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Warum Sprachgenauigkeit in der Digitalisierung wichtig ist

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Das mediale Schwarz-Weiß-Denken hat Folgen

In vielen Bereichen achten wir mittlerweile auf eine sehr genaue Sprache, bspw. wenn es um Gender-Themen, den Umgang mit Minderheiten oder Migration geht. Der Mensch ist dann zuallererst Mensch und hat eben zusätzlich noch ein Handicap oder kommt aus einem anderen Land. Soweit so fortschrittlich.

In anderen Bereichen hat sich jedoch offensichtlich ein mediales Schwarz-Weiß-Denken durchgesetzt, das Konflikte neu anheizt. In der Coronazeit wurde viel von Coronaleugnern berichtet. Dabei tauchte diese Gruppe in meinem Umfeld so gut wie nicht auf. Und ich lerne sowohl als Trainer als auch privat sehr viele Menschen kennen. Ich persönlich kenne auch keinen Zero-Covid-Befürworter. Stattdessen gab es aus meiner Sicht vor allem Menschen, die das Virus als real ansahen, aber einige Maßnahmen als überzogen kritisierten. Nennen wir sie Maßnahmenkritiker, die es in den unterschiedlichsten Facetten gab. Alleine die Nutzung von Masken eröffnete eine riesige Bandbreite an unterschiedlichen Meinungen, von Maske auf dem Fahrrad durch Wald und Wiese, über Maske in Innenräumen ja, außen jedoch nicht, bis hin zu „Maske bringt nichts“. Ich kenne sogar Maskenverweigerer, die jedoch keine Coronaleugner sind. Und ja, es gibt komplette Impfgegner, es gibt aber auch Impfskeptiker. Es gibt sogar Menschen, die sich impfen ließen und der Impfung dennoch skeptisch gegenüber stehen. Diese kurz angerissenen Beispiele sollen zur Verdeutlichung der Komplexität genügen, da in den letzten Jahren schon genug darüber geschrieben wurde.

Aktuell geht es mit dem russischen Angriffskrieg weiter. Bereits der Begriff der Ukraine-Krise ist unscharf, da er zu sehr die Ukraine betont und den Aggressor ausblendet. Auch mit einer solchen Begrifflichkeit werden über unsere Wahrnehmung Wahrheiten geschaffen, genauso wie mit einer gender-, migrations- oder behindertenfreundlichen Sprache. Oder nennen wir sie schlicht eine menschenfreundliche Sprache. Wir sollten also viel mehr „sagen, was ist“ und weniger Abkürzungen nehmen.

Auf der anderen Seite scheint sich das Schema aus den letzten drei Jahren zu wiederholen. Was während Corona Coronaleugner waren sind jetzt Putin-Versteher. Und in großen Teilen sind tatsächlich ähnliche Gruppierungen gemeint. Die große Gemeinsamkeit besteht jedoch offensichtlich in einer grundsätzlich kritischen Haltung dem Staat und seinen Maßnahmen gegenüber, die früher nicht so vehement geäußert wurden oder vielleicht auch nicht bestanden. Es geht also weder um Corona noch um Putin, sondern um den Staat und seine Vorgehensweise. Da Politik nicht mein Hauptgebiet ist, geht es mir hier nicht um politische Lösungen, sondern um die Sprache bzw. allgemeiner die Kommunikation.

Die Digitalisierung erfordert mehr Empathie und mehr Sprachkompetenz

Dass Medien so funktionieren liegt in der Natur der Sache. Die Maxime „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ gab es wohl schon immer, wurde in der digitalen Medienwelt lediglich extremer. Schließlich führt die digitale Globalisierung auch bei den Medien zu einem enormen Konkurrenzdruck. Leider prägt diese Denkweise unser aller Wahrnehmung und damit ebenso unsere Berufswelt, was sich auch in manchen Diskussionen auf Xing oder Linkedin verfolgen lässt. Um daraus folgende Konflikte zu vermeiden, lassen sich v.a. zwei persönliche Kompetenzen entgegen setzen: Empathie und Sprachkompetenz.

