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Wachstums- vs. Leistungs-Mindset

Jeder Mensch hat bestimmte Denkweisen oder Glaubenssätze, die grundlegend für seine Sicht auf die Welt sind und das eigene Selbstbild prägen. Intensiv mit solchen Mindsets hat sich die Psychologin Carol Dweck bereits Mitte des letzten Jahrhunderts anhand von Schulsituationen beschäftigt. Manche Schüler verzweifelten nicht angesichts unlösbarer Aufgaben, sondern sagten zu sich etwas wie: „Ich liebe kniffelige Rätsel.“ Oder: „Wissen Sie, genau das hatte ich gehofft: dass ich hier was lerne.“ Sie hatten also einen inneren Ansporn des Wachtums,, während andere schneller aufgaben.

Es liegt auf der Hand, dass gerade in einer Zeit des ständigen Wandels ein Mindset, das auf Lernen und Wachstum ausgerichtet ist dabei hilft, sich stetig weiterzuentwickeln. In manchen Jobs mag zwar ein Mindset sinnvoll sein, das sich stark an Regeln und weniger am persönlichen Wachstum orientiert. Denken wir an Flugzeugkapitäne oder Chirurgen. Doch auch hier ist es wichtig, dass Menschen an Fehlern, die im Leben passieren lernen und sich weiter entwickeln.

In der Praxis ist es daher nicht so einfach, sich lediglich an einem Wachstumsmindest zu orientieren. Denn in manchen Situationen geht es nicht um Wachstum und Entwicklung, sondern um Leistung, insbesondere in der Arbeit.

Aus diesem Grund ist es sinnvoll dem Wachstums- ein ergänzendes Leistungsmindset gegenüber zu stellen. Laut der Psychologin Dorette Lochner und dem Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler Georg Berkel haben Menschen mit einem Leistungsmindset folgende Einstellungen:

  • Sie kennen ihre Stärken und Schwächen und wissen, wann sie sie erfolgreich einsetzen können.
  • Wettbewerb motiviert sie.
  • Sie vergleichen sich mit Kollegen, die besser sind.

Diese Einstellungen bringen sie dazu,

  • sich an anspruchsvollen Zielen zu orientieren.
  • Sie wissen, wann es Zeit ist, abzuliefern und zeigen beispielsweise vor Kunden eine professionelle Leistung.
  • Sie versuchen Fehler nur dann zu machen, wenn kein großer Schaden passiert und vermeiden Fehler, wenn dies der Fall wäre.
  • Sie treiben sich selbst und andere zu Höchstleistungen an.

Menschen mit einem Growth-Mindset hingegen …

  • sind überzeugt davon, eigene Fähigkeiten weiterentwickeln zu können,
  • sehen Fehler als Lernchance.
  • schreiben ihre Erfolgsaussichten NICHT ihrer Herkunft oder ihren natürlichen Talenten zu.
  • glauben daran, dass sie fast alles erreichen und lernen können, wenn sie sich durchbeißen, wenn sie üben und genügend anstrengen.

Diese Unterscheidung ist nicht nur in der Arbeit wichtig, sondern auch für mich als Seminarleiter. Denn in Seminaren, bspw. in Rollenspielen geht es nicht darum, abzuliefern, sondern auszuprobieren und zu wachsen. Es kann also in Trainings nicht schaden, darauf zu Beginn eines Seminars hinzuweisen.

Mehr dazu im Audiobook Wachstums- vs. Leistungsmindset (externer Link).

