Schlagwort-Archive: Werte

Quiet quitting, quiet beginning

Das Phänomen des „Quiet Quitting“, zu deutsch etwa „Stilles Aufhören“ wird in meinen Seminaren sehr häufig angesprochen:

  • Mitarbeiter*innen arbeiten nur noch das nötigste.
  • Mitarbeiter*innen lassen die Loyalität zu ihrem Arbeitgeber vermissen, wenn es um flexible Arbeitszeiten oder Überstunden geht.

Noch drängender wird es bei neuen Bewerber*innen in bestimmten Schlüsselfachgebieten, bspw. der IT, wenn Bewerber*innen kaum etwas vom Unternehmen wissen, am liebsten im Homeoffice arbeiten und eher wenig Teambindung haben wollen und aufgrund dessen wenig soziale Bereitschaft aufbringen, mehr als ihren verbrieften Job zu machen.

Quiet Beginning als Zukunftsthema

Das Thema „Stilles Aufhören“ ist also noch mehr ein Thema der Zukunft, wenn wir uns die Werte jüngerer Generationen ansehen und wird damit zu einem „Quiet Beginning“:

  • Familie, Freunde und Hobbys sind wichtiger als Arbeit.
  • Fahrzeiten wollen reduziert werden, insbesondere in Großstädten.

Worum geht es hier wirklich?

Dabei ist der Begriff „Quiet Quitting“ wohl eher der schicken Alliteration geschuldet als einer klaren Beschreibung, worum es wirklich geht. Es geht eben nicht darum, sich langsam und leise aus dem Job zu verabschieden oder – wie in meiner Erweiterung – gar nicht erst 100%ig einzusteigen. Es geht vielmehr darum, sich nicht mehr mit dem Wert der Aufopferung für ein Unternehmen zu identifizieren.

Klassisch – agil – 80%-Engagement

Spannend dabei ist der Werdegang über die letzten Jahrzehnte. Lassen wir die klassische Verbundenheit mit dem Arbeitgeber einmal außen vor – bei vielen Führungskräften in meinen Seminaren kommt der Spruch „die interessieren sich gar nicht mehr dafür, was uns ausmacht“ – gab es durch die agile Revolution, New Work- und Feelgoodmanagement-Bewegung durchaus eine Verschiebung in Richtung Mitarbeiter*innen. Zwar steht in agilen Settings das Kundenwohl an oberster Stelle. Dennoch haben viele Unternehmen verstanden, dass dies nur erreicht wird, wenn ich Mitarbeiter*innen mehr Freiheiten zur kreativen Gestaltung lasse. Wie so oft wurden vermeintliche (agile) Freiheiten aber auch von Unternehmen oder einzelnen Teamleiter*innen pervertiert. Ein Teilnehmer eines meiner Seminare brachte es so auf den Punkt: In agilen Teams herrscht viel Freiheit, die durch tägliche ‚dailys‘ einen Orientierungsrahmen bekommen. Diese Freiheit wurde jedoch durch seinen Exteamleiter zerstört. Wenn jemand im Team nicht gleich wusste, wie er seine tägliche Arbeit in Worte fassen sollte, meinte dieser „Come on. There must have been something, that you’ve been done.“ Damit wurde die vermeintliche Freiheit doch wieder zur Kontrolle. Das traditionelle Mindset killte sozusagen das moderne Framework.

Das gleiche gilt für viele vermeintlich mitarbeiterfreundliche Strukturen, egal ob sie in einer New Work- oder Feelgoodmanagement-Verkleidung daher kommen. Natürlich ist der oberste Unternehmenszweck Geld zu verdienen oder zumindest zu überleben. Dennoch sollte dies niemals zu einem utilitaristischen Selbstzweck verkommen oder schlimmer noch als Nettigkeit verkleidet werden.

Kein Wunder, wenn manche Mitarbeiter*innen nur noch 80% Leistung als Maximum bieten wollen. Lorbeeren mit Extrameilen sollen sich andere verdienen.

Eine wertebasierte Ethik fördert Loyalität

Wer sich intensiver mit dem Balanceakt zwischen Mitarbeiter- und Kundenorientierung auseinandersetzen möchte, kann ich meinen New-Work-Ansatz ans Herz legen (externer Link). Darin geht es auch um die Grenzen der Kundenorientierung und damit um eine klare wertebasierte Ethik zugunsten der Mitarbeiter*innen, sozusagen um Ausnahmen, um die Menschlichkeit im Unternehmen zu erhalten. Stellen sich Führungskräfte hinter ihre Mitarbeiter*innen, fördern sie auch deren Loyalität. Einer meiner Seminarteilnehmer*innen denkt noch heute an seine ersten Arbeitstage bei einem Unternehmen, als sein Computer nicht richtig funktionierte und sein Teamleiter meinte: „Du machst, was möglich ist und wenn etwas schief läuft, nehme ich das auf meine Kappe“.

Führungskräfte (und Unternehmen) sollten gleichzeitig die provokante Frage jüngerer Mitarbeiter*innen „Warum ist das sinnvoll, was ich gerade mache und muss ich das wirklich tun?“ ernst nehmen und auch ihr eigenes Handeln regelmäßig auf den Prüfstand stellen. Mir scheint jedoch, dass die Abwehr gegen das „Why“ der Generation Y mitverantwortlich für die Abkehr der Generation Z ist.

