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Machen uns Werte glücklich?

Derzeit stelle ich mir immer mal wieder die Frage, warum viele Menschen so gestresst sind. Sicherlich: Die Arbeitsbelastung ist hoch. Aber vielleicht liegt es auch an einer Welt, in der alles möglich erscheint und gleichzeitig viele nicht so recht wissen, wo es eigentlich in ihrem Leben hingehen soll. Mehr noch: Wohin driftet die Welt? Wer in den Medienwald blickt, stößt allerorten auf Unzufriedenheit und Ratlosigkeit: Die Regierung ist (mal wieder) die Schlimmste, die wir jemals hatten. Der Krieg in der Ukraine ist omnipräsent. Und das Klima ist ohnehin nicht mehr zu retten. Bald sind wir alle tot, könnte man meinen. Also flüchten wir uns in einen Hedonismus, der uns lediglich ablenkt, jedoch keine neue, positive Energie bringt. An dieser Stelle könnte uns eine klarere Ausrichtung an Werten helfen.

Lust- versus Werteorientierung

In einer Studie von Todd Kashdan u.a. wurde der Einfluss von Werten auf unsere Zufriedenheit untersucht. Dazu sollten Teilnehmer*innen ein Tagebuch führen, in denen sie ihre täglichen Aktivitäten verschriftlichten. Kashdan untersuchte daraufhin, ob es sich dabei um hedonistische (lustorientierte) oder eudämonische (werteorientierte) Tätigkeiten handelte. Eine hedonistische Tätigkeit wäre beispielsweise Essen gehen, eine eudämonische ein Fest für Freunde organisieren. Gleichzeitig sollten die Teilnehmer*innen ein tägliches Fazit ihrer Zufriedenheit ziehen.

Das Ergebnis war eindeutig: Wer mehr Tätigkeiten nachgeht, die auf persönlichen Werten beruhen, ist glücklicher als Menschen, die lediglich ihrer momentanen Lust folgen.

Der Wertekompass

In diesem Sinne sind Werte wie ein Kompass, der uns über schwierige Situationen hinaus eine Orientierung im Leben bietet. Gegenüber konkreten Zielen leitet uns ein Kompass lediglich in die richtige Richtung. Auf dem Weg zum Ziel kann jedoch so viel passieren, dass sich das vermeintliche Ziel verändert. Damit verhindern wir den tiefen Fall in ein emotionales Loch nach Erreichen eines Ziels, weil wir auf der Basis unserer Werte immerwährend neue Ziele entwickeln können. Wer einmal im Jahr ein großes Fest für Freund*innen und Bekannte organisiert, um ihnen für ihre Freundschaft zu danken und gemeinsam eine verbindende Zeit zu verbringen, weiß genau, dass er dies nächstes Jahr wieder machen wird.

Wie also könnten solche Werte in unserem Kompass aussehen – in der Mindmap bezogen auf Arbeit und Zusammenarbeit?

  • Wir könnten uns an Gesundheit orientieren, um auch in Zukunft fit und leistungsfähig zu sein. Dies impliziert einen achtsamen Umgang mit sich und anderen.
  • Wir könnten als Maxime unserer Arbeit aufstellen, die Welt mit unseren Produkten und Dienstleistungen ein klein wenig schöner zu machen, beispielsweise indem wir auf hochwertige und langlebige Materialien achten.
  • Wir könnten die Leistungen unserer Mitarbeiter*innen anerkennen und öffentlich ehren.
  • Wir könnten darauf achten, uns mit Toleranz und Respekt zu begegnen.
  • Es könnte uns wichtig sein, gleiche Karriere-Chancen für alle herzustellen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, etc.
  • In der Abgrenzung zur Gleichheit könnten wir auch wert darauf legen, dass mehr Leistung fairerweise mehr belohnt wird.
  • In puncto Loyalität ist es denkbar, Team- und Unternehmensbelange wieder höher anzusiedeln als Einzelinteressen. Ein Punkt, der in letzter Zeit in meinen Seminaren immer wieder als aktuelles Manko genannt wird.
  • Damit folgt auch die Solidarität auf den Fuß, indem wir uns auf die Fahnen schreiben, uns insbesondere in Krisenzeiten gegenseitig zu unterstützen, anstatt dass jede*r nur an sich selbst denkt.
  • Dazu braucht es auch die Ehrlichkeit und Offenheit, Fehler und Schwächen anzusprechen, um angemessen damit umzugehen.
  • Und schließlich braucht es die Freiheit, in unklaren Situationen Entscheidungen zu treffen, deren Folgen sich noch nicht abschätzen lassen, ohne im Nachhinein auf vermeintlichen Fehlentscheidungen herumzureiten.