Je digitaler wir unterwegs sind, desto wichtiger wird unsere Sprachkompetenz, weil wir in einer Zusammenarbeit auf Distanz Nonverbales und Ungesagtes selbständig ergänzen müssen und daher lernen sollten, klarer zu kommunizieren. Wir brauchen daher auf der einen Seite wesentlich mehr Empathie als früher und sicherlich auch eine gute Portion Wohlwollen. Damit wird der kategorische Nörgler zu einem Menschen mit einer kritischen Haltung. Der Jammerer wir zu einem Menschen mit einer erhöhten Sensibilität. Und die Dominante wird zu einer Person mit einem starken Auftreten (ein interessantes Fallbeispiel, siehe hier).

Auf der anderen Seite brauchen wir eine genauere Sprache, die jedoch nicht nur von unserem Wortschatz abhängt, sondern zum einen von der Fähigkeit, vorwegzunehmen, wie meine Worte bei meinem Gegenüber ankommen. Zum anderen sollte ich genau wissen, was ich in der Kommunikation erreichen will. Dazu ist es hilfreich sich selbst und seine Bedürfnisse und Erwartungen gut zu kennen, ohne davon auszugehen, dass sich das erst nach und nach im Rahmen gemeinsamer Feedbackprozesse klärt. Erwartungen sollten daher so geäußert werden, dass sie genau so ankommen, wie sie gemeint sind, ohne die Möglichkeit zur Nachbesserung zu haben. Ich muss sozusagen immer davon ausgehen, dass ich nur eine Chance habe, um das mitzuteilen, was mir wirklich wichtig ist.

Nehmen wir zur Verdeutlichung ein banales Beispiel: Zwei Mitarbeiter arbeiten eng zusammen – auch auf Distanz. Mitarbeiter A schreibt an Mitarbeiter B „Wir sollten reden“. Um zu klären, wie diese schwammige Aussage bei B ankommt, gibt es seit gefühlten Uhrzeiten das Modell des 4-öhrigen Empfängers:

  • Neben der Sachinformation könnte B die Nachricht als Befehl auffassen: Ruf mich an!
  • Oder als Beziehungsaussage: Wir sind ein Team und sollten uns mal wieder austauschen. Oder auch: Ich bestimme, dass du mich anrufst, weil ich höher stehe als du.
  • Oder als Ich-Aussage von A: Ich komme nicht weiter. Ruf mich bitte an.

In Präsenz ist eine solche Aussage schnell geklärt. Auf Distanz hängt es von der Geschichte zwischen A und B ab, ob sich daraus ein Drama entwickelt oder nicht. Ist die Geschichte negativ, wird sich B denken: Der kann mich mal, soll er doch selber anrufen, wenn er was von mir braucht. Mir geht es gut. Mit einer möglichst klaren Nachricht wäre das nicht passiert.

Was lernen wir daraus?

Die Konzepte für eine gelungene Kommunikation sind vorhanden. Das 4-Ohren-Modell ist hier nur ein kleiner, bekannter Ausschnitt daraus. Meist werden diese jedoch „nur“ an Führungskräfte vermittelt. Wünschenswert wäre es also, allen Mitarbeiter*innen Kommunikationstrainings nahezulegen, so wie früher zum Thema Zeitmanagement. Mittlerweile werden viele Kommunikationskonzepte bereits in der Schule vermittelt. Eine Auffrischung kann vermutlich dennoch nicht schaden.

Mit einem Perspektivenwechsel zu neuen Ideen kommen

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Perspektivenwechsel I: Fragen zu Antworten finden

Meist betrachten wir das, was wir wahrnehmen, als Problem, Herausforderung oder Aufgabe, worauf wir eine Lösung finden wollen. Was wäre jedoch, wenn wir dieses System umstellen, wenn also das, was wir wahrnehmen bereits die Antwort ist und wir darauf noch offene Fragen suchen. Diese Vorgehensweise stammt von dem Philosophen Hans-Georg Gadamer und führt bisweilen zu erstaunlichen Erkenntnissen.

