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Wie sollte eine Dienstvereinbarung zum Thema Homeoffice aussehen?

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Die Zeit des Ausprobierens von Homeoffice ist in vielen Unternehmen und öffentlichen Institutionen, für die ich tätig bin, vorbei. Nun gilt es, die Erfahrungen der letzten Jahre in Dienstvereinbarungen festzuschreiben. Dies schafft einen sicheren Rahmen v.a. für Führungskräfte, die sich im Versuch-und-Irrtum-Verfahren eigene Regeln erarbeitet haben und sich ab und an die Frage stellen, ob sie richtig liegen und welche Argumente sie in der Hand haben, Mitarbeiter*innen kein Homeoffice zu erlauben bzw. den Homeoffice-Status wieder zu entziehen.

Ziele der Dienstvereinbarung

Als erstes ist es sinnvoll, sich der Ziele von Homeoffice bzw. einer Dienstvereinbarung dazu bewusst zu werden:

  • Geht es darum, die Attraktivität des Arbeitsplatzes gegenüber der Konkurrenz zu erhöhen, individuelle Wünsche der Arbeitnehmer*innen zu erfüllen und eine gelingende Work Life Balance zu ermöglichen?
  • Auf der anderen Seite sollte es auch darum gehen, den Dienstbetrieb und die Qualität der Arbeitsleistung aufrecht zu erhalten.
  • Und schließlich ist darauf zu achten, dass der analoge Austausch untereinander wesentlich zu einem positiven Arbeitsklima, zur Motivation der Mitarbeiter*innen, zur Bindung an das Unternehmen und zur Vermeidung bzw. Klärung von Konflikten beiträgt.

Grundsätzliche Rahmenbedingungen zur Bewilligung von Homeoffice

Auf der Grundlage der Ziele sollten Rahmenbedingungen klar abgesteckt werden: Wie viel Zeit darf maximal im Homeoffice verbracht werden, um die oben genannten Ziele zu erfüllen bzw. nicht zu verhindern? Meist handelt es sich um eine prozentuale Orientierung, wenn Mitarbeiter*innen bspw. maximal 70% im Homeoffice verbringen können, sofern nichts dagegen spricht, und minimal einen Tag pro Woche in Präsenz sein sollen. Hier sind zwar dann Führungskräfte in der Begründungspflicht. Die Dienstvereinbarung hilft jedoch dabei, wenn es um folgende Faktoren geht, die gegen Homeoffice sprechen:

  • Aufgabe: Lässt sich die Aufgabe von zuhause aus genauso erledigen wie vor Ort? Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Ich gebe u.a. Seminare für das Bayerische Landeskriminalamt. Aber auch in anderen Institutionen und Unternehmen wird mit besonders heiklen Daten operiert, die eine sorglose Arbeit im Homeoffice erschweren.
  • Gruppendynamik: Erfordert eine qualitativ hochwertige Leistung kreative Austauschprozesse im Team, die nicht ohne weiteres auf Distanz genauso gut funktionieren wie in vor Ort inklusive der Dynamik körpersprachlicher und sprachlicher Feedbackprozesse? Manche Teamarbeiten erfordern zusätzlich eine hohe Agilität und Spontaneität. Was passiert bspw., wenn ein Kunde eine schnelle Anpassung eines Produkts erwartet und die Führungskraft dazu erst einmal die Teammitglieder aus dem Homeoffice zusammen trommeln muss? Eine unklare „rechtliche“ Situation in punkto Homeoffice könnte Führungskräfte hier schnell zu Bittsteller*innen machen.
  • Persönliche Kompetenzen: Sind die Mitarbeiter*innen loyal, gebunden und gut genug strukturiert, um sie mit gutem Gewissen ins Homeoffice zu entlassen?
  • Arbeitsplatzsituation zuhause: Ist der Arbeitsplatz zuhause homeofficetauglich? Wie sieht es mit der familiären Situation aus (Stichwort: Kleine Kinder)? Wie sieht es mit arbeitsschutzrechtlichen Bedingungen aus? Soll der Arbeitsplatz kontrolliert werden oder gibt es eine Selbstauskunft? Passt die Bandbreite des Internets zuhause? Wird die Technik gestellt oder greifen Mitarbeiter*innen auf eigene Technik zurück? Wie ist die Haftung bei Schäden geregelt? In vielen Unternehmen ist es u.a. aus Datenschutzgründen nicht erlaubt, private Geräte zu nutzen.