Wenn Perfektionismus zu Konflikten führt

In einer Welt, in der jeder einzelne aufgrund von Testverfahren und Methoden, von denen wir früher nur träumen konnten, immer detaillierter weiß, wo der Hase lang läuft, sind Konflikte vorprogrammiert. Das lässt sich am einfachen Zusammenspiel zwischen Mann und Frau verdeutlichen: Wenn der Mann sagt, der Junge muss männlicher werden und alles dafür tut, seinen Sohn in der Jagd auszubilden, wird er schnell mit seiner Frau in einen Clinch geraten, weil seine Frau der Meinung ist, der Junge muss empathischer werden, weil er es sonst in einer Welt, in der wir miteinander reden müssen, schwer haben wird. Ich greife auf dieses zugegeben extrem vereinfachende Beispiel zurück, um zu verdeutlichen, dass ein sehr empathischer Mensch sich schwer damit tun wird, ein Reh aufs Korn zu nehmen, während ein auf Jagdinstinkte gedrillter Mensch sich mit Empathie schwer tun wird.

Mann und Frau wurden aus dem Paradies vertrieben, weil sie erkannten, wie unterschiedlich sie sind. Im Garten Eden waren sie bis zum folgenreichen Apfelbiss eins. Über die Frage ob dieser glückseelige Zustand von der Bibel tatsächlich ernst gemeint ist oder lediglich das Eins-Sein mit Gott symbolisch darstellen soll, lässt sich trefflich philosophisch streiten. In der realen Welt jenseits paradiesischer Zustände befinden wir uns in einer Welt der Gegensätze: Mann-Frau, Krieg-Frieden, Schwarz-Weiß, An-Aus, Positiv-Negativ, Reich-Arm, usw. Diese Liste ist endlos und bestimmt meinen mediativen Alltag. Auch in der Corona-Krise bestimmen Gegensätze den Diskurs: Eltern-kinderlos, Nähe-Distanz, Stadt-Land, Links-Rechts und natürlich Perfektionismus-Ganzheitlichkeit.

Wären wir noch im Paradies, gäbe es zwar keine Aufklärung und kein Wissen, jedoch auch keine Konflikte. Offensichtlich machen schlangenartige Erkenntnisse klug, aber nicht unbedingt glücklich. Alle Menschen wären gleich und müssten über nichts diskutieren. Es herrschte Frieden auf Erden, vielleicht ja unter der Aufsicht einer Weltreligion und Weltregierung, die allen Menschen vorgeben würde, was wir zu tun und was wir zu lassen hätten. Vermutlich wären wir glückselig. Deshalb sagte Jesus wohl: Selig sind die Einfältigen (Matthäus 5, 3). Denn sie sind nicht vielfältig und müssen daher nicht miteinander streiten.

Dass eine solche Friedhofsruhe in unserem Leben nicht möglich ist, sehen wir tagtäglich. Sobald Annegret sagt: Ich mag monochrome Bilder, begehrt Heinrich auf, weil er seine Bilder viel lieber in Farbe hat. Wenn wir Diversität und Vielfalt ernst nehmen, akzeptieren wir gleichzeitig Konflikte. Annegret und Heinrich könnten sich streiten … oder zu einem Modus der Wechselseitigkeit kommen. Ein vielfältiger Konflikt lässt sich niemals im Moment auflösen, sondern erst durch die Dimension der Zeit. Deshalb legen Mediatoren so viel Wert auf einen sauber durchgeführten Mediations-Prozess. Natürlich könnten sich Annegret und Heinrich zwei Kameras kaufen und jeder schießt seine Bilder für sich. Damit hätten sie den Konflikt durch eine Aktion der Trennung befriedet. Ganz zufrieden werden sie damit nicht sein. Dies wird ihnen spätestens dann klar, wenn sie symbolisch gemeinsam auf einem Foto sein wollen. Erst wenn Annegret und Heinrich sich darauf einigen, ihre Bilder mal schwarz-weiß und mal bunt anzufertigen oder sie nachträglich so zu bearbeiten, wie jeder es gerne möchte, ist eine Lösung möglich. Genau dieses ‚Mal so, mal so‘ oder ’nachträglich‘ verdeutlicht die Prozesshaftigkeit der Konfliktlösung. Damit wird allerdings auch deutlich, dass eine Konfliktlösung schwer herzustellen ist, wenn jeder der beiden perfektionistisch auf seiner Vorgehensweise beharrt.

Das gleiche Prinzip sehen wir in der aktuellen C-Krise. Während die eine Seite der Virologen immer mehr Details erforscht über die Streuwirkung von Aerosolen und die Anzahl der Viren, die wir täglich auspusten, ziehen die Seiten der Kinder- und Altenrechtler Erkenntnisse aus dem Hut, die uns daran erinnern, dass der Mensch mehr braucht als nur einen Schutz vor sich selbst. Mikrobiologen sprechen davon, dass unser Immunsystem den Mikrobentausch mit anderen braucht. Und Psychologen erinnern an die alten Studien mit den Pseudoaffen von Harry Harlow Ende der 50er Jahre (siehe https://www.dasgehirn.info/handeln/liebe-und-triebe/liebe-ein-grundnahrungsmittel oder https://www.youtube.com/watch?v=OrNBEhzjg8I).

In der Diskussion um den richtigen Weg aus der Krise wird von Virologen angemahnt, dass es nun in Deutschland 80 Millionen Hobby-Virologen gibt. Dieser Vorwurf greift jedoch zu kurz, da es vielmehr um die Frage der Diversität in der Meinungsbildung geht.

Es fällt schwer zu akzeptieren, dass man selbst von seinen Erkenntnissen ein Stück Abstand nehmen muss, um gemeinsame Lösungen zu erreichen. Die Realität unseres dualistischen Lebens der Gegensätze zeigt uns jedoch, dass wir nicht nur mit dem Virus leben müssen, sondern auch mit unterschiedlichen Meinungen, Wahrheiten und Erkenntnissen. Toleranz im Sinne eines Aushaltens fremder Erkenntnisse bedeutet in diesem Sinne die Wertschätzung des perfektionistischen Bemühens jeder Seite ohne den gemeinsamen Konsens aus dem Blick zu verlieren.

Auch wenn jeder in seiner eigenen kleinen Welt zu 100% recht hat, gilt es in der Gemeinschaft Einigungen anzustreben. In diesem Wort der Einigung schwingt zumindest ein kleiner Funke unseres ursprünglichen Paradieses mit.

Die drei Ebenen der Gewissheit

Wie lautet noch der Spruch zur Gewissheit? Nichts auf der Welt ist sicher, außer dem Tod und der Steuer? So oder so ähnlich, wenn mich mein Gehirn nicht enttäuscht.

Aber ernsthaft: In diesem (dieses mal ein wenig längerem) Beitrag soll es um die Frage gehen, wie wir mit Unsicherheiten im Leben umgehen. Und dabei hat es sich als äußerst praktikabel erwiesen, die Gewissheit in drei Erscheinungsformen zu unterteilen:

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Zum ersten gibt es die Gewissheit, von der gar nicht so genau klar ist, ob bzw. wie umfassend sie überhaupt existiert. Natürlich liegt in Paris der Ur-Meter. Und natürlich weiß ich ziemlich genau, dass ich Steuern zahlen muss. Und ich weiß auch, dass meine Kinder, wenn sie nicht lernen, in der Schule einen schlechten Stand haben werden. Aber halt! Schon der letzte Punkt bezeichnet eigentlich eher die zweite Ebene der relativ bekannten und damit kalkulierbaren Risiken: In einem geschlossenen System (Schule) führt ein bestimmtes Verhalten (Lernen oder nicht) mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer bestimmten Konsequenz (Klasse wiederholen, erfolgreich abschließen).

Die Ebene der Risiken

Bleiben wir ein wenig  bei dem Punkt der Wahrscheinlichkeiten, denn diese sind nicht immer für jedermann verständlich und doch für viele unserer Alltagsentscheidungen von Interesse.

Beispiel 1: Feiern oder nicht?

Um Regenrisiken einschätzen zu können, ist es wichtig, die Wettervorhersagen korrekt zu deuten. Doch was bedeutet eine Regenwahrscheinlichkeit von 30%?

