Archiv der Kategorie: Mediation

Corona aufarbeiten

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Puhhh! Muss das sein? Nachdem wir jahrelang mit diesem Solo-Thema beschallt wurden. Kann es überhaupt noch jemand hören?

Die einen wollen am liebsten verdrängen, was dieses „Damals, das noch nicht so lange her ist“ passierte: Ausgangsperren, Passierscheine, Reichweitenbeschränkung, Testpflicht, Abstandspflicht, maximal Ghettofaust, 3G, 2G, Impfpflicht-Diskussionen, Auftrittsverbote, Demonstrationen, Reichtagsdrama, Geschäfts- und Schulschließungen und eine ganze Menge zwischenmenschliche Verwerfungen. Augen zu und Schwamm drüber, auf dass so etwas nie wieder passiert.

Die andere Seite bringt ein Buch nach dem anderen auf den Markt, in der Hoffnung, dass die erfahrenen Kränkungen endlich jemand wahrnimmt. Und ein Buch nach dem anderen landet tatsächlich auf den Spiegelbestsellerlisten. Dennoch ist das Thema immer noch ein Tabu. In unserer Gesellschaft ebenso wie am Arbeitsplatz.

Neulich in einem Führungsseminar, eine Stunde vor Seminarende, platzt es aus einer Führungskraft heraus. Es ging um das Thema Bindung von Mitarbeiter*innen: „Was da passierte, war Wahnsinn. In meiner Abteilung gab es eine ungeimpfte Person, die von allen anderen gemobbt wurde. Ich stellte mich damals vor diese Person und sie ist mir heute noch dankbar. Egal welchen Auftrag ich ihr gebe, und sei er auch noch so schwierig, kein Gemecker, nichts, nur Loyalität.“

Daraufhin diskutierten wir eine ¾-Stunde, was damals passierte. Es gab, wie damals auch, die üblichen verschiedenen Meinungen, die ich an dieser Stelle nur anreißen will, weil wir die Diskussionen zu Genüge kennen: Impfen als Schutz und Solidaritätsleistung, Verschwörungstheorien bis zum Verfolgungswahn, die Angst vor einem übergriffigen Staat, der Paternalismus bei Testungen erwachsener Menschen, usw.

Tatsächlich sind wir auch nicht mehr in der Not, über den Sinn und Unsinn von Maßnahmen oder die Notwendigkeit einer Impfung zu diskutieren. Der Druck ist aus dem Kessel. Doch der Deckel ist immer noch auf dem Topf. Das Wasser im Kessel kocht nicht mehr. Aber es ist immer noch heiß. Und sobald ein neues, heikles Thema aufkommt, ist das Pfeifen wieder zu hören: der Russlandfeldzug, das Drama zwischen Israel und Palästina, der Klimawandel, usw. Und mitten drin der Rechtsruck. Corona ist nicht vorbei. Es bekam nur neue Namen. Und solange dieser Elefant im Raum nicht aufgearbeitet wird, bleibt der Spalt in unserer Gesellschaft bestehen.

Dass nun Planungen im Raum stehen, das Thema politisch aufzuarbeiten, ist die eine Seite. Doch was passiert in unserer Zivilgesellschaft, in Unternehmen, Organisationen, dem öffentlichen Dienst oder Ehrenämtern?

Wir diskutierten also eine ¾-Stunde lang darüber, ob und wie das Thema auch am Arbeitsplatz noch einmal angesprochen werden sollte. Zugegeben: Keine leichte Aufgabe für Führungskräfte. Nochmal ein großes Fass aufmachen will niemand. Und was passiert, wenn die Diskussionen entgleiten? Führungskräfte sind schließlich keine Mediator*innen. Und vielleicht wollen auch die Ungeimpften das Thema nicht mehr groß ansprechen. Einzelgespräche gehen jedoch immer: „Wie ging es dir damals? Und wie geht es dir heute im Team?“

Von Sigmund Freud kennen wir das Phänomen der Aggressionsverschiebung: Wenn ich meinen Ärger dort, wo er eigentlich hin gehört, nicht anbringen kann, lebe ich ihn an einem anderen Ort aus. Wer sich folglich in der Arbeit mit niemandem austauschen konnte und das auch heute noch nicht kann, sucht sich andere reale oder virtuelle Gruppen. Langfristig gesund für unsere Gesellschaft ist das nicht.

Daher mein Appell an Führungskräfte: Haben Sie den Mut, dieses Thema noch einmal anzugehen. Die besagten Mitarbeiter*innen – sofern sie überhaupt noch da sind – werden es ihnen mit Sicherheit danken, selbst wenn es „nur“ ein Gesprächsangebot ist.

