Gerade unter Dauerbelastung sind Ängste oft diffus:
Wird es jemals besser werden?
Vermutlich sind wir noch lange unterbesetzt.
Werde ich durchhalten?
Wenn ich nicht durchhalte, was werden meine Kolleg*innen sagen?
Bestimmt bin ich die Person, die sich am meisten überlastet fühlt.
Wenn ich ausfalle, werden meine Kolleg*innen meine Arbeit mitmachen müssen und bestimmt sauer auf mich sein.
Solche diffusen Ängste aktiveren uns zwar meist nur leicht, jedoch dauerhaft. Wir sind sozusagen ständig in Hab-Acht-Stellung und können uns nicht erholen. Stattdessen ist es sinnvoller, diffuse Ängste in eine konkrete Furcht zu übersetzen. In diesem Fall wird unser Körper einmalig stark aktiviert und weiß dann woran er ist.
Wovor könnten wir uns also konkret fürchten:
Ja, vermutlich sind wir auch noch in einem halben Jahr unterbesetzt.
Ja, vermutlich müssen wir alle in nächster Zeit mehr arbeiten.
Ja, vermutlich wird der ein oder andere im Team ab und an eine Auszeit brauchen, um keinen Burn-out zu bekommen.
Ebenfalls ja, vermutlich werden wir klare Prioritäten setzen müssen, um einigermaßen mit der Arbeit hinterher zu kommen und vermutlich werden wir manche Qualitätsstandards nicht zu 100% halten können oder manche Aufträge langsamer als sonst erledigen.
Und ja, vermutlich werden manche Kund*innen verärgert sein, aber gute langjährige Kunden werden wahrscheinlich Verständnis für die aktuelle Situation haben.
Na und? Wie heißt es so schön: Hängen Menschenleben dran? In Kliniken ja, an vielen anderen Orten nicht. Und schließlich sind auch Mitarbeiter*innen Menschen, die nichts dauerhaft Unmenschliches leisten können.
Manche Ängste werden so zu einer Furcht, auf die wir reagieren können:
Kund*innen können informiert werden.
Ob eine Abkehr von einem hohen Perfektionismus wirklich negative Folgen hat, muss sich erst zeigen.
Und Auszeiten zur Erholung können eingeplant werden.
Andere Ängste müssen nicht einmal in Furcht umgewandelt werden, sondern lösen sich durch einen Austausch im Nichts auf:
Vermutlich bin ich nicht die einzige Person, die sich Sorgen macht.
Vermutlich haben meine Kolleg*innen mehr Verständnis als ich zuvor dachte und sind daher gar nicht sauer auf mich, wenn ich bspw. aus lauter Stress einen Fehler mache. Überhaupt erhöht die Angst vor Fehlern und deren Konsequenzen die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich einen Fehler zu machen enorm.
Dinge beim Namen zu nennen fördert die Handlungskompetenz
Tatsächlich vermeiden wir häufig die Konfrontation mit einer konkreten Furcht und bleiben lieber in der diffusen Angst, gerade weil die Furcht uns stärker aktiviert als die Angst. Es ist vermeintlich angenehmer, sich über diffuse Zustände zu ärgern – das System, der Staat, mein Unternehmen, der Personalmangel, usw. – als konkret zu klären, welche Konsequenzen uns wirklich drohen und damit die eigene Handlungskompetenz zu erhöhen. Umso wichtiger ist es, die Dinge beim Namen zu nennen und das richtige Fürchten vor etwas Konkretem wieder zu lernen.
Macht Optimismus wirklich resilient? Lässt uns Optimismus schwierige Umstände besser aushalten? Und ist Optimismus gesund?