Die konkrete Umsetzung mit Werten

Viele Unternehmen geben mittlerweile Wertekataloge im Rahmen von Führungsleitlinien vor. Das ist zwar einerseits gut und richtig. Andererseits jedoch oft schwer, im Alltag zu implementieren. Umso wichtiger ist es, sich als Führungskraft selbst Gedanken über seinen eigenen Wertekompass zu machen. Was also ist Ihnen von den oben genannten Werten wichtig? Wie wichtig auf einer Skala von 0-10 sind Ihnen die Werte? Dabei können (und sollen) diese Werte auch sehr gut im Team diskutiert werden.

Zum zweiten stellt sich die Frage nach der konkreten Umsetzung. Was bedeutet es, dass mir die Gesundheit meiner Leute wichtig ist? Will ich in Zukunft als Führungskraft mehr auf eine mögliche Überlastung meiner Mitarbeiter*innen achten? Will ich im Zweifelsfall nachfragen, wie es ihnen geht? Will ich besonders Überlastete nach Hause schicken?

Analog zum Gesundheitsbeispiel lassen sich alle Werte durchgehen und konkretisieren, wobei es häufig ein guter Zwischenschritt ist, sich Fragen zu den Werten zu überlegen bzw. gemeinsam mit dem Team zu erörtern:

  • Was bedeutet für uns Gleichheit und Gerechtigkeit?
  • Wie viel Gleichheit ist sinnvoll und ab wann sollte es gerecht zugehen?
  • Wie viel freie Entscheidungen sind in unserem Bereich möglich und wo liegen die Grenzen, beispielsweise wenn die Konsequenzen einer freien Entscheidung andere zu tragen haben? Usw.

Fakt ist: Werte bieten uns insbesondere in agilen Zeiten eine ideale Orientierung, weil sie zwar einerseits klar definieren, was uns wichtig ist und wo es hingehen soll, andererseits jedoch stets flexibel bleiben und immer wieder angepasst werden können. So kann es in Krisenzeiten oberste Priorität sein, sich gegenseitig zu unterstützen und sich loyal zu seinem Team zu verhalten, während die Ehrung von Leistungen eher hinten an steht. Diese kann in „normalen“ Zeiten wieder wichtiger werden.

Sich seiner selbst bewusst werden

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Wie einfach ist es, sich zu verändern? Diese Frage stellt sich umso mehr, je schneller sich die Welt um uns herum dreht. Ist es dann eher gut, so zu bleiben, wie wir sind – als Fels in der Brandung? Oder wäre es angebracht, sich weiter zu entwickeln?

Auf einer ganz praktischen Ebene stellt sich diese Frage in meinen Führungstrainings, wenn Teilnehmer*innen sagen: “Das klingt ja ganz gut, was Sie da sagen. Aber in der Praxis ist das nicht möglich.” Und eigentlich meinen sie: “So einfach ist das alles nicht. Ich bin nun mal … (eher zupackend, zurückhaltend, usw.).” Oder:”Ich bin eben kein Macher-Typ.”

In persönlichen Veränderungen haben wir es folglich immer mit mindestens zwei Ebenen zu tun:

  1. Wir nehmen etwas wahr, das wir tun könnten, anders machen könnten, usw.
  2. Wir nehmen wahr, was wir wahrnehmen und bewerten das Wahrgenommene.

In unserem Gehirn sitzt also ein kleiner Homunculus, ein kleines Menschlein, das uns beim Wahrnehmen beobachtet und entscheidet, was mit den neuen Informationen anzufangen ist. Diesen kleinen Menschen in uns drin können wir als unser Selbst bezeichnen. Dieses Selbst wiederum ist schwer zu (be)greifen. Wie auch? Besteht es doch aus unseren tiefsten, meist unbewussten Prägungen, die bis weit in unsere Kindheit zurückgehen. In meinen Konfliktmanagement-Seminaren frage ich manchmal zu Beginn ab, in wessen Familien offen diskutiert und gestritten wurde und bei wem nicht. Die Erkenntnisse dieser Mini-Umfrage decken sich meist ziemlich genau mit der Frage, wer eher offen und unerschrocken und wer eher zurückhaltend in Konfliktgespräche geht. Aus solchen und vielen weiteren Erfahrungssituationen unseres Lebens entsteht nach und nach unser Selbst. Unser Selbst könnte mutig, neugierig, (un)geduldig, aufbrausend, ausdauernd, selbstreflexiv, willensstark, aushaltend, gütig, streng, vertrauend, skeptisch, usw. sein.

An dieses Unbewusste kommen wir heran, wenn wir eine Liste zusammen stellen aus Satzanfängen wie:

  • Ich bin eben ein Mensch (Typ), der …
  • Oder: Ich bin nicht ein Mensch (Typ), der …

Diese Satzanfänge lassen sich mit verschiedenen Rollen ausweiten, die wir im Leben einnehmen: Mann, Frau, Kolleg*in, Freund*in, Vater, Mutter, Führungskraft, usw.

Aber Vorsicht! Bei den Rollen vermischt sich die eigene Sicht mit Erwünschtheiten. Deshalb ist es wichtig, klar zwischen der eigenen Sichtweise und fremden Erwartungen zu trennen, um herauszufinden, worin das Eigene besteht.

Was bin ich also für ein Mensch? Was bin ich für eine Führungskraft? Und wie kann ich mich verändern? Dazu möchte ich Ihnen ein Programm aus drei Schritten anbieten:

Schritt 1: Inventur

Als erstes brauchen wir eine Inventur der oft unbewussten inneren Selbstaussagen:

  • Ich könnte ein Mensch sein, der lange Diskussionen nicht aushält.
  • Ich könnte jemand sein, die es meist sehr genau nimmt, auch bei der Vorbereitung eines Sommerfests.
  • Ich könnte ein Mensch sein, der sehr gut und geduldig zuhören kann (oder auch nicht).
  • Ich könnte jemand sein, der sich von der Enttäuschung eines Mitarbeiters leicht mitreißen lässt. Oder, der sich im Gegenteil gut abgrenzen kann.
  • Ich könnte auch sehr kritisch gegenüber Neuerungen sein. Oder stattdessen schnell zu begeistern sein.
  • Es könnte mir leicht (oder schwer) fallen, Entscheidungen durchzuboxen.

Schritt 2: Einordnung des Inventars

Als zweites ist es wichtig, unser Inventar zu sortieren. Folgende Kategorien sind dazu hilfreich:

  1. Ich bin zufrieden. Ich kann so bleiben, weil ich damit Erfolg habe.
  2. Ich bin unzufrieden. Ich sollte mich verändern, weil ich damit keinen Erfolg habe und mir das Leben (oder meine Arbeit) erschwere.
  3. Ich bin selbstzufrieden. Denn insgeheim könnte es sein, dass ich nur zu bequem bin, um mich zu verändern.

Nehmen wir zur Verdeutlichung folgende Aussage: Ich bin nunmal ein Macher-Typ, der bei langen Diskussionen im Team ungeduldig wird und dann ein Machtwort spricht. Ich bin zufrieden. Die Diskussionen bei uns ufern nicht aus. Die Leute respektieren mich als starken Chef-Typen. Es ist jedoch auch so, dass kaum jemand von sich aus zu mir mit Problemen kommt. Zudem entstanden Diskussionen in letzter Zeit oft gar nicht mehr. Die Stimmung im Team ist extrem sachlich und produktiv. Emotionales gehört auch nicht unbedingt in die Arbeit. Dennoch merke ich, dass im Zuge der aktuellen Dauerbelastungen ein anderer Führungsstil (Stichwort: karitativ) manchmal sinnvoll wäre.

Im Grunde ist diese Führungskraft also mit sich zufrieden. Und dennoch ist da ein Funke Unzufriedenheit, der ihr suggeriert, dass sie ein wenig zu selbstzufrieden ist. Sie ist also wortwörtlich mit sich bzw. ihrem Selbst zufrieden. Wenn ich das erkenne, ist es der perfekte Zeitpunkt, an mir zu arbeiten bzw. mein Selbstkonzept zu überdenken.

Schritt 3: Weiterentwicklung

Wie jedoch geht das, das eigene Selbst zu überdenken?

Zuerst einmal ist es wichtig, das eigene Selbst zu wertschätzen: Da ist eine Macherin, ein Empath, ein Mutiger, eine Neugierige, usw. All das ist erst einmal idR. gut und hilfreich. Wir sind jedoch nicht nur ein mutiger Typ, sondern auch ein mutiger Typ. Es geht also um Differenzierung anstatt Ausschluss. Ich bspw. trete als Trainer als Experte auf, höre als Coach und Liebhaber gut zu, treffe als Vater Entscheidungen, v.a. als meine Kinder noch kleiner waren, usw. All das sind Teile meiner selbst. Die Frage ist nur, wann bin ich wer? In welchen Situationen ist welcher Selbst-Anteil von mir sinnvoll? Auch hier spielt wieder die bereits erwähnte Vermischung von Selbstkonzept und Rollen mit hinein.

Zum zweiten stellt sich die etwas kompliziertere Frage, warum mir ein Teil meiner selbst wichtig erscheint. Warum halte ich Diskussionen nicht aus bzw. warum “muss” etwas in mir nach maximal 10 Minuten ein Machtwort sprechen?

Zur tieferen Beschäftigung mit den Hintergründen von meinem Selbst ist die Warum-Methode aus dem japanischen Lean-Management hilfreich. Im Ursprung lautete die Anleitung dazu: Frage dich 5 mal “Warum”, bevor du eine Entscheidung triffst. Analog dazu könnte die Anleitung hier lauten: Frage dich 5 mal Warum, um zu erkennen, wer du wirklich bist und was dir wichtig ist:

  1. Warum halte ich Diskussionen nicht aus?
  • Weil wir sonst nicht mir der Arbeit weiter kommen.
  1. Warum ist es mir wichtig, mit der Arbeit voran zu kommen?
  • Weil es in meiner Verantwortung als Chef liegt.
  1. Warum ist mir Verantwortungsübernahme wichtig?
  • Weil ich dann das Gefühl habe, “alles” im Griff zu haben?
  1. Warum ist es mir wichtig, alles im Griff zu haben?
  • Weil sich das sicherer anfühlt. Ich weiß dann, was als nächstes zu tun ist.
  1. Warum ist es mir wichtig, zu wissen, was als nächstes zu tun ist?
  • Weil ich mich ungern auf Unwegbarkeiten einstelle.

Manchmal braucht es mehr als 5 Runden, manchmal weniger. Fakt ist jedoch: Wir stellen unser Selbst bzw. uns selbst infrage, werfen dadurch ein Licht auf Stellen, die wir ansonsten ungern beleuchten und sind durch diese Bewusstmachung in der Lage, an uns zu arbeiten und uns weiter zu entwickeln. Es geht nun nicht mehr darum, Diskussionen per se laufen zu lassen. Es kann durchaus sinnvoll sein, an der ein oder anderen Stelle ein Machtwort zu sprechen. Es geht vielmehr darum, für sich selbst zu klären, wie ich besser mit Unwegbarkeiten umgehen kann bzw. den daraus resultierenden Kontrollverlust besser aushalte. Bereits diese Selbst-Erkenntnis ist ein erster, essentieller Schritt in Richtung Veränderung.

Brauchen wir Religion, um moralisch gut zu sein?

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Ein Team um den kanadischen Psychologen Ara Norenzayan testete anhand von Priming-Experimenten die unbewusste Wirkung religiöser Begriffe auf die Entscheidungen einer Gruppe von Menschen, von denen lediglich 50% behaupteten, religiös zu sein (nachzulesen in Frans de Waal: Der Mensch, der Bonobo und die 10 Gebote, Klett-Cotta, 2015, S. 294ff).

Während der eine Teil der Versuchspersonen einen Text bearbeitete, in dem Wörter wie „Gott“, „göttlich“ oder „Prophet “ vorkamen, fehlten solche Begriffe bei der Kontrollgruppe (das klassische Priming-Setting). Anschließend wurden 10 Ein-Dollar-Münzen auf den Tisch gelegt, von denen die Proband*innen für sich nehmen konnten wieviel sie wollten. Was sie jedoch nicht nahmen, bekam ihr/e Nachfolger/in.

Das Ergebnis war beeindruckend: Während in der Gottes-Gruppe im Durchschnitt 4,22 $ zurückblieben, waren es in der nichtgebahnten Gruppe lediglich 1,84 $.

Vermutlich dachte die Gottes-Gruppe an einen unsichtbaren Gott, der über ihre Taten richtet, was sie zu altruistischeren Handlungen verleitete. Eine solche Sichtweise deckt sich mit der geschichtlichen Entstehung von Religionen zu einem Zeitpunkt, an dem Gemeinschaften so groß wurden, dass direkte Verbindungen nicht mehr so einfach möglich waren. Da Herrscher nicht jede Fehltat kontrollieren lassen konnten, brauchte es eine unsichtbare Kraft, um Recht, Ordnung und Moral auch ohne staatliche Sanktionen aufrecht zu erhalten.

In einer weiteren Studie tauschten sie die Gottes-Begriffe gegen Begriffe wie „gutbürgerlich“, „Staatsbürger“, „Geschworene“ und „Gericht“ aus. Der Effekt war derselbe wie bei den Gottes-Begriffen.

Das simple Fazit daraus lautet: Religionen erfüllen durchaus ihren Sinn in einer Gesellschaft, weil sie uns dabei helfen, uns moralisch gut zu verhalten. Sollten Religionen jedoch in mehr und mehr sakularisierten Gesellschaften abgeschafft werden, braucht es die gesellschaftliche Akzeptanz anderer Instanzen, um das Bewusstsein für eine ordnende Kraft zu fördern, damit wir nicht allzu egoistisch verhalten und gut miteinander umgehen.

Die bewusste und die unbewusste Moral

Oder: Der Mensch als empathisches Wesen

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Woher kommt unsere Moral? Durch äußere Regeln, die wir gelernt haben, um uns daran zu halten? Oder aufgrund innerer, emotionaler Impulse?

Große Aufklärer wie Immanuel Kant gingen paradoxerweise ähnlich wie Religionen, von denen sie sich abgrenzen wollten, von einer äußeren Macht aus: Der Mensch ist im Grunde schlecht und braucht einen moralischen Codex der Gesellschaft, um seine Triebe zu beherrschen.

Biologen wie Frans de Waal gehen von einem inneren Impuls aus, der uns als Menschen empathisch macht. Diese Empathie hat freilich auch ein Ziel: Wer sich allzu oft daneben benimmt, bekommt keine/n Partner/i und kann sich nicht fortpflanzen oder überlebt nicht ohne Kolleg*innen unter schwierigen Bedingungen. Wir leben zwar trotz Krieg in der Nachbarschaft verglichen mit der Vergangenheit in der sichersten aller Zeiten. Dennoch stecken in unserem genetischen Erbe die Grundlagen eines biologischen, unbewussten Moralverhaltens, das noch aus unsicheren Zeiten stammt.

Dieses Moralverhalten lässt sich anhand unserer Emotionen verdeutlichen:

  • Ekel und Verachtung: Ekel und Verachtung fallen uns vermutlich als erstes ein, wenn wir an moralische Emotionen denken. Der Ekel bezieht sich mehr auf die Handlungen und das Verhalten anderer, bspw. bezogen auf Sauberkeit und Hygiene. Verachtung geht tiefer und bezieht sich mehr auf das Wesen meines Gegenübers: „Warum macht der nicht mehr aus sich? Warum lässt die sich so gehen?“ Während ein ekelerregendes Verhalten lediglich mein Auge beleidigt, kann ein verachtenswertes Wesen die Gemeinschaft schädigen, indem es sich auf Kosten anderer egoistisch bereichert.
  • Angst: Wer einen Fehler macht, kann Angst vor dem Ausschluss aus der Gemeinschaft haben, von der er langfristig abhängig ist.
  • Wut: Der Ärger hat entweder den Sinn, die eigene Angst und Trauer zu verdecken, weil diese schmerzhafter sind als Wut. Oder die Wut richtet sich gegen Abweichler*innen einer sozialen Norm.
  • Trauer, Enttäuschung, Scham und Schuld: Wenn wir etwas falsch gemacht haben, werden manche von uns rot im Gesicht. Der Mensch ist das einzige Wesen mit dieser Eigenschaft. Die Röte lässt sich als offenes Schuldeingeständnis deuten, um die Situation wieder zu bereinigen. Oder wird machen uns klein und verbergen unser Gesicht hinter unseren Händen. Diese emotionalen Haltungen und Gesten lassen sich körpersprachlich unter das Gefühl der Trauer und Enttäuschung subsumieren. Wer gegen einen moralischen Codex verstieß, ist traurig darüber, dass andere wegen ihm leiden mussten und oft auch enttäuscht von sich selbst.
  • Positive Emotionen: Emotionen rund um den Komplex der Freude (Begeisterung, Erleichterung, Euphorie, usw.) kommen entweder auf, wenn ein gemeinsames Ziel erreicht wurde oder eine schwierige Situation – ein Problem oder ein Konflikt – gelöst wurden.

