Schlagwort-Archive: Digitalisierung

Warum Sprachgenauigkeit in der Digitalisierung wichtig ist

Bild von pikisuperstar auf Freepik

Das mediale Schwarz-Weiß-Denken hat Folgen

In vielen Bereichen achten wir mittlerweile auf eine sehr genaue Sprache, bspw. wenn es um Gender-Themen, den Umgang mit Minderheiten oder Migration geht. Der Mensch ist dann zuallererst Mensch und hat eben zusätzlich noch ein Handicap oder kommt aus einem anderen Land. Soweit so fortschrittlich.

In anderen Bereichen hat sich jedoch offensichtlich ein mediales Schwarz-Weiß-Denken durchgesetzt, das Konflikte neu anheizt. In der Coronazeit wurde viel von Coronaleugnern berichtet. Dabei tauchte diese Gruppe in meinem Umfeld so gut wie nicht auf. Und ich lerne sowohl als Trainer als auch privat sehr viele Menschen kennen. Ich persönlich kenne auch keinen Zero-Covid-Befürworter. Stattdessen gab es aus meiner Sicht vor allem Menschen, die das Virus als real ansahen, aber einige Maßnahmen als überzogen kritisierten. Nennen wir sie Maßnahmenkritiker, die es in den unterschiedlichsten Facetten gab. Alleine die Nutzung von Masken eröffnete eine riesige Bandbreite an unterschiedlichen Meinungen, von Maske auf dem Fahrrad durch Wald und Wiese, über Maske in Innenräumen ja, außen jedoch nicht, bis hin zu „Maske bringt nichts“. Ich kenne sogar Maskenverweigerer, die jedoch keine Coronaleugner sind. Und ja, es gibt komplette Impfgegner, es gibt aber auch Impfskeptiker. Es gibt sogar Menschen, die sich impfen ließen und der Impfung dennoch skeptisch gegenüber stehen. Diese kurz angerissenen Beispiele sollen zur Verdeutlichung der Komplexität genügen, da in den letzten Jahren schon genug darüber geschrieben wurde.

Aktuell geht es mit dem russischen Angriffskrieg weiter. Bereits der Begriff der Ukraine-Krise ist unscharf, da er zu sehr die Ukraine betont und den Aggressor ausblendet. Auch mit einer solchen Begrifflichkeit werden über unsere Wahrnehmung Wahrheiten geschaffen, genauso wie mit einer gender-, migrations- oder behindertenfreundlichen Sprache. Oder nennen wir sie schlicht eine menschenfreundliche Sprache. Wir sollten also viel mehr „sagen, was ist“ und weniger Abkürzungen nehmen.

Auf der anderen Seite scheint sich das Schema aus den letzten drei Jahren zu wiederholen. Was während Corona Coronaleugner waren sind jetzt Putin-Versteher. Und in großen Teilen sind tatsächlich ähnliche Gruppierungen gemeint. Die große Gemeinsamkeit besteht jedoch offensichtlich in einer grundsätzlich kritischen Haltung dem Staat und seinen Maßnahmen gegenüber, die früher nicht so vehement geäußert wurden oder vielleicht auch nicht bestanden. Es geht also weder um Corona noch um Putin, sondern um den Staat und seine Vorgehensweise. Da Politik nicht mein Hauptgebiet ist, geht es mir hier nicht um politische Lösungen, sondern um die Sprache bzw. allgemeiner die Kommunikation.

Die Digitalisierung erfordert mehr Empathie und mehr Sprachkompetenz

Dass Medien so funktionieren liegt in der Natur der Sache. Die Maxime „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ gab es wohl schon immer, wurde in der digitalen Medienwelt lediglich extremer. Schließlich führt die digitale Globalisierung auch bei den Medien zu einem enormen Konkurrenzdruck. Leider prägt diese Denkweise unser aller Wahrnehmung und damit ebenso unsere Berufswelt, was sich auch in manchen Diskussionen auf Xing oder Linkedin verfolgen lässt. Um daraus folgende Konflikte zu vermeiden, lassen sich v.a. zwei persönliche Kompetenzen entgegen setzen: Empathie und Sprachkompetenz.