Was wäre, wenn die Antwort heißt: Eine Mitarbeiterin „küngelt“ mit dem Chef der Chefin, indem sie auch nach Dienstschluss als Ansprechpartnerin für den Chef fungiert. Die Fragen dazu könnte lauten:

  • Was passiert, wenn die Chefin ungern Netzwerkarbeit betreibt?
  • Welche Folgen kann es haben, wenn die Chefin wesentliche Rollen nicht ausfüllt?
  • Was passiert, wenn die Chefin mit ihrem Chef Kommunikationswege nicht klärt?

Der Fokus richtet sich damit weniger auf das störende Verhalten der Mitarbeiterin, sondern auf eine mangelnde Klärung auf der Chef*innen-Ebene. Die Mitarbeiterin versucht – vermutlich unbewusst – diese Lücke zu schließen.

Perspektivenwechsel II: Nichtwissen als Wissensquelle

Auf den genialen Edvard de Bono gehen nicht nur die Denkhüte zurück, sondern auch einige andere Kreativmethoden, u.a. die Formel Information-Desinformation. Der Begriff der Desinformation hatte damals in den 70ern noch nicht das Gschmäckle von heute, sondern stand für das, was wir nicht wissen, sehen, hören, usw.

Unser Wissen dominiert logischerweise unser Denken. Dabei liegt die Lösung eines Falles oftmals im Nichtwissen.

Schauen wir uns den Fall von oben etwas genauer an. Die Mitarbeiterin netzwerkt nicht nur mehr mit dem Chef als die Chefin, sondern tritt auch dominanter auf. Da dies ein realer Fall aus meiner Praxis ist, weiß ich zudem, dass sich die Wahrnehmung des Umfelds bereits verschoben hat: „Wer ist hier eigentlich die Chefin?“

Wir wissen jedoch nicht:

  • Welche Erwartungen stellt die Mitarbeiterin an sich?
  • Wann glaubt sie selbst, dass sie einen guten Job macht?
  • Verfolgt sie einen geheimen Plan?
  • Wo arbeitete sie vorher und welche Erfahrungen machte sie hier?
  • Übernahm sie in der Einlernphase bestimmte Muster ihrer Vorgängerin?

Vermutlich wissen wir in den meisten Fällen lediglich 20% und müssen uns die restlichen 80% erschließen, um zu einer guten Lösung zu kommen. Das klassische Eisbergphänomen.

In diesem konkreten Fall stellte sich heraus, dass die Mitarbeiterin in einem früheren Leben Wirtin in einer kleinen Gemeinde war & sich hier offensichtlich Verhaltensmuster aneignete, die sie nun – passend oder nicht – auch andernorts einsetzt. Es geht hier also weniger um geheime Pläne, sondern vielmehr um ein gelerntes, unbewusstes Verhalten. Darauf aufbauend lässt sich sicherlich ein produktiveres Klärungsgespräch zwischen Chefin und Mitarbeiterin führen, als mit dem Verdacht der Machtübernahme.

Die Heldenreise als Vorlage für spannende und gelungene Seminare

Die klassische Heldenreise funktioniert nach folgendem Muster:

  • Held*innen befinden sich in einer Welt mit einem problematischen Status Quo.
  • Sie machen sich auf den Weg, um dieses Problem zu lösen.
  • Dies geschieht jedoch mit einem Zögern und Zaudern, da auch Held*innen sich ihrer Sache nicht immer und sofort sicher sind.
  • Auf dem Weg zur Problemlösung müssen sie einige Gefahren und Prüfungen meistern.
  • Sie stoßen ebenso auf Mentor*innen, Verbündete und Widersacher*innen.
  • Nach der letzten Prüfung und somit der Lösung des Problems machen sie sich gereift auf den Rückweg.
  • Spätestens, wenn sie zuhause angekommen sind, realisieren sie, dass sie zu einem anderen Menschen wurden und kommende Probleme mit anderen Augen betrachten.

Seminarteilnehmer*innen als Held*innen

Was bedeutet dies nun für Seminare? Schauen wir uns dazu ein Beispiel aus meinem Führungsseminar-Alltag an:

  • Frau Lutowski meldete sich für einen Kommunikationskurs für junge Führungskräfte an, weil ihre Mitarbeiter*innen sie oftmals falsch verstehen und nicht das machen, was sie von ihnen erwartet.
  • Im Seminar erfährt sie, dass sie zuerst an sich selbst arbeiten sollte, bevor es um die Kommunikation mit anderen geht. Sie realisiert, dass sie selbst nicht immer weiß, was ihr wirklich wichtig ist und dies entsprechend unscharf formuliert.
  • Dies zu erkennen erscheint einerseits schmerzhaft. Das hatte sie sich bei der Anmeldung anders vorgestellt. Auf den zweiten Blick (bzw. nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen hat) leuchtet ihr jedoch ein, dass es leichter ist, sich selbst zu verändern als andere.
  • Der Weg zum Erfolg geht über die eigene innere Klarheit mittels Achtsamkeitsübungen, inneren Haltungen wie Neugier und Geduld sowie Reflexionsfragen, bspw. „Was macht eine gute Führung aus?“ oder „Was macht eine gute Zusammenarbeit aus?“.
  • In den Reflexionsrunden im Seminar findet sie in älteren Kolleg*innen Mentor*innen, unter den Gleichaltrigen Verbündete, die mit ihr gemeinsam lernen, als auch Teilnehmer*innen, die ihr vermeintlich einfache Tipps geben („Da musst du dich einfach mal durchsetzen!“) und die ich deshalb im weitesten Sinne als (wenig hilfreiche) Widersacher*innen bezeichne.
  • Spätestens am Ende des Seminars zeigt sich, was Frau Lutowski mit nach Hause nimmt: Wie blickt sie nun auf ihr Eingangsproblem, weswegen sie sich anmeldete? Wurde sie innerlich stabiler? Nimmt sie sich vor, sich erst selbst klar zu machen, was sie will, bevor es nach außen kommuniziert wird? Oder wird sie doch wieder in alte Muster zurückfallen? Einen ersten Hinweis darauf bekommen Trainer*innen spätestens in der Feedbackrunde am Schluss des Seminars.

Trainer*innen als Mentor*innen

So weit, so nachvollziehbarbar. Doch welche Rolle spielen nun Trainer*innen in diesem Setting? In der klassischen Heldenreise bietet sich dafür v.a. die Rolle als Mentor*in an.

Mentor*innen können entweder strukturell vorgehen, indem sie Inhalte logisch aufeinander aufbauen und Gruppen so mischen, dass in jeder Gruppe eine gute Balance zwischen potentiellen Held*innen, Mentor*innen, Verbündeten und Widersacher*innen besteht. Sollte eine Gruppe wider Erwarten doch schlecht ausbalanciert sein, bietet es sich als Trainer*in zudem an, die Balance in der Gruppe selbst (meist) als Mentor*in auszugleichen.

Oder sie schlüpfen selbst beispielhaft in die Rolle der Held*innen und dienen damit als Vorbild. Das Konzept des Modell-Lernens aus der kognitiven Sozialforschung legt uns nahe, ähnlich einem Meister-Schüler-Modell Teilschritte der Heldenreise nicht nur anzuleiten, sondern auch vorzuleben. Dies ist umso sinnvoller, weil ansonsten der Eindruck entstehen könnte, dass Trainer*innen sich aufgrund ihres Erfahrungsvorsprungs leicht mit dem tun, was sie propagieren. Wir Trainer*innen sollten dies niemals vergessen: Wer sich mit etwas auskennt, setzt die Hürde eventuell zu hoch an, was leicht zu Abwehrreaktionen führt.

