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Gedankenhygiene betreiben

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Wir können uns sowohl positiv als auch negativ hypnotisieren. Welchen Weg wir wählen hängt weitgehend von unseren Gedanken ab. Als meine Kinder klein waren, war bei ihnen im Kindergarten der Begriff „Scheiße“ verboten. Als verantwortungsvoller Vater erklärte ich daraufhin meinen Kindern den Unterschied zwischen „Mist“ und „Scheiße“: „Wenn ihr eine Tasse kaputt macht, ist das Mist. Wenn ihr jedoch einen Kakao auf meinen Laptop verschüttet ist das Scheiße.“

Wir wählen nicht nur bestimmte Gedanken und Begriffe aus. An diesen Begriffen hängen durch die Vernetzung in unserem Gehirn ganze Gedanken- und Gefühlswelten. Wenn wir von Problemen und Konflikten sprechen, merken wir sofort, wie unsere Stimmung negativ wird. Sprechen wir jedoch von Aufgaben, Projekten, Chancen oder Herausforderungen, wirkt sich dies meist positiv auf unser Gemüt aus. In meinen Seminaren führe ich dazu ein Gedankenexperiment durch, dass ich mir von dem Hypnosystemiker Gunther Schmidt ausleihe – hier in einer Schnellversion:

  • Denken Sie an ein Problem aus der letzten Woche und achten darauf, wie es Ihnen damit körperlich geht.
  • Tauschen Sie nun den Begriff des Problems gegen den Begriff der Aufgabe aus. Wie geht es Ihnen körperlich damit?
  • Tauschen als als nächstes den Begriff der Aufgabe gegen den Begriff der Herausforderung aus. Wie geht es Ihnen damit?

Das Fazit ist immer ähnlich:

  1. Das Austauschen ist für 11 von 12 Personen emotional angenehmer, weil Probleme negativ besetzt sind. Meist ist ein Problem dabei, das sich nicht so einfach austauschen lässt. Die „Täuschung“ erscheint zu einfach.
  2. Das Austauschen gegen den Begriff der Aufgabe versachlicht das Thema und macht es damit handhabbarer. Bei vielen entsteht im Gehirn spontan eine Art Projektplan. Aufgaben passen meist – nicht immer – besser in den beruflichen Bereich und hängen eng mit Erwartungen und Rollen in der Arbeit zusammen.
  3. Das Austauschen gegen den Begriff der Herausforderung kann sowohl in privaten als auch beruflichen Bereichen passen. Manche Teilnehmer*innen wehren sich gegen den Begriff der Herausforderung im beruflichen Bereich, weil dieser in den letzten Jahren zu inflationär eingesetzt wurde: „Sehen Sie es als Chance! Wir stehen vor einer großen Herausforderung!“ Oftmals sollen damit reale Probleme verdeckt werden, wogegen sich unser Gehirn wehrt. Wenn es dennoch funktioniert, berichten die meisten von einem inneren Motivationsschub.

Es geht also nicht um ein simples „Think positiv!“ oder um ein magisches Austauschen von Begriffen, wie dies auf manchen Blog-Seiten propagiert wird. Um im Bild zu bleiben: Es geht nicht darum, zu einem klinisch sauberen Gehirn zu kommen, sondern darum, sich bewusst zu machen, wann ich mir übertriebene Sorgen mache und wann es angebracht ist, sich Sorgen zu machen. Es geht also um ein real angepasstes „Think positiv!“.

Organische Solidarität als Basis einer gelungenen Teambindung

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Teufelskreis Fluktuation

Viele Firmen haben derzeit einerseits mit einer hohen Fluktuation und andererseits mit einer Zusammenarbeit auf Distanz zu kämpfen. Beide Faktoren machen den Aufbau tiefer Beziehungen schwierig. Dabei wären Bindung und gegenseitiges Vertrauen so wichtig, um gut mit Stress und Krisen umzugehen. Damit befinden sich viele Teams in einem Teufelskreis:

  • Die hohe Fluktuation verhindert langfristige Bindungen.
  • Das Homeoffice kann gerade bei jungen Teams auch zu emotionalen Distanzen führen.
  • Damit wird jede*r mit Stress in Krisenzeiten alleine gelassen.
  • Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit eines frühzeitigen Wechsels.

Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?