Grundsätzliche Regelungen versus Flexitag

Grundsätzliche Regelungen betreffen regelmäßige Vereinbarungen zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen. Flexitage können spontan vereinbart werden, bspw. wenn an einem bestimmten Tag ein Handwerker kommt. Meist besteht ein bestimmtes Kontingent an Flexitagen pro Jahr.

Geregelt werden muss ebenso, wie und wann ein Flexitag beantragt werden muss. Dies schließt idR. Situationen aus, in denen Mitarbeiter*innen früh morgens anrufen, weil sie verschlafen haben oder krank sind, aber dennoch im Homeoffice arbeiten wollen.

Auch Fragen der Zeiterfassung müssen geklärt werden: Loggen sich Mitarbeiter*innen zuhause ein und aus oder gelten Prinzipien der Vertrauensarbeitszeit und Ergebnisorientierung?

Und schließlich sollte geklärt werden, wer über die Bewilligung eines grundsätzlichen Homeofficeplatzes entscheidet. Meist ist es hilfreich, wenn dies nicht nur Führungskräfte entscheiden müssen, sondern zusätzlich Datenschutzbeauftragte, Betriebsrat und die Personalabteilung mit im Boot sind, insbesondere wenn es um kritische Entscheidungen geht.

Möglich und hilfreich kann auch eine Probephase sein bzw. sich als Arbeitgeber eine Hintertür offen zu halten, falls sich die Rahmenbedingungen ändern und Mitarbeiter*innen aus dem Homeoffice zurück geholt werden sollten.

Besondere Gründe im Zweifelsfall

Bestehen besondere soziale oder individuelle Gründe, auch wenn es (vereinzelt) Gründe gegen Homeoffice gibt bzw. mehr Mitarbeiter*innen in Homeoffice wollen als es für die Teamdynamik gut ist? Dies gilt insbesondere für:

  • Schwerbehinderung
  • Betreuung kleiner Kinder
  • Betreuung von pflegebedürftigen Familienangehörigen

Einarbeitungsphase

Für Einarbeitungsphasen sollte es extra Regelungen geben, am besten in Form eines Phasenplans. Diesen komplett für alle Bereiche, Abteilungen und Aufgaben vorzugeben ist nicht sinnvoll, da jeder Aufgabenbereich anders ist. Wichtig in der Einarbeitung sollten drei Aspekte sein:

  1. Sich mit den Aufgaben vertraut machen.
  2. Die Kolleg*innen kennenlernen und sich ein erstes Netzwerk aufbauen.
  3. Die Werte des Unternehmens kennen lernen.

Punkt 1 lässt sich häufig auch im Homeoffice erledigen – sofern es sich nicht um Teamarbeit handeln. Punkt 2 und 3 sind wesentlich schwerer vom Homeoffice aus bzw. bei Punkt 3 beinahe unmöglich. Deshalb kann folgende Orientierung sinnvoll sein:

  • In den ersten drei Monaten sollten Mitarbeiter*innen in Präsenz sein.
  • Danach können sie drei Monate lang einen Tag im Homeoffice verbringen.
  • Anschließend wird gemeinsam reflektiert, was für alle Seiten passt.