Warum brauchen wir dennoch eine äußere Moral durch Gesetze, Verbote oder religiöse Gebote, wenn doch unser biologisches Gerüst dies im Grunde unnötig macht?

Wer in einer kleinen Gruppe lebt, weiß intuitiv, was er sich erlauben kann und was nicht. Die Abhängigkeiten von Nahrung und sozialer Unterstützung sind klar. Je größer Gruppen jedoch werden, desto unpersönlicher werden die Beziehungen. Die Unabhängigkeiten nehmen zu. Man könnte sich ja potentiell im Internet neue Freunde suchen. Die Reproduktion wird im Zuge der Überbevölkerung ohnehin von einigen Menschen in Frage gestellt. Und von einer bestimmten Nahrungskette sind wir schon lange nicht mehr abhängig. Ein „künstlicher“ Moral-Codex, der in einer kleinen Gemeinschaft meist nur bedingt notwendig ist, ist daher in einer großen Gesellschaft unumgänglich.

Und dennoch macht es einen Unterschied, ob wir davon ausgehen, dass der Mensch im Kern schlecht ist und daher moralisch erzogen werden muss – paradoxerweise von Eltern und Politiker*innen, die im Grunde auch schlecht sind. Wo soll das nur enden?

Oder ob wir davon ausgehen, dass der Mensch einen guten, emotional-empathischen Kern hat, der nach Kooperationen strebt, um diesem zusätzlich eine moralische Stütze von außen mitzugeben.

Flexibel führen in Belastungen mit der Führungsmatrix

Im Zuge agilen, emotional kompetenten oder positiven Führens gerät das klassische flexible Führen beinahe in Vergessenheit. Da ich ab und an Grundlagen zum Thema Führung trainiere, nahm ich mir vor kurzem wieder einmal die gute, alte Führungsmatrix des flexiblen Führens vor. Dabei setzte ich die klassische Matrix in Bezug zur Zunahme von sozialem Stress sowie Druck und Krisen und erweiterte die Matrix um den Führungsstil des Systemischen Führens.

  • Grundsätzlich sollte ich als Führungskraft versuchen auf Augenhöhe mit meinen Mitarbeiter*innen so kooperativ wie möglich zu führen.
  • Sind sowohl der psycho-soziale Stress als auch der Arbeitsdruck gering, kann ich es als Führungskraft auch mal laufen lassen.
  • Steigen die psycho-sozialen Probleme an, kommt es bspw. zu Konflikten, muss ich mich entsprechend dem TZI-Satz “Störungen haben Vorrang” erst einmal darum kümmern.
  • Geht es meinen Leuten gut, steigen jedoch der äußere Druck und die Krisenstimmung, braucht es eine klare Linie in der Führung.
  • Sind sowohl der äußere Druck als auch der psycho-soziale Stress dauerhaft, gilt es an systemischen Veränderungen zu arbeiten.

Was das konkret bedeutet, sehen wir in der Tools-Matrix:

Die klassischen Führungsstile sind bekannt. Spannend wird es beim Systemischen Führen, das letztlich alles beinhaltet, was nicht direkt das eigene Team oder einzelne Mitarbeiter*innen betrifft, sondern das System um das Team herum. Teilweise geht es darum, überkommene Werte und Regeln gerade in Dauerbelastungen zu überdenken, beispielsweise den eigenen Perfektionismus infrage zu stellen, als Führungskraft Mitarbeiter*innen am Limit für einen Tag nach Hause zu schicken oder agile Strukturen einzuführen, um zielgerichteter auf Kundenwünsche zu reagieren. Teilweise besteht ein Systemisches Führen auch darin, Probleme nach oben zu eskalieren, bspw. eine kollektive Überlastungsanzeige zu schalten. Solche Aktionen sind nicht unbedingt von einem tatsächlichen Erfolg gekrönt. Systeme sind schließlich schwer und nur langsam veränderbar. Sie zeigen jedoch, wie wichtig einer Führungskraft ihr Team ist. Bereits das kann einen Unterschied machen, der einen Unterschied macht.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf die Rollen, die Führungskräfte mit den verschiedenen Stilen einnehmen: