Cheffing – Führung von unten

1 Was ist Cheffing?

Als Cheffing bezeichnet man eine Führung, die von den Mitarbeitenden ausgeht. Also eine Führung von unten. Ein guter Freund von mir erzählte mir neulich von seinem Chef, der ständig neue Projekte anbahnen wollte, obwohl diese wenig lukrativ erschienen. Der Chef hatte als kleiner Unternehmer mit 5 Mitarbeiter*innen offensichtlich Angst, Kunden zu verlieren und nahm daher jeden Auftrag an, selbst wenn es am Ende zu Verlustgeschäften kam. Ein guter Mitarbeiter sollte hier – schon im eigenen Interesse – seine eigene Sichtweise einbringen. Doch wie geht das diplomatisch, wenn Chef oder Chefin dafür nicht offen sind?

2 Führung von unten als Trend

Seitdem das hierarchische Denken in Unternehmen im Zuge von Agilität und virtuellen Teams immer mehr ins Abseits gerät, ist auch eine Führung von unten nicht mehr das heiße Eisen wie noch vor 15 oder 20 Jahren. Im Gegenteil: Mitarbeiter*innen sollen heutzutage nicht nur mitarbeiten, sondern sich aktiv einbringen. Während es früher für eine Führungskraft als Gesichtsverlust galt, nicht alle Fäden in der Hand zu halten, definiert sich heute eine gute Führung mehr und mehr über einen moderierenden Stil. Dazu gehören jedoch auch Mitarbeiter*innen, die genau diese Lücke ausfüllen, sich also wirklich aktiv einbringen. Es liegt also nicht nur an Führungskräften ‚loszulassen‘, sondern auch an Mitarbeiter*innen, die Chance sich mehr als früher einzubringen zu ergreifen.

Wären beide Seiten bereit dazu, würde ich nicht hier sitzen und diese Zeilen schreiben. In meinen Seminaren sitzen jedoch immer wieder Führungskräfte aus der zweiten oder dritten Reihe, die immer noch regelmäßig gegen Wände laufen und bisweilen frustriert aufgegeben haben. Andere Führungskräfte haben mit Mitarbeiter*innen zu tun, die nicht bereit sind, die Chance einer Mitgestaltung zu ergreifen. Trotz Trend befinden wir uns also offensichtlich in einer Umbruchsituation.

3 Strategien zur Umsetzung einer Führung von unten

Grundsätzlich folgen Strategien meist dem simplen Dreiklang:

  1. Analyse: Wie sieht die Situation aus?
  2. Ziele: Welche Ziele verfolge ich?
  3. Strategien: Welche Strategien kann und will ich einsetzen?

3.1 Analyse

Zur Analyse gehören meist drei Aspekte: eine Analyse der Führungskraft, eine persönliche Analyse und eine Umfeldanalyse.

3.1.1 Analyse der Führung

Zur Analyse der zu führenden Führungskraft lassen sich Bewertungsbogen einsetzen, die auch in 360-Gradfeedbacks genutzt werden, oft mit einer Skala von 1-5.

Ein paar Beispiele:

  • Wie sehr werden meine Leistungen von meiner Führungskraft anerkannt und wertgeschätzt?
  • Wie stark werde ich motiviert, mich aktiv einzubringen?
  • Wie oft werde ich nach meiner Meinung gefragt?
  • Wie sehr werde ich motiviert, mich gezielt fortzubilden und weiterzuentwickeln?
  • Wie sehr ist meine Führungskraft offen für neue Ideen und Innovationen? Usw.

Aus solchen oder ähnlichen Fragen lassen sich Erkenntnisse darüber ziehen, wo Handlungsbedarf aus der eigenen Sicht besteht. Um diesen zu erkennen ist es weiterhin hilfreich, sich bewusst zu machen was mir selbst am wichtigsten ist, am schnellsten erreicht werden kann, so bleiben kann wie es ist und an passender Stelle erwähnt werden kann (oder sollte), aus Unternehmens- und/oder Kundensicht am wichtigsten ist und von mir beeinflussbar ist (oder auch nicht).

