dem Anhalten, dem Begrenzen, dem Einfachen.

Wenn wir nicht endlich beginnen, die propagierten Freiismen zu begrenzen und uns selbst von den Zwängen des “Immer mehr” durch die Freiheit der Selbstbeschränkung befreien, wird uns unsere Diversität alsbald politisch um die Ohren fetzen. Die Revolution fängt niemals bei denen da oben an, sondern immer bei uns da unten. Die Revolution fängt damit an, sich selbst die Frage zu stellen, wie viel Freiheit ich wirklich brauche: Reisen in ferne Länder? Um was zu tun? Etwas zu entdecken, dass ich auch vor Ort entdecken könnte? Am Ende sich selbst? Ach was! Erdbeeren im Winter? Aber die schmecken doch so gut! Den billigsten Stromanbieter? Ich muss schließlich auch schauen, wo ich bleibe.

Und wie viel Sicherheit brauche ich wirklich? Mein Helm, mein Gurt, mein Ersatz-Smartphone. Wie wäre es mit: Augen auf und ohne GPS durch den gefährlichen Großstadtdschungel! Wie wäre es damit, sich planlos, aber respektvoll auf das nächste Gespräch einzulassen?

Das Amfortas-Syndrom

Als Parzifal Amfortas am Krankenbett besuchte, kann ihm dieser sein Reich nicht überlassen, weil Parzifal sich nicht traut, die richtige Frage zu stellen. Das Reich muss somit unregiert vor sich hindümpeln. Erst ein Jahr später schafft er es und stellt die Frage: Was schmerzet dich.

Ich glaube, wie sind alle ein wenig krank, blind, sicherheits- und freiheitsvernarrt und trauen uns nicht, dorthin zu gehen, wo es wirklich schmerzhaft wäre. Wir trauen uns nicht, einzugestehen, wovor wir selber am meisten Angst haben und zu fragen, was unser Gegenüber wirklich bewegt. Doch wovor fürchten wir uns, wenn wir die wesentlichen Fragen stellen?

Vielleicht vor der eigenen, schmerzhaften Ehrlichkeit.