Wann Optimismus schädlich sein kann
Macht Optimismus wirklich resilient? Lässt uns Optimismus schwierige Umstände besser aushalten? Und ist Optimismus gesund?
Fakt ist: Depressive Menschen schätzen sich selbst viel zu inkompetent ein und ihr Umfeld viel zu kompetent. Der normale Mensch hingegen schätzt sich selbst viel zu positiv ein. Männer glauben zu 80% überdurchschnittlich gute Liebhaber zu sein, zu 90% eine überdurchschnittlich hohe Intelligenz zu haben und zu 75% überdurchschnittlich gut Auto zu fahren. Frauen wiederum schätzen ihre Popularität im Freundeskreis oder die Dauer ihrer Ehe zu hoch ein (vgl. Hasler, S. 81). Selbst bei der Präsentation solcher Zahlen sagen sich wohl die meisten: Das ist ja verrückt, aber bei mir stimmt es nun mal.
Eine solche unrealistische Sichtweise wäre nun grundsätzlich kein Problem. Die Welt ist schlimm genug. Wären da nicht die negativen Konsequenzen eines übertriebenen Optimismus:
- Wer glaubt, super gut Auto zu fahren, geht mehr Risiken auf der Autobahn ein.
- Wer glaubt, eine Top-Freundin zu sein, ist überrascht, wenn plötzlich kritische Stimmen aufkommen.
- Wer glaubt, ein super Liebhaber zu sein, fällt aus allen Wolken, wenn die eigene Frau eines Tages die Koffer packt.
Auch auf der großen Politikbühne kann Optimismus schädlich sein. Putin glaubte offensichtlich, er könne die Ukraine im Handstreich erobern, was nicht funktionierte. Und Selenskyj glaubt daran – zumindest hat es den Anschein – die Krim zurückzuerobern. Der Beweis steht noch aus, aber einfach wird es nicht. Jedenfalls gilt es festzuhalten, dass Kriege nicht von Pessimisten, sondern idR. unrealistischen Optimisten geführt werden. Die Welteroberungsphantasie eines Adolf Hitler ist da wohl nur die absolute Spitze des Eisbergs.
Solche narzisstischen Machbarkeitsgedanken fußen letztlich auf einem übertriebenen Selbstwertgefühl. Während Psycholog*innen seit den 70ern davon ausgingen, man müsse nur das Selbstwertgefühl der Menschen mit Therapien und Feelgood-Programmen steigern, um eine bessere Welt zu schaffen, legen neuere Studien nahe, dass ein zu hohes Selbstwertgefühl zu Aggressionen und Narzissmus führen kann. Eigentlich logisch: Wer mit dem Mantra aufwächst, einzigartig zu sein und alles erreichen zu können, wenn er oder sie es nur will, dann jedoch auf Widerstände stößt, gerät schnell in eine Frustrations-Aggressions-Spirale. Was bei Menschen mit Depressionen oder allgemein einem unrealistischen Pessimismus funktioniert, hat bei Menschen, die ohnehin schon einen unrealistischen Optimismus an den Tag legen – und das geht wohl den meisten von uns so – einen negativen Effekt (vgl. Hasler, S. 88f). Ein Thema, das uns in Zukunft aufgrund der Instagramisierung der Welt sicherlich noch reichhaltig beschäftigen wird.
Wann Optimismus angebracht ist
Wann ist Optimismus also angebracht?
Letztlich geht es immer darum zwischen Situationen zu unterscheiden, die ich beeinflussen kann und solchen, auf die ich kaum einen Einfluss habe:
- In Situationen, die ich beeinflussen kann, sollte ich eine gewisse Demut an den Tag legen, insbesondere wenn andere Menschen von mir abhängig sind. Kriege sind hier der Extremfall. Aber auch im Alltag sind andere Menschen von meinem Fahrverhalten oder meinen Leistungen in der Arbeit oder als Freund*in abhängig.
- In Situationen, die ich nicht beeinflussen kann, beispielsweise in Krisen wie dem aktuellen Personalmangel oder einer dauerhaften Unterbesetzung im Team, brauche ich Optimismus, Zuversicht und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hier richtet mein Optimismus keinen Schaden an, weil ich ohnehin wenig ausrichten kann.
Optimismus-Strategien
Doch wie bringe ich mich in eine positive Stimmung und sollten wir in Krisen nur noch positiv denken?
Die Vielzahl der Ratgeber zum Thema macht es sich hier zu einfach. Alles Negative rosarot sehen und dann wird das schon mit der Resilienz? In Wirklichkeit ist es beruhigenderweise komplizierter. Zwar legen Untersuchungen nahe, dass die Zunahme positiver Emotionen hilfreich ist, um besser mit Krisen umzugehen. Auch das eigene Leben wird dadurch verlängert. Dafür müssen negative Gedanken jedoch nicht ignoriert werden. Ein umfassende Gedankenhygiene ist also nicht notwendig. Es geht nicht um eine stoische Umdeutung vom Negativen ins Positive, sondern um ein Ausschöpfen der ganzen emotionalen Bandbreite im Sinne von: „Es ärgert mich, dass wir dauerhaft unterbesetzt sind, dadurch wächst das Team aber auch enger zusammen.“
Durch die Ergänzung der negativen Sichtweise weitet sich nach der Broaden-and-Build-Theorie nach Barbara Fredrickson unser kreatives Denkfeld (vgl. Hübler, S. 25):
- Broaden: Eine positive Stimmung führt zu einer Erweiterung unserer Wahrnehmung. Zudem können positive Emotionen wie Optimismus, Freude, Inspiration, Hoffnung oder Neugier die Folgen negativer Stimmungen aufwiegen. Die veränderte Wahrnehmung verändert unser Denken. Ich gehe kreativer mit Problemen um und bekomme auch einen schärferen Zukunftsblick.
- Build: Damit baue ich langfristig Expertenwissen auf, komme mehr in Kontakt mit anderen und werde flexibler im Handeln. Geht es mehr Menschen im Team so, ergeben sich positive Kettenreaktionen.
Wie erreiche ich nun einen solchen positiven Blick für den Umgang in Krisenzeiten:
- Ich kann meine negativen Sichtweisen mit einer positiven Sichtweise ergänzen.
- Ich kann über den Sinn hinter einer Belastung nachdenken. Gerade in Krisen zeigt sich bspw. wer wahre Freunde sind.
- Ich kann zu mir sagen: Egal wie lange die Belastung anhält, irgendwann ist sie zu Ende. Oder aber ich bin so daran gewachsen, dass sie mir nicht mehr als Belastung vorkommt.
- Ich kann zu mir sagen: Die Belastung betrifft nur einen Teilaspekt meiner Person und meines Lebens.
- Ich kann zu mir sagen: Manche Dinge passieren, auf die ich selbst keinen Einfluss habe. Jetzt gilt es, diese unverschuldete Belastung auszuhalten.
Literatur:
Greogor Hasler – Resilenz: Der Wir-Faktor
Michael Hübler – Mit positiver Führung die Mitarbeiterbindung fördern