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Resilienz: Zwei Seiten einer Medaille

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Die individuelle und soziale Seite der Resilienz

Die individuelle Seite ist relativ bekannt und steht dafür optimistisch in die Zukunft zu blicken und sich an schwierige Situationen agil und adaptiv anzupassen, daran zu lernen und zu wachsen.

Die soziale Seite ist eher unbekannt und hat mit Sinnhaftigkeit und Verbundenheit zu tun:

  • Ich weiß, dass es einen Unterschied macht, dass ich auf der Welt bin.
  • Ich kann in Krisenzeiten auf ein Netzwerk aus Familie und Freunden zurückgreifen.
  • Ich stehe selten in Wettbewerb mit anderen und muss daher nicht ständig beweisen, was ich kann.

Der Schlüssel liegt im Wir

Wer sich fragt, warum die Welt aktuell so nach Resilienz dürstet und sich trotz einem reichhaltigen Angebot an Literatur, Seminaren und Coachings nur bedingt besser fühlt, findet die Antwort in dem Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Resilienz:

  • Die persönliche Resilienz kann viel erreichen, stößt jedoch irgendwann einmal an eine Grenze, für die sie nicht mehr zuständig ist.
  • Die soziale Resilienz nahm jedoch in den letzten Jahrzehnten aufgrund der Mobilität und Digitalisierung immer mehr ab.

Mobilität führt dazu, dass soziale Netzwerke regelmäßig durcheinander gewürfelt und wieder neu aufgebaut werden müssen. Dies gilt v.a. für gut ausgebildete Angestellte. Die Mobilität bringt viele Chancen mit sich. Wir sollten uns jedoch vor einem Ortswechsel gut überlegen, welchen Gewinn wir daraus ziehen und welche Kosten der Wechsel mit sich bringt. Der Gewinn ist offensichtlich: Eine neue Herausforderung, die Chance einen Karrieresprung zu machen oder einfach mehr Geld zu verdienen. Die Kosten werden uns leider erst später bewusst: Die alten Freunde werden zurück gelassen und damit auch die Möglichkeit, sich in Krisen wie in beinahe alten Zeiten am Tresen über Ärger und Sorgen auszutauschen.

Wir versuchen diese Manko mit Hilfe digitaler Netzwerke auszugleichen, was jedoch nur bedingt gelingt. Facebook hat zwar keine Sperrzeiten, funktioniert aber dennoch nicht wie ein Tresen oder der Spaziergang mit einem guten Freund. Es fehlt – das wissen wir alle – das differenzierte mimisch-verbale Feedback. Es fehlen das nonverbale Schulterklopfen oder einfach nur die Präsenz des anderen mit dem Bewusstsein: Gut, dass da noch jemand ist und sich Zeit für mich nimmt.

Laut Studien des Soziologen Nicolas Christakis und Politikwissenschaftlers James Fowler bringen maximal 12 echte Freunde aus der nahen Umgebung mehr für unsere (soziale) Resilienz als Hunderte von Netzwerkbekannten, die uns ab und an ein Like hinterlassen. Nichts gegen ein großes berufliches Netzwerk. Wenn ich auf Linkedin einen Artikel veröffentliche, ist es hilfreich, diesen möglichst breit zu streuen. Und manchmal ergeben sich daraus interessante fachliche Diskussionen. Das hat jedoch nichts mit dem Versuch zu tun, für ein fehlendes soziales Resilienznetzwerk in der nahen Umgebung einen digitalen Ersatz auf Facebook, Instagram oder TikTok zu suchen.

Ein solches oberflächliches, digitales Netzwerk kann sogar unsere Resilienz noch weiter schwächen, wenn wir uns auf Statusvergleiche einlassen. Statusvergleiche setzen uns zusätzlich unter Dauerstress, da es immer jemanden gibt, der – auch dank der schönen neuen Filtertechniken (Persiflage von Extra 3) – vermeintlich schöner, reicher oder glücklicher ist. Und wer sich in dieser Welt des digitalen Glamours einmal besser fühlen will, blickt auf andere mit Hilfe von Shitstorms herab. Ein echtes Miteinander im Sinne des Teilens von Problemen, was unserer Resilienz gut tun würde, findet jedoch selten statt.

Helfen Kämpfe gegen Sinnverlust?

Neben den Folgen der Mobilität und den Statusvergleichen in digitalen Netzwerken spielt zuguterletzt auch der Verlust an Sinnhaftigkeit eine wichtige Rolle für unsere aktuelle, mangelnde Resilienz. In früheren Zeiten hatten die meisten Menschen weniger Freizeit, weniger Möglichkeiten der Selbstbestimmung und weniger Geld. Dennoch schien ein Sterben im Krieg für Kirche und Vaterland ihrem Leben einen Sinn zu verleihen. Die Begeisterung junger Menschen kurz vor dem Einzug an die Front im 1. Weltkrieg ist für uns heute kaum nachvollziehbar. Zu diesen Zeiten will die Mehrheit der Menschen sicherlich nicht mehr zurück. Dennoch gaben solche Kriege den Menschen eine Bestimmung.

Kein Wunder, dass auch in neuerer Zeit Kriege immer noch eine gewisse Faszination ausüben, als würden sie dem eigenen Leben eine tiefere Bedeutung geben. Emmanuel Macron sprach Anfang 2020 davon, dass wir uns im Krieg gegen Covid-19 befinden. Und auch wenn Annalena Baerbock die Aussage, dass wir uns im Krieg gegen Russland befänden aufgrund der politisch-heiklen Situation der Nato schnell relativierte, wird deutlich, wie bedeutend schon alleine der Begriff des Krieges ist.

Überhaupt scheinen sich viele Menschen aktuell in irgend einem Krieg zu befinden, auch wenn der Begriff so idR. nicht genannt wird:

  • Klimaaktivist*innen kämpfen zur Rettung des Planeten gegen Autofahrer*innen.
  • Deutsche Söldner kämpfen auf Seiten der Ukraine gegen Russland.
  • Die Antifa kämpft seit der anhaltenden Krisenstimmung vehementer denn je gegen Nazis.
  • Reichsbürger*innen würden den Staat am liebsten abschaffen.
  • LGBTIQ-Gruppen kämpfen für Minderheiten und sexuelle Selbstbestimmung.
  • Die Gegenseite kämpft für den Erhalt der klassischen Familie mit Vater, Mutter, Kind.
  • Alte Feminist*innen kämpfen gegen neue Feminist*innen.
  • Alte Linke kämpfen gegen neue Linke. Usw.

Wurde jemals so vehement gekämpft wie heute? Oder fühlt es sich dank der zugespitzten Austragung der Meinungsverschiedenheiten in digitalen Netzwerken nur so an?

Ging den Menschen der Sinn in ihrem Alltag verloren, weshalb sie versuchen, diesen über Kämpfe zurückzuholen? Wenn dem so ist, gibt es dafür nicht die eine Erklärung für diesen Sinnverlust. Für einen Teil der Menschen greift die hohe Mobilität als Erklärung. Für einen anderen Teil greift die Vereinzelung und Isolierung im Internet und das dauerhafte Gefühl, dass jemand anders mehr erreicht hat als ich selbst. Zusätzlich wurden traditionelle Berufe entwertet, weil eine akademische Ausbildung als höherwertig dargestellt wird und auch finanziell mehr einbringt. Es gibt also viele Gründe für einen möglichen, individuellen Sinnverlust in der Gesellschaft.

Schenken schafft Sinn und stärkt unsere soziale Resilienz

Für etwas zu kämpfen ist nur eine Möglichkeit, dem Leben einen Sinn zu verleihen. Daneben spielt der analoge Austausch mit anderen Menschen eine wichtige Rolle. Eine Plattform wie www.nebenan.de verbindet Nachbar*innen miteinander. Ein Spaziergang mit Freunden macht resilienter als einen Abend lang oberflächlich zu chatten. Arbeitgeber könnten Stammtische reaktivieren, für Sportgruppen werben und Singkreise organisieren. Und für spezielle, auch kritische Themen lassen sich Redekreise nach dem Dialogkonzept von David Bohm durchführen.

All diese Ideen haben eines gemeinsam: Sie sollten entgegen dem vorherrschenden Utilitarismus-Gedanken zweck-, aber nicht sinnfrei sein. Sie sollten kein direktes Ziel verfolgen. Es sollte nicht primär darum gehen, ein Konzert auf die Beine zu stellen, eine Fußballmannschaft für ein Turnier fit zu machen oder sein Karrierenetzwerk am Stammtisch auszubauen. Arbeit ist zweckorientiert, weil sie Essen auf den Tisch bringt und die Miete zahlt. Auch Arbeit kann sinnvoll sein, wenn Flüchtlinge angestellt werden oder allgemein die Welt ein klein wenig besser gemacht wird. Doch nicht jede Arbeit ist sinnerfüllend. Umso wichtiger ist es, diesen Sinn im Austausch mit anderen zu finden – in der Freizeit oder in der Teeküche am Arbeitsplatz. Der Austausch wiederum sollte auch im beruflichen Rahmen keinen direkten Zweck verfolgen. Weiß ich bereits im voraus, welchen Nutzen ich aus einem Treffen ziehen möchte, bin ich nicht mehr offen für Überraschungen, die das Leben erst lebendig machen.

Zweckgebundenheit lässt sich mit einem Einkauf vergleichen: Ich habe klare Vorstellungen wie eine neue Hose aussehen soll und wähle entsprechend aus. Beziehungen sollten jedoch nach dem Prinzip des Schenkens ablaufen: Ich schenke jemandem meine Aufmerksamkeit, Hilfe, Zuwendung, Dankbarkeit, Anerkennung, Liebe, usw. und bekomme bestenfalls etwas Gleichwertiges zurück. Bei einem Kauf entsteht keine langfristige Beziehung: Ich bezahle die Hose und sofern sie keinen Fehler hat, ist die Beziehung damit beendet. In der Ökonomie des Schenkens beginnt die Beziehung erst mit dem Akt des Gebens. Beziehungen wiederum sind der vermutlich größte Sinnspender, den wir haben. Kaufen wir für uns selbst Blumen? Für den Partner oder die Partner*in wohl eher. Stehen wir am Samstagmorgen ohne zu Murren um 4.30 Uhr auf, weil die jüngere Tochter den letzten Bus nach der Disko verpasst hat? Aber selbstredend. Freuen wir uns beim Geschenk an einen Freund beinahe mehr als er selbst? Alles schon passiert. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Stichwort Spiegelneurone: Kochen wir für uns selbst, soll es meist den Zweck der Nahrungszufuhr erfüllen. Kochen wir für andere, können wir uns dank unserer Spiegelneuronen doppelt freuen – sofern wir geschmacklich nicht ganz daneben liegen. Würden wir jedoch mit der Verköstigung der Freunde einen bestimmten Zweck verfolgen, beispielsweise um einen privaten Kredit bitten, bekommt der Abend schnell ein „Gschmäckle“.

Stattdessen sind die besten Geschenke zweck- aber nicht sinnlos. Die Botschaft sollte lautet: Ich bin nicht hier, weil ich etwas von dir will, sondern weil ich einfach Spaß daran habe, mich offen auf dich einzulassen und dir das zu geben, das ich geben kann.

Dass uns eine solche Zweckfreiheit im Rahmen unserer vielen Verpflichtungen schwer fällt, liegt auf der Hand. Vielleicht sind wir es auch schlichtweg nicht mehr gewöhnt, zweckfrei zu denken. Umso wichtiger ist es, unserem Leben mit einem solchen Austausch einen spontanen, lebendigen, neuen Sinn zu verleihen. Und vielleicht sind wir ab und an auch auf der Suche nach dem ganz großen Sinn des Lebens wie in einem Krieg oder dem Kampf zur Durchsetzung einer Idee. Dabei ist der wahre Sinn des Lebens viel kleiner als wir denken und besteht einfach nur darin Mensch zu sein und sich offen und neugierig auf andere Menschen einzulassen.

Literatur

Fowler und Christakis: Die Macht sozialer Netzwerke

Gregor Hasler: Resilienz: Der Wir-Faktor

Adam Grant: Geben und Nehmen

Mit Flow und Spielen gegen Belastungen

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Wie ein Flow-Erleben entsteht

Der Begriff Flow wird meist mit einer hochkreativen Tätigkeit in Zusammenhang gebracht: Ich habe einen Lauf. Oder: Wir sind in einem Team-Flow.

Voraussetzungen für einen Flow sind nach Mihalyi Csikszentmihalyi:

  • Die Aufgaben passen zu meinen Kompetenzen.
  • Ich bin ungestört.
  • Ich verfolge klare Ziele und Meilensteine.
  • Ich weiß, was ich zu tun habe, um Meilensteine und Ziele zu erreichen.
  • Ich bekomme positive Rückmeldungen, am besten automatisch.

Sportler haben oft Flow-Erlebnisse, wenn bspw. ein Kletterer seine Kletterroute an seine Fähigkeiten anpasst, leicht steigert, sich ein klares Ziel für die nächsten Stunden setzt und sofort die Rückmeldung bekommt, ob seine Griffe funktionieren.

Spiele fördern das Flow-Erleben

In der Übertragung dieser Prinzipien auf andere Tätigkeiten, insbesondere die Arbeit, geht allerdings das Spiel-Element eines Flow oft gedanklich verloren. Dabei hat Flow viel mit Spielen zu tun. Anders formuliert: Ein Aufgehen in spielerischem Tun fördert das Flow-Erleben.

Neben den oben genannten Voraussetzungen eines Flow-Erlebens zeichnen sich Spiele zusätzlich durch klare Regeln, räumliche und zeitliche Beschränkungen aus:

  • Spiele dauern in der Regel eine klar definierte Zeit, teilweise sogar bis auf die Sekunde genau, wenn es um Wettkämpfe geht.
  • Spiele sind idR. räumlich begrenzt, sei es nun ein Spielfeld oder der Tisch für ein Brettspiel.
  • Spiele werden nach klaren Regeln gespielt. Wer dagegen verstößt, ist ein Spielverderber.

Auf den ersten Blick führt das oftmals starre Regelwerk eines Spiels durch seine Beschränkungen zu einem Ausschluss-Charakter: Nur wer die Regeln kennt, darf mitspielen. Und wer innerhalb der Regeln seinen Weg findet, spielt ganz oben mit.

Auf den zweiten Blick offenbart sich die wahre Faszination von Spielen: Während in der realen Welt (beinahe) alles möglich ist, was manche Menschen überfordert, schaffen spielerische Regelwerke Grenzen, in denen sich die Menschen sicher fühlen. Natürlich gibt es auch in der realen Welt Regeln. Diese sind jedoch meist unbewusst in Form von Tabus. Sicherlich, wer einen anderen Menschen umbringt oder eine Handtasche klaut und erwischt wird, kommt vor Gericht. Unser sozialer Alltag ist jedoch eher durch eine Vielzahl unklarer Regeln definiert:

  • Was muss ich tun, um akzeptiert zu werden?
  • Was darf ich bei meinen Kolleg*innen auf keinen Fall sagen?
  • Was kann ich tun, um meinen sozialen Status zu erhöhen?

Der reale Alltag ist geprägt durch Versuch-und-Irrtum-Handlungen. In Spielen wiederum machte sich jemand die Mühe, die Spielregeln ein für alle mal zu definieren.

Genau diese Klarheit darüber, was ich darf (bzw. kann) und was nicht, fördert ein Flow-Erleben. Übertragen auf einen Kletterer:

  • Ich kenne meine Fähigkeiten, meine Kräfte und Grenzen.
  • Ich konzentriere mich für heute Nachmittag auf das „Spielfeld“ dieses einen Felsen.
  • Ich akzeptiere in dieser Zeit nur die Rückmeldungen meines Kollegen oder des Felsen.
  • Ich kenne wichtige Taktiken und Techniken, um voran zu kommen.

Flow und Spielregeln im Umgang mit Belastungen

Solche Strategien des Flow lassen sich auch in Situationen einsetzen, die vermeintlich nichts mit Spielen zu tun haben:

  • Ein Kassiererin nimmt sich vor, ein Gedächtnis für Stammkunden anzulegen.
  • Ein Straßenkehrer nimmt die Geräusche der Stadt als Rhythmus wahr, in dem er seine Tätigkeiten verrichtet.

Es ist also möglich Spiel- und Flow-Strategien im Umgang mit Stress anzuwenden, indem ich meine Wahrnehmung zeitlich und inhaltlich fokussiere und mir spielerische Aufgaben und Ziele setze.

Diese Vorgehensweise ist mit der Zusammensetzung eines Puzzles vergleichbar: Für die nächsten 10 Minuten teste ich an einer bestimmten Stelle alle Himmel-Puzzle-Teile mit einem Knubbel nach links. Genauso kann ich mir in Belastungssituationen vornehmen, mich voll und ganz auf eine Sache zu konzentrieren.

Die Regeln dazu lauten: Nicht an den nächsten Termin denken. Nicht an heute Abend. Nicht an die ebenfalls überlasteten Kolleg*innen. Sondern nur noch an diesen einen kleinen Bericht, auf den ich mich gerade so schlecht konzentrieren kann. Und vielleicht denke ich mir dazu noch ein paar extra Spielregeln aus:

  • Mal sehen, ob ich es schaffe, mehr Verben als Adjektive zu benutzen.
  • Interessant wäre es auch, zu jedem Abschnitt genau 10 Zeilen zu schreiben.
  • Oder ich könnte in jeden Abschnitt ein Wort verstecken, das dort eigentlich nicht hineinpasst. Ob das später jemand entdeckt?
  • Dazu stelle ich mir einen Wecker auf genau eine Stunde.
  • Oder ich vereinbare mit einer Kolleg*in einen Berichte-Wettbewerb: Wer langsamer ist, zahlt das Mittagessen.

Literatur

Mihalyi Csikszentmihalyi: „Flow“ und „Flow im Beruf“

Gregor Hasler: Resilienz: Der Wir-Faktor

Lässt sich die Eskalation eines Konflikts vorhersagen?

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Je höher die sprachliche Komplexität, desto unwahrscheinlicher eine Eskalation

Die Psychologen Peter Suedfeld und Philip Tetlock untersuchten in den 70er Jahren die Kommunikation in internationalen Konflikten und erstellten daraufhin einen Index zur Errechnung der Wahrscheinlichkeit von Eskalationen. Ist die sprachliche Komplexität hoch, verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation. Ist sie niedrig, ist die Eskalationsgefahr hoch. Im 1. Weltkrieg war die sprachliche Komplexität gering. In der Kubakrise 1962 hingegen war sie hoch.

Merkmale für eine komplexe Sprache

Nach Suedfeld und Tetlock geht eine unterkomplexe und damit eskalierende Sprache von feststehenden Tatsachen aus. Typische Sprachwendungen lauten:

  • zweifellos
  • zweifelsfrei
  • immer
  • nie
  • eindeutig
  • absolut
  • einzig
  • aufgeben
  • kapitulieren

Es geht also darum, wie eindeutig ein Schuldiger an einem Konflikt ausgemacht wird, der als einziger schuldig ist, alleinig und absolut zur Rechenschaft gezogen werden muss, damit er nie wieder rückfällig wird. Ausnahmen gibt es keine. Deshalb sollte der Schuldige komplett aufgegeben und kapitulieren.

Eine eskalierende Sprache folgt also einem Schwarz-Weiß-Denken.

Eine komplexe Sprache wiederum zeichnet sich durch die Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes aus. Typisch dafür ist eine abschwächende, kontextbezogene und oft auch prozesshafte Sprache:

  • vielleicht
  • eventuell
  • verhältnismäßig
  • relativ
  • unter Umständen
  • nachgeben
  • reduzieren
  • weniger
  • mehr
  • aufeinander zugehen

Hier geht es darum, dass jemand unter bestimmten Umständen verhältnismäßig mehr schuldig ist und damit verpflichtet werden soll, relativ mehr als sein Gegenüber nachzugeben, um seinem Konfliktpartner entgegen zu kommen.

Die Methode von Suedfeld und Tetlock war simpel: Sie untersuchten die Sprache, die einem internationalen Konflikt vorausging. Als Historiker wussten sie bereits, welche Konflikte eskaliert waren und konnten so prüfen, ob sie mit ihren Vermutungen richtig lagen. Im 1. Weltkrieg kamen sie auf einen Sprachkomplexitätsgrad der beteiligten Konfliktpartner von durchschnittlich 2. Auch im Koreakrieg lag der sprachliche Komplexitätsgrad unter 2. In der zweiten Marokko-Krise von 1911 hingegen – einem Konflikt, der friedlich endete – kommunizierten die gleichen Konfliktparteien mit einem Komplexitätsgrad von durchschnittlich 4,5. Und in der Kubakrise lag der Komplexitätsgrad sowohl bei den USA also auch bei der Sowjetunion bei 4,7.

Warum uns eine komplexe Sprache schwer fällt

Dass uns gerade in Konflikten die Nutzung einer komplexen Sprache schwer fällt, ist naheliegend. Wer sich angegriffen fühlt, befindet sich im „Fight or Flight“-Modus: angreifen oder klein bei geben. Beides spricht nicht gerade für eine differenzierte Sichtweise. Umso wichtiger ist es, sich die Auswirkungen der eigenen Sprache bewusst zu machen, um Konflikt-Eskalationen zu verhindern.

Literatur

Gregor Hasler – Resilienz: Der Wir-Faktor, S. 153ff

Das Fürchten lernen

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Diffuse Ängste versus konkrete Furcht

Gerade unter Dauerbelastung sind Ängste oft diffus:

  • Wird es jemals besser werden?
  • Vermutlich sind wir noch lange unterbesetzt.
  • Werde ich durchhalten?
  • Wenn ich nicht durchhalte, was werden meine Kolleg*innen sagen?
  • Bestimmt bin ich die Person, die sich am meisten überlastet fühlt.
  • Wenn ich ausfalle, werden meine Kolleg*innen meine Arbeit mitmachen müssen und bestimmt sauer auf mich sein.

Solche diffusen Ängste aktiveren uns zwar meist nur leicht, jedoch dauerhaft. Wir sind sozusagen ständig in Hab-Acht-Stellung und können uns nicht erholen. Stattdessen ist es sinnvoller, diffuse Ängste in eine konkrete Furcht zu übersetzen. In diesem Fall wird unser Körper einmalig stark aktiviert und weiß dann woran er ist.

Wovor könnten wir uns also konkret fürchten:

  • Ja, vermutlich sind wir auch noch in einem halben Jahr unterbesetzt.
  • Ja, vermutlich müssen wir alle in nächster Zeit mehr arbeiten.
  • Ja, vermutlich wird der ein oder andere im Team ab und an eine Auszeit brauchen, um keinen Burn-out zu bekommen.
  • Ebenfalls ja, vermutlich werden wir klare Prioritäten setzen müssen, um einigermaßen mit der Arbeit hinterher zu kommen und vermutlich werden wir manche Qualitätsstandards nicht zu 100% halten können oder manche Aufträge langsamer als sonst erledigen.
  • Und ja, vermutlich werden manche Kund*innen verärgert sein, aber gute langjährige Kunden werden wahrscheinlich Verständnis für die aktuelle Situation haben.

Na und? Wie heißt es so schön: Hängen Menschenleben dran? In Kliniken ja, an vielen anderen Orten nicht. Und schließlich sind auch Mitarbeiter*innen Menschen, die nichts dauerhaft Unmenschliches leisten können.

Manche Ängste werden so zu einer Furcht, auf die wir reagieren können:

  • Kund*innen können informiert werden.
  • Ob eine Abkehr von einem hohen Perfektionismus wirklich negative Folgen hat, muss sich erst zeigen.
  • Und Auszeiten zur Erholung können eingeplant werden.

Andere Ängste müssen nicht einmal in Furcht umgewandelt werden, sondern lösen sich durch einen Austausch im Nichts auf:

  • Vermutlich bin ich nicht die einzige Person, die sich Sorgen macht.
  • Vermutlich haben meine Kolleg*innen mehr Verständnis als ich zuvor dachte und sind daher gar nicht sauer auf mich, wenn ich bspw. aus lauter Stress einen Fehler mache. Überhaupt erhöht die Angst vor Fehlern und deren Konsequenzen die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich einen Fehler zu machen enorm.

Dinge beim Namen zu nennen fördert die Handlungskompetenz

Tatsächlich vermeiden wir häufig die Konfrontation mit einer konkreten Furcht und bleiben lieber in der diffusen Angst, gerade weil die Furcht uns stärker aktiviert als die Angst. Es ist vermeintlich angenehmer, sich über diffuse Zustände zu ärgern – das System, der Staat, mein Unternehmen, der Personalmangel, usw. – als konkret zu klären, welche Konsequenzen uns wirklich drohen und damit die eigene Handlungskompetenz zu erhöhen. Umso wichtiger ist es, die Dinge beim Namen zu nennen und das richtige Fürchten vor etwas Konkretem wieder zu lernen.

Wann Optimismus sinnvoll ist und wann nicht

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Wann Optimismus schädlich sein kann

Macht Optimismus wirklich resilient? Lässt uns Optimismus schwierige Umstände besser aushalten? Und ist Optimismus gesund?

Fakt ist: Depressive Menschen schätzen sich selbst viel zu inkompetent ein und ihr Umfeld viel zu kompetent. Der normale Mensch hingegen schätzt sich selbst viel zu positiv ein. Männer glauben zu 80% überdurchschnittlich gute Liebhaber zu sein, zu 90% eine überdurchschnittlich hohe Intelligenz zu haben und zu 75% überdurchschnittlich gut Auto zu fahren. Frauen wiederum schätzen ihre Popularität im Freundeskreis oder die Dauer ihrer Ehe zu hoch ein (vgl. Hasler, S. 81). Selbst bei der Präsentation solcher Zahlen sagen sich wohl die meisten: Das ist ja verrückt, aber bei mir stimmt es nun mal.

Eine solche unrealistische Sichtweise wäre nun grundsätzlich kein Problem. Die Welt ist schlimm genug. Wären da nicht die negativen Konsequenzen eines übertriebenen Optimismus:

  • Wer glaubt, super gut Auto zu fahren, geht mehr Risiken auf der Autobahn ein.
  • Wer glaubt, eine Top-Freundin zu sein, ist überrascht, wenn plötzlich kritische Stimmen aufkommen.
  • Wer glaubt, ein super Liebhaber zu sein, fällt aus allen Wolken, wenn die eigene Frau eines Tages die Koffer packt.

Auch auf der großen Politikbühne kann Optimismus schädlich sein. Putin glaubte offensichtlich, er könne die Ukraine im Handstreich erobern, was nicht funktionierte. Und Selenskyj glaubt daran – zumindest hat es den Anschein – die Krim zurückzuerobern. Der Beweis steht noch aus, aber einfach wird es nicht. Jedenfalls gilt es festzuhalten, dass Kriege nicht von Pessimisten, sondern idR. unrealistischen Optimisten geführt werden. Die Welteroberungsphantasie eines Adolf Hitler ist da wohl nur die absolute Spitze des Eisbergs.

Solche narzisstischen Machbarkeitsgedanken fußen letztlich auf einem übertriebenen Selbstwertgefühl. Während Psycholog*innen seit den 70ern davon ausgingen, man müsse nur das Selbstwertgefühl der Menschen mit Therapien und Feelgood-Programmen steigern, um eine bessere Welt zu schaffen, legen neuere Studien nahe, dass ein zu hohes Selbstwertgefühl zu Aggressionen und Narzissmus führen kann. Eigentlich logisch: Wer mit dem Mantra aufwächst, einzigartig zu sein und alles erreichen zu können, wenn er oder sie es nur will, dann jedoch auf Widerstände stößt, gerät schnell in eine Frustrations-Aggressions-Spirale. Was bei Menschen mit Depressionen oder allgemein einem unrealistischen Pessimismus funktioniert, hat bei Menschen, die ohnehin schon einen unrealistischen Optimismus an den Tag legen – und das geht wohl den meisten von uns so – einen negativen Effekt (vgl. Hasler, S. 88f). Ein Thema, das uns in Zukunft aufgrund der Instagramisierung der Welt sicherlich noch reichhaltig beschäftigen wird.

Wann Optimismus angebracht ist

Wann ist Optimismus also angebracht?

Letztlich geht es immer darum zwischen Situationen zu unterscheiden, die ich beeinflussen kann und solchen, auf die ich kaum einen Einfluss habe:

  • In Situationen, die ich beeinflussen kann, sollte ich eine gewisse Demut an den Tag legen, insbesondere wenn andere Menschen von mir abhängig sind. Kriege sind hier der Extremfall. Aber auch im Alltag sind andere Menschen von meinem Fahrverhalten oder meinen Leistungen in der Arbeit oder als Freund*in abhängig.
  • In Situationen, die ich nicht beeinflussen kann, beispielsweise in Krisen wie dem aktuellen Personalmangel oder einer dauerhaften Unterbesetzung im Team, brauche ich Optimismus, Zuversicht und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hier richtet mein Optimismus keinen Schaden an, weil ich ohnehin wenig ausrichten kann.

Optimismus-Strategien

Doch wie bringe ich mich in eine positive Stimmung und sollten wir in Krisen nur noch positiv denken?

Die Vielzahl der Ratgeber zum Thema macht es sich hier zu einfach. Alles Negative rosarot sehen und dann wird das schon mit der Resilienz? In Wirklichkeit ist es beruhigenderweise komplizierter. Zwar legen Untersuchungen nahe, dass die Zunahme positiver Emotionen hilfreich ist, um besser mit Krisen umzugehen. Auch das eigene Leben wird dadurch verlängert. Dafür müssen negative Gedanken jedoch nicht ignoriert werden. Ein umfassende Gedankenhygiene ist also nicht notwendig. Es geht nicht um eine stoische Umdeutung vom Negativen ins Positive, sondern um ein Ausschöpfen der ganzen emotionalen Bandbreite im Sinne von: „Es ärgert mich, dass wir dauerhaft unterbesetzt sind, dadurch wächst das Team aber auch enger zusammen.“

Durch die Ergänzung der negativen Sichtweise weitet sich nach der Broaden-and-Build-Theorie nach Barbara Fredrickson unser kreatives Denkfeld (vgl. Hübler, S. 25):

  1. Broaden: Eine positive Stimmung führt zu einer Erweiterung unserer Wahrnehmung. Zudem können positive Emotionen wie Optimismus, Freude, Inspiration, Hoffnung oder Neugier die Folgen negativer Stimmungen aufwiegen. Die veränderte Wahrnehmung verändert unser Denken. Ich gehe kreativer mit Problemen um und bekomme auch einen schärferen Zukunftsblick.
  2. Build: Damit baue ich langfristig Expertenwissen auf, komme mehr in Kontakt mit anderen und werde flexibler im Handeln. Geht es mehr Menschen im Team so, ergeben sich positive Kettenreaktionen.

Wie erreiche ich nun einen solchen positiven Blick für den Umgang in Krisenzeiten:

  • Ich kann meine negativen Sichtweisen mit einer positiven Sichtweise ergänzen.
  • Ich kann über den Sinn hinter einer Belastung nachdenken. Gerade in Krisen zeigt sich bspw. wer wahre Freunde sind.
  • Ich kann zu mir sagen: Egal wie lange die Belastung anhält, irgendwann ist sie zu Ende. Oder aber ich bin so daran gewachsen, dass sie mir nicht mehr als Belastung vorkommt.
  • Ich kann zu mir sagen: Die Belastung betrifft nur einen Teilaspekt meiner Person und meines Lebens.
  • Ich kann zu mir sagen: Manche Dinge passieren, auf die ich selbst keinen Einfluss habe. Jetzt gilt es, diese unverschuldete Belastung auszuhalten.

Literatur:

Greogor Hasler – Resilenz: Der Wir-Faktor

Michael Hübler – Mit positiver Führung die Mitarbeiterbindung fördern