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Der Mythos vom bösen Menschen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben

Ist der Mensch von Grund auf gut oder schlecht? Die öffentliche Meinung geht eher davon aus, dass der Mensch böse ist und deshalb – wie Thomas Hobbes es in seinem Leviathan beschrieb – kontrolliert werden muss. Davon lässt sich dann auch das Bestreben einer immer stärkeren Überwachung des Menschen, beispielsweise über Kameras im öffentlichen Raum oder während der Pandemie über die Kontrolle der Verhaltensweisen der Menschen ableiten. Andernfalls könnten wir Vertrauen darauf haben, dass der Mensch so handelt, dass es nicht nur ihm nützt, sondern auch anderen - zumindest denen in seinem direkten Umfeld - dass der Mensch also kooperative Gene hat, wie es in einem Buch von Joachim Bauer beschrieben wird.

Die immergleichen Studien, auf die sich die Befürworter eines Leviathans berufen, legen etwas anderes nahe. Das Zimbardo-Experiment zeigte doch schließlich, mit welcher Brutalität die Wärter ihre Machtposition ausnutzten. Und das berühmte Ferienlagerexperiment von Muzafer Sherif zeigte doch ebenso deutlich, wie die beiden Gruppen von Jugendlichen in dem Ferienlager aufeinander losgingen.

Nur: Die Anweisungen im Stanford-Prison-Experiment von Zimbardo enthielten nicht nur eine sachliche Rollenbeschreibung, sondern wurden bewusst manipulativ verfasst. Der französische Geisteswissenschaftler Thibault Le Texier untersuchte die Unterlagen der Studie, laut derer die (gespielten) Gefängniswärter genau wussten, was von ihnen erwartet wurde. Die Forscher griffen laut einer Audioaufnahme sogar direkt ins Geschehen ein. Dabei wurde ein Wärter explizit ermahnt härter durchzugreifen.1

Zimbardo schreibt selbst: Die Schlussfolgerung dieser Studie lautet also: Starke soziale Situationen können die Identität von guten Menschen auf negative Weise verändern.

Bei aller wissenschaftlichen Mängel schlussfolgert auch er nicht, wie es oft verkürzt dargestellt wird, dass der Mensch schlecht ist, sondern dass ihn die Umstände dazu machen.

Wenn Zimbardo genau das zeigen wollte, ist im das gelungen: Gebe einer Gruppe von Menschen Macht in Form einer Position und weise sie an, brutal durchzugreifen. Die meisten werden es tun, ohne sich dagegen zu wehren.

Eine solche hierarchische Macht zeigte sich auch im Milgram-Experiment, in dem Menschen dazu angeleitet wurden, einer Person in einem anderen Raum Stromschläge zu verabreichen, wenn sie Fragen falsch beantworteten. Auch aus diesem Experiment lassen sich unterschiedliche Erkenntnisse heraus lesen: Neben der Erkenntnis zu was Menschen alles fähig sind, gibt es auch die Erkenntnis, dass Menschen dann moralisch verwerfliche Dinge tun, wenn sie sich mit Autoritäten identifizieren, die diese Handlungen als tugendhaft darstellen.2 Es geht also auch hier mehr um das Setting und weniger um die Schlechtigkeit des Menschen ansich.

Das gleiche passierte im Experiment von Muzafer Sherif. Auch hier wurden die Gruppen zuerst aufeinander gehetzt. Sherif arbeitete mit Gerüchten über die jeweils andere Gruppe, um eine noch nicht vorhandene gegenseitige Feindschaft anzustacheln.3 Es strafen also nicht zwei neutrale Gruppen aufeinander, was die Objektivität des Experiments verzerrt. Zudem nahm das Experiment im weiteren Verlauf eine überaus positive Wendung. Als Sherif die Jugendlichen vor Aufgaben stellte, die sich nur gemeinsam lösen ließen, kooperierten sie erst gezwungenermaßen und später durchaus freundschaftlich miteinander.4 Es geht also auch hier nicht darum, dass der Mensch ansich gut oder schlecht ist, sondern darum, was ein sozialer Umstand mit den Menschen macht.