Leistungsbeurteilung aus der Distanz

Neulich in einem Seminar zum Thema “Führung auf Distanz” kam ein Thema auf, das meines Erachtens noch kaum bis gar nicht in der Fachwelt beleuchtet wurde: Während es den aktuellen Führungskräften noch relativ leicht fallen sollte, ihre Mitarbeiter*innen auch aus der Distanz zu beurteilen, weil sie sie entweder schon von früher kennen oder sie zumindest das Rüstwerk mitbringen, andere zu beurteilen, könnte dies zukünftigen Führungskräften schwerer fallen. Denn wie beurteile ich jemanden, von dessen Arbeit ich lediglich Ergebnisse sehe, nicht jedoch seine Performanz?

Die klassische Leistungsbeurteilung wird sich verändern (müssen)

Auf Distanz lassen sich Leistungen freilich genauso beurteilen wie bisher. Individuelle und soziale Komponenten könnten jedoch zu einem Problem führen. Schauen wir uns dazu einige gängige Kriterien zur Leistungsbeurteilung an:

  • Das Fachwissen auch auf Distanz zu beurteilen sollte kein Problem darstellen.
  • Die Lust zur Weiterbildung ebenso.
  • Auch bei der Beurteilung der Arbeitsqualität wird sich wenig verändern.
  • Bei der Übernahme von Verantwortung wird es schon schwieriger, insbesondere wenn – wie es in Expertenteams häufig der Fall ist – Chef*innen oftmals nicht einschätzen können, welchen Aufwand die Expert*innen betreiben müssen, um an ihr Ziel zu kommen.
  • Bei der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen wird es noch komplizierter. Gilt dann die Devise “Keine Nachrichten sind gute Nachrichten”?
  • Die Loyalität zu Unternehmen und Team hat in manchen Branchen, insbesondere in Ballungsgebieten ohnehin stark nachgelassen. Bei vielen Neubewerber*innen scheint die Maxime zu gelten “Ich will einfach nur (m)einen Job machen, egal wo und bei wem. Hauptsache ich kann das meiste von zuhause aus erledigen”. Doch selbst wenn dieser Punkt weiter in die Beurteilung fließen soll: Wie beurteilen Führungskräfte die Loyalität von Mitarbeiter*innen aus der Distanz?
  • Und wie schaut es mit dem Selbstmanagement der Mitarbeiter*innen aus, dem Arbeitstempo oder Kundenbezug? Sollte all das nur noch am Ergebnis festgemacht werden, ohne sich auf beobachtbare Fakten zu beziehen? D.h. auch hier: Wenn kein Kunde vergrätzt wurde und die Ergebnisse auch sonst passen, brauchen wir nicht darüber zu sprechen. Doch was, wenn nicht? Im negativen Fall sind Führungskräfte mehr oder weniger von den Aussagen der Mitarbeiter*innen über die Gründe des Nicht-Gelingens abhängig, was die Bewertung nicht leichter macht.

Führungsrenaissance

Summa sumarum gibt es also Unterpunkte einer Beurteilung, die sich nicht bis wenig verändern werden und andere Punkte, die eine Führung auf Distanz kaum noch beurteilen kann bzw. bei denen sie von der Ehrlichkeit ihrer Mitarbeiter*innen abhängig sein wird.

Dies kann verschiedene Konsequenzen nach sich ziehen:

  • Führungskräfte sollten gerade auf Distanz Beziehungsarbeit betreiben, um möglichst viel von ihren Leuten mitzubekommen. Nur so wird es möglich sein, in einem ehrlichen Mitarbeitergespräch die Informationen zu bekommen, die sie für eine Beurteilung brauchen.
  • Schaffen sie das nicht, wird es in der Zukunft zu kategorischen Hop-oder-Top-Entscheidungen führen. Fehlen ihnen relevante Informationen für eine umfassende Beurteilung, wird sich diese nur noch auf die Leistung beziehen. Alles Soziale und Individuelle wird durch das Raster fliegen. Wer dann in der Zukunft Ergebnisse nicht liefert – aus welchen Gründen auch immer – wird entbehrlich sein (einen klassischen Arbeitsplatz hat er im Homeoffice ohnehin nicht mehr).
  • Dies führt allerdings auch zu der Erkenntnis, dass Mitarbeiter*innen gut daran tun, ihre Arbeit und Zusammenarbeit mit Kolleg*innen transparenter zu machen. Wer sich als Mitarbeiter*in zuhause einigelt und die Gesprächsangebote von Führungskräften ablehnt, schneidet sich letztlich ins eigene Fleisch.

Führung mit Neugier und Empathie

Damit dies gelingt, brauchen Führungskräfte der Zukunft eine fragende, neugierige Haltung mit viel Vorstellungsvermögen für das, was sie nicht direkt wahrnehmen. Um dies zu gewährleisten, können verschiedene Hilfsmittel sinnvoll sein:

  • Ein monatlicher Aktionstag hilft dabei, die Mitarbeiter*innen auch live und in Aktion miteinander zu sehen. Damit ist kein Ausflug o.ä. gemeint, sondern ein gemeinsamer Arbeitstag. Denn in der Arbeit zusammen lassen sich soziale Kriterien am besten beobachten.
  • Auf einer Kontaktliste wird verzeichnet, wen ich wann zum letzten mal gesehen oder gesprochen habe, um den Kontakt nicht zu lange abreißen zu lassen und zumindest einmal wieder zu telefonieren.
  • Kritische Punkte der Leistungsbeurteilung sollten nicht einmal im Jahr angesprochen werden. Dann ist es zu spät. Sondern regelmäßig abgefragt werden. In einer Führung auf Distanz wird zwar die Ergebnisorientierung als Nonplusultra propagiert. Für eine umfassende Leistungsbeurteilung reicht dies allerdings nicht aus.

Letztlich kommen Führungskräfte nicht umhin, sich freundlich-neugierig, aber intensiver als bislang mit der Welt der Mitarbeiterinnen auseinander zu setzen. Sie müssen noch mehr als bislang einschätzen können, wer introvertiert oder extravertiert ist und welche Konsequenzen sich aus der privaten Situation ergeben (alleinerziehend, Baby, Schulkinder, kleine Wohnung). Diese Neugier sollte jedoch keine Kontrolle nach sich ziehen, sondern wohlwollend-erkundigend sein, da Führungskräfte ihre Mitarbeiterinnen auch in der Zukunft nicht nur einschätzen, sondern auch ihren Weiterbildungsbedarf erfassen können müssen (Beispiele: Selbst-, Konfliktmanagement oder Medienkompetenz). Zudem brauchen sie Informationen, um Entscheidungen bezüglich ihrer Mitarbeiter*innen gegenüber diesen, aber auch nach oben zu vertreten.

Eine Leistungsbeurteilung auf Distanz wird folglich komplizierter, verlangt einer Führungskraft einiges an Einfühlungsvermögen ab und erfordert von Mitarbeiter*innen mehr Offenheit. Sollten sich beide Parteien auf die neue Situation einlassen, ist es jedoch weniger dramatisch wie es im ersten Moment aussieht.

Jenseits des Materialismus

Durch die Digitalisierung nimmt die Bedeutung des Materiellen in unserem alltäglichen Berufsleben immer mehr ab. Viele haben bereits jetzt keinen Anspruch mehr auf einen konkreten, räumlich definierbaren Arbeitsplatz. Damit sind auch die Fotos der eigenen Familie oder Urlaubsbilder auf dem Schreibtisch als “Reviermarkierungen” dahin. Und auch die klaren Strukturen der Arbeitszeit – alldieweil auf Stempelkarten festgehalten – lös(t)en sich auf. Im Homeoffice kann jede Information jederzeit aus der Cloud geholt werden. E-Akten, Messengerdienste und Chatrooms sei Dank. Der arbeitende Mensch ist damit weder an einen bestimmten Ort noch an eine bestimmte Zeit gebunden. So weit, so bekannt. Doch was bedeutet das für den Menschen?

Zuerst einmal lässt sich konstatieren, dass klare Strukturen Sicherheit bieten. Fällt diese weg, braucht es neue Sicherheiten. Um dies zu erreichen und den Mitarbeiter*innen eine neue Stabilität zu geben ist vieles denkbar:

  • Skalierungen: Manche Unternehmen hängen sich erst recht an das Zählbare, bspw. wenn sie Agilität skalieren oder Balanced Scorecards eine Renaissance erfahren. Dies kann helfen, um zumindest ein wenig Sicherheit in einer wechselhaften und zuweilen chaotischen Zeit zurückzuerlangen. Dies kann jedoch nur ein Teil der Lösung sein. Oder ein Zwischenschritt, je nachdem, wo eine Organisation gerade steht.
  • Spiritualität und Werte: Die Abkehr vom Materialismus könnte auch ins Spirituelle gehen. Wer nichts mehr greifen kann, sollte lernen zu begreifen oder zu glauben. Auf Betriebsebene lässt sich bspw. an eine Firmenphilosophie glauben, an Werte oder Visionen. Kein Wunder, dass in unserer Zeit Wertehaltungen wie Diversität, Inklusion, Umweltfreundlichkeit oder jede Form der Solidarität einen solchen Boom erfahren.
  • Teambindung mit Vertrauen und Transparenz: Da Visionen, Leitbilder und Werte als “spiritueller” Leitstern meist weit weg sind, braucht es im Arbeitsalltag direkter spürbare Wege, den Wegfall des Materiellen zu ersetzen. Dies kann durch menschliche Haltungen im Miteinander erfolgen. Das gegenseitige Vertrauen im Miteinander ist sozusagen der unsichtbare Kitt, der ein Team zusammenhält. Erreicht wird er u.a. durch einen respektvollen, neugierigen, interessierten, dankbaren und wohlwollenden Umgang miteinander. Anders formuliert: In einer postmateriellen Welt weiß ich zwar nicht mehr, wo und an was mein Kollege gerade konkret arbeitet, ich vertraue jedoch darauf, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Auf dem Weg zu diesem Vertrauen, das mancherorts auch als naiv bezeichnet wird, ist es hilfreich, viel mehr als früher transparent zu machen und ebenso viel mehr miteinander zu kommunzieren, insbesondere gegenseitige Erwartungen auszusprechen und zu klären. Denn Vertrauen ist vielleicht bei guten Freunden, in der eigenen Familie und in eng zusammenarbeitenden Teams vorhanden, nicht jedoch bei losen Geschäftspartner*innen. Eine gute Bindung im Team setzt daher immer voraus, sich empathisch die Frage zu stellen: Was könnte mein Gegenüber von mir an Informationen brauchen, um Vertrauen in mich zu haben?

Mehr zum Thema Teambildung:

Oder hier:

Nach der Distanz kommt die Neue Stabilität, oder: Worum sollte es in aktuellen Teamentwicklungs-maßnahmen gehen?

Warum es einen echten Neustart braucht

Über 2 Jahre gab es kaum Teambildungsmaßnahmen. Nun, da die Distanz sich weitgehend aufgelöst hat, sind Organisationen gezwungen, die neue Nähe der Kolleg*innen neu zu meistern. Ein einfaches “Weiter so” kann es kaum geben. Ein “Auffrischen der vorpandemischen Zusammenarbeit” wird auch nicht funktionieren. Stattdessen braucht es aus vier Gründen einen echten Neustart:

  1. Hybride Zeiten: Wir leben in hybriden Zeiten. Es gibt gute Gründe für Homeoffice und gute Gründe für einen Austausch in Präsenz. Die Zusammenarbeit auf Distanz war geprägt vom Verzicht. Es ging nunmal nicht anders, als auf Distanz zu bleiben. Nun geht es um ein genaues Austarieren, was in welcher Form sinnvoll ist. Das macht es nicht einfacher, am Ende jedoch (hoffentlich) produktiver und menschlicher.
  2. Irritationen und Konflikte: Durch die Distanz ergaben sich bestenfalls Missverständnisse und Irritationen, teils aus innerbetrieblichen, teils auch außerbetrieblichen Gründen. Werden diese nicht ausgeräumt – wozu im Alltag selten Zeit ist – kann es langfristig zu Missstimmungen und Konflikten kommen.
  3. Persönliche Entwicklungen: Viele Menschen entwickelten sich auf Distanz weiter. Der auf sich zurückgeworfene Mensch dachte über sich und seine Arbeit nach. Manche freuten sich vielleicht, endlich wieder die Kolleg*innen in Präsenz zu sehen. Andere vermissen die Zeit im Homeoffice, die Ruhe, die zwischenzeitlich neue Ordnung des Lebens, eine bessere Work-Life-Balance oder stellen sich die Sinnfrage ihrer Arbeit (siehe auch mein Artikel zu Antiwork).
  4. Von der Krise zur Dauerkrise: Während in vorpandemischen Zeiten bereits starke Belastungen, Arbeitskräftemangel und eine hohe Bürokratisierung vorherrschte, besteht die neue Arbeitswelt aus Dauerüberlastungen und noch mehr Arbeitskräftemangel. Eine Beschäftigung mit der Qualität der Arbeit zeigt, dass es hier natürliche Grenzen gibt, wenn nicht genügend Kolleg*innen vorhanden sind:

Meist geht es dann entweder langsamer oder die Qualität leidet. Auch darauf sollte in einer Teamentwicklungs-maßnahme eingegangen werden, um den Druck auf die Mitarbeiter*innen zu verringern und die Erwartungen an sich selbst sowie untereinander zu klären.

Die Dauerkrisenstimmung zeigt allerdings auch, dass alte Gewissheiten, Orientierungen und Stabilitäten vermutlich dauerhaft verloren gingen.

Eine Anleitung von der Stange schließt sich in Teamentwicklungen logischerweise aus. In den Maßnahmen, die ich aktuell begleite geht es um:

  • Sinnvolle Strukturierungen, um besser mit Komplexität umzugehen,
  • die Vereinbarung neuer Zusammenarbeitsregeln im Umgang mit Dauerbelastungen,
  • den Austausch von gegenseitigen Erwartungen,
  • der Klärung, ab wann eine Arbeit gut erledigt wird,
  • bis hin zu grundsätzlichen Klärungen der Zusammenarbeit, von Missverständnissen und Konflikten.

Neuorientierung und Neuverwurzelung

Wenn wir uns die Welt von heute ansehen, sollte es bei Teamentwicklungen jedoch grundsätzlich darum gehen, als einzelner Mensch – nach der Phase der Distanzierung – wieder mehr Demut zu entwickeln, die Welt nicht alleine retten zu können. Die Wahrnehmung, lediglich ein Teil eines größeren Systems zu sein, stutzt nicht nur das eigene Ego zurück, sondern lässt sich in unserer modernen Arbeitswelt als unabdingbar betrachten.

Der moderne Mensch lässt sich als “Homo proicere” schreiben. “Das Wort „Projekt“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „das vorwärts Geworfene oder Ausgestreckte“. „Homo proicere“ bedeutet damit der „vorwärts geworfene Mensch“ – der Mensch, der kaum noch im Jetzt lebt, sondern sich stattdessen von Projekt zu Projekt, von Job zu Job, von Aufgabe zu Aufgabe hangelt, ohne fortlaufende Kontinuität und erst recht ohne aufgearbeitete Fehler.” (Michael Hübler – Die Bienenstrategie)

Wer bei einer solchen dauerhaften Hektik, inklusive Arbeitskräftemangel, fordernden Kund*innen und offenen Türen keine Stabilität findet, landet bald im Burn-out.

Früher fand der Mensch häufig Orientierung an materiellen Dingen, sowohl in der Arbeitswelt als auch privat. Wir erinnern uns an die uralte Werbung der Sparkasse: Mein Haus, mein Auto, mein Pferd, bzw. mein Schreibtisch, mein Computer, mein Sitzplatz. In einer hybriden Welt löst sich das auf. Was jedoch bleibt sind die Beziehungen. Und hier können wir von symbiotischen Pflanze-Tier-Beziehungen und Schwärmen aus der Tierwelt einiges lernen. Wer mehr darüber erfahren will: https://www.metropolitan.de/buch/die-bienen-strategie

Was also braucht der moderne Mensch als (neue) Orientierung:

  • Feste Rituale (spannend moderierte Meetings, Ausflüge, Begegnungen, Gespräche), um sich mit anderen auszutauschen.
  • Eine eigene Rolle, die mich als Mensch besonders macht, in der Regel verbunden mit einer bestimmten Leistung, die mich auch in der Digitalisierung unersetzlich macht.
  • Und klare Regeln und Richtlinien für einen guten Umgang miteinander und eine gute Zusammenarbeit.

Wenn die bisherigen Wurzeln nicht mehr vorhanden sind, braucht es neue Wurzeln. Wer oder was, wenn nicht die Beziehungen im Team könnte für diese Wurzeln stehen, um wieder Stabilität in die Arbeitswelt zu bringen?

Work-Life-Blending versus Work-Life Balance

Die 00er-Jahre standen im Zeichen einer Work-Life-Balance. Durch Agilität, Digitalisierung und Homeoffice verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben immer mehr. Aus einer Balance zwischen Arbeit und Privatleben wurde eine Vermischung.

Wie genau sieht diese Vermischung aus?

  • In einem agilen Team gilt es, ein Projekt bis zum Wochenende fertig zu stellen. Deshalb wird der Samstag durchgearbeitet. Dazu gibt es Pizzas, ausnahmsweise auch ein Bierchen und am Abend wird gemeinsam gefeiert.
  • In der Teeküche eines kleinen Unternehmens bietet sich nicht nur die Möglichkeit, gemeinsam zu kochen. Es wird auch erwartet, dies für den Gruppenzusammenhalt zu tun. Wer sich rauszieht ist ein Spielverderber.
  • Im Homeoffice haben manche Mitarbeiter*innen kein extra Arbeitszimmer und sitzen daher mit ihrem Laptop in der Küche.

Angetrieben und erleichtert wird ein solches Work-Life-Blending maßgeblich durch die informationstechnische Vernetzung.

Potentiale von Work-Life-Blending

  • Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
  • Leistungsorientierung: Wer sich seine Arbeit besser einteilt und auch auf seinen Biorhythmus achtet, ist produktiver und zufriedener.
  • Anpassung an Anforderungen: Eine flexiblere Arbeitszeit ermöglicht es, selbstbestimmter zu arbeiten, anstatt die Zeit im Büro abzusitzen.
  • Höhere Motivation: Mit mehr Selbstbestimmung kehren mehr Spaß und Motivation bei der Arbeit ein.

Risiken von Work-Life-Blendung

  • Ausweitung der Arbeitszeit: Die Arbeitszeit wird zulasten des Arbeitnehmers ausgeweitet. Das Privatleben leidet.
  • Überwachung: Die Digitalisierung macht Überwachungen möglich. Mitarbeiter*innen sind dann jederzeit erreichbar.
  • Einsparungen: Wer wann arbeitet bestimmt nicht der Mitarbeiter, sondern das Unternehmen. Langfristig könnten mehr Mitarbeiter*innen zu Freiberufler*innen werden, ohne es zu wollen.
  • Ruhelosigkeit und Gesundheitsrisiken: Das Gefühl nicht abschalten zu können, ist keine Seltenheit in der Arbeitswelt 4.0. Schlafstörungen, Erschöpfung oder Depressionen sind mögliche Folgen.

Mehr zum Thema Work-Life-Blending, inklusive Generationkonflikte und Tipps für den Umgang in der Arbeit, sowohl für Unternehmen als auch für Einzelpersonen finden Sie unter: https://bookboon.com/de/work-life-blending-ebook

Buchtipp für kritische Leser*innen: Christian Scholz: Work Life Blending