Schlagwort-Archive: Ziele

Trotz dem weiter machen

Bild von jcomp auf Freepik

In Krisen und unter Dauerbelastungen, bspw. bei einer dauerhaften Unterbesetzung, gelten andere Regeln:

  • Es wird mehr improvisiert als geplant.
  • Wir sollten uns auf das konzentrieren, was machbar ist.
  • Der erhöhte Aufgaben- und Zeitdruck erfordert eine Abkehr von einem übergroßen Perfektionismus. Es braucht daher eine manchmal schmerzhafte Prioritätensetzung.
  • Und auch große Visionen haben es schwer, wenn die Zukunft unsicher ist. Stattdessen wird auf Sicht gefahren, um die schlimmsten Verluste zu vermeiden.

Gerade in Krisenzeiten brauchen wir daher mehr Austausch als sonst (siehe auch https://www.m-huebler.de/warum-ziele-keine-zuversicht-und-motivation-mehr-vermitteln-und-was-wir-in-krisen-stattdessen-brauchen).

Doch reicht das aus? Oder brauchen wir als Mensch nicht auch Ziele, um nicht depressiv zu werden? Brauchen wir nicht trotzdem, bzw. trotz dem ganzen Drama um uns herum und der damit verbundenen Ungewissheiten Visionen und Ziele von einer besseren Welt, oder im Kleinen von einem vollständig besetzten Team? Brauchen wir nicht trotzdem das Vertrauen darauf, dass es eines Tages wieder besser wird?

Die Erfahrung, dass Ziele uns helfen, um stabil zu bleiben, kennt vermutlich jede*r. Man freut sich, die Masterarbeit endlich abgegeben zu haben … und fällt kurz darauf in ein tiefes, schwarzes Loch. Das Projektteam hat so gut zusammengearbeitet und dann, kurz nach Projektende, geht das Gezänke los. Wohl dem, der seinem Team ein weiteres Projekt präsentieren kann.

Das reine Weitermachen scheint eine ganze Zeit lang gut zu gehen. Letztlich sind aber Visionen und Ziele für unsere Psyche wie Nahrung für unseren Körper.

Die gesellschaftliche Stimmung spricht aktuell eine andere Sprache:

  • Viele junge Menschen wollen keine Kinder mehr in die Welt setzen. Goodbye Projekt Familiengründung.
  • Ein Haus zu bauen kann sich kaum noch jemand leisten.
  • Große Projekte stehen ohnehin im Verdacht, zu viele Umweltressourcen zu verschwenden.
  • Die nächste Urlaubsreise sollte auch bitteschön im Rahmen bleiben, um ressourcenschonend auszufallen. Andernfalls droht Reisescham.
  • Auch Karriere zu machen bzw. eine Führungsposition anzustreben erscheint vielen jungen Menschen nicht mehr attraktiv zu sein.

Ich hatte an anderer Stelle (https://www.m-huebler.de/wie-umgehen-mit-dem-motivationsknick-junger-mitarbeiterinnen) bereits über die 4 Phasen der Motivation geschrieben:

  1. Energie haben
  2. Sich ein Ziel setzen
  3. Durchhalten
  4. Das eigene Ziel gegen Widerstände verteidigen

Dabei stellt sich die Frage, woran es liegt, dass wir nicht mehr groß denken:

  • Haben wir nach der Pandemie, einem Krieg nach dem anderen, Diskussionen über das Klima, usw. keine Energie mehr für große Ideen?
  • Gibt es tatsächlich einen moralischen Vorbehalt gegen große Visionen, zumindest wenn sie nicht umweltschonend und nachhaltig sind?
  • Fehlt uns die Geduld und Beharrlichkeit unsere Ziele auch langfristig zu verfolgen?
  • Haben wir verlernt, für unsere Ideen, die zu Beginn oft noch klein und zerbrechlich sind, einzustehen?

Der Trotz hat einen schlechten Ruf. Er gilt als kindlich und naiv. Es lohnt sich nicht, sich trotzig für etwas einzusetzen, das ich ohnehin nicht haben kann. Wer klug und erwachsen ist, tut so etwas nicht. Aber vielleicht brauchen wir genau diesen kindlichen Trotz, verbunden mit der kindlichen Energie, an positive Visionen zu glauben, gerade weil derzeit vieles dagegen spricht:

  • An Frieden glauben, auch wenn wir wissen, dass es immer wieder Krieg geben wird.
  • An der Einigkeit im eigenen Team arbeiten, auch wenn es immer wieder Streit gibt.
  • Projekte verfolgen, die zumindest eine kleine Chance haben, verwirklicht zu werden. Und wenn sie scheitern, können wir zumindest etwas daraus lernen.

Vielleicht hatte Albert Camus recht, als er schrieb: Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen. Er weiß, dass der Stein niemals oben bleibt. Die Entropie, d.h. der Zerfall, ist immer stärker als der Aufbau. Vertrauen ist immer schneller verspielt als wieder hergestellt. Ich muss also wie die Rote Königin bei Alice im Wunderland rennen, um zumindest auf der Stelle zu bleiben.

Das ist anstrengend, kein Frage. Wäre es nicht angenehmer, seine Energie zu schonen, wenn wir schon wissen, dass wir unsere Ziele ohnehin selten so erreichen wie wir sie geplant hatten? Wäre es nicht weniger frustierend, uns mit Netflix, Amazon Prime und Disney+ „zu Tode zu amüsieren“ (Neil Postman)?

In der Psychologie gibt es den Begriff der „Psychischen Homöodynamik“: Wenn wir scheitern, verarbeiten wir diese Erkenntnis. Versuchen wir es gar nicht erst, wissen wir nicht, ob es funktioniert hätte oder nicht. Deshalb machen langfristig selbst gescheiterte Projekte glücklicher als Projekte, die wir zwar als Ideen hatten, aber nie in Angriff nahmen.

Auch wenn ich keine Studien dazu kenne, liegt es aufgrund des Zusammenhang zwischen unserer Psyche, unseres Gehirns und Immunsystems nahe, dass verfolgte Ziele nicht nur glücklich machen, sondern uns auch gesund halten. Denken wir uns also Sisyphos nicht nur als glücklich, sondern auch als gesunden Menschen.

Literatur:

Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos

Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode

Christian Schubert: Was uns krank macht – was uns heilt. Aufbruch in eine neue Medizin.

Christian Schubert: Das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren: Gesundheit und Krankheit neu denken.

Lutz Bannasch und Beate Junginger: Gesunde Psyche, gesundes Immunsystem: Wie Psychoneuroimmunologie gegen Stress hilft.

Warum Ziele keine Zuversicht und Motivation mehr vermitteln und was wir in Krisen stattdessen brauchen

Ziele als Hoffnungsspender und Motivator

In der Vergangenheit wurden Ziele eingesetzt, um einen Wunschzustand anzustreben bzw. die Lücke zwischen einem Wunschzustand und dem Ist-Zustand zu überbrücken. Ziele hatten damit zwei Funktionen:

  1. In schwierigen Zeiten wirkten sie als Hoffnungsspender: „Momentan durchleben wir eine Krise. Es wird aber auch wieder besser und wir können gemeinsam etwas dafür tun.“
  2. In normalen Zeiten versprachen sie Wachstum und Fortschritt und wirkten damit motivierend. U.a. aus diesem Grund ist Projektarbeit meist spannender als eine Akte nach der anderen abzuarbeiten: Es gibt ein Ziel und Meilensteine als kleine Ziele auf dem Weg dorthin.

Beide Funktionen wirken verbindend: Wir arbeiten gemeinsam an einer besseren Zukunft.

Aktuell erscheint es in vielen Bereichen schwierig, mit Zielen zu operieren. Das Wachstum-Versprechen ist meist verbunden mit noch mehr Ressourcenverbrauch und damit einer weiteren Ausbeutung der Umwelt. Wir könnten also mit einer Zielerreichung den Kampf gewinnen und gleichzeitig den Krieg verlieren. Außer man versucht, die Umweltthematik mit einzubauen. Und das Hoffnungsversprechen erscheint nach Jahren der Krise(n) immer unglaubwürdiger. Kaum eine Führungskraft kann sich noch hinstellen und behaupten, wenn wir noch ein paar Monate Gas geben wird es schon wieder werden.

Unterschiedliche Möglichkeiten Verbindungen in Unternehmen herzustellen

Die folgende Matrix verdeutlicht anhand der drei Zeiten unterschiedliche Möglichkeiten Verbindungen in Unternehmen herzustellen:

VerbindungenGemeinsame ErfahrungenAchtsamkeit Austausch über Erkenntnisse und ErfahrungenGemeinsame Ziele mit positiven Auswirkungen für alle

VergangenheitGegenwartZukunft
AbstoßungenHadern mit der Vergangenheit Verurteilung der VergangenheitEgoistische Selbst-optimierung Präsentismus, Hektik und Impulsivität Konkurrenz-denkenFehlende Ziele Ambivalente Zielerreichungen Egoistische Ziele

Gleichzeitig verdeutlicht die Matrix Abstoßungsphänomene, die Bindungen untereinander erschweren (Vgl. https://taz.de/Hartmut-Rosa-im-Gespraech/!5902948):

  1. Der Konsens über die Richtigkeit vergangener Handlungen und Vorgehensweisen ist oft nicht mehr gegeben.
  2. Es geht mehr um das eigene Vorwärtskommen und die eigene Selbstoptimierung als um die Optimierung eines Gruppengefüges. Bei gleichzeitiger Verkleinerung des Kuchens macht sich Konkurrenzdenken breit.
  3. Wie bereits dargestellt fehlt es an plausiblen und erreichbaren Zielen.