All diese Studien belegen folglich weniger die grundsätzliche Schlechtigkeit der Menschen, sondern allenfalls wie leicht der Mensch durch soziale Umstände geprägt und durch Rollenbeschreibungen oder -vorbilder instruiert und manipuliert werden kann.

Gingen wir tatsächlich davon aus, dass der Mensch im Grunde gut ist, wie es nicht nur diverse Sozialforscher (u.a. Vertreter der positiven Psychologie oder der klientenzentrierten Gesprächstherapie), sondern in neuerer Zeit auch Neuroforscher (u.a. Gerald Hüther und Joachim Bauer) behaupten, würde dies unseren Blick auf Konflikte und Widerstände enorm verändern:

  • Wir hätten mehr Vertrauen zueinander und müssten uns weniger gegenseitig kontrollieren.
  • Wir würden davon ausgehen, dass Mitarbeiter*innen (Nachbarn oder Menschen ansich) im Grunde gut sind.5
  • Wir würden davon ausgehen, dass erst negative Umstände und Rollenzuschreibungen Menschen davon abbringen, sich offen zu begegnen.
  • Und wir würden die Schuld eines abweichenden Verhaltens nicht dem Menschen ansich zuschreiben, sondern den sozialen Umständen, in denen er sich befindet.

Was lässt sich aus diesen Gedanken ableiten:

  1. Meine innere Haltung (beispielsweise als Führungskraft): Ich würde dann davon ausgehen, dass meine Nachbarn, Kolleg*innen, Freunde, etc. im Grunde gut sind und lediglich aus ihrer Erfahrung heraus manchmal (in meinen Augen) schlechte Dinge tun. Dieser Optimismus im Umgang miteinander könnte Türen öffnen, Widerstände vermeiden und Konflikte verhindern. Es handelt sich dabei nicht um einen naiven Optimismus, denn das Vertrauen in andere sollte immer ein Angebot sein, dass auch angenommen wird. Ist dies nicht der Fall, kann ich mein Angebot auch jederzeit rückgängig machen.
  2. Rollenschreibungen (beispielsweise im Team oder in der Familie): Wie lauten meine Erwartungen an mich? Soll ich als Vater, Mutter oder Führungskraft streng sein, um mich durchzusetzen? Bin ich erst eine gute Führung, wenn ich meine strukturelle Macht einsetze? Oder gibt es Möglichkeiten, sich auf Augenhöhe zu treffen und dennoch eine klare Verantwortungsteilung jenseits von Machtpositionen zu leben?
  3. Strukturen (beispielsweise Räumlichkeiten und Ressourcen): Wie sehen die Räumlichkeiten bei uns (in der Familie oder im Team) aus? Hat jede*r seinen/ihren Freiraum, d.h. Rückzugsmöglichkeiten (Stichwort Großraumbüro)? Gibt es genügend Ressourcen, insbesondere Zeit, Geld und Materialen, um gut zu arbeiten? Oder sind die Räumlichkeiten so eng, dass es bei Stress keine Fluchtmöglichkeiten gibt und Aggressionen vorprogrammiert sind?
  4. Atmosphäre: Und wie sieht es mit der Atmosphäre (im Team oder Familie) aus? Ist diese auf einen offenen, ehrlichen, freundschaftlichen und kooperativen Austausch angelegt, im Rahmen dessen jede*r seinen Platz findet? Oder auf einen kompetitiven und aggressiven Wettbewerb, weil wir davon ausgehen, dass der Mensch erst durch Konkurrenz sein Bestes gibt? Vielleicht gibt es aber auch einen Weg dazwischen, eine Art freundschaftlichen Wettbewerb, der humorvoll mit kleinen Seitenhieben auf der Basis eines gegenseitigen Wohlwollens ausgetragen wird? Dann leben wir vermutlich in der besten aller Welten, die weder schwarz (böse), noch weiß (gut), sondern wie das Leben selbst bunt ist.6

Externe Links und Quellen

1Vgl. https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/stanford-prison-experiment

2Vgl. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/psychologen-deuten-experimente-von-milgram-und-zimbardo-neu-a-868461.html

3Vgl. https://soundcloud.com/user-534548529/einfuhrung-in-den-atcc-ansatz?

4Vgl. https://www.heise.de/tp/features/Ueberschreiten-der-Gruppengrenze-5043970.html?

5Auch diesen Titel habe ich mir frech ausgeliehen: Rutger Bregman: Im Grunde gut

6Siehe auch https://www.m-huebler.de/ein-new-work-manifest-auf-der-basis-einer-positiven-fuehrung oder ausführlicher: https://www.amazon.de/positiver-F%C3%BChrung-Mitarbeiterbindung-f%C3%B6rdern-Bindungskultur-ebook/dp/B09X1YM7V2

Cheffing – Führung von unten

1 Was ist Cheffing?

Als Cheffing bezeichnet man eine Führung, die von den Mitarbeitenden ausgeht. Also eine Führung von unten. Ein guter Freund von mir erzählte mir neulich von seinem Chef, der ständig neue Projekte anbahnen wollte, obwohl diese wenig lukrativ erschienen. Der Chef hatte als kleiner Unternehmer mit 5 Mitarbeiter*innen offensichtlich Angst, Kunden zu verlieren und nahm daher jeden Auftrag an, selbst wenn es am Ende zu Verlustgeschäften kam. Ein guter Mitarbeiter sollte hier – schon im eigenen Interesse – seine eigene Sichtweise einbringen. Doch wie geht das diplomatisch, wenn Chef oder Chefin dafür nicht offen sind?

2 Führung von unten als Trend

Seitdem das hierarchische Denken in Unternehmen im Zuge von Agilität und virtuellen Teams immer mehr ins Abseits gerät, ist auch eine Führung von unten nicht mehr das heiße Eisen wie noch vor 15 oder 20 Jahren. Im Gegenteil: Mitarbeiter*innen sollen heutzutage nicht nur mitarbeiten, sondern sich aktiv einbringen. Während es früher für eine Führungskraft als Gesichtsverlust galt, nicht alle Fäden in der Hand zu halten, definiert sich heute eine gute Führung mehr und mehr über einen moderierenden Stil. Dazu gehören jedoch auch Mitarbeiter*innen, die genau diese Lücke ausfüllen, sich also wirklich aktiv einbringen. Es liegt also nicht nur an Führungskräften ‚loszulassen‘, sondern auch an Mitarbeiter*innen, die Chance sich mehr als früher einzubringen zu ergreifen.

Wären beide Seiten bereit dazu, würde ich nicht hier sitzen und diese Zeilen schreiben. In meinen Seminaren sitzen jedoch immer wieder Führungskräfte aus der zweiten oder dritten Reihe, die immer noch regelmäßig gegen Wände laufen und bisweilen frustriert aufgegeben haben. Andere Führungskräfte haben mit Mitarbeiter*innen zu tun, die nicht bereit sind, die Chance einer Mitgestaltung zu ergreifen. Trotz Trend befinden wir uns also offensichtlich in einer Umbruchsituation.

3 Strategien zur Umsetzung einer Führung von unten

Grundsätzlich folgen Strategien meist dem simplen Dreiklang:

  1. Analyse: Wie sieht die Situation aus?
  2. Ziele: Welche Ziele verfolge ich?
  3. Strategien: Welche Strategien kann und will ich einsetzen?

3.1 Analyse

Zur Analyse gehören meist drei Aspekte: eine Analyse der Führungskraft, eine persönliche Analyse und eine Umfeldanalyse.

