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Wie Leistungs- und Statusdruck unsere Resilienz zerstören

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Unser Statusdauerkampf macht uns krank

Eigentlich schien es eine gute Idee zu sein: Wir bewerten Menschen nur noch nach ihrer Leistung. Dann fallen alle andere Faktoren, bspw. das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder Herkunft einfach weg. Dann heißt es: Gut ist, wer gut ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Befeuert durch digitale Medien und die dadurch stattfindenden Dauervergleiche anhand tatsächlicher oder imaginärer Ranglisten entstand jedoch über die letzten Jahrzehnte ein Dauerdruck und daraus entstehend eine stetige Abgrenzung voneinander mit Geld als der Vergleichswährung Nummer 1: Wer reich ist, hat offensichtlich viel geleistet, sich mehr als andere angestrengt, kann sich um seine Fitness und Schönheit kümmern, sich gut ernähren, usw. Diese Vergleiche nehmen nie ein Ende, weil es immer irgendwo auf der Welt jemanden gibt, der besser, reicher oder schöner ist als ich. Es gibt also immer etwas zu tun. Strengen wir uns an.

Folglich geht es mittlerweile weniger darum, mit wem ich etwas gemeinsam habe, sondern von wem ich mich im Sinne eines Abwärtsvergleichs positiv oder im Sinne eines Aufwärtsvergeichs negativ abgrenzen kann. Schlechte Zeiten also für die Suche nach etwas Gemeinsamem und damit auch für Solidarität.

Für solche Dauervergleiche ist das menschliche Gehirn nicht angelegt. Als Jäger und Sammler, die wir die meiste Zeit unserer Entwicklungsgeschichte waren, ist unser Gehirn immer noch auf Stress-Sprints angelegt und nicht auf Dauerstress. Ein Jäger musste sich nur selten in seinem Leben mit anderen vergleichen. Seine soziale Bezugsgruppe war überschaubar. Die heutigen Jäger*innen nach Schönheit, Perfektionismus, Höchstleistungen, grandiosen Urlaubserlebnissen und Symbolen des Reichtums können sich potentiell rund um die Uhr mit anderen messen. Zudem gilt im Internet das Diktat der Aufmerksamkeit: Nur wer sich mit etwas noch Extremerem als Gestern hervortut, wird wahrgenommen und bekommt die erhofften Klicks und Likes. Da muss es dann schon mal das Blattgold auf dem Steak sein oder besonders provokante Überschriften wie bspw. „Work Life Balance ist Bullsh*t“.

Nun könnten wir uns sagen: Warum vergleichen sich Handwerker- oder Krankenpfleger*innen mit den Schönen und Reichen in unserer Gesellschaft? Geld ist schließlich nur ein Aspekt, um glücklich zu sein. Es gibt schließlich noch Moral, Sinnhaftigkeit oder das soziale Umfeld als ergänzende Währungen. Und tatsächlich werden viele sinnhafte Berufe schlechter bezahlt als vermeintlich sinnlose. Ob sinnlose Berufe besser bezahlt werden, weil sie sinnlos sind oder sinnhafte Berufe ein höheres Gehalt nicht nötig machen sei dahin gestellt. Dummerweise funken in unserem spätmodernen Gehirn sowohl moralische Aktivitäten als auch ein hoher (potentieller) Verdienst in den gleichen Bereichen. Anders formuliert: Unser Gehirn rechnet jede Belohnung in Geld um (Vgl. Hasler, S. 48). Und da sich Einkommen messen lässt, Moral, Sinnhaftigkeit und eine gute Bindung im Team jedoch nicht, liegt es auf der Hand was verglichen wird und was nicht. Wir können uns daher sagen, dass uns das alles nichts angeht. Ärgern tun wir uns dennoch, dass jemand anders viel mehr als wir verdient. Für die einen mag das ein Ansporn sein, es auch noch bspw. als Influencer zu schaffen. Für die anderen erscheint es utopisch. Stress bedeutet dieser Statusvergleich jedoch für alle, die sich darauf einlassen.

Was hilft gegen Dauerstatusstress

1. Die Akzeptanz von Hierarchien und Regeln

Als unsere Jäger- und Sammlerkultur sich in eine Kriegskultur verwandelte, indem verschiedene Stämme um Territorien kämpften, wurde es wichtig, innere Fehden zu deckeln, um sich gegen die äußeren Feinde zu wappnen. Solche inneren Machtkämpfe wurden u.a. mit Hierarchien befriedet. Tatsächlich kann die Akzeptanz von Hierarchien den inneren Dauerstatusstress reduzieren: Wenn ich akzeptiere, dass andere mehr können und mich entsprechend unterordne, strebe ich nicht andauernd nach Höherem.

Das gleiche gilt für Regeln. Um mit den Worten eines Seminarteilnehmers zu sprechen: Wer sich als Mitarbeiter auf den öffentlichen Dienst einlässt, sollte wissen, dass es hier bestimmte Regeln gibt – was freilich auch für andere Bereiche und Branchen gilt – und sich entsprechend darauf einlassen. Wenn auch hier wie an vielen Orten ein Umbruch stattfindet, bedeutet Verwaltung immer noch, den Ablauf bestimmter Prozesse nicht allzu kreativ auszulegen. Ich ordne mich also unter und akzeptiere die Hierarchien und Regeln.

