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Der Sog

Flow-Erleben

Es ist wie ein Sog, der mich hineinzieht. Vor dem ich mich kaum retten kann. Immer wenn ich einen Fuß vor die Tür meines Büros setze, trete ich ein in eine gänzlich andere Welt.

Vor einigen Jahren machte ich Urlaub in der Schweiz. Dort gilt es als Volkssport, sich in großen Flüssen treiben zu lassen. Doch als ich es eines Tages den Einheimischen gleichtun wollte, saß am Ufer ein Berner und fragte mehr rhetorisch als neugierig: “Das ist wohl dein erstes mal, oder?” Meine Körperhaltung hatte bereits alles verraten, was in diesem Moment wichtig war. Ich nickte. Dies gab ihm Anlass genug, mir zu erklären, wie ich mich im Falle eines Strudels, eines Sogs nach unten, verhalten sollte: “Kämpfe nicht dagegen an. Lass dich einfach nach unten ziehen. Und stoße dich dann, am Flussboden angekommen, zur Seite ab. Wenn du ein guter Schwimmer bist, kannst du in der Mitte schwimmen. Dort, wo der Strom am stärksten ist. Wenn nicht: Halte dich am Rand.”

Sobald ich einen weiteren Schritt vor die Tür setze, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit meinen Kollegen und Kolleginnen mit zu schwimmen. Ein Widerstand wäre möglich, aber wahnsinnig anstrengend. Ich würde an jedem, der schneller ist als ich anecken und böse Blicke auf mich ziehen. Mit der Geschwindigkeit der Masse mitzuhalten, ist auch anstrengend. Doch die Energie, die ich brauche, um mich dagegen zu wehren, erscheint mir um ein Vielfaches höher.

Manchmal träume ich davon, mich mit einer Djembe an den Rand zu setzen. Ich würde den Trommel-Takt immer wieder variieren. Ich würde mal schnell und mal langsam trommeln und beobachten, wie sich dabei die Laufgeschwindigkeit, Haltung und Mimik dieser rastlosen Menschen verändert.

Sich nach unten ziehen zu lassen und dann zur Seite abstoßen. Heißt das nicht: Einen Zustand von innen heraus verändern? Den richtigen Moment dazu abwarten? Den richtigen Moment für die eigene Veränderung. Den richtigen Moment für die Veränderung anderer. Wenn alle im Strom schwimmen, ist es unmöglich, etwas anderes zu tun. In Zeiten der Ruhe gibt es eine Chance zum umdenken. Doch ohne Verbündete erscheint dies unmöglich.

Ich bin damals in den Fluss gesprungen. Und ich bin kein guter Schwimmer. Also hielt ich mich am Rand. Ich kam in keinen Strudel, keinen Malstrom, der mich auf den Flussgrund beförderte. Die Geschwindigkeit am Rand war dennoch stark genug, um ein euphorisches Geschwindigkeitsgefühl aufkommen zu lassen. Sich so im Fluss treiben zu lassen, übt einen großen Reiz aus. Du wirst mit wenig Mühe eine enorme Strecke vorangetrieben. Doch nach einigen Minuten spürst du die Kälte des Flusses. Deine Muskeln müssen arbeiten, um nicht unterzugehen. Und sie müssen noch mehr kämpfen, um den Ausstieg zu erreichen. Sie müssen gegensteuern. Und das ist die schwerste Übung.

Ich habe damals dank dem namenlosen Berner den Ausstieg geschafft. Ich hatte Angst. Aber auch genauso viel Vertrauen. Und ich würde es wieder tun. Auch heute noch springe ich im Sommer gerne in Flüsse. Ich genieße es, mich treiben zu lassen. Mein Ich aufzulösen im Strom der Masse. Doch ich lasse mich niemals unbewusst hetzen. Ich springe niemals in einen Fluss, wenn ich nicht weiß, ob ich den Ausstieg schaffe.