3.1.1 Analyse der Führung

Zur Analyse der zu führenden Führungskraft lassen sich Bewertungsbogen einsetzen, die auch in 360-Gradfeedbacks genutzt werden, oft mit einer Skala von 1-5.

Ein paar Beispiele:

  • Wie sehr werden meine Leistungen von meiner Führungskraft anerkannt und wertgeschätzt?
  • Wie stark werde ich motiviert, mich aktiv einzubringen?
  • Wie oft werde ich nach meiner Meinung gefragt?
  • Wie sehr werde ich motiviert, mich gezielt fortzubilden und weiterzuentwickeln?
  • Wie sehr ist meine Führungskraft offen für neue Ideen und Innovationen? Usw.

Aus solchen oder ähnlichen Fragen lassen sich Erkenntnisse darüber ziehen, wo Handlungsbedarf aus der eigenen Sicht besteht. Um diesen zu erkennen ist es weiterhin hilfreich, sich bewusst zu machen was mir selbst am wichtigsten ist, am schnellsten erreicht werden kann, so bleiben kann wie es ist und an passender Stelle erwähnt werden kann (oder sollte), aus Unternehmens- und/oder Kundensicht am wichtigsten ist und von mir beeinflussbar ist (oder auch nicht).

Positive Aspekte nach oben zu loben ist eine heikle Sache, da Lob und Kritik grundsätzlich immer nach unten gehen. Wer hierarchisch höher steht, darf sich auch das Recht herausnehmen zu beurteilen, was gut oder schlecht ist und loben oder kritisieren.

Tipp: Danke-Feedbacks

Einen Ausweg bietet ein Danke-Feedback: „Danke lieber Chef, dass Sie so viel Vertrauen in mich in diesem Projekt haben. Das motiviert mich noch mehr als ohnehin schon. Ich werde alles tun, um Sie nicht zu enttäuschen.“

3.1.2 Persönliche Analyse

Die persönliche Analyse ist eng mit der Analyse der Führung verbunden, nimmt jedoch eine andere Perspektive ein:

  • Ziele: Was will ich erreichen?
  • Prinzipien und Werte: Was ist mir wichtig?
  • Nutzen: Was kann ich bieten?
  • Erwartungen: Was erwarten andere von mir als Mitarbeiter*in?
  • Strategien: Was nehme ich mir genau vor? Wie sieht mein Zeitplan aus?
  • Unterstützung: Wer kann mich im Team unterstützen?
  • Hindernisse: Wer oder was ist eher gegen meine Bestrebungen?
  • Kontrolle: Woran erkenne ich, dass ich Erfolg habe?

3.1.3 Umfeldanalyse

Eine Umfeldanalyse untersucht v.a. auf die kulturellen Spielregeln im Unternehmen, in einer Abteilung oder einem Team:

  • Was ist erlaubt und was nicht? Was geht gar nicht und wird auch sanktioniert?
  • Wofür gibt es Lob und Anerkennung? Wie wird Karriere gemacht?
  • Welche Tabus gibt es? Worüber wird nicht gesprochen?

Tipp: Geheime Spielregeln brechen

Am spannendsten sind jedoch die Regeln, die zwar niemand bricht, deren Missachtung jedoch zu keinen Sanktionen führen würden. Nennen wir sie geheime Spielregeln. Ein Beispiel: In Sitzungen gibt es manchmal die Regel, dass Chef*innen Angebote machen, die nicht angenommen werden dürfen oder die zumindest niemand annimmt. Ergreift ein Chef beispielsweise am Ende eines Meetings das Wort und meint „Wenn es nichts mehr gibt, sind wir hier fertig“, gibt es meistens noch den ein oder anderen Punkt. Es traut sich jedoch niemand, diese Themen anzusprechen. In diesem Moment benötigt es ein wenig Courage. Wirklich verwerflich ist es jedoch nicht, zu sagen „Gut, dass Sie fragen: Ich habe da noch etwas (vorbereitet)“.

