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Das Fürchten lernen

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Diffuse Ängste versus konkrete Furcht

Gerade unter Dauerbelastung sind Ängste oft diffus:

  • Wird es jemals besser werden?
  • Vermutlich sind wir noch lange unterbesetzt.
  • Werde ich durchhalten?
  • Wenn ich nicht durchhalte, was werden meine Kolleg*innen sagen?
  • Bestimmt bin ich die Person, die sich am meisten überlastet fühlt.
  • Wenn ich ausfalle, werden meine Kolleg*innen meine Arbeit mitmachen müssen und bestimmt sauer auf mich sein.

Solche diffusen Ängste aktiveren uns zwar meist nur leicht, jedoch dauerhaft. Wir sind sozusagen ständig in Hab-Acht-Stellung und können uns nicht erholen. Stattdessen ist es sinnvoller, diffuse Ängste in eine konkrete Furcht zu übersetzen. In diesem Fall wird unser Körper einmalig stark aktiviert und weiß dann woran er ist.

Wovor könnten wir uns also konkret fürchten:

  • Ja, vermutlich sind wir auch noch in einem halben Jahr unterbesetzt.
  • Ja, vermutlich müssen wir alle in nächster Zeit mehr arbeiten.
  • Ja, vermutlich wird der ein oder andere im Team ab und an eine Auszeit brauchen, um keinen Burn-out zu bekommen.
  • Ebenfalls ja, vermutlich werden wir klare Prioritäten setzen müssen, um einigermaßen mit der Arbeit hinterher zu kommen und vermutlich werden wir manche Qualitätsstandards nicht zu 100% halten können oder manche Aufträge langsamer als sonst erledigen.
  • Und ja, vermutlich werden manche Kund*innen verärgert sein, aber gute langjährige Kunden werden wahrscheinlich Verständnis für die aktuelle Situation haben.

Na und? Wie heißt es so schön: Hängen Menschenleben dran? In Kliniken ja, an vielen anderen Orten nicht. Und schließlich sind auch Mitarbeiter*innen Menschen, die nichts dauerhaft Unmenschliches leisten können.

Manche Ängste werden so zu einer Furcht, auf die wir reagieren können:

  • Kund*innen können informiert werden.
  • Ob eine Abkehr von einem hohen Perfektionismus wirklich negative Folgen hat, muss sich erst zeigen.
  • Und Auszeiten zur Erholung können eingeplant werden.

Andere Ängste müssen nicht einmal in Furcht umgewandelt werden, sondern lösen sich durch einen Austausch im Nichts auf:

  • Vermutlich bin ich nicht die einzige Person, die sich Sorgen macht.
  • Vermutlich haben meine Kolleg*innen mehr Verständnis als ich zuvor dachte und sind daher gar nicht sauer auf mich, wenn ich bspw. aus lauter Stress einen Fehler mache. Überhaupt erhöht die Angst vor Fehlern und deren Konsequenzen die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich einen Fehler zu machen enorm.

Dinge beim Namen zu nennen fördert die Handlungskompetenz

Tatsächlich vermeiden wir häufig die Konfrontation mit einer konkreten Furcht und bleiben lieber in der diffusen Angst, gerade weil die Furcht uns stärker aktiviert als die Angst. Es ist vermeintlich angenehmer, sich über diffuse Zustände zu ärgern – das System, der Staat, mein Unternehmen, der Personalmangel, usw. – als konkret zu klären, welche Konsequenzen uns wirklich drohen und damit die eigene Handlungskompetenz zu erhöhen. Umso wichtiger ist es, die Dinge beim Namen zu nennen und das richtige Fürchten vor etwas Konkretem wieder zu lernen.

Die egoistische Angst

Derzeit geht die Angst um. Sie wird oftmals als sozial gedeutet. Wir tragen nun Gemeinschafts-Masken als Zeichen der Solidarität. Manche finden das gemein. Die selbstgenähten Masken bringen laut der WHO gar nichts, dienen jedoch der Verbrüderung und Verschwesterung der Menschen. Da ist es schon eine Unverschämtheit, dass gerade die alten Menschen dies oft nicht verstehen oder nicht wirklich wertschätzen.

Wie sozial ist die Angst jedoch in Wirklichkeit?

Angst ist zuerst einmal ein egoistisches Gefühl. Ein Gefühl, dass uns vor direkt erlebbaren Gefahren warnt. Ein Gefühl, das uns sagt: Bereite dich besser auf diese Prüfung vor, sprich noch mal mit deinen Eltern, bevor es zu spät ist oder fahr nicht zu schnell um die Kurve. Angst lässt sich mit der Befürchtung verbinden, etwas zu verlieren. Unser Bild in der Öffentlichkeit, unsere Eltern, unser Leben. Wenn wir uns freuen, bereiten wir uns auf etwas vor. Wenn wir trauern, ist der Fall abgeschlossen. Zwischendrin ist die Angst. Sie hofft noch, sie bangt, zittert und ist unsicher.

Was also könnten wir verlieren? Tatsächlich oder nur imaginiert. Die Gemeinschaft beispielsweise. Wir sind Herdentiere. Ist es nicht schön, zu wissen wo man und frau hingehört. Diese Sichtweise lässt sich drehen und wenden wie man oder frau will. Sie stimmt immer. Gehen wir ein wenig ins Detail, lassen sich auch hier wieder die üblichen Gruppenbildungen ausmachen: Dort sind die Impfgegner, dort die Kapitalisten, die Egoisten, die Solidarischen, die ewigen Nörgler, die Zündler, die Nazis, die Helden des Alltags, die Philanthropen, die Kriegsgewinnler, usw. Gerade in der Krise scheint es den tiefen menschlichen Impuls zu geben, zu wissen, dass man auf der richtigen Seite steht und vor allem nicht alleine ist. Damit tauchen zwangsläufig alte Gewissheiten auf, die meistens mit dem Satz beginnen: Das ist ja mal wieder typisch, …

Wir könnten auch Angst um die eigenen Freiheiten haben. Ich höre oder lese in letzter Zeit häufig den Satz:”Wenn wir das jetzt nicht machen, wird es noch viel schlimmer und dann sperren sie uns weg wie in Frankreich.” Oder:”Weil du dich so unsozial verhältst und auf eine Demo gehst, werden die Maßnahmen verlängert oder ausgeweitet.” Das ist interessant, zeigt es doch den egoistischen Ansatz der Angst als Verteidigungshaltung nach außen. Ich könnte meine Freiheit verlieren, wegen dir. Vielleicht empfindet jeder von diesen Menschen auch die soziale Angst, einen lieben Freund an das C zu verlieren. Es ist jedoch meist der Egoismus, der in Diskussionen in wütende Beschimpfungen umschlägt.

Ein Mensch, der gegen die Beschneidung des Rechtsstaats demonstriert, hat auch Angst. Er hat sicherlich auch eine egoistische Angst. Er will vielleicht nicht zwangsgeimpft werden oder kämpft für sein Recht auf Berufsausübung. Es gibt kaum ein Wort, das so brutal wiederspiegelt, wie wichtig oder unwichtig ein Mensch für die Gesellschaft ist wie der Begriff der Systemrelevanz. Während uns die Medizin am Leben hält, hält uns die Kunst bei Verstand. An einem Gedankenspiel verdeutlicht: Können wir uns ein Leben ohne Musik, Bücher oder Filme überhaupt vorstellen? Wieviel ist unser Leben noch wert, wenn wir zwar mit medizinischen Mitteln am Leben gehalten und zudem weggesperrt werden, jedoch keine kulturelle Freude mehr erleben dürfen?

Doch zurück zu den egoistischen Demonstranten. Wohnt dem Einstehen für unsere Grundrechte nicht etwas zutiefst Soziales inne? Einige gehen sicherlich aus Spaß am Krawall auf die Straße. Andere machen sich ernsthafte Sorgen darüber, in was für einem Land ihre Kinder und die Kinder aller anderen Menschen einmal leben werden.

Meist kommt dann der Einwand, dass kurze Beschneidungen des Alltags in Kauf genommen werden müssen, um Leben zu retten. Was ist jedoch bei der nächsten Pandemie oder der nächsten Grippewelle? Bei einer Grippe sterben jährlich bis zu 25.000 Menschen in Deutschland. Wäre es nicht sinnvoll, auch hier einen Ticker im Internet mitlaufen zu lassen, damit wir wissen, wo, wie und wann wir uns wahrscheinlich anstecken werden? Und was wir dagegen tun sollten. Klingt ein wenig nach: Und täglich grüßt das Murmeltier … Nur nicht so lustig.

Rette sich wer kann

“Ich möchte mich nicht hinstellen und die Entscheidung getroffen haben, wenn in einem Monat in Deutschland 10.000de Menschen sterben.” Eine Aussage, die aktuell häufig zu lesen ist.

Es ist derzeit erschreckend klar verfolgbar, was in der Entscheidungsfindung schon lange bekannt ist. Der Mensch – und Politiker sind auch Menschen – tendiert zu defensiven Entscheidungen. Er möchte Leiden verhindern anstatt Leiden zufügen.

Die Entscheidung, alte Menschen in den Tod hinüber zu beatmen und dabei laut Palliativmedizinern etwa 10% davon zu retten, auch wenn sie davon mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einen Hirnschaden davon tragen, gleicht einer solchen defensiven Entscheidung. Dieses Muster war in den ersten Wochen der Krise deutlich erkennbar und ist ja immer noch aktuell. Die Logik ist nicht neu. Ärzte tun, was sie dank dem hippokratischen Eid schon immer taten: Sie retten Leben. Während jedoch früher die Grenze zwischen Leben und Tod klar gezeichnet schien, haben sich die medizinischen Apparate dergleichen weiterentwickelt, dass die Grenze, wann der Tod beginnt und das Leben aufhört immer unklarer wird.