Fakt ist: Depressive Menschen schätzen sich selbst viel zu inkompetent ein und ihr Umfeld viel zu kompetent. Der normale Mensch hingegen schätzt sich selbst viel zu positiv ein. Männer glauben zu 80% überdurchschnittlich gute Liebhaber zu sein, zu 90% eine überdurchschnittlich hohe Intelligenz zu haben und zu 75% überdurchschnittlich gut Auto zu fahren. Frauen wiederum schätzen ihre Popularität im Freundeskreis oder die Dauer ihrer Ehe zu hoch ein (vgl. Hasler, S. 81). Selbst bei der Präsentation solcher Zahlen sagen sich wohl die meisten: Das ist ja verrückt, aber bei mir stimmt es nun mal.
Eine solche unrealistische Sichtweise wäre nun grundsätzlich kein Problem. Die Welt ist schlimm genug. Wären da nicht die negativen Konsequenzen eines übertriebenen Optimismus:
Wer glaubt, super gut Auto zu fahren, geht mehr Risiken auf der Autobahn ein.
Wer glaubt, eine Top-Freundin zu sein, ist überrascht, wenn plötzlich kritische Stimmen aufkommen.
Wer glaubt, ein super Liebhaber zu sein, fällt aus allen Wolken, wenn die eigene Frau eines Tages die Koffer packt.
Auch auf der großen Politikbühne kann Optimismus schädlich sein. Putin glaubte offensichtlich, er könne die Ukraine im Handstreich erobern, was nicht funktionierte. Und Selenskyj glaubt daran – zumindest hat es den Anschein – die Krim zurückzuerobern. Der Beweis steht noch aus, aber einfach wird es nicht. Jedenfalls gilt es festzuhalten, dass Kriege nicht von Pessimisten, sondern idR. unrealistischen Optimisten geführt werden. Die Welteroberungsphantasie eines Adolf Hitler ist da wohl nur die absolute Spitze des Eisbergs.
Solche narzisstischen Machbarkeitsgedanken fußen letztlich auf einem übertriebenen Selbstwertgefühl. Während Psycholog*innen seit den 70ern davon ausgingen, man müsse nur das Selbstwertgefühl der Menschen mit Therapien und Feelgood-Programmen steigern, um eine bessere Welt zu schaffen, legen neuere Studien nahe, dass ein zu hohes Selbstwertgefühl zu Aggressionen und Narzissmus führen kann. Eigentlich logisch: Wer mit dem Mantra aufwächst, einzigartig zu sein und alles erreichen zu können, wenn er oder sie es nur will, dann jedoch auf Widerstände stößt, gerät schnell in eine Frustrations-Aggressions-Spirale. Was bei Menschen mit Depressionen oder allgemein einem unrealistischen Pessimismus funktioniert, hat bei Menschen, die ohnehin schon einen unrealistischen Optimismus an den Tag legen – und das geht wohl den meisten von uns so – einen negativen Effekt (vgl. Hasler, S. 88f). Ein Thema, das uns in Zukunft aufgrund der Instagramisierung der Welt sicherlich noch reichhaltig beschäftigen wird.
Wann Optimismus angebracht ist
Wann ist Optimismus also angebracht?
Letztlich geht es immer darum zwischen Situationen zu unterscheiden, die ich beeinflussen kann und solchen, auf die ich kaum einen Einfluss habe:
In Situationen, die ich beeinflussen kann, sollte ich eine gewisse Demut an den Tag legen, insbesondere wenn andere Menschen von mir abhängig sind. Kriege sind hier der Extremfall. Aber auch im Alltag sind andere Menschen von meinem Fahrverhalten oder meinen Leistungen in der Arbeit oder als Freund*in abhängig.
In Situationen, die ich nicht beeinflussen kann, beispielsweise in Krisen wie dem aktuellen Personalmangel oder einer dauerhaften Unterbesetzung im Team, brauche ich Optimismus, Zuversicht und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hier richtet mein Optimismus keinen Schaden an, weil ich ohnehin wenig ausrichten kann.
Optimismus-Strategien
Doch wie bringe ich mich in eine positive Stimmung und sollten wir in Krisen nur noch positiv denken?
Die Vielzahl der Ratgeber zum Thema macht es sich hier zu einfach. Alles Negative rosarot sehen und dann wird das schon mit der Resilienz? In Wirklichkeit ist es beruhigenderweise komplizierter. Zwar legen Untersuchungen nahe, dass die Zunahme positiver Emotionen hilfreich ist, um besser mit Krisen umzugehen. Auch das eigene Leben wird dadurch verlängert. Dafür müssen negative Gedanken jedoch nicht ignoriert werden. Ein umfassende Gedankenhygiene ist also nicht notwendig. Es geht nicht um eine stoische Umdeutung vom Negativen ins Positive, sondern um ein Ausschöpfen der ganzen emotionalen Bandbreite im Sinne von: „Es ärgert mich, dass wir dauerhaft unterbesetzt sind, dadurch wächst das Team aber auch enger zusammen.“
Durch die Ergänzung der negativen Sichtweise weitet sich nach der Broaden-and-Build-Theorie nach Barbara Fredrickson unser kreatives Denkfeld (vgl. Hübler, S. 25):
Broaden: Eine positive Stimmung führt zu einer Erweiterung unserer Wahrnehmung. Zudem können positive Emotionen wie Optimismus, Freude, Inspiration, Hoffnung oder Neugier die Folgen negativer Stimmungen aufwiegen. Die veränderte Wahrnehmung verändert unser Denken. Ich gehe kreativer mit Problemen um und bekomme auch einen schärferen Zukunftsblick.
Build: Damit baue ich langfristig Expertenwissen auf, komme mehr in Kontakt mit anderen und werde flexibler im Handeln. Geht es mehr Menschen im Team so, ergeben sich positive Kettenreaktionen.
Wie erreiche ich nun einen solchen positiven Blick für den Umgang in Krisenzeiten:
Ich kann meine negativen Sichtweisen mit einer positiven Sichtweise ergänzen.
Ich kann über den Sinn hinter einer Belastung nachdenken. Gerade in Krisen zeigt sich bspw. wer wahre Freunde sind.
Ich kann zu mir sagen: Egal wie lange die Belastung anhält, irgendwann ist sie zu Ende. Oder aber ich bin so daran gewachsen, dass sie mir nicht mehr als Belastung vorkommt.
Ich kann zu mir sagen: Die Belastung betrifft nur einen Teilaspekt meiner Person und meines Lebens.
Ich kann zu mir sagen: Manche Dinge passieren, auf die ich selbst keinen Einfluss habe. Jetzt gilt es, diese unverschuldete Belastung auszuhalten.
Literatur:
Greogor Hasler – Resilenz: Der Wir-Faktor
Michael Hübler – Mit positiver Führung die Mitarbeiterbindung fördern
Eigentlich schien es eine gute Idee zu sein: Wir bewerten Menschen nur noch nach ihrer Leistung. Dann fallen alle andere Faktoren, bspw. das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder Herkunft einfach weg. Dann heißt es: Gut ist, wer gut ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Befeuert durch digitale Medien und die dadurch stattfindenden Dauervergleiche anhand tatsächlicher oder imaginärer Ranglisten entstand jedoch über die letzten Jahrzehnte ein Dauerdruck und daraus entstehend eine stetige Abgrenzung voneinander mit Geld als der Vergleichswährung Nummer 1: Wer reich ist, hat offensichtlich viel geleistet, sich mehr als andere angestrengt, kann sich um seine Fitness und Schönheit kümmern, sich gut ernähren, usw. Diese Vergleiche nehmen nie ein Ende, weil es immer irgendwo auf der Welt jemanden gibt, der besser, reicher oder schöner ist als ich. Es gibt also immer etwas zu tun. Strengen wir uns an.
Folglich geht es mittlerweile weniger darum, mit wem ich etwas gemeinsam habe, sondern von wem ich mich im Sinne eines Abwärtsvergleichs positiv oder im Sinne eines Aufwärtsvergeichs negativ abgrenzen kann. Schlechte Zeiten also für die Suche nach etwas Gemeinsamem und damit auch für Solidarität.
Für solche Dauervergleiche ist das menschliche Gehirn nicht angelegt. Als Jäger und Sammler, die wir die meiste Zeit unserer Entwicklungsgeschichte waren, ist unser Gehirn immer noch auf Stress-Sprints angelegt und nicht auf Dauerstress. Ein Jäger musste sich nur selten in seinem Leben mit anderen vergleichen. Seine soziale Bezugsgruppe war überschaubar. Die heutigen Jäger*innen nach Schönheit, Perfektionismus, Höchstleistungen, grandiosen Urlaubserlebnissen und Symbolen des Reichtums können sich potentiell rund um die Uhr mit anderen messen. Zudem gilt im Internet das Diktat der Aufmerksamkeit: Nur wer sich mit etwas noch Extremerem als Gestern hervortut, wird wahrgenommen und bekommt die erhofften Klicks und Likes. Da muss es dann schon mal das Blattgold auf dem Steak sein oder besonders provokante Überschriften wie bspw. „Work Life Balance ist Bullsh*t“.
Nun könnten wir uns sagen: Warum vergleichen sich Handwerker- oder Krankenpfleger*innen mit den Schönen und Reichen in unserer Gesellschaft? Geld ist schließlich nur ein Aspekt, um glücklich zu sein. Es gibt schließlich noch Moral, Sinnhaftigkeit oder das soziale Umfeld als ergänzende Währungen. Und tatsächlich werden viele sinnhafte Berufe schlechter bezahlt als vermeintlich sinnlose. Ob sinnlose Berufe besser bezahlt werden, weil sie sinnlos sind oder sinnhafte Berufe ein höheres Gehalt nicht nötig machen sei dahin gestellt. Dummerweise funken in unserem spätmodernen Gehirn sowohl moralische Aktivitäten als auch ein hoher (potentieller) Verdienst in den gleichen Bereichen. Anders formuliert: Unser Gehirn rechnet jede Belohnung in Geld um (Vgl. Hasler, S. 48). Und da sich Einkommen messen lässt, Moral, Sinnhaftigkeit und eine gute Bindung im Team jedoch nicht, liegt es auf der Hand was verglichen wird und was nicht. Wir können uns daher sagen, dass uns das alles nichts angeht. Ärgern tun wir uns dennoch, dass jemand anders viel mehr als wir verdient. Für die einen mag das ein Ansporn sein, es auch noch bspw. als Influencer zu schaffen. Für die anderen erscheint es utopisch. Stress bedeutet dieser Statusvergleich jedoch für alle, die sich darauf einlassen.
Was hilft gegen Dauerstatusstress
1. Die Akzeptanz von Hierarchien und Regeln
Als unsere Jäger- und Sammlerkultur sich in eine Kriegskultur verwandelte, indem verschiedene Stämme um Territorien kämpften, wurde es wichtig, innere Fehden zu deckeln, um sich gegen die äußeren Feinde zu wappnen. Solche inneren Machtkämpfe wurden u.a. mit Hierarchien befriedet. Tatsächlich kann die Akzeptanz von Hierarchien den inneren Dauerstatusstress reduzieren: Wenn ich akzeptiere, dass andere mehr können und mich entsprechend unterordne, strebe ich nicht andauernd nach Höherem.
Das gleiche gilt für Regeln. Um mit den Worten eines Seminarteilnehmers zu sprechen: Wer sich als Mitarbeiter auf den öffentlichen Dienst einlässt, sollte wissen, dass es hier bestimmte Regeln gibt – was freilich auch für andere Bereiche und Branchen gilt – und sich entsprechend darauf einlassen. Wenn auch hier wie an vielen Orten ein Umbruch stattfindet, bedeutet Verwaltung immer noch, den Ablauf bestimmter Prozesse nicht allzu kreativ auszulegen. Ich ordne mich also unter und akzeptiere die Hierarchien und Regeln.