Es geht nun nicht darum keine Ziele mehr zu verfolgen. Wir sollten jedoch davon wegkommen, dass bereits gemeinsame Ziele eine verbindende Wirkung in Unternehmen haben.

Paradigmenwechsel zum Aufbau von Bindungen in Unternehmen

Wenn nun Ziele nicht mehr so viel Motivation und Zuversicht vermitteln wie bislang, erscheint es sinnvoll, den Fokus auf die beiden anderen Zeiten zu erweitern, die Vergangenheit und die Gegenwart.

Auch die gemeinsame Vergangenheit hat es schwer, wenn der unausgesprochene Subtext von „Ich hätte das anders gemacht!“ lautet: „Das war schon damals falsch!“. Oftmals fehlt also der historische Blick auf den Kontext einer Situation, vor dem bspw. Dieselautos gebaut wurden, die heute nicht mehr erwünscht sind. Vieles, was heutzutage seltsam anmutet, war zur damaligen Entstehungszeit Mainstream und lässt sich daher ohne den geschichtlichen Kontext nicht verstehen. Ungünstigerweise findet jedoch immer weniger Austausch zwischen Generationen und Menschen unterschiedlicher Ansichten und Meinungen statt. Während früher in Familien noch gemeinsam Fernsehen geschaut wurde, haben Kinder heute ihren eigenen Netflix, Disney+, etc. -Zugang. Auch Musik wird nicht mehr gemeinsam konsumiert. Damit fehlt jedoch eine gemeinsame Basis des Austauschs. Auf gesellschaftlicher Ebene leben wir ebenso in unseren eigenen Filterblasen, die sich lediglich begegnen, um darin bestätigt zu werden, wie seltsam die anderen Blasen sind, um sich anschließend wieder auf sich selbst zu konzentrieren. Und während im Flur und in Kantinen früher der Klatsch und Tratsch der Woche ausgetauscht wurde, sitzt nun jede*r alleine im Homeoffice.

Umso wichtiger ist es gerade für Unternehmen, den gemeinsamen Austausch der Bindung wegen zu fördern und anzuregen, beispielsweise über ein Biographisches Interview.

Ich werde in Führungstrainings häufig gefragt, ob das nun bedeutet, als Führungskraft zwangsläufig mehr Teambildung machen zu müssen. Das muss es jedoch nicht. Wenn Mitarbeiter*innen kaum zusammenarbeiten, braucht es auch keine Teambildung. Es kann zwar bei Mitarbeiter*innen das Bedürfnis vorhanden sein, sich mehr miteinander auszutauschen. Wenn dies jedoch für die Arbeit nicht notwendig ist, kann ein solcher Austausch auch privat stattfinden, wenn es das Bedürfnis dafür gibt.

Neugier als Kernstrategie gegenseitiger Verbindungen

Für einen arbeitsbedingten Austausch ist wiederum in der Gegenwart eine Haltung wichtig, die weniger auf Leistung – inklusive Selbstoptimierung und Konkurrenz – aufbaut, sondern auf Neugier basiert. Neugier führt zur gegenseitigen Ergänzung und damit Verbindung und Unterstützung, was insbesondere in Krisenzeiten ein enorm wichtiges psychisches Kapital ausmacht.

Führungskräfte und Teamleitungen sollten daher die Neugier ihrer Teams gezielt anregen. Neugierig kann ich beispielsweise auf Erfahrungen, Sichtweisen, Herangehensweisen, Fähigkeiten im Umgang mit Stress, usw. sein.

Praxistipp: Strukturaufstellungen Eine gute Möglichkeit, die Neugier in Teams zu wecken sind systemische Strukturaufstellungen. Vor einigen Jahren bekam ich den Auftrag einen Konflikt in einem Verein zu schlichten. Zur Verdeutlichung, worauf der Konflikt fußte, überlegte ich mir Fragen wie: Wer hat Kinder? Wer keine? Für wen ist sein Ehrenamt sehr wichtig? Für wen weniger wichtig (bspw. als seine Familie)? Wer hat viel Zeit? Wer weniger? Wer ist von Beginn an dabei? Wer sieht sich eher als Frischling? Usw. Je nach Frage kann es also zwei eindeutige Pole geben oder auch eine durchgehende Linie, auf der sie sich positionieren können. Die Teilnehmer*innen stellten sich entsprechend gegenüber im Raum auf. Sie konnten sich jedoch auch in die Mitte der beiden Pole stellen, bspw. wenn jemand erwachsene Kinder hatte oder seit 2-3 Jahren dabei war. Nachdem klar war, wer eher auf der einen oder anderen Seite steht, durften die Teilnehmer*innen eigene (neugierige) Fragen an die jeweils andere Gruppe stellen.

Literatur (externe Links):

Michael Hübler – Du bist nicht schuld! (Möglichkeiten des Austausches in Teams zum Umgang mit Dauerstress)

Michael Hübler – Wir sollten Reden! (Eine Anleitung zum Umgang miteinander bei Meinungsverschiedenheiten)

Michael Hübler – Die Bienenstrategie (Übertragung der Zusammenarbeit von Tieren auf Teams inklusive einer Vielzahl an Teamtools, bspw. Systemische Strukturaufstellungen)

Michael Hübler – Mit positiver Führung die Mitarbeiterbindung fördern (Der Titel sagt schon alles)

Selbstcoaching-Leitfaden

Neulich in einem Seminar zum Thema Work Life Balance kam die Frage auf, was ich tun kann, wenn das Mikrotraining zu Ende (es dauerte immerhin 6 Wochen lang) und der Coach des Vertauens (also ich) nicht mehr da ist? Wie schaut es also aus mit dem Transfer nach einem Seminar?

Natürlich gibt es die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu finden. Und manchmal passiert das auch. Gerade längere Mikrotrainings (6 * 1,5 Stunden inklusive Wochenaufgaben) schaffen einen guten Raum für Verbindungen zwischen den Teilnehmer*innen. Eine Seminarteilnehmerin erzählte beispielsweise davon, dass sie einen anderen Teilnehmer auf einer Veranstaltung traf und ihn fragte, wie es gerade läuft mit Pausen machen, um einer Überarbeitung zu begegnen. Aber letztlich sind das die Ausnahmen. Bleiben wir also realistisch.

Und genau dieser Realismus führte zu den folgenden Selbstcoachingfragen, die einen Großteil der Seminarinhalte noch einmal wiederspiegelten.

Ein solches Selbstcoaching ist aimmer dann sinnvoll, wenn Sie sich überlastet fühlen, demotiviert sind oder sich ganz einfach die Frage stellen: Was mache ich hier eigentlich gerade?

Sinnhaftigkeit und Ziele

  • Was mache ich gerade?
  • Wofür / für wen mache ich das?
  • Inwiefern passt das, was ich gerade mache, zu meinen langfristigen Zielen?

Aufgabenqualität und Perfektionismus

  • Muss oder will ich die Aufgabe perfekt abliefern?
  • Woher kommt das Müssen oder Wollen?
  • Was an meinem Perfektionismus ist belastend? Wann macht Perfektionismus Spaß?
  • Woran mache ich es konkret fest, die Aufgabe gut, sehr gut oder perfekt abzuliefern?
  • Reicht es, wenn das Ergebnis lediglich gut oder sehr gut ist?
  • Welche Risiken bestehen, wenn ich die Aufgabe nicht perfekt abliefere? Was darf also auf keinen Fall passieren?
  • Was kann ich tun, um diese Risiken zu vermeiden?
  • Ab wann wäre ich zufrieden, erleichtert oder stolz?
  • Wer außer mir würde es bemerken, wenn ich die Aufgaben nur „gut“ abliefere?

Meilensteine und nächste Schritte

  • Wie lange soll die Aufgabe / das Projekt insgesamt dauern?
  • Wie lautet der nächste Meilenstein?
  • Woran merke ich, dass ich diesen Meilenstein erreicht habe?
  • Wieviel Zeit gebe ich mir, um diesen Meilenstein zu erreichen?
  • Sollte ich diesen Meilenstein weiter unterteilen?
  • Wie lautet der nächste Schritt?
  • Wieviel Zeit gebe ich mir, um diesen Schritt zu erledigen?
  • Könnte ich etwas abgeben? Wenn ja: Was? Wenn nein: Was hindert mich daran?

Präsenz, Achtsamkeit und Konzentrationsfähigkeit

  • Was könnte mir helfen, eine vorherige Situation gut abzuhaken und damit ein Nachglühen zu vermeiden?
  • Welche drei Punkte sollte ich mir aufschreiben, um ein Vorglühen (Denken an die nächste Aufgabe) zu reduzieren?
  • Wieviel Energie möchte ich für die aktuelle Aufgabe einsetzen?