3.2 Ziele

Aus der dreiteiligen Analyse lassen sich konkrete Ziele ableiten, beispielsweise:

  • Ich wünsche mir mehr Beteiligung in Teamsitzungen.
  • Ich hätte gerne mehr konstruktives Feedback zur persönlichen Weiterentwicklung.
  • Ich würde gerne mehr eigene Ideen einbringen (können).

3.3 Strategien

Von den Zielen wiederum lassen sich Strategien ableiten:

  • Ich verändere die Werte, indem ich heimliche Spielregeln breche (s.o.).
  • Ich suche mir Verbündete, die es ebenso sehen wie ich.
  • Ich analysiere, wie ich die Arbeit meiner Chefin erleichtern kann und mache entsprechend aktive Angebote.
  • Ich überlege, wie sich Unternehmensziele leichter erreichen lassen und spreche mit meiner Chef*in darüber.
  • Ich bereite mich auf Mitarbeitergespräche aktiv vor, um auf Augenhöhe mitreden zu können.
  • Ich verstärke das für mich positive Verhalten meiner Chefin durch ein Danke-Feedback (s.o.) und übersetze vermeintlich Negatives in Wünsche.

Leistungsbeurteilung aus der Distanz

Neulich in einem Seminar zum Thema „Führung auf Distanz“ kam ein Thema auf, das meines Erachtens noch kaum bis gar nicht in der Fachwelt beleuchtet wurde: Während es den aktuellen Führungskräften noch relativ leicht fallen sollte, ihre Mitarbeiter*innen auch aus der Distanz zu beurteilen, weil sie sie entweder schon von früher kennen oder sie zumindest das Rüstwerk mitbringen, andere zu beurteilen, könnte dies zukünftigen Führungskräften schwerer fallen. Denn wie beurteile ich jemanden, von dessen Arbeit ich lediglich Ergebnisse sehe, nicht jedoch seine Performanz?

Die klassische Leistungsbeurteilung wird sich verändern (müssen)

Auf Distanz lassen sich Leistungen freilich genauso beurteilen wie bisher. Individuelle und soziale Komponenten könnten jedoch zu einem Problem führen. Schauen wir uns dazu einige gängige Kriterien zur Leistungsbeurteilung an:

  • Das Fachwissen auch auf Distanz zu beurteilen sollte kein Problem darstellen.
  • Die Lust zur Weiterbildung ebenso.
  • Auch bei der Beurteilung der Arbeitsqualität wird sich wenig verändern.
  • Bei der Übernahme von Verantwortung wird es schon schwieriger, insbesondere wenn – wie es in Expertenteams häufig der Fall ist – Chef*innen oftmals nicht einschätzen können, welchen Aufwand die Expert*innen betreiben müssen, um an ihr Ziel zu kommen.
  • Bei der Zusammenarbeit mit Kolleg*innen wird es noch komplizierter. Gilt dann die Devise „Keine Nachrichten sind gute Nachrichten“?
  • Die Loyalität zu Unternehmen und Team hat in manchen Branchen, insbesondere in Ballungsgebieten ohnehin stark nachgelassen. Bei vielen Neubewerber*innen scheint die Maxime zu gelten „Ich will einfach nur (m)einen Job machen, egal wo und bei wem. Hauptsache ich kann das meiste von zuhause aus erledigen“. Doch selbst wenn dieser Punkt weiter in die Beurteilung fließen soll: Wie beurteilen Führungskräfte die Loyalität von Mitarbeiter*innen aus der Distanz?
  • Und wie schaut es mit dem Selbstmanagement der Mitarbeiter*innen aus, dem Arbeitstempo oder Kundenbezug? Sollte all das nur noch am Ergebnis festgemacht werden, ohne sich auf beobachtbare Fakten zu beziehen? D.h. auch hier: Wenn kein Kunde vergrätzt wurde und die Ergebnisse auch sonst passen, brauchen wir nicht darüber zu sprechen. Doch was, wenn nicht? Im negativen Fall sind Führungskräfte mehr oder weniger von den Aussagen der Mitarbeiter*innen über die Gründe des Nicht-Gelingens abhängig, was die Bewertung nicht leichter macht.