Anders formuliert: Es gibt eine Zeit zu kämpfen und es gibt eine Zeit, sich auszuruhen, indem ich mich mit der Welt arrangiere.
2. Eine gute Balance zwischen Vergleichen nach oben und unten
Ein Vergleich nach oben kann zwar unsere Leistungsmotivation steigern, Zufriedenheit und Entspannung schafft er jedoch nicht. Ein solcher Motivationsvergleich mag in normalen Zeiten sinnvoll sein. In Krisenzeiten, in denen es darum geht, schwierige Situationen resilient auszuhalten, ist es hilfreicher, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben.
Hierzu ist es besonders wichtig, sich mit den passenden Menschen zu vergleichen. Als ich vor 17 Jahren selbständig wurde, begann auch für mich die große Zeit der Vergleiche. In meiner Anfangszeit gab es quasi keinen Keynote-Speaker auf Youtube, der schlechter war als ich. Doch nach und nach merkte ich, dass die großen Redner*innen idR. zu einem Thema immer das gleiche erzählten, immer und immer wieder, mit genau den gleichen Worten. Wollte ich dahin? Ich selber interessiere mich für so viele verschiedene Themen – was den Leser*innen meines Blogs vermutlich schon aufgefallen ist :-). Zudem realisierte ich ach einigen Jahren, dass ich Reden halten kann, dass mein Herz jedoch für Führungstrainings und Teambegleitungen in kleinen Gruppen schlägt. Warum sollte ich mich also mit großen Redner*innen vergleichen. Inspiration ja, Vergleich nein.
Entsprechend stellt sich auch bei anderen die Frage: Mit wem soll ich mich vergleichen, um glücklich zu werden? Es herrscht zwar bei uns das Mantra des amerikanischen „Pursuit of Happiness“ vor, das besagt, dass jede*r alles werden kann. Insbesondere junge Menschen wachsen heutzutage oft mit dem Glauben auf, dass sie sich nur anstrengen müssen, um es zu schaffen. Die eingangs beschriebene Verschiebung von persönlichen Faktoren zur Leistung unterstützt diese Dynamik. Dennoch kann jeder Mensch immer noch selbst entscheiden, mit wem er sich aufgrund seines Charakters, seiner Kompetenzen und seiner Herkunft wirklich vergleichen will, um glücklich zu werden. Solche Vergleiche im Rahmen der eigenen sozialen Gruppe führen wiederum zu mehr Nähe anstatt zu Abgrenzungen. Wer beständig nach Höherem strebt, möchte sich aus seiner Gruppe entfernen und aufsteigen. Wer einen bestimmten Status akzeptiert, grenzt sich zu Gruppen mit einem höheren Status ab und bekennt sich damit solidarisch mit seiner eigenen Statusgruppe.
3. Vergleiche verweigern
Wir können heutzutage dank der Digitalisierung nicht nur alles Mögliche (und Unmögliche) vergleichen, sondern auch testen: Unseren IQ, Energieverbrauch und ökologischen Fußabdruck, unsere Beliebtheit auf digitalen Medien oder auch wie begehrt wir für potentielle andere Arbeitgeber sind. Schüler*innen werden benotet. Lehrer*innen und Dozent*innen werden mittlerweile dauerevaluiert. Sich hierauf nicht einzulassen ist freilich nur bedingt möglich: Wer sich in digitalen Medien tummelt wie bspw. ich, liefert sich automatisch einem Vergleich mit anderen aus. Und wer als Dozent*in arbeitet, wird nun einmal evaluiert. Ich muss damit jedoch nicht hausieren gehen. Ich muss nicht mit meinem monatlichen Gehalt angeben. Ich muss nicht in meiner Straße damit angeben, wie teuer der Wintergarten war. Wir können uns diesem Rattenrennen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zumindest teilweise entziehen, indem wir dem Impuls einer stolzen Verkündung eines Erfolgs widerstehen. Ein bisschen weniger prahlen und ein wenig mehr Demut täte uns vermutlich allen gut.