All die depressiven Menschen in Altenheimen, die Kindeswohlgefährdungen, die misshandelten Frauen und bankrotten Geschäftsmenschen waren damals noch nicht sichtbar. Wer seine Wahrnehmung öffnete, konnte sie antizipieren. Damals waren jedoch die Toten aus Bergamo noch zu präsent. Rette Leben! Und verdränge die Kollateralschäden!

Die Toten blieben aus. Die Kliniken sind leer. Nun hat sich die Wahrnehmung verschoben. Die Leiden der anderen werden sichtbar. Die Szenarien des Ethikrates und anderer Mahner bekommen ein Gesicht. Zum Beispiel das Gesicht trauriger alter Menschen in Pflegeheimen.

Nun geht es erneut darum, defensiv zu entscheiden und Leid zu verhindern.

Gut, dass wir das nicht entscheiden müssen, sagen sich die Menschen. Dafür sind schließlich Politiker zuständig. Gut, dass wir das nicht entscheiden müssen, sagen sich die Politiker. Dafür haben wir schließlich unsere Wissenschaftler. Gut, dass wir das nicht entscheiden müssen, sagen sich die Wissenschaftler. Dafür … verdammt noch eins, wenn Wissenschaftler jetzt mit Gott kommen, dann stimmt hier was nicht. Gott wiederum spricht: Leute, vertraut auf die Evolution und alles wird gut.

In diesem Sinne: Rette sich, wer kann!

Gedächtnis und Entscheidungen

Dieser etwas kryptische Titel verweist auf eine Besonderheit von unserem Gedächtnis, die u.a. dazu führt, dass wir in vielen Situationen dazu tendieren lieber auf Nummer Sicher zu gehen anstatt ein wenig Weitblick wa(a)gen.

Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hat vor vielen Jahren anhand einer Vielzahl von Interviews herausgefunden, dass wir Menschen keineswegs ökonomische Entscheidungen treffen, sondern i.d.R. immer auch emotionale Beweggründe mit eine Rolle spielen. Und oftmals sind die Bedenken oder Ängste doppelt so groß wie die Erwartungen, dass etwas positiv ausgeht. V.a. wenn wir unter Stress geraten, tendieren wir eher zu dem sicheren Weg, der da lautet:

Lieber Nichts machen anstatt etwas Falsches machen!

Dass dem so ist, liegt u.a. an unserem Gedächtnis. Denn unser Kurzzeitgedächtnis, dass ja auch letztlich für unser (kurzfristiges) Überleben zuständig ist, tendiert i.d.R. eher zu einer pessimistischen Sichtweise (Obacht!), während unser Langzeitgedächtnis optimistischer ausgerichtet ist (Wird schon werden!). Dieses Verhältnis ist freilich auch stark persönlichkeitsabhängig. Um diesen Effekt zu umgehen, gibt es mehrere Strategien:

  • Trainieren Sie Ihr Langzeitgedächtnis. Wenn Sie an Ihre Vergangenheit denken, werden Sie merken, dass die meisten gesunkenen Aktien auch wieder steigen. Wenn Sie einen Unfall hatten, werden Sie sich auch wieder erholen. Und am Ende lernen Sie dadurch neue Menschen kennen, die Sie nicht mehr missen möchten.
  • Was alte Menschen am meisten bedauern, ist das, was sie nicht getan haben. Nicht jedoch das, was Sie getan haben. Denn das erste konnten sie trotz aller Fehler und Schwächen in ihr Leben einbauen. Vom zweiten wissen Sie nicht einmal, ob es funktioniert hätte oder nicht. Wir trauern als am meisten unseren verpassten Chancen nach!
  • Reduzieren Sie akuten Stress in Entscheidungssituationen. Denn sonst tendieren Sie zum einen dazu, zu stark auf Ihre Bedenken zu hören (Bedenken sind grundsätzlich gute Ratgeber, zu starke sind jedoch hinderlich), zum anderen führt es aber auch zu einer Blockade des Langzeitgedächtnisses, ja sogar zur Löschung einzelner Nervenverbindungen (das typische Prüfungsstressphänomen).
  • Simulieren Sie mental aufgrund Ihrer Erfahrungen eine mögliche Zukunft und nehmen hier auch die Bedenken mit in Ihr Denken. Dadurch versöhnen Sie den (zu starken) Pessimismus der Gegenwart mit dem (zu starken) Optimismus der Vergangenheit.

Am besten verbunden mit der Lebensmaxime: Mach’ lieber etwas, das einigermaßen richtig ist statt gar nichts!