Mechanische versus organische Solidarität

Der Soziologe Emile Durckheim unterschied zwischen einer mechanischen und einer organischen Solidarität. Die mechanische beruht auf einer Solidarität unter Gleichen, über die nicht nachgedacht werden muss, was in Familien der Fall ist. Oder aber die mechanische Solidarität wird künstlich hergestellt, wie wir das von Sekten, der Mafia oder aus dem Kommunismus kennen, indem die Gleichheit überbetont wird und persönliche Unterschiede unterdrückt werden.

Die organische Solidarität wiederum beruht auf Ergänzung durch Unterschiede. Während Kollege A kreativer ist, hat Kollegin B ein besseres Zeitmanagement. Eine organische Solidarität beruht daher nicht auf engen Gruppenzugehörigkeiten und damit engen meist persönlichen Bindungen, sondern auf der wechselseitigen Angewiesenheit aufeinander. Wie in einem Körper die verschiedenen Organe aufeinander angewiesen sind, kann in einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft das eine soziale Segment nicht ohne das andere bestehen. Die organische Solidarität beruht also nicht auf Ähnlichkeit, sondern auf einer gesellschaftlichen Notwendigkeit der Zusammenarbeit.

Die Stärke von Schwächen

Die organische Solidarität lässt sich gut mit einem Körper vergleichen. Ein Körper besteht aus verschiedenen Körperteilen mit unterschiedlichen Funktionen. Die Hände greifen, die Beine bringen uns voran, der Kopf denkt, der Magen verdaut, usw. Um geistig zusammengehalten zu werden, braucht unser Körper einen Sinn. Dieser kann im Selbsterhaltungstrieb, einer Vision von Glück und Zufriedenheit, der Abwesenheit von Schmerzen und Krankheit oder schlicht einem Gefühl von Lebendigkeit zu finden sein. Worin jedoch besteht die Idee des Zusammenhalts in einer organischen Solidargemeinschaft, beispielsweise einem Arbeitsteam?

Am wichtigsten sind sicherlich auch hier gemeinsame Ziele, eng verbunden mit dem Sinn der Team-Existenz: Wofür und für wen machen wir das alles? Wollen wir vielleicht sogar die Welt ein klein wenig besser machen?

Desweiteren gilt es aber auch, sich des Miteinanders stärker bewusst zu werden:

  • Wie wollen wir miteinander umgehen? Wie wollen wir uns loben und kritisieren? Wie mit Fehlern umgehen? Wie humorvoll darf es sein? Wie offen und ehrlich? Wofür gibt es Anerkennung? Was ist tabu?
  • Welche Stärken und Schwächen haben wir und wie können wir uns gegenseitig ergänzen?

Der zweite Punkt verdeutlicht, dass der alleinige positive Fokus auf Stärken für eine gegenseitige Bindung nicht ausreicht. Es braucht auch das Bewusstsein der eigenen Schwächen und damit verbunden die Demut, die Kolleg*innen zu brauchen.

Mechanische versus organische Teams

Viele Teams, die ich in den letzten Jahren begleitete, hatten einen familiären Charakter. Sie sahen sich als Teams, die nicht nur funktional zusammen arbeiten, sondern auch in der Teeküche gerne private Themen austauschten. Die Zusammenarbeit auf Distanz brachte hier eine drastische Zäsur. Plötzlich gab es viel weniger Möglichkeiten, sich spontan in der Pause über Privates auszutauschen. Damit wurde solchen Teams jedoch eine starke Quelle zur Bindung und zum gegenseitigen Vertrauen geraubt, im Sinne von: Wenn ich von A’s Kindern weiß, kann ich A auch von meinem Problemen erzählen. Solche Teams funktionierten folglich (zumindest zum Teil) als eine Gemeinschaft unter Gleichen nach dem Prinzip der mechanischen Solidarität.

In mechanischen Solidargemeinschaften ist Harmonie wichtig. Daher ist es schwierig, Probleme anzusprechen. Gleichzeitig glauben sie daran, wenig regeln zu müssen, wie miteinander umzugehen ist, wie gelobt und kritisiert werden sollte, wie mit Fehlern umgegangen wird, wofür es Anerkennung gibt und was tabu ist. In einer Gemeinschaft unter Gleichen braucht es dies auch nicht. Man kennt sich schließlich und trifft lieber spontane Vereinbarungen.