4. Leistungsfreie Zonen
Leistung sollte wieder dort zum Tragen kommen, wo sie hingehört. Und zwar nur dort. Wer einen Kunden berät, sollte Leistung zeigen. Wer mit seinem Team in den Endzügen eines Projekts liegt, sollte bereit sein auch mal die „Extrameile“ zu gehen. Daneben sollte es jedoch Phasen im Arbeitsleben geben, an denen es wichtig ist zu üben, zu testen und auszuprobieren. Solche leistungsfreien Zonen dienen dem Erfahrungsaufbau und Austausch untereinander. Azubis sollten nicht sofort leisten müssen. Auch in Schulen oder Hochschulen sollte es Zeiten geben, in denen es nicht um Noten geht, sondern um die persönliche Reifung ohne Vergleiche mit anderen. Und in Mitarbeitergesprächen oder Meetings sollte es ebenfalls um einen ehrlichen Austausch gehen, ohne sich gegenseitig zu bewerten.
5. Humor als letzte Möglichkeit, sich Vergleichen zu entziehen
Humor schafft eine Distanz zu Bewertungen und reduziert damit maßgeblich den Dauerstress durch Statusvergleiche. Humor greift immer dann, wenn ich mich einer Bewertungssituation nicht entziehen kann. Es gibt immer Situationen, in denen ich Vergleichen ausgeliefert bin und Leistung zeigen muss. Und wie erwähnt sind Leistungsvergleiche nicht nur schlecht. Sie spornen uns auch zu Höchstleistungen an. Ich kann jedoch immer noch selbst entscheiden, wie ernst ich Leistungsvergleiche und Statusrankings nehme, wann ich mich dadurch motiveren lasse und wann mich allzu strenge Vergleiche zu einem inneren Schmunzeln anregen.
Literatur:
Francois Lelord – Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück
Gregor Hasler – Resilienz: Der Wir-Faktor
Pauls Pearsall – Denken Sie negativ, unterdrücken Sie Ihren Ärger und geben Sie anderen die Schuld
Ich beschäftige mich seit über 10 Jahren mit dem Thema Wissensmanagement und hatte sogar 2015 das Privileg, ein Jahr lang in ganz Bayern unterwegs zu sein, um Stadtverwaltungen zu ihrem Wissensmanagement zu interviewen. Daraus entstand damals der Guide „Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltungen“ (externer Link). Zudem tummelte ich mich eine zeitlang auf Knowledge-Camps, aber irgendwie schien das Thema nie so richtig an Fahrt aufzunehmen.
In letzter Zeit ändert sich das. In meinem Kurs „Strategische Personalentwicklung“ suchten sich gleich mehrere Teilnehmer*innen das Thema Wissensmanagement bzw. Entwicklung einer Lernplattform aus. Und die Anfragen an mich als Berater und Trainer häufen sich ebenso. Woran liegt das wohl?
Zum einen sind es sicherlich die technischen Möglichkeiten, die es früher nicht gab. Zum anderen sind es aber auch die vielen Aspekte der aktuellen Veränderungen und Dauerkrise, die ein funktionierendes Wissensmanagement immer dringender machen:
Der Personalmangel führt zu Überlastungen. Überlastete Mitarbeiter*innen kündigen schneller und nehmen ihr Wissen mit. Die hohe Fluktuation in vielen Firmen ist Gift für das bislang weitgehend analoge und über Wissensträger funktionierende Wissensmanagement.