Gesellschafts- oder Generationenkonflikt

Zudem wird der Generationenkonflikt durch die allgemeine gesellschaftliche Stimmung verschärft. Im Angesicht so vieler Krisen (Umwelt, Corona, Krieg, Rezession) scheint vielen Menschen der Sinn in der Arbeit abhanden gekommen zu sein: „Ein Haus kann ich mir nicht mehr leisten. Ein Auto will ich mir (in der Stadt) nicht mehr leisten. Wofür also die ganze Plackerei?“ Überspitzt könnte man auch formulieren: „Wenn die Welt bald untergeht, will ich doch nicht die nächsten Jahre mit Überstunden verbringen“. Damit steht das Wirtschaftsmodell, das wir seit dem Nachkriegs-Wirtschaftswunder fahren verfolgen insgesamt auf dem Prüfstand.

Das Phänomen des „Quiet Quittung“ hat also nicht nur mit Egoismus zu tun, sondern auch mit Frustration und Depression. Manche kleben sich aus Frust auf Straßen fest. Andere ziehen sich zurück ins Private und machen nur noch das Nötigste, um gut durch das Leben zu kommen.

Arbeit kann auch glücklich machen

Auf der anderen Seite wissen wir, dass Arbeit (in vielerlei Formen) auch glücklich machen kann. Und ist es nicht noch frustrierender, wenn Mitarbeiter*innen lediglich Dienst nach Vorschrift machen, obwohl sie noch ein ganzes Arbeitsleben vor sich haben?

An dieser Stelle kommen Aspekte der „Positiven Psychologie“ (externer Link) zum tragen und damit Instrumente wie:

  • Job Crafting, indem Mitarbeiter*innen sich ihre Aufgaben wo möglich selbst zusammenstellen.
  • Transparente Einbeziehung der Mitarbeiter*innen in Entscheidungen.
  • Fehler respektvoll aufarbeiten und vieles mehr.

Siehe auch meine Zusammenfassung von New Work auf der Basis einer positiven Psychologie.

Das Phänomen des Quiet Quitting ist damit noch lange nicht behoben, da es – wie dargelegt – auch ein kulturelles Thema ist. Ganz machtlos sind Führungskräfte und Unternehmen jedoch auch nicht.

Jenseits des Materialismus

Durch die Digitalisierung nimmt die Bedeutung des Materiellen in unserem alltäglichen Berufsleben immer mehr ab. Viele haben bereits jetzt keinen Anspruch mehr auf einen konkreten, räumlich definierbaren Arbeitsplatz. Damit sind auch die Fotos der eigenen Familie oder Urlaubsbilder auf dem Schreibtisch als „Reviermarkierungen“ dahin. Und auch die klaren Strukturen der Arbeitszeit – alldieweil auf Stempelkarten festgehalten – lös(t)en sich auf. Im Homeoffice kann jede Information jederzeit aus der Cloud geholt werden. E-Akten, Messengerdienste und Chatrooms sei Dank. Der arbeitende Mensch ist damit weder an einen bestimmten Ort noch an eine bestimmte Zeit gebunden. So weit, so bekannt. Doch was bedeutet das für den Menschen?

Zuerst einmal lässt sich konstatieren, dass klare Strukturen Sicherheit bieten. Fällt diese weg, braucht es neue Sicherheiten. Um dies zu erreichen und den Mitarbeiter*innen eine neue Stabilität zu geben ist vieles denkbar:

  • Skalierungen: Manche Unternehmen hängen sich erst recht an das Zählbare, bspw. wenn sie Agilität skalieren oder Balanced Scorecards eine Renaissance erfahren. Dies kann helfen, um zumindest ein wenig Sicherheit in einer wechselhaften und zuweilen chaotischen Zeit zurückzuerlangen. Dies kann jedoch nur ein Teil der Lösung sein. Oder ein Zwischenschritt, je nachdem, wo eine Organisation gerade steht.
  • Spiritualität und Werte: Die Abkehr vom Materialismus könnte auch ins Spirituelle gehen. Wer nichts mehr greifen kann, sollte lernen zu begreifen oder zu glauben. Auf Betriebsebene lässt sich bspw. an eine Firmenphilosophie glauben, an Werte oder Visionen. Kein Wunder, dass in unserer Zeit Wertehaltungen wie Diversität, Inklusion, Umweltfreundlichkeit oder jede Form der Solidarität einen solchen Boom erfahren.
  • Teambindung mit Vertrauen und Transparenz: Da Visionen, Leitbilder und Werte als „spiritueller“ Leitstern meist weit weg sind, braucht es im Arbeitsalltag direkter spürbare Wege, den Wegfall des Materiellen zu ersetzen. Dies kann durch menschliche Haltungen im Miteinander erfolgen. Das gegenseitige Vertrauen im Miteinander ist sozusagen der unsichtbare Kitt, der ein Team zusammenhält. Erreicht wird er u.a. durch einen respektvollen, neugierigen, interessierten, dankbaren und wohlwollenden Umgang miteinander. Anders formuliert: In einer postmateriellen Welt weiß ich zwar nicht mehr, wo und an was mein Kollege gerade konkret arbeitet, ich vertraue jedoch darauf, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Auf dem Weg zu diesem Vertrauen, das mancherorts auch als naiv bezeichnet wird, ist es hilfreich, viel mehr als früher transparent zu machen und ebenso viel mehr miteinander zu kommunzieren, insbesondere gegenseitige Erwartungen auszusprechen und zu klären. Denn Vertrauen ist vielleicht bei guten Freunden, in der eigenen Familie und in eng zusammenarbeitenden Teams vorhanden, nicht jedoch bei losen Geschäftspartner*innen. Eine gute Bindung im Team setzt daher immer voraus, sich empathisch die Frage zu stellen: Was könnte mein Gegenüber von mir an Informationen brauchen, um Vertrauen in mich zu haben?

Mehr zum Thema Teambildung:

Oder hier: