Schlagwort-Archive: Balance

Das Prinzip der Verdoppelung in Konflikten

Wer Konflikte lösen möchte, kennt vermutlich das Prinzip der Balance: Zu jeder Position 1 gibt es eine ausgleichende Position 2. Zum Vertrauen bspw. gibt es als Ausgleich die Kontrolle. Ohne gelegentliche Kontrolle artet Vertrauen in Naivität aus. Und ohne ein ausgleichendes Vertrauen wird Kontrolle zur spanischen Inquisition.

Damit es nicht zu einer Ausartung einer Position kommt, gibt es ebenso das Prinzip der Verdoppelung:

  • Wäre eine Mäßigung maßlos, wäre es keine Mäßigung mehr, sondern Exzess.
  • Skepsis wird erst zur Skepsis, wenn sie sich auch selbst skeptisch betrachtet. Ohne diese Meta-Skepsis würde die Skepsis ohne Ausnahme alles skeptisch betrachten und geriete damit zu einem allumfassenden Misstrauen. Die Skepsis lebt jedoch davon, manche Dinge zu glauben und andere skeptisch zu hinterfragen. Es braucht folglich eine Verdoppelung der Skepsis.
  • Auch die Kontrolle, bspw. in der Führung, braucht eine Kontrolle, um nicht auszuarten. Es braucht daher eine kontrollierte Kontrolle.

Äußerer versus innerer Wandel

Silvester ist wieder einmal vorbei und viele Menschen werden in der Zeit zwischen den Zeiten nachdenklich oder sogar spirituell. Auch bei mir gibt es seit einigen Jahren die Tradition, mich mehr als bspw. im Sommerurlaub mit mir und meinem Leben auseinander zu setzen. Wer will das schon, wenn Sonne und Badesee locken?

  • Äußerer Wandel: Wo soll es dieses Jahr hingehen und was will ich erreichen beschäftigen sich mit den eher oberflächlichen Fragen eines forcierten Wandels.
  • Innerer Wandel: Geht es mir gut und wie könnte es mir gesundheitlich, körperlich oder psychisch besser gehen betrifft einen inneren Wandel.

Beides verzahnt sich oft, nicht jedoch automatisch. Ein neues Projekt, ein neuer Job oder ein Umzug bringen frischen Wind ins Leben. Nicht selten werden jedoch alte Probleme mitgenommen. Wie heißt es so treffend:

Du kriegst den Jungen aus dem Dorf ‘raus, aber nicht das Dorf dem Jungen.

Ein äußerer Wandel – forciert oder wie in Krisenzeiten (ohne das C-Wort zu nennen, das kaum noch jemand hören kann) erzwungenermaßen – kann jedoch ein willkommener Anlass sein, etwas tiefer zu graben und damit auch einen inneren Wandel anzustoßen.

Prinzipien inneren Wandels

All das haben Sie vermutlich schon einige Male gelesen oder gehört. Doch was genau macht einen inneren Wandel aus?

Ein innerer Wandel geschieht immer aus einem dualen Gegensatzpaar heraus, so wie unser gesamtes Leben aus Gegensatzpaaren besteht: Wir geben Gas und treiben damit eine Veränderung voran (Sympathicus), müssen jedoch ab und an innehalten, sozusagen auf die Bremse treten, um über das Erreichte nachzudenken (Parasympathicus). In der chinesischen Naturphilosophie gibt es dazu den Kreis aus Yang (Veränderung, die Tür öffnet sich) und Yin (Begrenzung, die Tür schließt sich wieder). Beide Pole sollten sich in einer gesunden Balance befinden.

Im kabbalistischen Lebensbaum (siehe auch: https://www.m-huebler.de/die-psychotische-gesellschaft-teil-iii-auf-der-suche-nach-identitaet-heimat-und-sinn) gibt es die Balance zwischen Geben und Begrenzen als zentralem Bestandteil unserer Persönlichkeit:

  • Was kann und will ich geben?
  • Welche Stärken und Kompetenzen habe ich?
  • Wo liegen meine Grenzen?
  • Wozu sollte ich öfter Nein sagen?