  • In 30% der Region wird es regnen.
  • In 30% der Stunden wird es regnen.
  • 30% aller Meterologen sagen, es wird regnen.
  • Oder: An 30% aller Tage, für die diese Aussage gemacht wird, wird es regnen.

Tatsächlich gilt die letzte Aussage: Wenn Sie an 100 Tagen die Wettervorhersage sehen und der Wetterfrosch sagt jeweils, es gäbe eine Wahrscheinlichkeit von 30%, dannn wird es an 30 von diesen 100 Tagen regnen, an den anderen 70 jedoch nicht: Bonne Chance!

Beispiel 2: Sie machen sich über die Folgewirkungen eines bestimmten Medikaments Gedanken

In den 60er Jahren ließ eine anerkannte britische Zeitschrift namens „Dear Doctor Letters“ verlauten, die Wahrscheinlichkeit eine Thrombose zu bekommen steigt durch ein neues Präparat von Antibabypillen auf 100% an. Dies schreckte viele Frauen ab, aufgrund des enorm gestiegenen Risikos weiterhin „die Pille“ zu nehmen. Die Folgen:

  • 13000 zusätzliche Abtreibungen und
  • 13000 zusätzliche Geburten im Jahr darauf
  • sowie ein erhöhtes Thromboserisiko durch Schwangerschaften.

In Realzahlen beinhaltete das Risiko allerdings kaum eine Erhöhung: Bisher lag das Risiko, eine Thrombose zu bekommen bei 1 zu 7000. D.h. von 7000 Frauen bekam eine Frau eine Thrombose. Damit erhöhte sich das Risiko auf 2 zu 7000 bzw. 1 zu 3500! Nicht wirklich dramatisch!

Damit wird deutlich, dass es wichtig ist, neben der Wahrscheinlichkeit auch die absolute Risikozunahme zu kennen.

Tipp: Fragen Sie nicht (nur) nach Wahrscheinlichkeiten, sondern auch nach den realen Zahlen, bevor Sie eine Entscheidung treffen.

Die Ebene der Ungewissheit

Kommen  wir nun zum letzten Feld: der Ungewissheit. Risiken können berechnet werden, weil sie sich in einem abgeschlossenen Gebiet befinden. Wenn Sie ein Medikament in einer gewissen Dosis regelmäßig einnehmen und zu einem bestimmten Risikotypus gehören, können Sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Folgen berechnen. Das diese Folgen nicht mit Sicherheit eintreten ist klar. Aber dennoch verschafft Ihnen dieses (fast) geschlossene System eine gute Rechengrundlage.

Doch wie sieht es in komplexeren Systemen wie Unternehmen aus? Hier gibt es so diverse Wirkeinflüsse, die teils berechnet werden können, teils aber auch nicht. Woher sollen wir wissen, wie sich 9/11, der Tod von Steve Jobbs, der letzte G20-Gipfel oder die Ehe-Krise von Herrn Meier auf das Geschäft auswirken? Die Antwort ist einfach: Wir wissen es nicht! Wir können nur Vermutungen anstellen. Aber: Wir können uns nur bedingt auf diesen Bereich des Nicht-Wissens vorbereiten. Auch wenn Unternehmen gerne alles berechnen und sich damit ein Gefühl der Sicherheit geben, so ist es doch unmöglich, tatsächlich alle Faktoren in eine Zukunftsprognose mit einzubeziehen. Herr Meier wird an einem schlechten Tag den Kunden Müller verärgern. Dieser ist zufällig ebenso wie Herr Berger Mitglied im Rotary-Club. Herr Berger ist wiederum Vorstand bei XY usw. Ich denke, Sie wissen, auf was ich hinaus will.

 

Defensives Entscheiden

Was also tun, wenn wir uns unsicher in Entscheidungen sind? Grob gesagt gibt es hier zwei Reaktionsmöglichkeiten:

1. Defensives Entscheiden

2. Bauchentscheidungen

Unsicherheiten führen häufig zu einer Art Absicherung gegen spätere Widersprüche.

Ein Beispiel: Sie wollen Innenräume in der Firma umbauen lassen. Dazu haben Sie ein Angebot eines kleineren Architekturbüros, günstig, sympathisch und offensichtlich auch sehr flexibel, was die Einarbeitung ihrer Wünsche angeht. Und Sie haben ein Angebot einer größeren Firma, die solche Aufträge schon zuhauf erledigte, allerdings auch ein wenig teurer ist und evtl. auch unflexibler. Wie würden Sie sich entscheiden?

Der erste Impuls geht vermutlich in Richtung kleines Büro. Doch was ist, wenn etwas schief geht? Was ist, wenn in dem Büro jemand krank wird? Was ist, wenn die Ergebnisse nicht so aussehen, wie sich das der Vorstand das wünscht?

Damit  sind wir bei dem Begriff des defensiven Entscheidens: Sie entscheiden dann nicht aufgrund des besten Angebots, sondern wählen das Angebot, das Sie im Nachhinein besser rechtfertigen können. Und in diesem Fall sind Sie mit der großen Firma auf der sicheren Seite. Hier können Sie später – auch wenn etwas schief geht – immer sagen: „Bei so einer großen Firma sind wir davon ausgegangen, dass die professionell arbeiten. Es konnte ja keiner ahnen, dass …“

Genau deshalb tendieren Ärzte auch dazu, Empfehlungen auszusprechen, die alle anderen Ärzte ebenso aussprechen, zumeist mit dem Zusatz „Die kassenärztliche Vereinigung empfiehlt …“. Wenn der gesellschaftliche Konsens sagt: Impfen ist Standard, würden Sie sich am Ende Vorwürfe machen, nicht geimpft zu haben (trotzt aller Nebenwirkungen) und der Arzt müsste schlimmstenfalls mit einer Klage rechnen.

Tipp: Fragen Sie z.B. im Restaurant oder bei Ärzten nicht nach Empfehlungen, sondern danach, was der Kellner selber essen würde oder danach, was des Arzt machen würde, wenn es sein eigenes Kind wäre, das unters Messer soll.

Bauchentscheidungen im Management

Kommen wir zum zweiten Punkt, den Bauchentscheidungen bzw. unserer Intuition. Bauchentscheidungen im Management sind eine heikle Sache. Warum?

  • Es gibt die Erwartungshaltung, nicht per „weiblichem“ Bauch zu entscheiden. Ja, die Vorurteile, Intuition wäre weiblich gibt es immer noch. Dabei ist Intuition in Wirklichkeit ehemalige Kognition, d.h. jahrlanges Erfahrungswissen, das mittlerweile schnell und damit effektiv ins Unbewusste ‚abgerutscht‘ ist.
  • Ohne rationale Begründungen ist es meist unmöglich, seine Meinung zu rechtfertigen. Mit Gefühlen zu argumentieren ist immer noch in den meisten Firmen eine schwierige Sache. Dabei berücksichtigt mittlerweile sogar das amerikanische Militär Intuition als wichtige Quelle für Entscheidungen:“The first danger is in trying to reduce those aspects of planning that require intuition and creativity to simplify procedures, for example, basing a COA solely on the mathematical correlation of enemy and friendly forces. Many planning skills cannot be captured in procedures. Attempts to do so restrict intuition and creativity.“ Zusammenfassend: eine rein mathematische Berechnung (eines Risikos) würde in manchen Prozessen zu kurz greifen. Hier braucht es Intuition.
  • Und schließlich behindert die Angst davor, etwas nicht berücksichtigt zu haben ebenso den Rückgriff auf Bauchentscheidungen.

All dies führt immer wieder zu defensiven Entscheidungen, die allerdings nicht unbedingt die besten für ein Unternehmen sein müssen.

Der Ausweg: Faustregeln

Daher stellt sich die Frage nach einem Ausweg. Und dieser befindet sich im Bereich von Faustregeln, Daumenregeln oder, wissenschaftlicher, Heuristiken.

Interessanterweise können Faustregeln die Zukunft besser vorhersagen als komplexe Berechnungen. Warum? Faustregeln reduzieren die Wirklichkeit auf das absolut Wesentliche und werfen alle Nebenfaktoren aus der vermeintlichen Risikoanalyse. Sie funktionieren wie das Fundament eines Hauses: Wenn dieses schlecht gebaut ist, können die oberen Stockwerke noch so elegant gebaut sein, das Haus wird dennoch früher oder später einstürzen.

Wie können solche Fausregeln aussehen?

Einige private Regeln könnten lauten:

  • Meine persönliche Regel im Umgang mit ‚Geschenken‘ von ungebetenen Anrufern lautet: Es gibt auf der Welt nichts geschenkt.
  • Eine gute Regel beim Bierkauf für Partys lautet: Kaufe das Bier ein, das du auch selber gerne trinkst.
  • Beim Aktienkauf gibt es die Regel: Verteile dein Geld auf verschiedene Aktien mit gleichen Anteilen.
  • Rekognitionsregel: Wenn ich eine Stadt kenne, ist diese vermutlich größer als eine Stadt, die ich nicht kenne. Wenn ich ein Unternehmen kenne, übersteigt dieses vermutlich eine kritische Größe. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Unternehmen nach einigen Jahren immer noch erfolgreich sein wird.

Einige berufliche Regeln könnten lauten:

  • Die Mitarbeiter vor Ort wissen besser bescheid als ich.
  • Befördere interne Mitarbeiter, außer es gibt Konflikte. Dann ist es besser, einen Externen zum Chef zu machen.
  • Höre erst zu und gebe dann deinen Senf dazu.
  • Wenn ein Mitarbeiter menschlich nicht integer, z.B. unehrlich ist, spielt alles andere keine Rolle.
  • Stelle niemanden ein, der dir unsympathisch ist.
  • Ermutige Mitarbeiter, Verantwortung zu übernehmen.
  • Laß dich nicht von guten Zeugnissen blenden.
  • Entscheide niemals aufgrund deines Stolzes.
  • Ohne Kommunikation geht gar nichts.

In einer Welt, in der alle Risiken bekannt oder beinahe bekannt sind (z.B. beim Auto- oder Hauskauf) liefern Analysen eine gute Entscheidungsgrundlage. In komplexen Zusammenhängen ist es besser, sich auf wenige Argumente zu konzentrieren, insbesondere um schnelle Entscheidungen zu treffen.

Tipp: Verfassen Sie einige dieser Regeln, die für Ihren Bereich relevant und gültig sind und schreiben Sie am besten auf Karten für Ihre Pinwand oder einen Karteikartenkasten. Ein Austausch mit Kollegen kann ebenso nicht schaden.

Spannend ist auch die Frage, welche Manager oder Führungskräfte häufiger auf ihre Intuition zurückgreifen und welche weniger oft. Dazu gibt es auch wieder zwei Faustregeln:

  • Je höher die Hierarchie, desto weniger müssen sich Führungskräfte rechtfertigen und desto mehr Erfahrung haben sie andererseits. Freilich müssen sie immer noch ihren Stakeholdern Rechenschaft ablegen. Aber diese Rechtfertigungen sind oftmals weit weg, sodass sie im Berufsalltag nicht immer eine Rolle spielen.
  • Und: Je internationaler ein Unternehmen agiert, desto wichtiger wird Empathie und Intuition, insbesondere wenn es um den Umgang mit fremden Kulturen geht.

Buchtipps:

Gerd Gigerenzer – Risiko

Makridakis, Hogarth, Gaba – Tanz mit dem Glück