Kreative Pausen

  • Woran merke ich, dass ich eine kreative Pause brauche?
  • Wofür brauche ich eine Pause? Um einen Abstand von einem Problem und damit auf intuitive Lösungen zu kommen oder um wieder frischer im Kopf zu werden?
  • Was konkret mache ich dann? Sollte ich einfach so einen Spaziergang machen oder auf den Spaziergang eine Denkaufgabe mitnehmen?
  • Wie schaffe ich mir einen guten Zwischenabschluss vor der kreativen Pause?

Die Natur setzt sich keine Ziele

Die Natur geht nach der natürlichen Selektion vor. Umwelteinflüsse wie Hitze oder Kälte oder auch zufällige Sprünge führen zu Mutationen. Sofern diese Variationen ein Leben in der vorhandenen Umwelt leichter gestalten, setzen sich die Mutationen durch. Wenn nicht, sterben die kurzfristigen Mutanten aus.

Die Natur verfolgt keine Ziele in unserem Sinne. Sie verfolgt verschiedene Zwecke. Tiere oder Pflanzen entwickeln sich weiter und passen sich an, um zu überleben, mehr noch: um besser in die Umwelt zu passen. Um noch deutlicher zu werden: Nicht, um sich anzupassen – hier wurde Darwin häufig missverstanden – sondern, um mit den eigenen Fähigkeiten optimal in die Welt zu passen.

Um dies zu erreichen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine davon lautet Kampf. Doch wer einmal kämpft, muss immer kämpfen, um oben zu bleiben. Wenn es ein Gesetz des Dschungels gibt, dann ist es wohl dieses. Eine andere Möglichkeit besteht in der Kooperation. Und Kooperation mit anderen ist eine enorm kräfte- und ressourcenschonende Sache. Der höhere Zweck des ganzen in der Natur lautet Fortpflanzung. Ein Zweck, der ohne Kooperation und Kommunikation schwer denkbar ist, wenn wir von gewalttätigen Varianten absehen.

Fassen wir zusammen: In die Welt passen, einen Platz finden, mit anderen kommunizieren, sich verbinden, sich fortpflanzen. So lauten die verschiedenen Zwecke in der Natur.

Wir Menschen hingegen setzen uns Ziele: Wir streben eine große Karriere an. Wir wollen glücklich sein. Wir wollen ein Haus bauen. Wir machen Erfindungen. Wir bauen Autos. Unsere Kinder sollen eine gute Ausbildung bekommen. Warum nicht?

Aber vielleicht sollten wir uns ab und an weniger Ziele setzen und darauf vertrauen, daß das banale Leben aus Kommunizieren, Lachen, Kooperieren und Lieben bereits Glück genug beinhaltet.

Der Zeigarnik-Effekt

In den 1920er Jahren saß einst die russische Psychologiestudentin Bluma Seigarnik in einem Wiener Kaffeehaus und nippte an einem Glas Tee. Da sie die menschliche Natur studierte, fiel ihr folgendes auf: Wenn ein Kunde nach der Rechnung fragte, konnten die Kellner sich alles erinnern, was der Kunde bestellt hatte. Doch nachdem der Gast die Rechnung bezahlt hatte, war dieses Wissen wie gelöscht.

Zeigarnik wurde neugierig bat daraufhin im Rahmen einer Studie Versuchspersonen, eine Reihe einfacher Aufgaben auszuführen, z.B. einen Stapel aus Spielsteinen aufzubauen oder Spielzeug in eine Kiste zu legen. Bei einigen Aufgaben unterbrach sie die Teilnehmer, bevor sie mit der Aufgabe fertig waren. Genau diese unterbrochenen Aufgaben wurden am Ende wesentliche besser erinnert als die vollendeten Aufgaben.

Zeigarnik zufolge veranlasst der Beginn einer Handlung unser Gehirn, eine Art psychischer Unruhe zu erleben, die darauf drängt, das Begonnene zu Ende zu bringen.

Nutzbar ist dieser Effekt z.B. im Rahmen von Aufschieberitis: Menschen mit Aufschiebezwang verschieben oft den Beginn bestimmter Tätigkeiten, weil sie sich von der Größe der anstehenden Aufgabe überfordert fühlen. Wenn sie diese Aufgabe jedoch in minikleine Teile unterteilen und mit einem dieser Teile beginnen, spüren Sie den Drang, die Aufgabe bis zum Schluss durchzuführen.

In Coachings gibt es dazu den Spruch:“Was wäre der kleinste Schritt in Richtung Weiterentwicklung?“