Einarbeitungen laufen heutzutage oft hybrid ab und sollten dennoch umfassend sein. Das spricht zum einen für ein Patensystem, zum anderen aber auch für eine gute bestückte Wissensmanagementplattform, um auch digital schnell an Informationen zu kommen.
Auch die Arbeit selbst findet mittlerweile in vielen Bereichen mobil bzw. im Homeoffice statt. Umso wichtiger, dass Mitarbeiter*innen wissen, wie sie an wichtige Informationen kommen und an wen sie sich wenden können – egal von wo aus. Nebenbei nimmt auch der Trend zu Weiterbildungen aus den eigenen vier Wänden zu, was für den Ausbau von digitalen Lernmanagement-Systemen spricht.
Und schließlich ist der Gedanke eines schnellen und unkomplizierten Wissensmanagements prinzipiell ein Instrument der Dezentralisierung und Enthierarchisierung: Warum soll ich meine Führungskraft fragen, wenn ich an die entsprechenden Informationen auch anderweitig komme? Und diese Denke wiederum passt gut zu der aktuellen Stimmung einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe: Während früher Wissen als Macht definiert wurde gilt es nun, Wissen zu teilen, damit es wächst.
Es ist also gerade für Unternehmen, die mit Fluktuation und Personalmangel zu kämpfen haben, dringend an der Zeit proaktiv zu werden und sich um den Aufbau ihres Wissensmanagements zu kümmern, auch wenn gerade jetzt keine Zeit dafür zur Verfügung steht.
Vor knapp 10 Jahren schrieb ich mein erstes Buch für einen kleinen Verlag mit dem Titel „Motivation – Die neue Lust auf Leistung“. Das Buch bekam zwar ein paar sehr positive Bewertungen auf Amazon, wurde jedoch zu einem Ladenhüter. Das Thema schien tot zu ein. Und klar: Bereits Reinhard Sprenger stellte 1995 in seinem Buch „Das Prinzip Selbstverantwortung – Wege zur Motivation“ fest: Wer nicht intrinsisch motiviert ist, kann extrinsisch nur kurzfristig angeschoben werden. Ich kann also zur Selbst- oder Mitverantwortung anregen, wer jedoch kurz vor der Rente steht und absolut keine Lust mehr auf Veränderungen hat, lässt sich schwer zur Verantwortungsübernahme überreden.
Aktuell hat das Thema jedoch wieder enorm an Wichtigkeit gewonnen. In einer Kollegialen Beratung mit Führungskräften wurde das Thema in verschiedenen Facetten drei mal von insgesamt 12 Fällen genannt: Motivation von schwierigen Mitarbeiter*innen (was auch immer das ist) oder auch Motivation von Menschen kurz vor der Rente. Und in einer Klausurtagung kristallisierte sich das Thema Motivation als unangefochtene Nummer 1 unter den Führungsaufgaben heraus.
Woher kommt auf einmal diese Renaissance des Themas Motivation? Dazu habe ich drei Hypothesen:
1. Der Personalmangel hievt das Thema Motivation wieder auf die Agenda
Vermutlich war das Thema niemals weg. In einer Zeit, in der wir jedoch mehr Bewerber*innen als Jobs hatten, musste man sich nicht so sehr darum kümmern. Bewerber A ist nicht motiviert. Dann nehmen wir eben Bewerberin B. Und zur Not warten wir die Probezeit ab.
Das hat sich durch den Personalmangel enorm verändert. Oder wie es ein Teilnehmer eines meiner Seminare neulich formulierte: „Bei uns geht es nicht mehr darum, die richtigen Leute zu finden. Wir sind schon froh, überhaupt jemanden zu finden.“
Das bedeutet jedoch auch, Mitarbeiter*innen einzustellen, die nicht automatisch top-motiviert sind. Viele wissen nicht einmal genau, was ihr potentiell künftiger Arbeitgeber so macht. Andere wollen am liebsten vom Homeoffice aus arbeiten und sich ansonsten gar nicht so sehr mit ihrer Firma beschäftigen. Und damit besteht die große „neue“ Aufgabe einer Führungskraft darin, auch diese Leute einzubinden und zu Leistungen anzutreiben, auch wenn sich die Begeisterung auf der Mitarbeiterseite in Grenzen hält.
