Weisheit versus Intelligenz

Warum ist es sinnvoll, sich über Weisheit Gedanken zu machen?

Lange Zeit galt das Primat der Intelligenz. Dabei zeigt sich in aktuellen Studien, dass Intelligenz vielleicht dazu führt Karriere zu machen, jedoch weder vor Dummheiten schützt, noch glücklich macht. Laut Dilip Jeste steht Weisheit in einer engen Verbindung zu geistiger und körperlicher Gesundheit, einem langen Leben und persönlichem Glücksempfinden (siehe Hohe Luft Kompakt, Sonderheft 1 / 2022, S. 76ff). Doch was genau ist Weisheit?

Damit beschäftigten sich Dilip Jeste von der University of California und Michael Thomas von der Colorado State University. Laut ihren Forschungen beinhaltet Weisheit 7 Komponenten, die sich mit lediglich 7 Fragen messen lassen. Diese Komplexitätsreduktion wird der Wirklichkeit vermutlich nicht ganz gerecht. Sie bietet dafür einen handhabbaren Einstieg in ein schwieriges Thema, um zum Nachdenken anzuregen, was gerade in hektischen Zeiten hilfreicher ist als ein bis in alle Details ausgeklügelter Fragebogen.

7 Komponenten der Weisheit

Die Komponenten sind nicht neu und werden schon seit geraumer Zeit erforscht und diskutiert, u.a. von Daniel Goleman oder David Caruso und Peter Salovey. Neu ist jedoch die Hinzunahme der spirituellen Komponente, die in einer fragilen Welt immer wichtiger erscheint, sowie die Fokussierung auf lediglich 7 Fragen, mit denen die beiden Professoren Weisheit messen (externer Link).

Persönliche Kompetenzen

Die Komponente Selbstreflexion misst die Kompetenz, sich selbst zu hinterfragen und zu versuchen Hintergründe und Entstehungen eigener Handlungen zu verstehen: Was treibt mich an? Welche Ziele verfolge ich? Bin ich auf dem richtigen Weg?

Die Komponente Emotionsregulation misst die Kompetenz, negative Emotionen zu regulieren, um bessere Entscheidungen zu treffen und sich nicht durch Denkfehler manipulieren zu lassen. Dabei geht es nicht darum, durch eine rosa Brille zu blicken, sondern Emotionen als wichtiges Signal anzusehen, sie jedoch nicht überzubewerten.

Die Komponente Entscheidungsfreude misst die Fähigkeit, Entscheidungen weder zu schnell noch zu langsam zu treffen. Manche Entscheidungen müssen reifen, andere sollten schnell getroffen werden, um negative Folgeeffekte für mich selbst und/oder mein Umfeld zu vermeiden.

Soziale Kompetenzen

Die Komponente Pro-soziale Verhaltensweisen umfasst Empathie und einen Sinn für Gerechtigkeit: Kann ich positive soziale Beziehungen aufrecht erhalten? Kann ich mich in die Gefühlswelt anderer hineinversetzen? Handle ich gewissenhaft und fair?

Die Komponente Akzeptanz abweichender Perspektiven untersucht die Akzeptanz und Toleranz anderer Erfahrungen und Wertesysteme sowie das echte Interesse daran, die Sichtweisen und Meinungen meines Umfelds kennen zu lernen.

Die Komponente Soziale Beratung bezieht sich auf die Fähigkeit, anderen beratend beizustehen und sie wohlwollend (also nicht bevormundend) zu coachen.

Spritualität und Sinnhaftigkeit

Die Komponente Spiritualität wird schon seit Jahrhunderten als Bestandteil von Weisheit angesehen, wurde jedoch lange Zeit in der Psychologie, die einen maßgeblichen Einfluss auf moderne Unternehmensführung hat, vernachlässigt. In einer Zeit, in der die Menschen nach einem Halt in einer fragilen Welt suchen, wird auch das Thema Spiritualität immer wichtiger, auch in Unternehmen. Dabei muss Spiritualität nicht automatisch gleichgesetzt werden mit Religiösität. Spiritualität bedeutet letztlich, die Überzeugung zu haben, dass das Leben und/oder einzelne Episoden des Lebens einen höheren Sinn verfolgen. Diese Sinnsuche ist eine Grundbedingung dafür, auch unter Dauerbelastungen – wie aktuell einem Krieg vor der eigenen Haustür mit all seinen Konsequenzen – einen Halt im Haltlosen zu finden.

7 Fragen auf einer Skala von 1-5

Und hier kommen die 7 Fragen, mit denen Jeste und Thomas Weisheit messen. Die Fragen sind im Original teilweise negativ formuliert. Ich habe mich jedoch der besseren Lesbarkeit wegen dazu entschlossen, sie positiv umzuschreiben. Alle Fragen sollen auf einer Skala von 1-5 beantwortet werden.

  1. Ich reflektiere mich regelmäßig selbst.
  2. Ich bleibe unter Druck ruhig.
  3. Ich zögere wichtige Entscheidungen nicht zu lange hinaus.
  4. Situationen, in denen ich weiß, dass meine Hilfe benötigt wird, machen mir keine Angst.
  5. Es fällt mir leicht, anderen Menschen beratend beizustehen.
  6. Ich lerne gerne verschiedene Standpunkte kennen.
  7. Mein spiritueller Glaube gibt mir innere Stärke.

Damit haben Sie jetzt auch ohne professionelle Auswertung die Möglichkeit, sich selbst einzuschätzen und Ihre Schlüsse daraus zu ziehen:

  • Sollten Sie auf einen Wert von 30-35 kommen, können Sie sich freuen. Offensichtlich sind Sie sowohl persönlich als auch sozial und spirituell auf einem weisen Weg. Das wissen Sie jedoch vermutlich schon selbst: Sie lassen sich dann nicht so schnell aus der Ruhe bringen, blicken optimistisch in die Zukunft, pflegen Ihr Netzwerk und handeln, wenn es nötig ist.
  • Sollten Sie grundsätzlich hohe Werte haben, jedoch in einzelnen Punkten auffallend geringe Ausprägungen haben, wissen Sie vermutlich ohnehin schon, was zu tun ist. Aber schön, dass die Forschung einen noch einmal darauf hinweist. Wo also liegen Ihre Baustellen? Im Netzwerken? In Reflexionspausen? In einer Aufschieberitis? Oder in der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns?
  • Sollten Sie mehrere Baustellen haben, ist das auch kein Beinbruch. Es ist (beinahe) nie zu spät für einen Neustart im Leben. Dabei zeigt sich, dass sich viele “Kleinigkeiten” leicht und schnell umsetzen lassen: Vielleicht eine eMail an einen alten Bekannten schreiben und ein Telefonat vereinbaren? Oder sich einmal die Woche einen Spaziergang mit ein paar Selbstreflexionsfragen gönnen? Ein paar Beispiele dazu finden Sie hier: https://www.m-huebler.de/selbstcoaching-leitfaden

So oder so werden Sie die 7 Fragen zum Nachdenken angeregt haben. Und das ist schon einmal ein guter erster Schritt hin zu einem weiseren Leben.