Das Leben als Tragödie oder Komödie – eine Frage des Mindsets

Wer eine allzu idealistische Sichtweise im Leben verfolgt, ist oft nahe dran an einer Tragödie: „Alles könnte wunderbar sein, wenn es nur nicht so schlimm wäre. Ich könnte eine perfekte Arbeit leisten, wenn mein Team vollständig wäre. Ich könnte besser führen, wenn meine Mitarbeiter*innen motivierter wären. Ich würde mit dem Projekt rechtzeitig fertig werden, wenn ich genügend Ressourcen hätte.“

Einem Ideal zu folgen ist ehrenhaft und löblich, doch leider oft wahnsinnig frustrierend, weil es in der Wirklichkeit immer anders läuft als in der Theorie. Sich an Idealen zu orientieren ist sinnvoll, um die Welt zu verändern. Daran festzuhalten endet jedoch häufig tragisch. Es macht die Menschen uneinsichtig, wütend und bisweilen sogar handlungsunfähig: „Wenn ich meine Ideale nicht erreiche, mache ich lieber gar nichts. Dann kann mir wenigstens niemand vorwerfen, ich hätte mich verkauft.“ Wenn das keine Tragödie ist?

Tatsächlich wirken Idealisten oft verbissen. Sich mit weniger als dem eigenen Ideal zufrieden zu geben, fällt manchen Menschen offensichtlich schwer. In meinen Führungstrainings kommen ab und an Fälle zur Sprache, in denen Mitarbeiter*innen entweder befördert werden oder – je nach Option – kündigen oder nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Dass diese Menschen Idealisten sind, scheint auf den ersten Blick nicht offensichtlich. Das Unvermögen, sich mit Realitäten zu arrangieren ist jedoch klassisch für extreme Idealist*innen.

Komödiant*innen arbeiten mit Umständen, die so sind, wie sie sind: Wenn du auf einer Bananenschale ausrutscht, mach’ wenigstens eine gute Figur. Zum Lachen ist es so oder so. Siegen müssen wir wohl kaum lernen. Besser wäre es zu lernen, wie wir mit Humor und Würde wieder aufstehen. Wenn also ein Kollege kündigt, eine Kollegin schwanger wird, eine Krankheitswelle um sich greift oder ein Kunde abspringt, könnten wir dies als Tragödie betrachten oder als Komödie, indem wir unsere idealistischen Ziele über Bord werfen und auf Improvisation umschalten. Komödiant*innen lachen, wenn es bereits nichts mehr zu lachen gibt.

Tragödien werden durch die Hegelsche Maxime der Bestimmung des Seins durch das Bewusstsein bestimmt: Wenn Sie als Führungskraft nur intensiv genug daran arbeiten, ein System zu verändern, wird langfristig alles gut. Dass es jedoch in jedem System eine Menge Gegenspieler*innen gibt, die anderer Meinung sind, macht die Sache kompliziert.

Komödien werden durch die Marxsche Maxime der Bestimmung des Bewusstseins durch das Sein bestimmt: Systeme lassen sich nur mühsam verändern. Machen wir das Beste daraus. Das bedeutet nicht – Marx würde sich ansonsten im Grab umdrehen – nicht zu kämpfen. Auf der Basis der Realisierung eines Systems kann immer noch verhandelt werden. Allerdings Schritt für Schritt.

In der Realität brauchen Sie freilich ein wenig von beidem:

  • Idealistische Ziele helfen dabei, die Welt zu verbessern. Wir sollten es jedoch nicht übertreiben, weil ansonsten die Gefahr besteht, die Gegenseite zu einem trotzigen, noch opponenterem Verhalten zu animieren. Ideale sind Orientierungen, die in der Realität vermutlich niemals zu 100% umsetzbar sind. Wäre das der Fall, hieße das Ergebnis Diktatur.
  • Materialistische Vorgehensweisen helfen Ihnen dabei, das Beste aus einer schwer veränderbaren Welt zu machen, um nicht verrückt zu werden. Systemische Bedingungen, insbesondere andere Meinungen werden als gegeben akzeptiert, um gemeinsam iterativ in Verhandlungsprozesse zu gehen.

Verkürzt lässt sich also festhalten:

  • Idealist*innen nehmen sich selbst ernst. Tragische Idealisten nehmen sich zu ernst.
  • Materialist*innen nehmen die Welt ernst. Komödiantische Materialist*innen lassen sich dennoch ein Lachen darüber nicht nehmen.

Dabei könnte es durchaus passieren, dass Systeme tatsächlich verändert werden, wenn wir sie nicht allzu ernst nehmen. Kein Wunder, dass Diktatoren vor Humoristen am meisten Angst haben.

Wie also blicken Sie auf die Welt? Eher als Tragödie oder als Komödie? Wie ernst müssen Sie sein, um ernst genommen zu werden? Und wie viel Humor verträgt das System, in dem Sie arbeiten?

Siehe auch: Auswirkungen von Idealismus versus Materialismus auf Seminare

Quellen:

https://www.derstandard.at/story/2000010210241/lachen-ist-opposition (externer Link)

Robert Pfaller: Wofür es sich zu leben lohnt. Fischer Verlag

Feedback als Heißgetränk

Als ich vorgestern in den Seminarpausen vor einem Kaffeeautomaten stand, kam mir die Idee, dass die verschiedenen Möglichkeiten eines Heißgetränks eine passende Metapher dafür sind, wie jemand gerne Rückmeldungen bekommt. Immerhin gibt uns auch Koffein einen Schub im Alltag:

  • Cafe schwarz: Sag’s mir direkt und ohne Schnörkel.
  • Cafe creme: Feedback ist OK, aber ein wenig Lob wäre auch schön.
  • Cappuccino: Zu einem guten Feedback gehört auch viel Lob.
  • Espresso: Fass dich kurz.
  • Kakao: Ich brauche viel Lob.
  • Heißes Wasser: Gib mir eine Rückmeldung. Aber ich wähle selber aus, was ich damit mache (Schwarztee, Grüntee, …).

Die Grundregel könnte lauten: Je bitterer, desto kritischer und je süßer, desto positiver.

Faule Gen Z versus verantwortungslose Boomer

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Ich wurde dieses Jahr schon locker 3 mal gefragt, ob ich „Irgendwas zum Thema Generation Z“ mache. Warum ticken die so? Warum sind die so unmotiviert? Wollen die überhaupt noch arbeiten?

Ich kann die Führungskräfte ja verstehen. Auf der einen Seite der Personalmangel und auf der anderen Seite Bewerber*innen, die schon zum Vorstellungsgespräch in zerrissenen Pullovern auftauchen. Auch wenn meine jüngere Tochter meint, das wäre keine Respektlosigkeit, sondern Style, ist es wohl schwierig das Verhalten junger Menschen zu deuten, wenn man aus einer anderen Ära kommt.

Dennoch lehne ich jedesmal dankend ab. Weil ich weiß, wie das abläuft. Die Erwartungshaltungen sind in etwa so hoch wie die Bereitschaft das eigene Verhalten und die eigenen Strukturen kritisch zu hinterfragen. Weil die Generationenfrage oft noch mehr Öl ins Feuer gießt. Weil die Signalwirkung seltsam ist: „Wir sprechen in einem Seminar über eine ganze Geneneration“. Was wäre, wenn es auch ein Seminar für junge Mitarbeiter*innen gäbe mit dem Titel „Zum Umgang mit Boomer-Führungsräften“?

Zudem waren Generationen immer schon unterschiedlich. Hätten Führungskräfte früher einen Menschen mit kaputtem Pullover vor sich gehabt, wäre das Bewerbungsgespräch in den meisten Fällen sehr kurz ausgefallen. Heute jedoch haben wir Personalmangel. Früher gab es jedoch kein Tiktok. Ich bin mir sicher, dass es zu jeder Zeit Menschen gab, die beim Gedanken an einen Vollzeitjob mental kurz vor einem Burn-out standen. Die machten jedoch kein Video darüber.

Natürlich sieht die junge Generation die Welt anders als ältere Generationen. Sie wurde schließlich anders geprägt. Wäre es nicht seltsam, wenn all die Umweltkatastrophen, die Unbezahlbarkeit eines Hausbaus, Carsharing, Corona, usw. junge Menschen nicht prägen würde? Von der Digitalisierung ganz zu schweigen. Prägungen gab es jedoch schon immer. Daraus ein eigenes Seminar zu machen, halte ich für übertrieben. Wie wäre es stattdessen mit einer offenen Dialog-Runde? Miteinander statt übereinander reden.

Oder aber Unternehmen und Führungskräfte reflektieren über eine gute Führung, Mitsprachemöglichkeiten und flachere Strukturen. Denn das ist letztlich genau das, was junge Menschen wollen: Gefragt und ernst genommen werden. Aber auch das war schon immer so. Nur dass junge Menschen im Unterschied zu früher weniger laut waren.

Was uns der aktuelle Streik der Bahn über die Prinzipen von Macht und Ohnmacht lehrt

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Gemäß dem Machtraummodell aus dem ATCC-Ansatz (approches et transformation constructives des conflits1) gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Macht und Gewalt. Oder wie es Hannah Arendt formulierte: Wer Macht hat, muss keine Gewalt anwenden.