2. Nicht wollen oder nicht können?
Die Dauerkrisenstimmung kann ähnlich wie die Unterscheidung zwischen Motivierten und weniger Motivierten ebenso zu einer Spaltung der Belegschaft führen. Den einen machen Krisen offensichtlich wenig aus. Wer jedoch sehr sensibel ist, kann durchaus zu einem labilen Mitarbeiter werden. Und mitunter leidet unter der psychischen Belastung auch die Leistungskraft. Deshalb ist es für Führungskräfte aktuell enorm wichtig zwischen nicht können und nicht wollen zu unterscheiden. Denn nicht jeder, der aktuell weniger Leistung bringt, ist unmotiviert. Viele sind derzeit einfach „nur“ überlastet und würden in stabilen Verhältnissen eine stabile Performance hinlegen.
3. Der Wertewandel in unserer Gesellschaft
Und schließlich ist auch ein Wertewandel in unserer Gesellschaft zu beobachten. Angestoßen von der Generation Z beschäftigen wir uns u.a. mit Themen wie einer 4-Tage-Woche. Die Liste der Beschwerden über die leistungsfeindlichen jungen Menschen ist lang:
Punkt 17.00 Uhr wird der Stift fallen gelassen.
Keine*r will mehr Verantwortung übernehmen.
Führung ist out.
Und was ist eigentlich mit dieser ominösen Extrameile passiert?
Aber sind junge Menschen heutzutage tatsächlich unmotivierter als in früheren Zeiten? Und wenn ja, haben sie nicht auch recht damit?
Andere Frage: Besteht Motivation darin, sein Privatleben zu vernachlässigen, Arbeit mit nach Hause zu nehmen, sich bis zum Burnout aufzuarbeiten und gerne auch nach Dienstschluss noch am Schreibtisch zu sitzen?
Was ist so schlimm daran, wenn ein Azubi sagt: Ich brauche feste Arbeitszeiten, weil ich heute Abend noch was vorhabe?
Ich persönlich hatte schon eine ganze Menge Trainings mit jungen Studierenden und bin eher selten auf wirklich unmotivierte Menschen gestoßen. Die meisten von ihnen waren durchaus sehr leistungsorientiert. Allerdings nicht um jeden Preis. Auch hier sollten wir das Thema Motivation nicht vorschnell an alten Maßstäben, bspw. der Uhrzeit, messen. Ein wesentlich passenderer Maßstab ist die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit. Wer den Sinn einer Arbeit versteht, ist meist auch motiviert, egal ob alt oder jung.
Das Fazit
Das Thema ist zurück, weil wir aktuell in zwei Welten leben. Gedanklich befinden sich viele Unternehmen noch in einer alten Welt mit alten Maßstäben zur Einordnung, wann jemand motiviert ist und wann nicht. Die reale Welt ist jedoch von Mitarbeiter*innen geprägt, die sich nicht mehr bedingungslos aufarbeiten wollen, die sich aufgrund des Personalmangels ihrer neuen Macht bewusst sind oder die von den aktuellen Dauerkrisen überfordert sind.
Führungskräfte kommen daher nicht umhin, ihre eigene Führung immer wieder neu zu reflektieren und sich Gedanken über Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit zu machen. Ein guter Ansatz dazu sind die Führungsprinzipien und -haltungen einer positiven Führung, u.a. indem eine positive Atmosphäre der Wertschätzung und des Respekts gefördert, der Arbeit einen Sinn verliehen wird und Mitarbeiter*innen entsprechend ihrer Stärken eingesetzt werden.
Positiv, Humorvoll, Wissenschaftlich fundiert
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