Anders formuliert: Es gibt eine Zeit zu kämpfen und es gibt eine Zeit, sich auszuruhen, indem ich mich mit der Welt arrangiere.

2. Eine gute Balance zwischen Vergleichen nach oben und unten

Ein Vergleich nach oben kann zwar unsere Leistungsmotivation steigern, Zufriedenheit und Entspannung schafft er jedoch nicht. Ein solcher Motivationsvergleich mag in normalen Zeiten sinnvoll sein. In Krisenzeiten, in denen es darum geht, schwierige Situationen resilient auszuhalten, ist es hilfreicher, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben.

Hierzu ist es besonders wichtig, sich mit den passenden Menschen zu vergleichen. Als ich vor 17 Jahren selbständig wurde, begann auch für mich die große Zeit der Vergleiche. In meiner Anfangszeit gab es quasi keinen Keynote-Speaker auf Youtube, der schlechter war als ich. Doch nach und nach merkte ich, dass die großen Redner*innen idR. zu einem Thema immer das gleiche erzählten, immer und immer wieder, mit genau den gleichen Worten. Wollte ich dahin? Ich selber interessiere mich für so viele verschiedene Themen – was den Leser*innen meines Blogs vermutlich schon aufgefallen ist :-). Zudem realisierte ich ach einigen Jahren, dass ich Reden halten kann, dass mein Herz jedoch für Führungstrainings und Teambegleitungen in kleinen Gruppen schlägt. Warum sollte ich mich also mit großen Redner*innen vergleichen. Inspiration ja, Vergleich nein.

Entsprechend stellt sich auch bei anderen die Frage: Mit wem soll ich mich vergleichen, um glücklich zu werden? Es herrscht zwar bei uns das Mantra des amerikanischen „Pursuit of Happiness“ vor, das besagt, dass jede*r alles werden kann. Insbesondere junge Menschen wachsen heutzutage oft mit dem Glauben auf, dass sie sich nur anstrengen müssen, um es zu schaffen. Die eingangs beschriebene Verschiebung von persönlichen Faktoren zur Leistung unterstützt diese Dynamik. Dennoch kann jeder Mensch immer noch selbst entscheiden, mit wem er sich aufgrund seines Charakters, seiner Kompetenzen und seiner Herkunft wirklich vergleichen will, um glücklich zu werden. Solche Vergleiche im Rahmen der eigenen sozialen Gruppe führen wiederum zu mehr Nähe anstatt zu Abgrenzungen. Wer beständig nach Höherem strebt, möchte sich aus seiner Gruppe entfernen und aufsteigen. Wer einen bestimmten Status akzeptiert, grenzt sich zu Gruppen mit einem höheren Status ab und bekennt sich damit solidarisch mit seiner eigenen Statusgruppe.

3. Vergleiche verweigern

Wir können heutzutage dank der Digitalisierung nicht nur alles Mögliche (und Unmögliche) vergleichen, sondern auch testen: Unseren IQ, Energieverbrauch und ökologischen Fußabdruck, unsere Beliebtheit auf digitalen Medien oder auch wie begehrt wir für potentielle andere Arbeitgeber sind. Schüler*innen werden benotet. Lehrer*innen und Dozent*innen werden mittlerweile dauerevaluiert. Sich hierauf nicht einzulassen ist freilich nur bedingt möglich: Wer sich in digitalen Medien tummelt wie bspw. ich, liefert sich automatisch einem Vergleich mit anderen aus. Und wer als Dozent*in arbeitet, wird nun einmal evaluiert. Ich muss damit jedoch nicht hausieren gehen. Ich muss nicht mit meinem monatlichen Gehalt angeben. Ich muss nicht in meiner Straße damit angeben, wie teuer der Wintergarten war. Wir können uns diesem Rattenrennen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zumindest teilweise entziehen, indem wir dem Impuls einer stolzen Verkündung eines Erfolgs widerstehen. Ein bisschen weniger prahlen und ein wenig mehr Demut täte uns vermutlich allen gut.

4. Leistungsfreie Zonen

Leistung sollte wieder dort zum Tragen kommen, wo sie hingehört. Und zwar nur dort. Wer einen Kunden berät, sollte Leistung zeigen. Wer mit seinem Team in den Endzügen eines Projekts liegt, sollte bereit sein auch mal die „Extrameile“ zu gehen. Daneben sollte es jedoch Phasen im Arbeitsleben geben, an denen es wichtig ist zu üben, zu testen und auszuprobieren. Solche leistungsfreien Zonen dienen dem Erfahrungsaufbau und Austausch untereinander. Azubis sollten nicht sofort leisten müssen. Auch in Schulen oder Hochschulen sollte es Zeiten geben, in denen es nicht um Noten geht, sondern um die persönliche Reifung ohne Vergleiche mit anderen. Und in Mitarbeitergesprächen oder Meetings sollte es ebenfalls um einen ehrlichen Austausch gehen, ohne sich gegenseitig zu bewerten.

5. Humor als letzte Möglichkeit, sich Vergleichen zu entziehen

Humor schafft eine Distanz zu Bewertungen und reduziert damit maßgeblich den Dauerstress durch Statusvergleiche. Humor greift immer dann, wenn ich mich einer Bewertungssituation nicht entziehen kann. Es gibt immer Situationen, in denen ich Vergleichen ausgeliefert bin und Leistung zeigen muss. Und wie erwähnt sind Leistungsvergleiche nicht nur schlecht. Sie spornen uns auch zu Höchstleistungen an. Ich kann jedoch immer noch selbst entscheiden, wie ernst ich Leistungsvergleiche und Statusrankings nehme, wann ich mich dadurch motiveren lasse und wann mich allzu strenge Vergleiche zu einem inneren Schmunzeln anregen.

Literatur:

Francois Lelord – Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück

Gregor Hasler – Resilienz: Der Wir-Faktor

Pauls Pearsall – Denken Sie negativ, unterdrücken Sie Ihren Ärger und geben Sie anderen die Schuld

Warum wir ein Wechselspiel zwischen Stress und Entspannung brauchen

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Gesunde Dynamiken

Bei viel Stress in der Arbeit ist die Sehnsucht nach Entspannung – am liebsten direkt in der Arbeit – verständlich. Dabei ist Stress ansich nichts Negatives. Werfen wir einen Blick auf unser genetisches Erbe, lebten wir die meiste Zeit über in starken Dynamiken:

  • Entweder es gab viel zu essen oder gar nichts.
  • Entweder die Menschen waren auf der Jagd oder ruhten sich aus.
  • Und ohne dämmende Häuser war es entweder heiß oder kalt.

Unser genetisches Erbe kennt sich also aus mit Extremen.

Heutzutage leben wir jedoch häufig in einem Gleichklang:

  • Entweder wir haben einen Job, bei dem es dauerhaft stressig zugeht. Oder wir haben einen Job mit wenig Abwechslung.
  • Entweder wir haben – beispielsweise als Vertriebler – einen Job, bei dem wir ständig auf Achse sind. Oder wir sitzen das ganze Jahr über im Büro oder Homeoffice.

Dabei wäre es gesünder, dynamischer zu leben, d.h. mit einem gesunden Wechsel aus …

  • Anspannung und Entspannung
  • Bewegung und Ruhe
  • Abwechslung und Routine

Das Wechselspiel zwischen Sympathikus und Parasympathikus

Tatsächlich besteht eine Eigenart von Säugetieren darin, mit Hilfe unseres Sympathikus Gas zu geben und mit unserem Parasympathikus auf die Bremse zu treten.

Unser Sympathikus steigert unsere Herztätigkeit, erhöht unseren Blutdruck, fördert unsere Durchblutung und erhöht unseren Stoffwechsel. Durch diese Aktivierungen fühlen wir uns lebendig. Damit diese Steigerungen möglich sind, muss jedoch anderswo, beispielsweise bei der Verdauung gespart werden. Deshalb brauchen wir Erholungsphasen, die mit Hilfe unseres Parasympathikus eingeleitet werden.

Es ist also ganz normal, Leistung in der Arbeit spannend zu finden und sich damit wertvoll, gebraucht und lebendig zu fühlen. Problematisch wird es erst, wenn wir uns in Daueralarm befinden. Wenn wir auch in der Freizeit immer erreichbar sind, befinden wir uns zwar nur im Standby-Modus, unser inneres System kann dennoch nicht ganz abschalten, weshalb es manchen schwer fällt, sich auf einen Roman zu konzentrieren oder im Urlaub einfach nur ein paar Stunden aufs Meer zu schauen.

Bereits dieses Wissen hilft uns dabei, wieder beide Welten zu genießen:

  • Leistung zu bringen und dabei Stress zu empfinden kann Spaß machen. Ich muss auch nicht jederzeit in Balance sein. Manchmal gibt es Wochen oder Monate, an denen ich kaum zur Ruhe komme. Aber das ist OK.
  • Gleichzeitig sollte ich mir Ruheinseln einrichten, an denen ich komplett ungestört bin, um damit zu 100% zu entspannen und meine Batterien wieder aufzuladen.

Warum bei Stress Reden oft nicht weiterhilft

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Die drei Aktivierungsstufen von Stress

Das kennt vermutlich jede/r: Wir stehen unter Stress und bekommen gute Ratschläge von anderen, wie wir besser damit umgehen könnten. Da heißt es: „Geh’ doch mal eine Runde spazieren. Ein wenig in die Sonne und an die frische Luft.“ Oder: „Versuch’ doch mal die positiven Seiten an der Sache zu sehen.“

Was in normalen Stress-Situationen harmlos ist oder sogar wütend macht, kann in besonders schwierigen Situationen, beispielsweise depressiven Phasen, die Situation sogar verschlimmern. Denn wer nicht einmal in der Lage ist, solche einfachen Ratschläge zu befolgen, die wertungsfrei betrachtet durchaus hilfreich sind, ist offensichtlich verloren. Hier gilt wohl der Spruch „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“.

Warum jedoch tun wir uns oft so schwer, gut gemeinte Ratschläge anzunehmen?

Neben der Tatsache, dass jeder Mensch anders ist und deshalb auch Tipps nur bedingt übertragbar sind, ist unsere psychische und körperliche Gesundheit ein hochkomplexes System. Vereinfacht formuliert reagieren wir unter Stress

  1. mit einer Aktivierung („Obacht, da muss ich aufpassen!“),
  2. mit Kampf („Jetzt gilt es!“) oder Flucht („Da nehme ich wohl besser die Beine in die Hand“) und
  3. bei längerer Belastung ohne Fluchtmöglichkeit mit kurzfristiger oder dauerhafter Erstarrung („Wenn ich schon nicht ständig blau machen oder meinem Chef Paroli bieten kann, mache ich mich wenigstens unsichtbar“).

Ein aufgebrachter Mensch könnte durchaus in der Lage sein, die positiven Seiten einer Krise zu sehen. Ein Mensch im Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus ist dies mit Sicherheit nicht. Solche Tipps passen daher häufig nicht zum aktuellen Zustand.

Das Zusammenspiel unserer Nerven

Zur Aktivierung und Beruhigung unter Stress spielt in unserem Körper neben dem Sympathikus und Parasympathikus als Teil unseres vegetativen Nervensystems der Vagus-Nerv eine wichtige Rolle. Der Vargus-Nerv wird auch als Hirnnerv bezeichnet, weil er direkt von unserem Gehirn bis in unseren Darm reicht. Als Hirnerv funktioniert der Vagus wesentlich komplexer als Sympathikus und Parasympathikus. Ein Teil des Vagus, der sogenannte Erstarrungs-Vagus ist dafür zuständig, uns in besonders stressigen Situationen möglichst klein zu machen. Ein anderer Teil des Vagus, der sozial-vegetative Vagus ist dafür zuständig, unsere Darmtätigkeiten unter Stress zu regulieren und soziale Beziehungen zu pflegen, indem er Einfluss auf unsere Emotionen und Mimik nimmt. Da unser Vagus-Nerv hochverzweigt durch unseren halben Körper verläuft, ist sein Einfluss hochkomplex.

Die verschiedenen Teile des Vagus-Nervs lassen sich unterschiedlich beruhigen oder aktivieren. Der Erstarrungs-Vagus wird bei kleinen Kindern durch Begrenzungen beim Wickeln trainiert. Wenn wir später Freunde umarmen oder uns in eine warme, dicke und schwere Decke hüllen, spüren wir diese Grenze ebenso. Der Trick dahinter ist die sanfte, freiwillige Gewöhnung. Wer auf diese Weise seinen Erstarrungs-Vagus trainiert, geht später unter Stress besser mit einer erzwungenen Erstarrung um.

Der sozial-vegetative Vagus wird durch eine gesunde Ernährung und stützende Beziehungen aktiviert, beispielsweise über verlässliche Freundschaften, gute Kolleg*innen, Spiritualität oder eine tragende und vertrauliche Coach-Klienten-Beziehung.

Dabei zeigt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Sozialen und unserer Verdauung. Gute Bindungen fördern die Ausschüttung des Bindungshormons Ozytocin, das wiederum unseren Darm verlangsamt, damit er auch mit schwerdaulichen Speisen fertig wird. Dass Liebe durch den Magen geht oder uns ein Konflikt schwer im Magen liegt, ist daher weniger blumig formuliert als auf körperliche Tatsachen zurückzuführen.

Erst der Körper, dann das Reden

Nun haben Stress, insbesondere Dauerstress oder traumatische Erfahrungen die Eigenart, dass sich schwer darüber sprechen lässt. Es kann sogar sein, dass ein Darüber Sprechen sogar zu Retraumatisierungen führt. Aus diesem Grund ist es oft hilfreich, zuerst auf einer körperlichen Ebene anzusetzen:

  1. Den Erstarrungs-Vagus mit Bewegung beruhigen: Bei Menschen, die aufgrund dauerhaften Stresserlebens erstarrt sind, kann es hilfreich sein, den Körper durch Atemübungen, Sport, Spaziergänge oder Tanzen zuerst wieder in Bewegung zu bringen. Der Tipp mit der Bewegung an der frischen Luft ist intuitiv also durchaus passend. Er sollte jedoch mit einem tiefen Verständnis dafür gepaart sein, dass bereits das für manche Menschen nicht einfach ist. Vielleicht ist in so einem Fall ein medizinisches Trampolin eine gute Alternative.
  2. Den Sympathikus entspannen: Nimmt die Erstarrung ab, gerät der Mensch entweder in einen Kampf- oder Fluchtmodus. An einem Beispiel: Wer realisiert, dass er sich vor seinem übergriffigen Chef nicht mehr klein machen sollte, steht nun vor der Wahl, sich entweder zu verteidigen oder – wenn ihm dafür noch die Kompetenzen fehlen – aus kritischen Situationen beispielsweise durch Krankheit oder humorvolle Ablenkungen zu flüchten. Die Auflösung der Erstarrung bringt folglich neue Herausforderungen mit sich. An dieser Stelle eines Coachings oder einer Therapie gilt es daher die Handlungskompetenz durch Resilienz-, Achtsamkeitstrainings, Entspannungsübungen, entspannende Musik oder auch Körpertrainings wie Yoga oder Thai Chi so vorzubereiten, dass eine stressige Situation ausgehalten wird, ohne zuzuschlagen oder wegzurennen. Auch hier wirken Bindungen Wunder, beispielsweise durch das geduldige Vertrauen eines Coaches in seine Klienten.
  3. Den sozial-vegetativen Vagus fördern: Auf der dritten Stufe schließlich kann nun endlich – dank der Vorbereitung – das eigentliche Coaching sozialer Kompetenzen trainiert werden.

Anhand dieser physiologischen Zusammenhänge lässt sich nicht nur erklären, wie in unserem Körper insbesondere aufgrund des Vagus-Nervs Denken, Fühlen, Verdauung, Auftreten, Sprechen, Mimik, Atmung, usw. miteinander verbunden sind, sondern auch, warum manche Trainings- oder Coaching-Maßnahmen scheitern, wenn sie zu schnell auf die Kompetenzen-Schiene abzielen.

Als Coach hatte ich es bislang selten mit Coachees in Erstarrung zu tun. Erstarrung findet eher in therapeutischen Settings aufgrund starker Traumata statt. Den zweiten Schritt vor dem dritten zu machen, d.h. zuerst den Sympathikus zu beruhigen und sich dann – in Ruhe – der Entwicklung von Kompetenzen zu widmen, ist jedoch enorm hilfreich.

Diese Vorgehensweise findet sich u.a. im Focusing, einer Weiterentwicklung der Gesprächstherapie. Hier wird zuerst der sogenannte Freiraum des Klienten gefördert: „Sitzen Sie gut? Brauchen Sie etwas zu trinken? Nehmen Sie sich alle Zeit der Welt, um erst einmal hier anzukommen“. Erst dann wird über mögliche Veränderungen gesprochen.

Literatur:

Gregor Hasler – Die Darm-Hirn-Connection

Dr. Hildegard Nibel und Kathrin Fischer – Neurogenes Zittern

Eugene T. Gendlin – Focusing

Wann sind Resilienz-Trainings sinnvoll?

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Resilienz als Fähigkeit, schwierige Situationen und damit auch Krisen und Dauerbelastungen gut zu meistern und bestenfalls gestärkt daraus hervor zu gehen, ist offensichtlich ein Begriff unserer Zeit, der bis in die Politik hinein reicht. Dabei stellt sich immer auch die Frage, was damit bezweckt werden soll:

  • Soll der Mensch für die Zukunft fit gemacht werden?
  • Oder soll von notwendigen strukturellen Veränderungen abgelenkt werden?

Veränderbare und unveränderbare Faktoren

So wie es eindeutig erscheint, dass wir in Zukunft mehr mit plötzlichen Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürreperioden und dergleichen mehr zu tun haben werden und uns daher auch dafür wappnen sollten, d.h. resilienter mit unvorhersehbaren, unsicheren Situationen umgehen sollten, erscheint es im Zuge der Herausforderungen in Unternehmen ebenso klar, dass stetige, oft auch krisenhafte Umbruchsituationen vorprogrammiert sind:

  • Die Krisen der Welt führen auch in Unternehmen zu stetigen Anpassungsprozessen.
  • Durch die Digitalisierung hat sich die Konkurrenz globalisiert.
  • Der Fachkräftemangel hat sich mittlerweile zu einem allgemeinen Personalmangel ausgewachsen, in dem es in vielen Branchen nicht mehr darum geht, gute Leute, sondern überhaupt jemanden zu bekommen.
  • Eine grassierende Unzufriedenheit von Arbeitnehmer*innen sowie die mangelnde Bindung an den Arbeitgeber führen u.a. zu einer höheren Fluktuation als früher und dem Phänomen des „Quiet quitting“.

Bereits an diesen wenigen Punkten lässt sich der Unterschied zwischen veränderbaren und unveränderbaren Faktoren verdeutlichen. An Krisen, digitaler Globalisierung und Personalmangel kann ein Unternehmen zuerst einmal nichts ändern. Die Folgen einer Krise für Unternehmen sind genauso ein Fakt wie die Anzahl potentieller Bewerber*innen. Am Beispiel Personalmangel zeigt sich jedoch, dass es mittlerweile einige Strategien gibt, die Bewerber*innen, um die sich Unternehmen streiten, anders als bislang anzusprechen:

  • Mittlerweile gibt es einige Beispiel vom Erfolg der 4-Tage-Woche, wenn Unternehmen berichten, dass sie damit plötzlich wieder 100 Bewerbungen mehr im (digitalen) Briefkasten haben.
  • Das Homeoffice kann ein Zugpferd insbesondere für junge Menschen sein, auch wenn es wichtig ist, klar zu definieren, wann ein mobiler Arbeitsplatz sinnvoll ist und wann eher nicht.
  • Ein clever eingesetztes Employer Branding, indem Mitarbeiter*innen emotional und nahbar mittels Videoclips für ihr Unternehmen werben, kann ebenso einen hohen Werbeeffekt haben.
  • Und schließlich gilt es zu überlegen, inwiefern Migrant*innen als Bewerber*innen eingebunden werden können.

Ob es jedoch reicht, Stellenanzeigen zu gendern, um die eigene Diversität zu verdeutlichen und damit mehr Bewerber*innen anzusprechen, bezweifle ich.

Bei der Unzufriedenheit der Mitarbeiter*innen wiederum wird schnell deutlich, dass dieser Faktor in weiten Teilen hausgemacht ist. Da Unzufriedenheit und damit einher gehend auch eine mangelnde Bindung an Teams und Unternehmen in der Regel auf eine mangelnde Führung zurückgehen, ist es unabdingbar, genau hier anzusetzen. Die Konzepte dafür sind reichhaltig vorhanden, egal ob sie nun „Agiles Führen“ mit Vertrauen und Transparenz, „Positive Leadership“ auf der Basis der positiven Psychologie, „Führen mit emotionaler Kompetenz“, „Dienende Führung“ bzw. „Servant Leadership“ oder „Menschliche Führung“ heißen.

Das feine Gespür der Mitarbeiter*innen

Zeitsprung in das Jahr 2010: Damals sollte ich für die gesamte Führungsriege eines Unternehmens ein Zeitmanagementtraining durchführen. Nach Abklärung mit der Personalentwicklung war ich gewarnt, dass einige der Teilnehmer*innen das Seminar begrüßen, andere jedoch eher nicht. Nun gut: Ich war jung und brauchte das Geld. Der einhellige O-Ton im Seminar lautete jedenfalls: „Wir haben kein Zeitmanagement-Problem, sondern die Geschäftsleitung. Sobald ein Meeting zu kurz wird, beginnt er mit ausufernden Reden. Der scheint sich einfach selber gerne zuzuhören.“

Schnell wurde klar, dass es nicht nur am Chef lag, sondern an der grundsätzlichen Führungskultur im Unternehmen. Die Eckpunkte lauteten: Wenig Vertrauen gegenüber den Mitarbeiter*innen und eine Kultur der Wichtigkeit, bei der es Führungskräften schwer fällt loszulassen. Der Chef war hier lediglich ein Teil des Problems.

Das Problem bei solchen Seminaren ist jedoch immer dasselbe: Bekommen Mitarbeiter*innen ein Zeitmanagementtraining aufoktroiert, obwohl sie bereits hoch organisiert sind, sich jedoch an den Strukturen wenig verändert, lautet die unausgesprochene Nachricht: Wir schieben euch den schwarzen Peter zu, damit sich kulturell und/oder strukturell nichts verändern muss.

Dies spricht nicht automatisch gegen Zeitmanagementtrainings, sondern dafür, die Probleme klar zu benennen und sauber anzugehen:

  • Wie schaut es mit unserer Führungskultur aus? Brauchen wir anstatt eines Zeitmanagementtrainings eher ein Führungstraining zu den Themen Vertrauen, Delegieren und Loslassen?
  • Und was passiert auf der systemischen Ebene? Gibt es genügend Ressourcen? Sind unsere Prozesse und Schnittstellen sauber definiert? Und wie schaut es mit unserem Fehlermanagement aus?

Resilienz ist das neue Zeitmanagement

Während sich Zeitmanagement (Prioritäten setzen, Listen führen, etc.) noch auf der Handlungsebene abspielte, geht Resilienz als Denkhaltung tiefer. Hier geht es letztlich nicht mehr darum, etwas zu verändern, sondern schwierige Situationen auszuhalten. Was ist also davon zu halten, wenn ein Krankenhaus seinen Mitarbeiter*innen ein Resilienzprogramm für Soldat*innen anbietet, jedoch auf der strukturellen Ebene alles beim Alten bleibt (siehe der Freitag, Nr. 16, 20.04.2023, Seite 7)?

Was für Zeitmanagement gilt, gilt auch für Resilienz: Die Menschen fit zu machen für widrige Umstände, aus denen es erst einmal kein entrinnen gibt, kann ein wichtiger Baustein im Fortbildungsprogramm eines Unternehmens sein. Tatsächlich kommt die Resilienzforschung aus Bereichen, in denen ein Ausbruch unmöglich erschien, beispielsweise in Konzentrationslagern, Gefängnissen oder schwierigen Familienverhältnissen. Zudem vereinnahmen diese sozialen Settings den gesamten Menschen. Dies ist bei Unternehmen nicht der Fall. Unternehmen sind keine totalitären Einrichtungen. Mitarbeiter*innen gehen am Abend nach Hause und schlimmstenfalls können sie kündigen. Unternehmen, die es folglich mit dem resilienten Aushalten schwieriger Umstände übertreiben, müssen alsbald erkennen, dass die Mitarbeiter*innen, die es sich leisten können, weil sie jung und/oder gut ausgebildet sind, woanders eine bessere Chance suchen. Zurück bleiben dann nur noch diejenigen, die es sich nicht leisten können, was Teams langfristig sicherlich nicht resilienter macht.

Ohne flankierende Maßnahmen keine Resilienz

Wer Resilienztrainings anbietet, sollte deshalb nicht davon ausgehen, dass Mitarbeiter*innen automatisch „Hurra!“ schreien. Personalentwickler*innen sollten sich stattdessen bewusst machen, dass damit auch die Nachricht verbunden sein kann, den Mitarbeiter*innen den schwarzen Peter bei Dauerbelastungen zuzuschieben.

Um das zu vermeiden, ist es wichtig flankierende Maßnahmen anzubieten und durchzuführen:

  • Kulturveränderung: Resilienz ist auch ein Führungsthema. Im Rahmen von Führungstrainings, bspw. „Positive Leadership“ geht es auch darum, was Führungskräfte tun können, um die Resilienz ihrer Mitarbeiter*innen zu fördern.
  • Strukturveränderung: Unternimmt ein Unternehmen realistische Anstrengungen, um den aktuellen Herausforderungen wie Personalmangel, Fluktuation und Bindung der Mitarbeiter*innen zu begegnen, verlieren Resilienztrainings ihren Schwarzen-Peter-Beigeschmack.

Damit wird deutlich: Es geht in einem Resilienztraining darum, mit vorübergehenden Unsicherheiten umzugehen. Das Unternehmen geht aktuelle Probleme jedoch systemisch an. Das wiederum bedeutet nicht, dass unsichere Situationen nicht wieder einmal auftreten werden. Dafür wurde unsere Welt zu krisenhaft. Dann jedoch sind alle im Unternehmen sowohl kulturell, strukturell als auch individuell gewappnet.

Am sinnvollsten ist es folglich, diese drei Ebenen als Gesamtpaket im Unternehmen zu denken und etablieren:

Literatur:

Stefanie Graefe: Resilienz als Leitkonzept in der Vielfachkrise, (externer Link) https://geschichtedergegenwart.ch/resilienz-leitkonzept-in-der-vielfachkrise

Rosemarie Walter-Enderlin & Bruno Hildenbrand: Resilienz – Gedeihen unter widrigen Umständen. Carl-Auer

Erschöpft vom Leben

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2022 befragte das Meinungsforschungsinstitut Civey 5000 Personen nach ihrem Grad der Belastung. Das Ergebnis: Etwa 50% der Befragten fühlten sich erschöpft. Von der Arbeit. Den täglichen Aufgaben, insbesondere bei Familien mit Kindern. Der Reizüberflutung in Großstädten. Den vielen Krisen um uns herum. Letztlich davon, das Leben gerade so zu meistern. Mehr aber auch nicht. Lebensfreude? Fehlanzeige. Als hätten sich viele von uns mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter Ziele gesetzt, denen sie nun zeitlebens hinterher hecheln: Haus abbezahlen, Karriere machen, Karriere der Kinder fördern, usw.

Paradoxerweise verschlimmern zwei vermeintliche Lösungsstrategien unseren Umgang mit Stress und Krisen nur noch mehr:

  1. Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, sich von den Belastungen des Alltags abzulenken. Doch das Überangebot an sehenswerten Serien, Filmen oder Dokus artet seinerseits in Stress aus.
  2. Noch nie kamen wir so leicht an Informationen über Krisen in der ganzen Welt. Wenn wir schon nicht imstande sind, die Welt zu retten, können wir uns zumindest über den Stand der Dinge informieren. Wissen ist Macht. Oder etwa nicht?

Hilfreich scheint das jedoch nicht zu sein. Denn wer einerseits wütend ist auf den Zustand der Welt oder auch nur auf die Politik der Ampelregierung, sich jedoch außer der Unterstützung einer Onlinepetition außerstande fühlt, etwas zu unternehmen, steht bereits mit einem Bein in der Depression. Denn: Zu wissen, was alles im Argen liegt und gleichzeitig handlungsunfähig zu sein, macht depressiv.

Digital Detox ist auch keine Lösung

Ein dauerhaftes „Digital Detox“ ist sicherlich keine Lösung. Je nach Lebenslage ist es durchaus wichtig beispielsweise die aktuelle Debatte um Gebäudesanierungen mitzubekommen, um vorbereitet zu sein. Auch das Wissen um Deep-Fakes oder die neuesten Trickbetrügermaschen ist hilfreich, um nicht halbblind durch die Welt zu segeln. Ohnehin stellt sich die Frage, wer es sich heute noch leisten kann, nicht digital unterwegs zu sein, und sei es nur zumindest eine Email-Adresse zu haben.

Die Adressatenfrage

Stattdessen sollten wir uns beim Konsum von Weltuntergangsnachrichten die Frage der persönlichen Relevanz stellen:

  • Betreffen mich Gebäudesanierungen, wenn ich selbst kein Haus besitze?
  • Betreffen mich Aufrufe zum „Kalt Duschen“, wenn meine Gasrechnung ohnehin eher bescheiden ausfällt?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Dass wir uns durch Nachrichten in die Probleme anderer Menschen hineinversetzen betrachte ich als eine der Hauptaufgaben von Medien. Medien sollten, wie der Name suggeriert, zwischen verschiedenen Personengruppen vermitteln. In diesem Sinne könnte ich eine Nachricht als Information betrachten: „Ah, das gibt es also auch.“ Mir scheint jedoch, dass sich in den letzten Jahren ein Reiz-Reaktions-Impuls oder besser Informations-Wut-Automatismus beim Medienkonsum etablierte, bei dem die Effekthascherei vieler Medien, insbesondere im digitalen Bereich, nicht ganz unschuldig ist. Die Welt geht sozusagen jeden Tag mindestens einmal unter. Und der große Bevölkerungsaufstand steht auch jederzeit im Raum. Ein Hoch auf das Prepper-Wesen! Ein Wunder, dass wir alle noch leben. Dennoch verlangt niemand von uns, auch nicht der Springer-Verlag, dass wir uns stetig direkt angesprochen fühlen, als müssten wir sofort handeln. Bei mir selbst rauschen viele Informationen einfach durch, weil ich mich ganz oft frage: Meinen die mich? Eher nicht.

Zur Verdeutlichung: Vor etwa 20 Jahren musste mein bescheidenes Pädagogengehalt für unsere kleine Familie ausreichen. Von einem Bekannten erfuhren wir von der Möglichkeit Wohngeld zu beantragen. Mein Verdienst lag knapp unter dem Regelsatz. Also nahmen wir die Armada an Unterlagen und Nachweisen in Angriff. Als wir alles beisammen hatten, um eine mögliche Förderung mit unserem Ansprechpartner auf dem Amt durchzusprechen, schaute uns dieser mit großen Augen an und meinte: „Da muss ein Fehler passiert sein. Niemand kann so wenig Gas und Strom verbrauchen.“ Aber die Belege stimmten natürlich. Dass wir sparsam sind, war uns bewusst. Dass wir so sparsam waren, war uns nicht klar. Und selbst in der aktuellen Energiekrise bekamen wir wieder einmal ein paar Euro von unserem Gasanbieter zurück, obwohl wir unser Verhalten nicht wirklich veränderten. Wenn ich heute ein Video von Winfried Kretschmann sehe, in dem er erklärt, wie man die Heizung über Nacht herunter dreht, entlockt mir das eher ein Schmunzeln als dass ich mich darüber ärgere. Es betrifft mich schlicht und einfach nicht.

Ich trenne seit 35 Jahren meinen Müll. Ich saß in meinem ganzen Leben vier mal in einem Flugzeug und fahre eher mit der Bahn als mit dem Auto. Kurzum: Das Thema Umwelt rauscht bei mir durch. Selbst die Klimakleber betreffen mich nicht, weil ich noch nie einem begegnet bin. Warum sollte ich mich also über etwas aufregen, dass mich nicht betrifft. Stattdessen betrachte ich Nachrichten darüber als das, was sie sind: Informationen ohne Wertung. Sie informieren mich, damit ich Bescheid weiß, was in der Welt passiert. Nicht mehr und nicht weniger.

Konzentration auf das, was uns wirklich betrifft

Gleichzeitig gibt es natürlich Themen, die mich direkt betreffen. Wenn 50% der Menschen tatsächlich wie in der eingangs beschriebenen Umfrage erschöpft sind, betrifft mich das als Coach und Seminarleiter. Auch ich bin schließlich mit Themen wie Stress und Resilienz unterwegs. Und insbesondere bei diesen Themen frage ich mich: Was können wir selber tun und wo sind wir schlichtweg nicht schuld, wie der Titel meines Ebooks (Externer Link: Du bist nicht schuld) zum Umgang mit Dauerbelastungen verdeutlicht. In diesem Spektrum haben viele Nachrichten für mich einen hohen Informationswert:

  • Lockdowns haben die psychische Gesundheit von Jugendlichen langfristig gefährdet.
  • Krankenhauspersonal soll mittels Resilienzseminaren fit gemacht werden, anstatt für mehr Personal zu sorgen.
  • Die Streiks in diesem Land nehmen ungewöhnlich zu. Ist die Zeit Belastungen auszuhalten für viele Personengruppen vorbei?

Zu solchen Nachrichten habe ich einen direkten Bezug. Auch das sind keine schönen Nachrichten. Aber sie affizieren mich. Die Informationen verärgern mich auch manchmal. Aber sie ermüden mich nicht, weil die Informationen als Hintergrund für meine Seminare dienen und mich zum Weiterdenken anregen, wie mit diesen Herausforderungen umgegangen werden kann.

Die beiden Filterfragen

Letztlich geht es also umso zwei Fragen beim Konsum von Medien, um von der Fülle der Informationen nicht erschöpft zu werden: Was betrifft mich? Und was betrifft mich nicht?

Diese beiden simplen Fragen lassen sich sogar auf Bereiche übertragen, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich sind: Filme und Serien. Vor ein paar Jahren entdeckte ich für mich, dass mich ein Tatort aufgrund der Beschäftigung mit typisch deutschen Themen mehr affiziert als us-amerikanische Serien. Eine amerikanische Serie mag spannender und besser produziert sein, in dem Moment, wo ein Prototyp von US-Soldat sagt: „Ich würde für dieses Land sterben“, ist bei mir der Ofen aus. Dann doch lieber einen Einblick in die schrullige Seelenwelt von Niederkaltenkirchen bekommen.

Das gleiche Prinzip gilt freilich nicht nur für Nachrichten oder Filme, sondern im gesamten Leben. Auch unsere Arbeit wird häufig von einer Informationsüberflutung bestimmt, bei der wir uns fragen sollten: Ist das jetzt wirklich für mich bestimmt? Sprich:

  • Ist das jetzt wirklich für mich bestimmt? Wenn ja, muss ich mich wohl darum kümmern. Wenn nein, ist es vielleicht gar nicht so wichtig.
  • Ist das jetzt wirklich für mich bestimmt? Wenn ja, ist es offensichtlich auch dringend. Wenn nein, sollte ich mich zuerst am Wichtigeres und Dringenderes kümmern.
  • Ist das jetzt wirklich für mich bestimmt? Wenn ja, muss tatsächlich ich mich darum kümmern. Wenn nein, sollte sich wohl jemand anders darum kümmern.

Auch der Lärm in der Großstadt ist nicht wirklich an uns adressiert oder das Schreien der eigenen Kinder. Sobald wir erkennen, was uns wirklich betrifft und was mehr oder weniger zufällig passiert, fühlen wir uns auch weniger angegriffen und zum Handeln verpflichtet. Und damit wird letztlich auch unsere Erschöpfung abnehmen.