Gewalt ist gleichzusetzen mit einem Zwang gegen den Willen meines Gegenübers. Diese Gewalt erfolgt jedoch aus der Ohnmacht, sich nicht auf einem guten Weg durchsetzen zu können. Habe ich Macht im Sinne eines guten Einflusses auf mein Gegenüber, muss ich diesen Zwang nicht einsetzen, weil mein Gegenüber mir auch so folgt. Macht und Autorität habe ich, …

  • … wenn ich über Befugnisse und Mittel verfüge, meine Macht durchzusetzen, evtl. sogar mittels Sanktionen, ohne diese wirklich anwenden zu müssen.
  • … wenn ich mehr Erfahrungen, Wissen, Kompetenzen, Kontakte, Mut, Verhandlungskompetenz, Leidensbereitschaft, Konfliktfähigkeit und Autorität als andere verfüge, um Verantwortungen für etwas zu übernehmen.
  • … wenn mir aufgrund meines Alters oder meiner längeren Zugehörigkeit in einer Gruppe Macht zugesprochen wird.
  • Oder wenn andere zu bequem sind, um selbst Verantwortung zu übernehmen.

Macht ist in diesem Kontext jedoch immer ein Aushandlungsprozess. Entweder mir wird die Macht bzw. Verantwortung aufgrund meiner vorherigen Leistungen oder meines Auftretens zugesprochen. Oder ich muss in den Dialog gehen, um mein Gegenüber von meinen Leistungen und durch mein Auftreten zu überzeugen, sofern ich das möchte.

Das Schweigen bricht diesen Dialog der Verhandlung. Wir erkennen das Phänomen der Machtverschiebung sehr deutlich an der aktuellen Debatte um die Bahnstreiks (März 2024). Wenn Claus Weselsky das Angebot der Bahn ausschlägt und weitere Streiks ankündigt, gleicht dies einem strafenden Schweigen. Es wird nicht mehr verhandelt, also gesprochen, sondern schweigend gehandelt. Der Dialog wird abgebrochen. Nur im Dialog ließen sich die beidseiten Verantwortlichkeiten und Pflichten klären. Das Schweigen jedoch wirkt nur einseitig. Die Bahn wiederum versuchte durch den Zwang eines Gerichtsurteils den aktuellen Streik zu verhindern, was misslang. Die Basis, um einen Dialog wieder aufzunehmen wäre das gegenseitige Vertrauen. Doch offensichtlich ist dieses seit der Affaire um die Boni der Bahnvorstände nachhaltig geschädigt.2 Die gestiegenen Boni der Vorstände erscheinen im Angesicht maroder und dauerhaft verspäteter Züge und einem unzufriedenen Personal (dass die Stimmung nicht noch schlechter wurde, wurde positiv gedeutet) als willkürlich betrachtet. Vor diesem Hintergrund könnten selbst gut gemeinte Angebote und „Geschenke“ im Rahmen von Verhandlungen als Manipulation betrachtet werden.

Findet dieser Dialog nicht statt, könnte der Konflikt eskalieren, indem eine oder beide Parteien von der Ohnmacht in die Allmacht fliehen.

Typische Symptome für Allmachtsgefühle sind Abschottungen: „Wir gegen den Rest der Welt!“ Ein Empfinden, das aktuell gut auf die GDL passen könnte: „Egal, was die anderen denken. Wir ziehen unser Ding durch.“ Einflüsse oder berechtigte Einwände von außen werden nicht nur ignoriert, sondern schweißen eine eingeschworene Gruppe nur noch mehr zusammen. Dies führt schlimmstenfalls zu einem sektenähnlichen Gefüge.

Durch die Verweigerung eines Dialogs einerseits und den Streik andererseits tritt ferner Kontrolle an die Stelle des Vertrauens: “Wir kontrollieren durch unser Verhalten euer Verhalten.”

Und schließlich könnten sogar höhere Mächte im Spiel sein, wenn Claus Weselsky sich als Auserwählter betrachtet, um seiner Gewerkschaft einen letzten Dienst zu erweisen, bevor er in Rente geht.

Man könnte folglich sagen: Die Gewerkschaft der Lokführer*innen verweigert den Dialog im Sinne von „es ist alles gesagt, nun wird gehandelt“, während der Fehler der Bahnvorstände bereits im Vorfeld durch die Boni passierte. Erst in einer Mediation lassen sich diese beiden Ebenen zusammenbringen.

  1. https://atcc-konfliktbearbeitung.de
    ↩︎
  2. https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/bahn-vorstand-bonus-104.html ↩︎