Im Vergleich zu einer Familie wird also deutlich: Je weniger gut sich Menschen kennen und je geringer daher die (natürliche) Bindung ist, desto wichtiger ist eine organische Solidarität. In dem Moment, wo sich mechanische Gemeinschaften auflösen, braucht es wieder mehr Regeln, Rituale und Rollen, aus denen die jeweiligen Stärken der Beteiligten deutlich hervorgehen.

Eine Bindung im Team ist also durchaus auch bei einer hohen Fluktuation möglich, wenn die Erwartungen aneinander und der Umgang miteinander von Beginn an offen und ehrlich geklärt werden. Damit dies gelingt, braucht es eine moderierende, emotional kompetente und positive Führungskultur.

Literatur (externe Links)

Michael Hübler – Die Führungskraft als Mediator

Michael Hübler – Mit positiver Führung die Mitarbeiterbindung fördern

Michael Hübler – Wir sollten reden!

Warum uns idealistische Vorstellungen in Krisenzeiten nur bedingt helfen

Über das Improvisieren in Zeiten der Krise

Idealismus versus Materialismus

Wird unser Sein durch unser Bewusstsein bestimmt? Oder unser Bewusstsein durch unser Sein? Der Idealismus geht vom ersten aus. Der Materialismus vom zweiten – mit weitreichenden Konsequenzen für unsere Sicht auf die Welt, unsere Verbissenheit im Umgang mit Zielen, unsere Moralvorstellungen und unseren Umgang mit Stress.

Grundsätzlich würden vermutlich die meisten Menschen eine idealistische Sichtweise bevorzugen. Warum soll ich mich in mein Schicksal ergeben, wenn ich von einer besseren Welt oder einem eigenen, besseren Leben träumen kann? Wir wollen doch die Welt retten. Oder zumindest den Klimawandel verzögern. Oder nicht?

Tragisches versus lustvolles Scheitern

Dabei liegt gerade das idealistische Träumen nahe an der Tragödie. Die Tragödie suggeriert dem Menschen, dass etwas idealisiert Großartiges niemals Erfolg haben kann. Held*innen versuchen es dennoch und scheitern. Die wahre Freiheit kann für Idealisten daher nur in der Zukunft stattfinden. Die Welt, in der wir leben ist unvollkommen und muss verbessert werden. Der Mensch muss erzogen oder zumindest entwickelt werden. Daher ist bei idealistischen Menschen auch die Moral niemals weit weg. Für die Durchsetzung der Moral wird gekämpft und werden Kriege geführt, ähnlich den religiösen Kreuzzügen im Mittelalter oder dem modernen Dschihad, dem heiligen, islamischen Krieg.

Wenn wir es jedoch nicht schaffen, dass eine neue Welt entsteht – was aufgrund der Ferne zu den realen Verhältnissen zumindest teilweise immer scheitern muss – entstehen Schuldgefühle, weil wir uns nicht genug angestrengt haben. Deshalb haftet Idealisten immer auch etwas Verkrampftes, Verbissenes, Humorloses und Lustfeindliches an. Dürfen sie es sich überhaupt erlauben, Spaß in einer Welt zu haben, die aus ihrer Sicht dem Untergang geweiht sind? Wäre das nicht ein Frevel?

Eine idealistische Sichtweise auf das Leben muss auch im Einzelfall scheitern, weil es unmöglich ist, dem neoliberalen Mantra der totalen Gleichheit zu folgen. Weil wir über unterschiedliche Startbedingungen verfügen, ist es zwar aus Gleichberechtigungsgründen ethisch richtig, Randgruppen mehr zu ermöglichen als früher. Dennoch kann nicht jede*r alles werden. Diese Rahmenbedingungen erkennt der Materialismus an, wenn er davon ausgeht, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt.

Würde der Mensch sich nun lediglich als Realist in die realen Verhältnisse seines Lebens ergeben, wären die bestehenden Verhältnisse für alle Zeiten zementiert. Der Materialist im Sinne des österreichischen Philosophen Robert Pfallers (Wofür es sich zu leben lohnt) erkennt diese Umstände an und beginnt jedoch anstatt einer bloßen Akzeptanz mit ihnen zu spielen. Damit ist er der Komödie näher als der Tragödie. Er ist kein Held, der einen idealen Zustand anstrebt, sondern begibt sich lust- und humorvoll in die Rolle des einfachen Menschen. Mit großformatigen Helden können wir uns nur identifizieren, wenn wir auch im realen Leben weit über uns hinauswachsen. Andernfalls entlassen sie uns frustriert zurück in unser einfaches Leben. Mit einem Clown, der auf einer Bananenschale ausrutscht, identifizieren wir uns (vermutlich) alle, weil wir alle Situationen eines zufälligen Scheiterns kennen.

In Komödien geht es um das kleine Scheitern im Alltag auf der Basis kleiner Katastrophen und Missverständnisse, während in Tragödien das große Scheitern angesagt ist. Dies wird besonders deutlich in Verwechslungskomödien wie beispielsweise in Charlie Chaplins „Der große Diktator“, wo ein einfacher Friseur aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Diktator Hinkel verwechselt wird. Der Friseur hat keinen idealistischen Plan zur Verbesserung der Welt, sondern wird mit einem manifesten, materialistischen Fakt konfrontiert. Fortan muss er auf diese aufgezwungene Rolle reagieren, was zu einigen paradoxen Situationen führt. Er wird nicht zu einem authentischen Helden, der einer eigenen Agenda folgt, sondern zu einem Helden wider Willen. Diese komödiantischen Verwicklungen und erzwungenen Improvisationen liegen unserem eigenen Alltag wesentlich näher als ein Idealismus mit epischen Zielen zur Rettung der Welt.

Während also die wahre Freiheit und das wahre Glück für Idealisten niemals stattfindet, weil wir uns in Gedanken immer eine bessere und schönere Welt vorstellen können, gibt sich der Materialist nicht mit der Welt ab – das würde ein Realist tun – sondern begibt sich wie im Improvisationstheater in eine Rolle, in der er humor- und lustvoll mit dem spielt, was er vorfindet. Er sucht sich folglich eine Nische, in der er ein gutes Leben führen kann, und vielleicht gerade aufgrund der Ferne einer idealistischen Verbissenheit die Welt zu einem besseren Ort macht.

Improvisieren in Krisenzeiten

Was folgt nun aus all dem? Ein idealistisches Bild von der Welt ist sicherlich hilfreich, um bestehende Umstände zu verbessern. In Zeiten von Krisen können sich viele Menschen ein solches Bild jedoch nicht mehr vorstellen, weil sich die Bilder von einer besseren Zukunft, die ihnen bis dato präsentiert wurden, als unerreichbar herausstellten.

In solchen Fällen ist es sinnvoller, die Umstände materialistisch anzuerkennen und zu lernen, damit zu spielen. Ein Spiel wiederum erfordert klare Rollen und Regeln. Das einfachste Rollensystem im Improtheater besteht im Unterschied zwischen einem Hoch- und einem Tiefstatus. Der Realist würde nun die damit verbundenen Machtverhältnisse anerkennen. Der Materialist erkennt lediglich an, dass es Unterschiede im Status gibt, was jedoch nicht bedeutet, dass ein Mensch im Tiefstatus automatisch unterlegen sein muss. Bereits Hegel wusste: Meister und Untergebene sind voneinander abhängig. Denn was wäre ein Meister, wenn der Untergebene das „Spiel“ nicht mehr mitspielt oder die wunden Punkte des Meisters, beispielsweise seinen Stolz, manipuliert?

Die einfachste Regel im Improtheater lautet „Alles annehmen. Niemals Nein sagen“. Das wieder bedeutet nicht, dass wir alles auf alle Zeiten akzeptieren müssen. Stattdessen können wir mit dem Gegebenen experimentieren, anstatt bloß von einer idealen Zukunft zu träumen und so zu Lösungen kommen, die nicht einmal in unseren kühnsten, idealistischen Träumen auftauchten.

Du bist nicht schuld!

Jeder Mensch besitzt unterschiedliche Krisenerfahrungen. Was für die einen ein Sturmwind ist, ist für andere ein laues Lüftchen. Das hat oftmals weniger mit den persönlichen Kompetenzen zu tun, sondern vielmehr mit unterschiedlichen Erfahrungen, aus denen sich die erwähnten Kompetenzen entwickelten.

Das bedeutet nun nicht, jegliche Verantwortung für den Umgang mit Belastungen von sich zu weisen. Auch von solchen Menschen gibt es mehr als genug in Unternehmen, wenn es wieder mal heisst: „Die da oben sind schuld an allem. Ich werde schließlich nicht gefragt.“

Wir können uns stattdessen engagieren, etwas investieren, andere unterstützen oder uns weiterbilden, um unsere Resilienz und Krisenstabilität zu erhöhen.

Ich glaube jedoch daran, dass wir erst wirklich offen miteinander umgehen, aus Fehlern lernen, neue kreative Ideen zum Umgang mit Belastungen haben und Verantwortung für uns Tun übernehmen werden, wenn wir Abstand nehmen vom Gefühl der eigenen Schuldhaftigkeit.

Schuldgefühle machen depressiv, aber sicherlich nicht kreativ im Umgang mit Belastungen. Und Schuldgefühle verhindern einen offenen Austausch mit anderen, weil jeder Mensch denkt, er wäre selbst verantwortlich für seine Misere, weil er nichts unternommen hat oder zu spät handelte. Aufgrund der Unklarheiten zum Werdegang einer Krise kann aus einem Schuldgefühl sogar Scham werden. Dann heisst es nicht: Ich habe zu wenig getan, sondern: Ich bin nicht gut genug. Ich bin unfähig, mit Krisen und Belastungen umzugehen. All dies sind jedoch keine guten Voraussetzungen, sich darüber auszutauschen wie am besten gemeinsam mit Krisen und Belastungen umgegangen werden sollte.

Mein Ebook mit dem Titel „Du bist nicht schuld“ soll daher kein einfacher Mutmacher sein. Es gibt durchaus einiges zu tun, um die 50 Tipps zum Umgang mit Krisen und Dauerbelastungen umzusetzen. Dann jedoch halten Sie ein reichhaltiges Instrumentarium in der Hand, um auch den nächsten Sturm mit einem Lächeln auf den Lippen souverän gemeinsam zu meistern.

Im Kern geht es darum, Stressmanagement systemischer zu betrachten, da vieles in diesem Bereich egozentriert ist. Achtsamkeitsübungen mache ich alleine. Für ein gutes Zeitmanagement sorge ich ebenfalls alleine. Und wenn ich zu gut bin, schneide ich mir damit am Ende ins eigene Fleisch, weil es es dann heisst: „Was? Du bist schon fertig? Kannst du dann vielleicht …?“ Und meine Work-Life-Balance muss ich auch selbst verteidigen.

Wie wir jedoch gemeinsam in Teams besser mit Dauerbelastungen umgehen können, zeigt Ihnen mein siebenstufiges systemisches Stressmanagement-Modell.

Über den Zusammenhang zwischen Krisen, Kränkungen und Belastungen

Wer sich als Führungskraft ab und an die Frage stellt, warum manche Mitarbeiter*innen so demotiviert sind oder nur noch Dienst nach Vorschrift leisten, sollte sich mit dem Thema der Kränkung beschäftigen. Kränkungen sind allgegenwertig. Es soll hier auch nicht darum gehen, seine Mitarbeiter*innnen in Watte zu packen. Ein wenig Hintergrundwissen zum Thema bietet jedoch gute Erklärungen für die Demotivation der eigenen Belegschaft und damit die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wo evtl. eine Veränderung des eigenen Führungsstils in Richtung Achtsamkeit sinnvoll wäre. Gleichzeitig wird deutlich, dass gerade in der aktuellen Zeit globale Krisen zu Kränkungen führen, ohne dass Sie als Führungskraft daran schuld wären. Und dennoch ist es hilfreich, auch diese Zusammenhänge zu kennen, um wertschätzend miteinander umzugehen.

Wie entstehen Kränkungen?

Eine Kränkung verletzt einen Menschen in seiner Ehre, Würde, seinen Gefühlen und seiner Selbstachtung. Sie erschüttert die eigenen Werte sowie den Selbstwert und den Gerechtigkeitssinn. Kränkungen können nur stattfinden, wenn zuvor etwas anderes erwartet wurde. Sie haben immer mit einer Enttäuschung oder sogar einem Schock zu tun.

Typische Kränkungen stehen in Verbindung mit …

  • Beleidigungen, Beschämungen, Bloßstellungen, Demütigungen, Herabwürdigungen und Erniedrigungen,
  • Zurückweisungen,
  • Nichtbeachtungen, Ignoranz oder Übergangen werden.1

Je öffentlicher und absichtlicher die Kränkungen stattfinden, desto schlimmer. Oftmals hängen Kränkungen auch mit einem Vertrauensbruch oder empfundenen Ungerechtigkeiten zusammen.

Was haben Kränkungen mit Krisen zu tun?

Auf der einen Seite gibt es die alltäglichen Kränkungen beispielsweise durch Mobbing am Arbeitsplatz oder die Nichtbeachtung im Falle einer Beförderung. Daneben gibt es jedoch auch die mit Krisen verbundenen großen Kränkungen der Menschheit. Nachdem Sigmund Freud auf drei große Kränkungen der Menschheit hinwies, kommen durch die Digitalisierung weitere Kränkungen hinzu:2

  • Die erste Kränkung bestand nach Freud darin, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist.
  • Die zweite Kränkung bestand in der Erkenntnis, dass der Mensch vom Affen abstammt und damit nicht die Krone der Schöpfung Gottes ist.
  • Die dritte Kränkung bestand darin, dass es ein Unterbewusstsein gibt und der Mensch weniger Kontrolle über sein Leben hat als er bislang dachte.
  • Die vierte Kränkung begann in den 50er Jahren mit der Automatisierung der Arbeitswelt. Zwar helfen Maschinen dem Menschen, schwere oder stupide Arbeiten zu tätigen. Dennoch droht damit immer auch die Ersetzbarkeit des Menschen. Und je schneller und genauer unsere Computer werden, desto größer ist die Kränkung.
  • Die fünfte Kränkung schließlich sieht intelligente Computer als dem Menschen ebenbürtig oder sogar überlegen an. Mit Big Data lassen sich in wenigen Sekunden Zukunftsmodelle errechnen, für die der Mensch Jahre bräuchte.3

Emotionen können Algorithmen noch nicht empfinden. Sollte jedoch eines Tages ein Computer dazu fähig sein, genauso spontan und emotional zu reagieren wie ein Mensch, wäre dies die sechste Kränkung. Filmische Visionen davon gibt es bereits. In Alien 4 beispielsweise spielt Winona Ryder eine Androidin, die menschlicher ist als die Menschen um sie herum.

Dabei zeigt sich bei all diesen großen Menschheitskränkungen, dass nie alle Menschen gleich betroffen sind. Kopernikus war sicherlich nicht gekränkt, sondern die Kirche. Auch Darwin wurde sicherlich nicht durch seine eigenen Studien gekränkt. Das gleiche gilt für Freud selbst. Und wer von Automatisierungen, der Digitalisierung, dem Internet und smarten Algorithmen profitiert, wird sich kaum von der Geschichte übergangen fühlen, sondern diese gesellschaftlichen Veränderungen als Chance betrachten. Wer jedoch bislang sein Geld mit Handarbeit verdiente und nun sieht, dass alleine der Verkauf von Whats App an Facebook 2014 22 Milliarden Dollar wert war, fragt sich, ob die Welt, in der er sich befindet noch die seine ist. Krisen wirken also nie auf alle gleich. Genauso wie es in der Gesellschaft Krisengewinner und -verlierer gibt, gibt es auch in Unternehmen Profiteure und Abgehängte.

Der Soziologe Andreas Reckwitz unterscheidet zur Verdeutlichung dieses Phänomens der Entwertung von Biographien eine alte von einer neuen Mittelschicht. Während in der Industriegesellschaft nach den Weltkriegen beinahe jeder Mensch mit einer Normalbiographie an einem gewissen Wohlstand teilhaben konnte, sind Ausbildungen und Abschlüsse heutzutage kein Garant mehr für ein ausreichendes Auskommen. Die Unterschicht nimmt zahlenmäßig zu und die nichtakademische alte Mittelschicht kann sich nicht mehr sicher sein, ob sie ihren Lebensstandard auf Dauer halten kann. Die weitgehend akademisch geprägte neue Mittelschicht wiederum ist häufig geprägt durch eine Vermischung mit kreativen Milieus, eng verbunden mit der Digitalisierung, dem Internet und Medien, und damit mehr oder weniger krisenfest. Die damit verbundenen Kränkungen der alten Mittelschicht beziehen sich auf drei Aspekte:4

  • Entwertung kultureller Werte: Alte Werte wie Fleiß und Beständigkeit führen nicht mehr automatisch zum Erfolg. Heutzutage hat Erfolg, wer zur richtigen Zeit am richtigen Platz und mutig genug ist, seine Chancen zu nutzen.
  • Finanzielle Unsicherheit: Damit einher geht auch eine finanzielle Unsicherheit. Hatte die alte Mittelschicht gestern noch ein gesichertes Einkommen, kann sie morgen schon – insbesondere in Krisenzeiten als Turbo – absteigen und zur Untterschicht gehören.
  • Verhältnismäßigkeit des sozialen und kulturellen Einflusses: Eine nicht unbedingt zahlenmäßig überlegene Gruppe von Menschen aus dem akademischen Milieu gibt durch die Verbindung zum kreativen Milieu und den digitalen Möglichkeiten an, welche Lebensstile wertvoll sind. Es geht in aktuellen Kränkungen also nicht nur um eine finanzielle Entwertung, sondern auch und vor allem um die Entwertung kultureller Aspekte wie beispielsweise der Sprache. Gerade deshalb wirkt das Gender-Sternchen wie ein rotes Tuch für manche Menschen. Es geht dabei weniger um das Sternchen, sondern die akademisch diktierte Vorgabe an die alte Mittelschicht, was richtig oder falsch ist.

Die Enttäuschung und damit Kränkung findet jedoch nur statt, wenn Menschen vor einer Krise oder großen gesellschaftlichen Veränderung einen höheren Status inne hatten oder es zumindest die Erwartung darauf gab. Die alte Mittelschicht erleidet diesen Verlust direkt. Und ein erfolgloser Akademiker hatte sich vermutlich mehr erhofft. Ein Hartz-4-Empfänger jedoch wird weniger oder gar nicht gekränkt sein, weil er ohnehin keine hohen Erwartungen an sein Leben hatte.

Solche Erwartungsenttäuschungen gibt es freilich auch in Unternehmen, wenn wir beispielsweise an eine ausgebliebene Beförderung denken. Damit lässt sich auch erklären, warum manche Mitarbeiter*innen trotz persönlichen oder globalen Krisen weitermachen, als wäre nichts geschehen, während andere eine Zurückweisung und Kränkung erleben.

Jeder Mensch hat unterschiedliche Triggerpunkte

Dabei zeigt sich, dass jeder Mensch unterschiedliche Kränkungspunkte hat:5

Welche emotionalen und gesundheitlichen Folgen haben Kränkungen?

In Krisen verlieren Menschen einen Teil der Kontrolle über ihr Leben. Bislang hatten sie eine Arbeit, verdienten für sich und andere ihren Lebensunterhalt und wirkten zudem als Vorbild für ihre Kinder. Nun scheint all das auf dem Prüfstand zu stehen. Die damit verbundene Bloßstellung, nicht krisensicher oder wie es in der Pandemie für manche Berufsgruppen hieß „nicht systemrelevant“ zu sein, kann beschämend sein. Plötzlich habe ich keinen Wert mehr für die Gesellschaft. Ich bin also nicht gut genug. Scham jedoch ist schmerzhaft, weshalb sie oftmals durch Wut überdeckt wird.6

Wut wiederum verengt unseren Blick. Wir sehen dann nur noch den Auslöser unserer Scham oder unseren Widersacher. Gibt es einen Widersacher, beispielsweise eine Führungskraft als Hiobsbotschaftenüberbringer, fokussiert sich unsere Wut auf diese Person. Gibt es kein direktes Subjekt, an dem wir unsere Wut auslassen können, verschiebt sich die Wut auf andere unklare Subjekte wie die Eliten oder Weltverschwörer*innen. Dass Krisen meist aus einem Zusammenspiel vieler kaum durchschaubarer und global vernetzter und voneinander abhängiger Faktoren entstehen, ist schwerer zu fassen.

Während persönliche Kränkungen oft mit einem Ausschluss aus einer Gruppe zu tun haben, schweißen die Kränkungen ganzer Gruppen diese noch mehr zusammen: Bevor wir noch mehr aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, schließen wir uns selbst aus und gehen aktiv gegen die Gesellschaft vor, wie es beispielsweise in Frankreich mit der Gelbwesten-Bewegung passiert. Für viele Mitglieder der Gelbwesten spielt(e) der Stolz, seinen Lebensunterhalt mit einfacher Arbeit zu verdienen vor den Reformen von Emanuel Macron eine wichtige Rolle. Dass dies aus eigener Kraft nicht mehr möglich ist, geht einher mit einer tiefen persönlichen Kränkung.

Ein gekränkter Mensch wiederum ist nicht mehr bereit, auf seine vermeintlichen Aggressoren zuzugehen oder auch nur die Erwartung zu haben, dass sich etwas zum Besseren wendet. Dadurch entsteht der Teufelskreis einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung. Die aktive Kränkungssituation ist zwar vorbei. Es werden jedoch stetig Zeichen gesucht und gefunden, um neue Kränkungen ausfindig zu machen.

Starke Kränkungen können bis zu einem dauerhaften Alarmmodus führen, um sich vor neuen Angriffen zu schützen. In diesem Fall spricht man von Verbitterungen. Der Körper befindet sich damit in einer auslaugenden Daueranspannung. Dauerhafte Kränkungen begünstigen unter anderem Angststörungen, Depressionen, psychosomatische Erkrankungen, Essstörungen, Sucht oder Burnout.7

Wie gehen wir am besten mit Kränkungen in Krisen um?

1. Abstand hilft beinahe immer

Wie dargelegt setzt sich mit einer Kränkung eine negative Kettenreaktion in Gang, die schwer wieder aufzuhalten ist: Kränkungen führen zu Scham, diese zu Wut, diese zu einem Tunnelblick, der einen offenen Blick auf die Situation verhindert und damit auch eine kreative Auseinandersetzung mit der Krise. Um diese Kettenreaktion zu unterbrechen, hilft beinahe nur eins: Mit Abstand, Ruhe und Geduld einen sachlichen Blick auf die Situation zu werfen:

  • Was verändert sich wirklich?
  • Was bleibt gleich?
  • Welche Veränderung ist bedrohlich?
  • Welche werde ich leicht meistern können?
  • Und welche wird anstrengend, aber ich werde es dennoch schaffen?

2. Gruppen wirken stärkend und verstärkend

Da in Krisen ganze soziale Gruppen gekränkt werden, liegt es nahe, hier Zuflucht, Beistand und Unterstützung zu finden. Dies wirkt im ersten Moment stärkend, kann jedoch den wütenden Blick auf die Ursachen oder vermeintlichen Verursacher der Krise zusätzlich verengen. Dieses Phänomen der Gruppenbildung sehen wir aktuell an vielen Punkten, wenn es um Essenskonsum, Positionen im Ukrainekrieg beziehungsweise Unterstützung der Ukraine versus Friedensverhandlungen, Fahrverhalten oder Energiesparen geht. Schnell bilden sich zwei Gruppen, die sich gegenseitig in digitalen Netzwerken beleidigen, beschämen oder auch „nur“ humorvoll bloßstellen. Doch nur weil eine Gruppe adressiert wird, muss ich mich davon – auch wenn ich ein Teil dieser Gruppe bin – nicht angesprochen fühlen. Sinnvoller wäre es, aus diesem Solidarismus auszubrechen, sich seine eigene Meinung zu bilden und damit den gedanklichen Grundstein zu legen, um sich auf eine Neue Normalität einzulassen.8

Dasselbe Spiel findet logischerweise auch in Unternehmen statt. Auch hier gibt es Gruppenbildungen und Konfrontationen zwischen „denen da oben“, den „Mitläufern“, den „Blockierern“ und denen „Dazwischen“ (das sind meist die Führungskräfte selbst, außer sie zählen sich zu einer anderen Gruppe). Und auch hier ist es wichtig, sich seine eigene Meinung und damit gegebenenfalls neue Gruppen zu bilden. Vielleicht entstehen dann die „Vorsichtigen“, „Skeptischen“, „Optimistischen“, „Schnellen“ und „Vermittelnden“.

Gleichzeitig kann ich nur durch einen eigenen neutralen Blick auf die Kränkungen durch die Krise auch anderen krisengebeutelten Menschen in meiner ursprünglichen Gruppe langfristig und konstruktiv bei der Bewältigung der Krisefolgen helfen.

1Vgl. www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/praevention/kraenkungen-folgen.html

2Vgl. https://digital-magazin.de/kraenkungen-des-menschen-digitalisierung

3Vgl. Michael Hübler: New Work. Menschlich. Demokratisch. Agil

4Vgl. Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten

5Vgl. Die personale Ebene im ATCC-Ansatz: https://soundcloud.com/user-534548529/personale-ebene_atcc

6Vgl. www.deutschlandfunkkultur.de/psychologie-das-gekraenkte-ich-100.html

7Vgl. www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/praevention/kraenkungen-folgen.html

8Vgl. Michael Hübler: Wir sollten reden! Respekt und Koonfliktfähigkeit in gereizten Zeiten