Positive Aspekte nach oben zu loben ist eine heikle Sache, da Lob und Kritik grundsätzlich immer nach unten gehen. Wer hierarchisch höher steht, darf sich auch das Recht herausnehmen zu beurteilen, was gut oder schlecht ist und loben oder kritisieren.

Tipp: Danke-Feedbacks

Einen Ausweg bietet ein Danke-Feedback: “Danke lieber Chef, dass Sie so viel Vertrauen in mich in diesem Projekt haben. Das motiviert mich noch mehr als ohnehin schon. Ich werde alles tun, um Sie nicht zu enttäuschen.”

3.1.2 Persönliche Analyse

Die persönliche Analyse ist eng mit der Analyse der Führung verbunden, nimmt jedoch eine andere Perspektive ein:

  • Ziele: Was will ich erreichen?
  • Prinzipien und Werte: Was ist mir wichtig?
  • Nutzen: Was kann ich bieten?
  • Erwartungen: Was erwarten andere von mir als Mitarbeiter*in?
  • Strategien: Was nehme ich mir genau vor? Wie sieht mein Zeitplan aus?
  • Unterstützung: Wer kann mich im Team unterstützen?
  • Hindernisse: Wer oder was ist eher gegen meine Bestrebungen?
  • Kontrolle: Woran erkenne ich, dass ich Erfolg habe?

3.1.3 Umfeldanalyse

Eine Umfeldanalyse untersucht v.a. auf die kulturellen Spielregeln im Unternehmen, in einer Abteilung oder einem Team:

  • Was ist erlaubt und was nicht? Was geht gar nicht und wird auch sanktioniert?
  • Wofür gibt es Lob und Anerkennung? Wie wird Karriere gemacht?
  • Welche Tabus gibt es? Worüber wird nicht gesprochen?

Tipp: Geheime Spielregeln brechen

Am spannendsten sind jedoch die Regeln, die zwar niemand bricht, deren Missachtung jedoch zu keinen Sanktionen führen würden. Nennen wir sie geheime Spielregeln. Ein Beispiel: In Sitzungen gibt es manchmal die Regel, dass Chef*innen Angebote machen, die nicht angenommen werden dürfen oder die zumindest niemand annimmt. Ergreift ein Chef beispielsweise am Ende eines Meetings das Wort und meint “Wenn es nichts mehr gibt, sind wir hier fertig”, gibt es meistens noch den ein oder anderen Punkt. Es traut sich jedoch niemand, diese Themen anzusprechen. In diesem Moment benötigt es ein wenig Courage. Wirklich verwerflich ist es jedoch nicht, zu sagen “Gut, dass Sie fragen: Ich habe da noch etwas (vorbereitet)”.

3.2 Ziele

Aus der dreiteiligen Analyse lassen sich konkrete Ziele ableiten, beispielsweise:

  • Ich wünsche mir mehr Beteiligung in Teamsitzungen.
  • Ich hätte gerne mehr konstruktives Feedback zur persönlichen Weiterentwicklung.
  • Ich würde gerne mehr eigene Ideen einbringen (können).

3.3 Strategien

Von den Zielen wiederum lassen sich Strategien ableiten:

  • Ich verändere die Werte, indem ich heimliche Spielregeln breche (s.o.).
  • Ich suche mir Verbündete, die es ebenso sehen wie ich.
  • Ich analysiere, wie ich die Arbeit meiner Chefin erleichtern kann und mache entsprechend aktive Angebote.
  • Ich überlege, wie sich Unternehmensziele leichter erreichen lassen und spreche mit meiner Chef*in darüber.
  • Ich bereite mich auf Mitarbeitergespräche aktiv vor, um auf Augenhöhe mitreden zu können.
  • Ich verstärke das für mich positive Verhalten meiner Chefin durch ein Danke-Feedback (s.o.) und übersetze vermeintlich Negatives in Wünsche.