Ich persönlich mache das insbesondere in Kommunikationsseminaren sehr gerne mit Hilfe improvisierter Rollenspiele, die ich zuerst in wechselnden Rollen vorspiele (beispielsweise als dominante Führungskraft versus trotzige/r Mitarbeiter*in) und im Anschluss in Kleingruppen nachspielen lasse. In diesem Fall durchlaufe ich auch selbst die Heldenreise im Schnellgang mit Zaudern, über den eigenen Schatten springen und neuen Erkenntnissen. Durch die Körperlichkeit entsteht ein Lernen auf vielen verschiedenen Ebenen: Die Teilnehmer*innen sehen und hören einem Konfliktgespräch zu, sie denken darüber nach, was alles passieren könnte und fühlen sich sogar über die Spiegelneuronen in den Konflikt ein. Sie leiden sozusagen auf all diesen Ebenen mit, was das anschließende eigene Spielen enorm erleichtert.

Die Spielfeldmetapher als kommunikatives Handwerkszeug

Das Bild des Spielfelds bietet uns einen spielerischen Zugang um zu erkennen, welche sozialen und kommunikativen Regeln in einer Situation gelten und wie ich mein Gegenüber sanft beeinflussen kann. Die Kernfragen lauten:

  • Befinden Sie sich zu einem großen Teil Ihres Lebens auf dem eigenen oder auf fremden Spielfeldern?
  • Wie lauten die sozialen und kommunikativen Regeln auf den jeweiligen Spielfeldern?
  • Sind Sie damit zufrieden oder hätten Sie es gerne anders?

Das Was und das Wie

Wer das Spielfeld bestimmt, bestimmt auch die Regeln des Umgangs miteinander. Dabei spielt es nicht automatisch eine Rolle, ob Sie angestellt sind oder wie ich freiberuflich unterwegs. Als Freiberufler liegt es nahe davon auszugehen, dass ich das Spiel bestimme. Ich bin schließlich frei. Dennoch bewege ich mich auf vielen verschiedenen Spielfeldern. Unternehmen A wird durch eine andere Kultur geprägt als Unternehmen B. In Branche A gelten andere Regeln als in Branche B. Usw. Als Selbständiger, der für eine Vielzahl von Unternehmen tätig ist, lernte ich, mich wie ein Chamäleon an unterschiedliche Firmenkulturen anzupassen, um nicht zu stark als Fremdkörper wahrgenommen zu werden. Und dennoch fühlt es sich so an, als würde ich die Teilnehmer*innen in Seminaren, Mediationen oder Coachings auf mein Spielfeld einladen. Die Ziele eines Seminars und damit das „Was“ werden zuvor festgelegt. Das „Wie“ und damit die Regeln bestimme ich, wenn ich beispielsweise sage: „Lernen mit Übungen aus dem Improtheater macht Spaß“. Damit lade ich meine Seminarteilnehmer*innen auf mein Spielfeld ein, auf dem sie zu Mitspieler*innen werden.

Sollten Sie angestellt sein, sind Sie in einer ähnlichen Situation. Ihr Arbeitgeber gibt zwar vor, was zu tun ist. Wie Sie dies erreichen und wie Sie die Zusammenarbeit mit Ihren Kolleg*innen gestalten, ist jedoch Ihnen überlassen. Laden Sie Ihre Kolleg*innen auf Ihr Spielfeld ein und freuen sich im Gegenzug (!) auf eine Einladung auf deren Spielfeld? Gestalten Sie nach und nach ein gemeinsames Spielfeld? Und welche Regeln gelten dort?

Über Einladungen, Angriffe und Spielregeln

Zur Verdeutlichung ein kleines Alltagsbeispiel: Sie unterhalten sich mit einer Kollegin über dies und das. Da merken Sie, wie geknickt sie plötzlich ist. Die Zeit- und Arbeitsverdichtung, der Krieg, die Corona-Situation, usw. machen ihr zu schaffen. Zeigen Sie sich empathisch, begeben Sie sich auf das Spielfeld Ihres Gegenübers. Sie bestimmt nun die Regeln. Diese lauten grob vereinfacht: „Ich bin geknickt. Unterstütze mich.“ Für ein gutes Miteinander ist es freilich sinnvoll, die implizite Einladung anzunehmen, sich damit auf die Regeln des Gegenübers einzulassen und „das Spiel mitzuspielen“. Doch plötzlich merken Sie, dass Sie sich auf dem fremden Spielfeld zunehmend unwohl fühlen. Im Schach könnten wir sagen: Die Spielfiguren ziehen vor und zurück, vor und zurück, es entsteht jedoch keine wirkliche Entwicklung des Spiels und damit keine Spannung. Sie befinden sich in einer Pattsituation. Sie sollten folglich einen „Angriff“ wagen. Dies tun Sie, indem Sie scherzhaft (auf der Basis einer guten Beziehung) aufzählen, wieviel Leid es in der Welt gibt. Sie enden mit einem Augenzwinkern, um zu verdeutlichen, dass das was wir hier tun ein Jammern auf sehr hohem Niveau ist. Ihre Kollegin wundert sich nun über sich selbst und beginnt zu lächeln. Sie hat die Einladung, auf Ihr Spielfeld zu kommen angenommen und spielt nun, wenigstens für ein paar Momente, nach Ihren Regeln.

Mein Tipp: Lassen Sie die Spielfeldmetapher in nächster Zeit in einfachen und später auch in schwierigen Situationen im Hinterkopf mitlaufen und fragen sich:

  • Wie lauten die Spielregeln meines Gegenübers?
  • Wie lange soll ich das Spiel meines Gegenübers mitspielen?
  • Wofür spiele ich das Spiel meines Gegenübers mit?
  • Was kann ich tun, um mein Gegenüber auf mein Spielfeld einzuladen?
  • Welche Regeln gelten auf meinem Spielfeld?
  • Was will ich damit erreichen?
  • Was hätte mein Gegenüber davon?

Viel Spaß damit!

Die Säge – eine kurze Geschichte über Demut und Respekt

Neulich erzählte ein Seminarteilnehmer eine kurze Anekdote über seinen Großvater. Als kleiner Junge durfte er in der Holzwerkstatt seines Opas mitwerkeln. Neugierig wie er war wollte er sich nicht mit der Säge für kleine Jungs zufrieden geben, sondern am liebsten gleich mit der großen Säge arbeiten. Sein Großvater sagte damals zu ihm: „Du darfst mit der großen Säge arbeiten. Aber beschwer‘ dich nicht, wenn du dich schneidest.“ Und plötzlich war die kleine Säge für meinen Seminarteilnehmer wieder hoch attraktiv. Ich habe mir auch seine Finger zeigen lassen. Sie waren noch alle dran, wenn auch mit ein paar kleinen Narben.

Diese vermeintlich simple Alltagsgeschichte brachte mich zum Nachdenken. Der häufigste erste Impuls, wenn beispielsweise ein Praktikant mit hohen Ambitionen kommt, ist aus meiner Erfahrung die Beschränkung von außen. Hier geht es freilich nicht darum, sich zu schneiden, sondern um die Angst vor unzufriedenen Kunden oder Fehler im System. In der Geschichte geht es jedoch erst einmal nicht um die Außenwirkung, sondern um die Innenwirkung. Es geht nicht um ein misslungenes Werkstück, sondern um den persönlichen Umgang mit der Säge, bzw. im erweiterten Sinn den Umgang mit den eigenen Fähigkeiten: „Du darfst alles ausprobieren, aber beschwer‘ dich nicht, wenn du später merkst, dass du dich überfordert hast.“

Natürlich sollten Praktikant*innen nicht alles tun dürfen, wenn es tatsächlich um die Außenwirkung geht. Lernen sollte jedoch einen spielerischen Charakter haben, der es jungen Menschen erlaubt, sich selbst auszuprobieren und damit ihre eigenen Grenzen zu kennen zu lernen. Sind die Regeln dessen, was erlaubt ist, zu eng, kommt die Reibung von außen und führt häufig zu Trotz und Widerwillen. Erst das persönliche Spüren dieser Grenzen führt zu Demut vor einer Tätigkeit oder einem komplizierten Prozess und dem Respekt vor denen, die diese Tätigkeit seit Jahren gut meistern.