Führungsrenaissance

Summa sumarum gibt es also Unterpunkte einer Beurteilung, die sich nicht bis wenig verändern werden und andere Punkte, die eine Führung auf Distanz kaum noch beurteilen kann bzw. bei denen sie von der Ehrlichkeit ihrer Mitarbeiter*innen abhängig sein wird.

Dies kann verschiedene Konsequenzen nach sich ziehen:

  • Führungskräfte sollten gerade auf Distanz Beziehungsarbeit betreiben, um möglichst viel von ihren Leuten mitzubekommen. Nur so wird es möglich sein, in einem ehrlichen Mitarbeitergespräch die Informationen zu bekommen, die sie für eine Beurteilung brauchen.
  • Schaffen sie das nicht, wird es in der Zukunft zu kategorischen Hop-oder-Top-Entscheidungen führen. Fehlen ihnen relevante Informationen für eine umfassende Beurteilung, wird sich diese nur noch auf die Leistung beziehen. Alles Soziale und Individuelle wird durch das Raster fliegen. Wer dann in der Zukunft Ergebnisse nicht liefert – aus welchen Gründen auch immer – wird entbehrlich sein (einen klassischen Arbeitsplatz hat er im Homeoffice ohnehin nicht mehr).
  • Dies führt allerdings auch zu der Erkenntnis, dass Mitarbeiter*innen gut daran tun, ihre Arbeit und Zusammenarbeit mit Kolleg*innen transparenter zu machen. Wer sich als Mitarbeiter*in zuhause einigelt und die Gesprächsangebote von Führungskräften ablehnt, schneidet sich letztlich ins eigene Fleisch.

Führung mit Neugier und Empathie

Damit dies gelingt, brauchen Führungskräfte der Zukunft eine fragende, neugierige Haltung mit viel Vorstellungsvermögen für das, was sie nicht direkt wahrnehmen. Um dies zu gewährleisten, können verschiedene Hilfsmittel sinnvoll sein:

  • Ein monatlicher Aktionstag hilft dabei, die Mitarbeiter*innen auch live und in Aktion miteinander zu sehen. Damit ist kein Ausflug o.ä. gemeint, sondern ein gemeinsamer Arbeitstag. Denn in der Arbeit zusammen lassen sich soziale Kriterien am besten beobachten.
  • Auf einer Kontaktliste wird verzeichnet, wen ich wann zum letzten mal gesehen oder gesprochen habe, um den Kontakt nicht zu lange abreißen zu lassen und zumindest einmal wieder zu telefonieren.
  • Kritische Punkte der Leistungsbeurteilung sollten nicht einmal im Jahr angesprochen werden. Dann ist es zu spät. Sondern regelmäßig abgefragt werden. In einer Führung auf Distanz wird zwar die Ergebnisorientierung als Nonplusultra propagiert. Für eine umfassende Leistungsbeurteilung reicht dies allerdings nicht aus.

Letztlich kommen Führungskräfte nicht umhin, sich freundlich-neugierig, aber intensiver als bislang mit der Welt der Mitarbeiterinnen auseinander zu setzen. Sie müssen noch mehr als bislang einschätzen können, wer introvertiert oder extravertiert ist und welche Konsequenzen sich aus der privaten Situation ergeben (alleinerziehend, Baby, Schulkinder, kleine Wohnung). Diese Neugier sollte jedoch keine Kontrolle nach sich ziehen, sondern wohlwollend-erkundigend sein, da Führungskräfte ihre Mitarbeiterinnen auch in der Zukunft nicht nur einschätzen, sondern auch ihren Weiterbildungsbedarf erfassen können müssen (Beispiele: Selbst-, Konfliktmanagement oder Medienkompetenz). Zudem brauchen sie Informationen, um Entscheidungen bezüglich ihrer Mitarbeiter*innen gegenüber diesen, aber auch nach oben zu vertreten.

Eine Leistungsbeurteilung auf Distanz wird folglich komplizierter, verlangt einer Führungskraft einiges an Einfühlungsvermögen ab und erfordert von Mitarbeiter*innen mehr Offenheit. Sollten sich beide Parteien auf die neue Situation einlassen, ist es jedoch weniger dramatisch wie es im ersten Moment aussieht.

Das Verhältnis von Führung, Professionalität und Agilität, oder: Was Führung wirklich bedeutet?

Eine seltsame Frage, oder? Denn im Alltag macht man und frau sich darüber meist keine Gedanken. Führung bedeutet dann u.a. Mitarbeiter*innen Anleitungen zu geben, sie zu coachen, zu entwickeln und natürlich auch Veränderungen gut, respektvoll und wertschätzend zu begleiten, was mir als Mediator besonders am Herzen liegt.

Bleiben wir bei den Veränderungen. Der Philosoph Michael Andrick („Erfolgsleere“) schreibt: Professionalität bedeutet, den Status Quo zu wahren, indem eine Tätigkeit effektiv und effizient nach einem bestimmten Muster wiederholt durchgeführt wird. Konkret: Hat ein Kunde einen bestimmten Wunsch, greife ich dazu als Mitarbeiter*in in eine analoge oder digitale Schublade, ziehe dort ein Formular heraus und bearbeite den „Fall“ nach einem optimierten und als erfolgreich belegten Muster. Genau das bedeutet es, wenn wir sagen, jemand handelt professionell.

Streng genommen gilt diese Professionalität des Handelns jedoch nur solange, bis sich die Erde weiter dreht und aufgrund neuer Erkenntnisse (Kundenwünsche, Marktlage, Ressourcenknappheit, etc.) ein neues Handlungsmuster notwendig wird. Wer Agilität ernst meint muss also – ebenso streng genommen – sowohl professionell als auch unprofessionell handeln. Denn Professionalität schafft Sicherheit und Verlässlichkeit, während Unprofessionalität einen notwendigen Wandel begleitet.

Führung in diesem Sinne bedeutet also nicht (nur) den Status Quo der im Moment X bereits überholten Professionalität, sondern den Wandel zu organisieren und damit eine neue Professionalität vorzubereiten.

Damit machen sich Führungskräfte jedoch selten Freunde, weil die Mitarbeiter*innen aus der alten Professionalität sowohl Sicherheit gewinnen, als auch Status. Sich professionell zu verhalten ist in Unternehmen selbstredend mehr anerkannt als gegen offizelle Regeln zu verstoßen, indem jemand den Prozess Y einmal beiseite legt und auf seine Intuition horcht. Kein Wunder, dass agile Projektteams im restlichen, „professionellen“ Unternehmen missträuisch beäugt werden.

Zudem weiß niemand, ob eine neue Professionalität wirklich erwünschte Verbesserungen mit sich bringt, da sie in der Zukunft liegt. Führungskräfte, die einen Wandel begleiten und voran bringen, sollten also ein dickes Fell mitbringen, um für ihre Sache zu werben. Dazu können sie sich jedoch logischerweise nicht auf den vorherrschenden professionellen Status Quo berufen, sondern brauchen einen eigenen inneren Kompass, der sich bestenfalls aus einer intensiven Auseinandersetzung mit Werten wie Fairness, Respekt oder Menschlichkeit ergibt. Wirkungsvolle Führungskräfte sollten daher gut wissen, wofür sich der Aufwand lohnt, sich mit dem Status Quo anzulegen und eventuell auf eine höhere Karriere zu verzichten.

Nebenbei muss die Beschäftigung mit solchen Werten – beispielweise im Rahmen einer Mediation – einem Unternehmen immer auch ein wenig suspekt sein, weil damit der fühlende Mensch sichtbar wird und nicht mehr der professionelle Mitarbeiter, der am Status Quo festhält.

Eine wirklich wirksame, im Sinne einer veränderungsgestaltenden Führung eckt also immer auch ein wenig an. Weil dies so ist machen leider wenig wirksame Führungskräfte Karriere. Wer funktioniert und nach den Regeln spielt, bietet nicht nur keine Angriffsfläche, sondern wird auch noch für seine Professionalität gelobt. Er schafft es aber nicht, dringliche Veränderungen im Unternehmen gut zu begleiten und zu gestalten. Dies soll keine Rede für jegliches Revoluzzertum in der Führung sein, jedoch darauf aufmerksam machen, dass ein bloßes Erfüllen der Regeln und Muster auf breiter Front langfristig zum Stillstand im Unternehmen führt.

Wer seine Mitarbeiter*innen – sowie das gesamte Unternehmen – als Führungskraft in Veränderungen mitnehmen möchte, kann sich das Bild der Erde vergegenwärtigen. Wer in die Ferne blickt und nichts von der Erdkrümmung weiß, könnte glauben, die Erde wäre flach. Wer nun auf einer langen Allee 100 Meter weiter geht, kann sowohl nach vorne als auch nach hinten sehen. Mit dem Blick nach hinten sehe ich denjenigen, der zuvor dachte, die Erde wäre eine Scheibe. Der Blick nach vorne jedoch lässt erkennen, dass die Erde keine Scheibe ist, sondern die Allee weitergeht. Veränderungen agil zu begleiten bedeutet auch auf Sicht zu fahren. Wir sehen 100 Meter in die Zukunft, doch nach diesen 100 Metern haben wir eine neue Sichtweise auf die Welt, können und sollten über neue Lösungen nachdenken.

Weiterbildung zum/r Moderator*in in Kollegialer Beratung

Im Zuge schmaler Budgets sind Unternehmen auf der Suche nach neuen Seminar-Konzepten. Auch alte Bekannte werden wieder ausgegraben, u.a. die Kollegiale Beratung.

Meine Erfahrung zeigt: Die Struktur einer Kollegialen Beratung ist einfach. Und dennoch ist die Hemmschwelle groß, dieses Instrument selbstermächtigt insbesondere auch in Organisationen durchzuführen, die nicht im sozialen Bereich angesiedelt sind.

Meine Weiterbildung zum/r Moderator*in in Kollegialer Beratung unterstützt Sie dabei, souverän und klug verschiedene Modelle der gegenseitigen kollegialen Unterstützung in Ihren Teams einzusetzen.

Inhalte des Workshops

  • Kennenlernen verschiedener Modelle aus der Kollegialen Beratung und Intervision (Heilsbronner Modell, Fishbowl, …)
  • Kennenlernen erweiterter Modelle aus der Kreativitätsforschung (Walt Disney, Storystorming, …)
  • Kennenlernen der Prinzipien einer erfolgreichen Kollegialen Beratung
  • Reflexionen zur eigenen Rolle als Moderator*in
  • Kennenlernen und Ausprobieren von Coaching-Tools, insbesondere systemische Fragetechniken

Neben der Reflexion der eigenen Rolle und dem Ausprobieren von Beratungs-Tools werden im Workshop eigene Fälle mit Hilfe der Kollegialen Beratung bearbeitet. Das Seminar bekommt damit einen doppelten Mehrwert: Sie finden Lösungsansätze für eigenen Fälle und entwickeln sich zum/r Moderator*in weiter.

Dauer: Zwei Tage

Kosten: Auf Anfrage