Ich persönlich empfinde die Balance zwischen Geben und Begrenzen wesentlich stimmiger als das gängigere Geben und Nehmen, weil wir es damit selbst in der Hand haben.

Die aktuelle gesellschaftliche Disbalance

Aktuell erleben wir in vielen Bereichen einen Überschuss des Gasgebens (Umweltverschmutzung, Krieg, Dauerstress in der Arbeit, Nachrichten- und Informations-Überfluss). Wir befinden uns daher in einer starken Disbalance, weil das Zögern, produktive Zweifeln, Innehalten und Nachdenken oft zu kurz kommt. Gehen wir jedoch nach einer langen Phase des Überschusses in eine Ruhephase über, wird der Körper häufig krank, weil er es nicht mehr gewohnt ist, mit Ruhepausen umzugehen. Wir werden dann nervös, vermutlich weil wir insgeheim wissen, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Kein Wunder, dass viele Menschen mit Achtsamkeitsübungen Schwierigkeiten haben.

Auch der Umgang mit Lockdowns als erzwungene Yin-Phase wurde unterschiedlich wahrgenommen. Während manche die Ruhephase dankbar annahmen, litten andere daran, dass sie ihr Bedürfnis nach Yang nicht los wurden, außer vielleicht mit Sport und kilometerweiten Spaziergängen.

Polaritäten als Weg zur inneren Balance

Auch wenn das Gasgeben und Innehalten einleuchtet, stellt sich dennoch die Frage, was dies konkret bedeutet. Dazu ist es hilfreich, darüber nachzudenken, was genau das Gasgeben und Innehalten in Ihrem Leben ausmacht. Schauen wir uns dazu einige typische charakterliche Gegensatzpaare an:

  • Es gibt Menschen, die viel Abwechslung im Leben brauchen und sehr neugierig sind (Yang bzw. Gas geben). Meist können diese Menschen gut mit unklaren Situationen umgehen, während andere mehr Struktur und Ordnung brauchen (Yin bzw. Innehalten) und gerne beim Bewährten bleiben. Darin steckt keine Bewertung. Das eine ist so wertvoll wie das andere, da zu viel Abwechslung zu Chaos führen kann und zu viel Struktur zu Angst vor Veränderungen, Kontrolle und Rigidität. Daher braucht auch der kreativste Mensch ein wenig Struktur, um produktiv zu sein. Und ein struktrurierter Mensch benötigt ein wenig Abwechslung, um nicht abzustumpfen.

Greifbar wird dieses Verhältnis, wenn Sie 10 Punkte verteilen. Wie wichtig ist Ihnen Abwechslung? Wie wichtig ist Ihnen Struktur? 7 zu 3? Oder 4 zu 6? Um von einer bloßen Standortbestimmung zum Wandel zu kommen, machen Sie sich nun Gedanken über vergangene und zukünftige Veränderungen: Wie wichtig waren Ihnen Abwechslung und Struktur früher? Woran machen Sie Abwechslung und Struktur in Ihrem Leben fest? Sind Sie aktuell zufrieden? Was wünschen Sie sich für die Zukunft und wie erreichen Sie dies?

  • Ein anderes Gegensatzpaar bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Leistung erbringen, Konzentration und Disziplin (Gas geben) auf der einen und Genuss und Entspannung (Innehalten) auf der anderen Seite. Hier können Sie ebenso nach dem oberen Muster vorgehen, um zu einer aktuell passenden und gesunden persönlichen Balance zu kommen.
  • Auch Verantwortung zu übernehmen im Ehrenamt oder in einer Führungsposition (Gas geben) bildet zusammen mit dem Aufgehen in einer Gruppe im Fußballverein, als Team- oder Familienmitglied ein Gegensatzpaar. Wie sieht es hier mit der Balance oder Disbalance aus?

Letztlich lassen sich alle Charaktereigenschaften mehr oder weniger einem der beiden Pole zuordnen. Kommunikationsfreudig ist Yang, während reflektiert zu sein Yin zuordnen lässt. Spendabel ist Yang und sparsam Yin.

Am besten, Sie stöbern selbst in Online-Listen (bspw. hier (externer Link): https://karrierebibel.de/charaktereigenschaften), suchen sich 10 für Sie typische Charaktereigenschaften aus, denken darüber nach, ob diese eher gasgebend oder innehaltend sind und machen sich auf die Suche nach ergänzenden Eigenschaften, um sich wieder in Balance zu bringen. Viel Spaß damit.

Der Sog

Flow-Erleben

Es ist wie ein Sog, der mich hineinzieht. Vor dem ich mich kaum retten kann. Immer wenn ich einen Fuß vor die Tür meines Büros setze, trete ich ein in eine gänzlich andere Welt.

Vor einigen Jahren machte ich Urlaub in der Schweiz. Dort gilt es als Volkssport, sich in großen Flüssen treiben zu lassen. Doch als ich es eines Tages den Einheimischen gleichtun wollte, saß am Ufer ein Berner und fragte mehr rhetorisch als neugierig: “Das ist wohl dein erstes mal, oder?” Meine Körperhaltung hatte bereits alles verraten, was in diesem Moment wichtig war. Ich nickte. Dies gab ihm Anlass genug, mir zu erklären, wie ich mich im Falle eines Strudels, eines Sogs nach unten, verhalten sollte: “Kämpfe nicht dagegen an. Lass dich einfach nach unten ziehen. Und stoße dich dann, am Flussboden angekommen, zur Seite ab. Wenn du ein guter Schwimmer bist, kannst du in der Mitte schwimmen. Dort, wo der Strom am stärksten ist. Wenn nicht: Halte dich am Rand.”

Sobald ich einen weiteren Schritt vor die Tür setze, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit meinen Kollegen und Kolleginnen mit zu schwimmen. Ein Widerstand wäre möglich, aber wahnsinnig anstrengend. Ich würde an jedem, der schneller ist als ich anecken und böse Blicke auf mich ziehen. Mit der Geschwindigkeit der Masse mitzuhalten, ist auch anstrengend. Doch die Energie, die ich brauche, um mich dagegen zu wehren, erscheint mir um ein Vielfaches höher.

Manchmal träume ich davon, mich mit einer Djembe an den Rand zu setzen. Ich würde den Trommel-Takt immer wieder variieren. Ich würde mal schnell und mal langsam trommeln und beobachten, wie sich dabei die Laufgeschwindigkeit, Haltung und Mimik dieser rastlosen Menschen verändert.

Sich nach unten ziehen zu lassen und dann zur Seite abstoßen. Heißt das nicht: Einen Zustand von innen heraus verändern? Den richtigen Moment dazu abwarten? Den richtigen Moment für die eigene Veränderung. Den richtigen Moment für die Veränderung anderer. Wenn alle im Strom schwimmen, ist es unmöglich, etwas anderes zu tun. In Zeiten der Ruhe gibt es eine Chance zum umdenken. Doch ohne Verbündete erscheint dies unmöglich.

Ich bin damals in den Fluss gesprungen. Und ich bin kein guter Schwimmer. Also hielt ich mich am Rand. Ich kam in keinen Strudel, keinen Malstrom, der mich auf den Flussgrund beförderte. Die Geschwindigkeit am Rand war dennoch stark genug, um ein euphorisches Geschwindigkeitsgefühl aufkommen zu lassen. Sich so im Fluss treiben zu lassen, übt einen großen Reiz aus. Du wirst mit wenig Mühe eine enorme Strecke vorangetrieben. Doch nach einigen Minuten spürst du die Kälte des Flusses. Deine Muskeln müssen arbeiten, um nicht unterzugehen. Und sie müssen noch mehr kämpfen, um den Ausstieg zu erreichen. Sie müssen gegensteuern. Und das ist die schwerste Übung.

Ich habe damals dank dem namenlosen Berner den Ausstieg geschafft. Ich hatte Angst. Aber auch genauso viel Vertrauen. Und ich würde es wieder tun. Auch heute noch springe ich im Sommer gerne in Flüsse. Ich genieße es, mich treiben zu lassen. Mein Ich aufzulösen im Strom der Masse. Doch ich lasse mich niemals unbewusst hetzen. Ich springe niemals in einen Fluss, wenn ich nicht weiß, ob ich den Ausstieg schaffe.