Je digitaler wir unterwegs sind, desto wichtiger wird unsere Sprachkompetenz, weil wir in einer Zusammenarbeit auf Distanz Nonverbales und Ungesagtes selbständig ergänzen müssen und daher lernen sollten, klarer zu kommunizieren. Wir brauchen daher auf der einen Seite wesentlich mehr Empathie als früher und sicherlich auch eine gute Portion Wohlwollen. Damit wird der kategorische Nörgler zu einem Menschen mit einer kritischen Haltung. Der Jammerer wir zu einem Menschen mit einer erhöhten Sensibilität. Und die Dominante wird zu einer Person mit einem starken Auftreten (ein interessantes Fallbeispiel, siehe hier).

Auf der anderen Seite brauchen wir eine genauere Sprache, die jedoch nicht nur von unserem Wortschatz abhängt, sondern zum einen von der Fähigkeit, vorwegzunehmen, wie meine Worte bei meinem Gegenüber ankommen. Zum anderen sollte ich genau wissen, was ich in der Kommunikation erreichen will. Dazu ist es hilfreich sich selbst und seine Bedürfnisse und Erwartungen gut zu kennen, ohne davon auszugehen, dass sich das erst nach und nach im Rahmen gemeinsamer Feedbackprozesse klärt. Erwartungen sollten daher so geäußert werden, dass sie genau so ankommen, wie sie gemeint sind, ohne die Möglichkeit zur Nachbesserung zu haben. Ich muss sozusagen immer davon ausgehen, dass ich nur eine Chance habe, um das mitzuteilen, was mir wirklich wichtig ist.

Nehmen wir zur Verdeutlichung ein banales Beispiel: Zwei Mitarbeiter arbeiten eng zusammen – auch auf Distanz. Mitarbeiter A schreibt an Mitarbeiter B „Wir sollten reden“. Um zu klären, wie diese schwammige Aussage bei B ankommt, gibt es seit gefühlten Uhrzeiten das Modell des 4-öhrigen Empfängers:

  • Neben der Sachinformation könnte B die Nachricht als Befehl auffassen: Ruf mich an!
  • Oder als Beziehungsaussage: Wir sind ein Team und sollten uns mal wieder austauschen. Oder auch: Ich bestimme, dass du mich anrufst, weil ich höher stehe als du.
  • Oder als Ich-Aussage von A: Ich komme nicht weiter. Ruf mich bitte an.

In Präsenz ist eine solche Aussage schnell geklärt. Auf Distanz hängt es von der Geschichte zwischen A und B ab, ob sich daraus ein Drama entwickelt oder nicht. Ist die Geschichte negativ, wird sich B denken: Der kann mich mal, soll er doch selber anrufen, wenn er was von mir braucht. Mir geht es gut. Mit einer möglichst klaren Nachricht wäre das nicht passiert.

Was lernen wir daraus?

Die Konzepte für eine gelungene Kommunikation sind vorhanden. Das 4-Ohren-Modell ist hier nur ein kleiner, bekannter Ausschnitt daraus. Meist werden diese jedoch „nur“ an Führungskräfte vermittelt. Wünschenswert wäre es also, allen Mitarbeiter*innen Kommunikationstrainings nahezulegen, so wie früher zum Thema Zeitmanagement. Mittlerweile werden viele Kommunikationskonzepte bereits in der Schule vermittelt. Eine Auffrischung kann vermutlich dennoch nicht schaden.

Der gekränkte Mensch der Moderne: Pandemie, Umwelt, KI und die eigene Biographie

Bild von redgreystock auf Freepik

(Der folgende Text findet sich ausführlicher in meinem eBook „Du bist nicht schuld“ als Kindle-Version auf Amazon, wurde jedoch an manchen Stellen aktualisiert.)

Warum kochen bei vielen Menschen die Emotionen bei Themen wie Corona, Atomkraft, Krieg, Gendern, usw. so hoch wie vermutlich noch nie in unserer Geschichte? Dies mag zum einen an der Digitalisierung liegen. Im Internet treffen Filterblasen aufeinander, die ansonsten nichts miteinander zu tun hätten. Zudem sind Diskussionen in digitalen Medien nicht gerade produktiv, sondern eskalationsfördernd. Untersuchen wir jedoch den Ursprung solcher Eskalationen, stoßen wir schnell auf das Phänomen der Kränkung, einen Begriff, mit dem sich auch die Autoren Oliver Nachtwey und Carolin Amringer bei ihrer Untersuchung des Querdenken-Milieus beschäftigen.

Die großen Kränkungen der Menschheit

Kränkungen gibt es nicht erst seit kurzem. Auf der einen Seite gibt es die alltäglichen Kränkungen beispielsweise durch Mobbing am Arbeitsplatz oder die Nichtbeachtung im Falle einer Beförderung. Daneben gibt es jedoch auch die mit großen Umbrüchen und Veränderungen verbundenen Kränkungen der Menschheit oder zumindest großer Teile von Bevölkerungsschichten. Nachdem Sigmund Freud auf drei große, globale Kränkungen hinwies, kommen im Zuge der Digitalisierung und insbesondere dem Einsatz einer KI wie ChatGPT weitere Kränkungen hinzu:1

  • Die erste Kränkung bestand nach Freud darin, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist.
  • Die zweite Kränkung bestand in der Erkenntnis, dass der Mensch vom Affen abstammt und damit nicht die Krone der Schöpfung Gottes ist.
  • Die dritte Kränkung bestand darin, dass es ein Unterbewusstsein gibt und der Mensch weniger Kontrolle über sein Leben hat, als er bislang dachte.
  • Die vierte Kränkung begann in den 50er Jahren mit der Automatisierung der Arbeitswelt. Zwar helfen Maschinen dem Menschen, schwere oder stupide Arbeiten zu erledigen. Dennoch droht damit immer auch die Ersetzbarkeit des Menschen. Und je schneller und genauer unsere Computer werden, desto größer ist die Kränkung.
  • Die fünfte Kränkung schließlich sieht intelligente Computer als dem Menschen ebenbürtig oder sogar überlegen an. Mit Big Data lassen sich in wenigen Sekunden Zukunftsmodelle errechnen, für die der Mensch Jahre bräuchte.2 Und mit ChatGPT könnte es sogar kreativen Berufszweigen an den Kragen gehen.

Emotionen können Algorithmen noch nicht empfinden. Sollte jedoch eines Tages ein Computer dazu fähig sein, genauso spontan und emotional zu reagieren wie ein Mensch, wäre dies die sechste Kränkung. Filmische Visionen davon gibt es bereits. In Alien 4 beispielsweise spielt Winona Ryder eine Androidin, die menschlicher ist als die Menschen um sie herum. Wir sollten uns also darüber freuen, dass ChatGPT aktuell noch eher langweilige, weil rezitierende Ergebnisse liefert.

Natürlich war auch die Pandemie eine einzige große Kränkung. Wer glaubte, das Leben würde immer so weitergehen und wir müssten vor Epidemien wie der Pest keine Angst mehr haben, musste sich eines besseren belehren lassen. Auch der drohende Umweltkollaps, die Energiekrise oder ein Krieg direkt von der eigenen europäischen Haustür lassen sich als Kränkungen bezeichnen. Mutter Erde hat lange gebraucht, um nach jahrhundertelanger Ausbeutung „zurückzuschlagen“. Jetzt ist es wohl soweit. Und nachdem wir jahrzehntelang gut von billigem russischem Gas lebten, hat auch das ein Ende.

Dabei zeigt sich bei großen Menschheitskränkungen, dass nie alle Menschen gleich betroffen sind. Kopernikus war sicherlich nicht gekränkt, sondern die Kirche. Auch Darwin wurde vermutlich nicht durch seine eigenen Studien gekränkt. Wer während Corona ohnehin schon im Homeoffice war, musste sich kaum umstellen. Wer im Norden und nicht gerade am Wasser lebt, könnte den Klimawandel begrüßen. Und wer von Automatisierungen, der Digitalisierung, dem Internet und smarten Algorithmen profitiert, wird sich kaum von der Geschichte übergangen fühlen, sondern diese gesellschaftlichen Veränderungen als Chance betrachten. Wer jedoch bislang sein Geld mit Handarbeit verdiente und nun sieht, dass 2014 alleine der Verkauf von Whats App an Facebook 22 Milliarden Dollar wert war, fragt sich, ob die Welt, in der er sich befindet, noch die seine ist.

Die eigene Biographie als Kränkung

Eine Kränkung verletzt einen Menschen in seiner Ehre, Würde, seinen Gefühlen und seiner Selbstachtung. Sie erschüttert die eigenen Werte, den Selbstwert und Gerechtigkeitssinn. Kränkungen können nur stattfinden, wenn zuvor etwas anderes erwartet wurde. Sie haben immer mit einer Enttäuschung oder sogar einem Schock zu tun.3 Oftmals hängen Kränkungen auch mit einem Vertrauensbruch oder empfundenen Ungerechtigkeiten zusammen.

Wenn wir uns Personen ansehen, die häufig im Kreuzfeuer stehen, lassen sich klare Muster erkennen. Ein Dieter Nuhr war früher bei den Grünen und beobachtet nun, dass sich die einstige Friedenspartei doch ein wenig gewandelt hat. Auch ein Jan Fleischhauer betont, dass er früher politisch Links stand. Dass sich Menschen wandeln, wenn sie älter werden, ist logischerweise normal. Dennoch ist eine subliminale Kränkung nicht auszuschließen. Das gleiche Phänomen beobachte ich selbst auch in meinem Freundeskreis: „In den 80er-Jahren war die Rede vom sauren Regen, der unsere Wälder zerstört. Und jetzt hat sich der Bayerische Wald wieder erholt.“ Zumindest oberflächlich – den unsichtbaren Wassermangel ausgeklammert – scheint es so zu sein, als wäre es nicht so schlimm gekommen wie propagiert.

Anderes Beispiel: „Als Kind habe ich in den 80ern angefangen Müll zu trennen, nur um jetzt – über 30 Jahre später – in der Doku „Die Recyclinglüge“ auf ARD zu sehen, was wirklich mit dem Inhalt des Gelben Sacks passiert. Da fühlt man sich doch ein wenig vera…“.

Um bei diesem einen, drastischen Beispiel zu bleiben: Das jahrelange Recyceln scheint in diesem Fall wenig gebracht zu haben. Damit wird ein Teil der eigenen Überzeugungen entwertet. Gleichzeitig scheint in den letzten Jahrzehnten auf der großen politischen und industriellen Ebene wenig vorangekommen zu sein. Sprich: Wir haben unseren Müll getrennt, aber ansonsten ging es weiter wie gehabt.

Und die aktuelle Kriegsdiskussion folgt einem ähnlichen Schema: Während früher Friedensdemos in einer bestimmten Szene angesehen waren, gelten sie nun als unsolidarisch.

Kein Wunder, dass manche Menschen hier nicht mehr mitkommen und entweder auf die Barrikaden gehen oder sich zynisch von der Politik abwenden.

Vom Umgang mit Kränkungen

Wenn Kränkungen v.a. diejenigen betreffen, die sich etwas anderes erwarteten, ist auch denkbar, dass diejenigen Menschen, die sich in den letzten Jahrzehnten am meisten engagiert haben auch diejenigen sind, die am meisten gekränkt sind.

Bereits diese Erkenntnis könnte uns milder stimmen im Umgang miteinander, insbesondere wenn es um Generationenkonflikte geht. Denn jüngere Generationen konnten logischerweise noch nicht so stark enttäuscht werden wie engagierte, ältere Generationen.

1 Vgl. https://digital-magazin.de/kraenkungen-des-menschen-digitalisierung

2 Vgl. Michael Hübler: New Work (2018), S. 35ff

3 Vgl. www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/praevention/kraenkungen-folgen.html

Prosoziale versus antisoziale Lügen in digitalen Netzwerken

Bild von macrovector auf Freepik

Wofür digitale Plattformen geschaffen wurden – und wofür nicht

Wer beklagt, dass es auf digitalen Plattformen nicht ehrlich zugeht, hat anscheinend das System dieser Plattformen nicht verstanden. Auf beruflichen Plattformen wie Xing oder Linkedin geht es darum, sich von seiner besten Seite zu zeigen. In einem Bewerbungsgespräch würde ich auch nicht sagen: „Was ich noch sagen wollte: Vor ein paar Jahren hatte ich eine depressive Phase. Aber keine Panik, ist ja schon lange her (Zwinkersmiley). Aber im Frühling kann es sein, dass mich meine Pollenallergie für 1-2 Wochen lahm legt. Ich bin dann oft mies gelaunt. Kundenkontakte in der Zeit gehen gar nicht.“

Plattformen wie Linkedin oder Xing sind letztlich nichts anderes als persönliche Dauerwerbesendungen. Das ist freilich nichts Schlimmes. Denn genau dafür wurden sie geschaffen. Ich darf nur nicht erwarten, dass es hier zu 100% ehrlich zugeht.

Das gleiche gilt für private digitale Netzwerke. Auch hier präsentieren sich die Menschen von ihrer Schokoladenseite. Sie zeigen anderen Menschen ihre Stärken, was perfekt in unsere Leistungsgesellschaft passt. Wer also die Instagramisierung der Welt beklagt, müsste gleichzeitig die Leistungsgesellschaft an sich kritisieren. Ich kann jedoch nicht sagen: Leistung finde ich super, aber dass die Menschen da draußen sich als dermaßen perfekt präsentieren, finde ich weniger gut. Zumal solche Vorbilder auch motivierend wirken können.

Aber sollten auf digitalen Plattformen nicht auch Schwächen ihren Platz haben? Ich denke schon. Allerdings würde sich niemand komplett mit seinen Schwächen präsentieren. Denn letztlich geht es darum, auch seine Schwächen bzw. den Umgang damit als Stärke zu präsentieren, im Sinne von: „Das war eine schwierige Zeit, aber wenn ich das geschafft habe, schaffst du es auch.“ Denn auch das – im Sinne einer kleinen Heldenreise – wirkt motivierend.

Grundsätzlich ist der Platz für Probleme eher die Familie oder der Freundeskreis. Im Zuge der Digitalisierung stellt sich jedoch die Frage, inwieweit sich diese Vermischung auch auf den Umgang mit Offenheit auswirkt. Dass es im Zuge der Digitalisierung des Lebens eine Sehnsucht gibt, sich auch im Netz möglichst authentisch zu geben, ist nachvollziehbar. Ob dafür das Internet der richtige Platz ist, ist fraglich, da es Abwägungen, Nuancen, Humor oder ein nonverbales Feedback in digitalen Plattformen schwer haben. Hier regiert die 0 oder 1: Entweder du hast es geschafft oder nicht. Ob dies im Metaverse eines Tages anders sein wird, zeigt uns die Zukunft.

Schwarze und weiße Lügen

Zur Differenzierung der Ehrlichkeit – gerade auf Plattformen – ist die Unterscheidung der Sozialforschung zwischen schwarzen und weißen Lügen hilfreich. Eine schwarze Lüge nimmt bewusst in Kauf, dass ich jemand anderem schaden könnte, während eine weiße Lüge sogar einen prosozialen Effekt haben kann.

Übertragen auf digitale Netzwerke bedeutet das: Wenn ich meine Kompetenzen so übertreibe, dass ich Aufträge bekomme, die mich überfordern und ich damit – in meinem Fall im Rahmen eines Coachings, Trainings oder einer Teamentwicklungsmaßnahme – einem zukünftigen Auftraggeber schaden könnte, ist es eine schwarze Lüge. Der Slogan von „Fake it ‚till you make it“ hat also Grenzen.

Picke ich mir jedoch aus einem vergangenen Training lediglich die Highlights heraus und übertreibe ein wenig, um mich gut darzustellen, handelt es sich um eine weiße Lüge, die letztlich niemandem schaden wird.

Weiße Lügen sollen zudem mein Gegenüber schonen, ihm Unangenehmes ersparen und eine potentielle Beziehung stabilisieren. So wie ich meine Trainings nicht mit dem Satz beginne „Guten Morgen, ich habe gestern Nacht kaum geschlafen. Mal sehen, ob das heute was wird“, selbst wenn es der Fall wäre, muss ich auch im Digitalen nicht alle meine Probleme präsentieren. Gleichzeitig verhindere ich damit eine Verunsicherung der Beziehung. Sind die Stärken später bekannt, lässt sich im 1-zu-1-Gespräch auch über Schwächen reden, so wie am Abendessen mit Seminarteilnehmer*innen auch private Themen ihren Platz haben.

Letztlich lügen wir ohnehin ständig, beispielsweise, wenn wir von einem Kollegen gefragt werden, wie es uns geht und wir keine Lust haben, über Kopf- oder Zahnschmerzen zu sprechen. Auch hier will ich mein Gegenüber nicht mit meinen Problemen behelligen.

Weiße Lügen sind folglich prosozial. Wie sie sich konkret auf andere Menschen auswirken, hat ein Forschungsteams um Gerardo Iñiguez1 unlängst mit Hilfe eines sozialen Netzwerkmodells untersucht. In ihrem Versuch testeten sie, wie stabilisierend oder destabilisierend sich eine Lüge auf andere auswirkt. Ihr Fazit:

  • Schwarze Lügen führen – wenig überraschend – langfristig zu einem Zerfall des Netzwerks, weil antisoziale Lügen letztlich alle Teilnehmer*innen isolieren. Schlechte Nachrichten also für digitale Schaumschläger*innen und Scharlatane. Und gute Nachrichten für diejenigen, die seit Jahren einen guten Job machen und ehrlich darüber berichten – auch wenn sie manchmal ein wenig übertreiben. Aber Klappern gehört nunmal zum Handwerk.
  • Wer jedoch weiße Lügen verbreitet, verliert manche Bindungen im Netz, dafür werden andere umso mehr vertieft. Proziale Lügen führen daher langfristig zu Cliquenbildungen und damit zu einer Sortierung des eigenen Netzwerks. Denn letztlich sind digitale Netzwerke nichts anderes als das moderne Lagerfeuer. Und wer damals erzählte, dass der erlegte Bär einfach gestolpert ist und deshalb der Fang nicht der Rede wert ist, langweilte seine Zuhörer. Wer stattdessen erzählte, dass er den Bär in eine Falle lockte, die er stundenlang ausgeheckt hatte und dieser schließlich nicht anders konnte, als sich darin zu verfangen, hatte ein paar „Follower“ mehr, die zudem etwas daraus lernten: Wenn du einen Bären fangen willst, der dir hoch überlegen ist, brauchst du einen guten Plan und sehr viel Vorbereitung.

1https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/warum-weisse-luegen-nuetzlich-sind

Jenseits des Materialismus

Durch die Digitalisierung nimmt die Bedeutung des Materiellen in unserem alltäglichen Berufsleben immer mehr ab. Viele haben bereits jetzt keinen Anspruch mehr auf einen konkreten, räumlich definierbaren Arbeitsplatz. Damit sind auch die Fotos der eigenen Familie oder Urlaubsbilder auf dem Schreibtisch als „Reviermarkierungen“ dahin. Und auch die klaren Strukturen der Arbeitszeit – alldieweil auf Stempelkarten festgehalten – lös(t)en sich auf. Im Homeoffice kann jede Information jederzeit aus der Cloud geholt werden. E-Akten, Messengerdienste und Chatrooms sei Dank. Der arbeitende Mensch ist damit weder an einen bestimmten Ort noch an eine bestimmte Zeit gebunden. So weit, so bekannt. Doch was bedeutet das für den Menschen?

Zuerst einmal lässt sich konstatieren, dass klare Strukturen Sicherheit bieten. Fällt diese weg, braucht es neue Sicherheiten. Um dies zu erreichen und den Mitarbeiter*innen eine neue Stabilität zu geben ist vieles denkbar:

  • Skalierungen: Manche Unternehmen hängen sich erst recht an das Zählbare, bspw. wenn sie Agilität skalieren oder Balanced Scorecards eine Renaissance erfahren. Dies kann helfen, um zumindest ein wenig Sicherheit in einer wechselhaften und zuweilen chaotischen Zeit zurückzuerlangen. Dies kann jedoch nur ein Teil der Lösung sein. Oder ein Zwischenschritt, je nachdem, wo eine Organisation gerade steht.
  • Spiritualität und Werte: Die Abkehr vom Materialismus könnte auch ins Spirituelle gehen. Wer nichts mehr greifen kann, sollte lernen zu begreifen oder zu glauben. Auf Betriebsebene lässt sich bspw. an eine Firmenphilosophie glauben, an Werte oder Visionen. Kein Wunder, dass in unserer Zeit Wertehaltungen wie Diversität, Inklusion, Umweltfreundlichkeit oder jede Form der Solidarität einen solchen Boom erfahren.
  • Teambindung mit Vertrauen und Transparenz: Da Visionen, Leitbilder und Werte als „spiritueller“ Leitstern meist weit weg sind, braucht es im Arbeitsalltag direkter spürbare Wege, den Wegfall des Materiellen zu ersetzen. Dies kann durch menschliche Haltungen im Miteinander erfolgen. Das gegenseitige Vertrauen im Miteinander ist sozusagen der unsichtbare Kitt, der ein Team zusammenhält. Erreicht wird er u.a. durch einen respektvollen, neugierigen, interessierten, dankbaren und wohlwollenden Umgang miteinander. Anders formuliert: In einer postmateriellen Welt weiß ich zwar nicht mehr, wo und an was mein Kollege gerade konkret arbeitet, ich vertraue jedoch darauf, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Auf dem Weg zu diesem Vertrauen, das mancherorts auch als naiv bezeichnet wird, ist es hilfreich, viel mehr als früher transparent zu machen und ebenso viel mehr miteinander zu kommunzieren, insbesondere gegenseitige Erwartungen auszusprechen und zu klären. Denn Vertrauen ist vielleicht bei guten Freunden, in der eigenen Familie und in eng zusammenarbeitenden Teams vorhanden, nicht jedoch bei losen Geschäftspartner*innen. Eine gute Bindung im Team setzt daher immer voraus, sich empathisch die Frage zu stellen: Was könnte mein Gegenüber von mir an Informationen brauchen, um Vertrauen in mich zu haben?

Mehr zum Thema Teambildung:

Oder hier:

Digitaler Teambildungs-Turbo

Emotionales Onboarding

Neulich verliebte ich mich spontan in eine kreative und spannende Onboardingmethode. Stellen Sie sich vor, Sie kommen neu in ein Team und das erste, was Sie auf Ihrem Schreibtisch vorfinden sind Symbole Ihrer Teamkolleg*innen: Ein Quietsche-Entchen, ein Familienbild, ein Brieföffner, ein Lip-Gloss, ein Urlaubsbild, usw. Sie wissen jedoch nicht, von wem diese Symbole stammen. Ihre Aufgabe besteht nun darin, herauszufinden, von wem welches Symbol stammt. Also raten Sie, stellen Fragen, usw.

Als Team können Sie einen solchen Onboarding-Prozess vielfältig gestalten und abwandeln:

  • Der oder die Neue darf ledlich drei Fragen stellen.
  • Er oder sie hat eine Woche Zeit, um die Kolleg*innen zu beobachten.
  • Er oder sie darf direkte Fragen stellen oder die Kolleg*innen indirekt ausfragen.
  • Hat die oder der Neue die Zuordnung herausgefunden, werden die Geschichten hinter den Symbolen über das Lieblingsurlaubsland, trockene Lippen oder den Brieföffner als Erbstück vom Großvater ausgetauscht.

Vom Onboarding zur Teambildung

Diese Idee lässt sich auch als Teambildungsmethode nutzen. Natürlich ist es am spannendsten, wenn die oder der Neue die anderen im Team noch nicht kennt. Wenn ich jedoch in meinen Seminaren Symbole (Autos, Leuchtturm, Kreisel, Stehaufmännchen, …) zur Teambildung einsetze, stellt sich oft heraus, das manche erstaunt sind über die Auswahl der Kolleg*innen.

Digitale Nutzung

Wie kann ich nun Symbole digital nutzen? Als Teamleitung können Sie Ihr Team bitten, ein Foto von einem Symbol (Tier, Objekt, etc.) zu machen, sofern es noch keines gibt und dieses an Sie zu schicken. Anschließend schicken Sie alle Symbole im Rahmen eines Onboarding-Prozesses an eine Person oder allgemein zur Teambildung abzüglich des eigenen Bildes an alle anderen weiter. Daraufhin beginnt das große Raten. Beispielsweise könnte vor jeder Teamsitzung eine Person erraten werden: „Heute ist Frau Hornschuh dran. Wer glaubt, sie hat die Ente ausgewählt? Oder das Stehaufmännchen? Oder den Leuchtturm? …“ Das ganze kann als Einzelwahl ablaufen, indem jeder seinen Tipp intippt und erst auf das Kommando der Teamleitung auf Return drückt. Frau Hornschuh löst das Rätsel anschließend auf und erzählt eine kurze Geschichte zu ihrem Symbol.

Viel Spaß damit.