Was sich aus der No-Kings-Bewegung in den USA lernen lässt

Wer sich wie ich mit dem Thema Hoffnung beschäftigt, kommt an der gestaltenden Kraft von „Hoffnung in der Dunkelheit“ – wie ein Buchtitel der großartigen Autorin Rebecca Solnit lautet – nicht vorbei. Ihr Fazit: Veränderungen kommen für Unbeteiligte oft wie aus dem Nichts. Deshalb erscheint es für uns Zuschauer*innen überraschend, dass gestern „plötzlich“ Millionen von Menschen in den USA gegen Donald Trump auf die Straße gingen. Dabei ist es doch logisch, dass eine solche Aktion monatelang im Hinterzimmer geplant wurde, insbesondere, weil die beteiligten Gruppen derart zusammen gewürfelt sind:

  • Welches Motto geben wir uns?
  • Was verbindet all die verschiedenen Gruppen?
  • Welche Netzwerke nutzen wir?

Wir können sogar noch weiter in der Zeit zurück gehen. Der Mensch als historisches Wesen weiß, dass ein gewaltfreier Widerstand schon oft in der Geschichte erfolgreich war, siehe Ghandi oder Martin Luther King. Der Mensch weiß auch, dass Humor eine großartige Waffe sein kann, um sich zu verweigern. Und der us-amerikanische Mensch weiß, welche Trigger in den USA besonders schmerzhaft sind: Der Slogan „No Kings“ hat Symbolkraft, weil er sich auf eine USA bezieht, die sich bewusst von dem britischen Königshaus loslöste, als sich die Gründerväter zu demokratischen Prinzipien bekannten. Das Anti-Symbol des Königs spricht alle Seiten an. Genau das macht die Bewegung – so fragil sie auch sein mag – so gefährlich für die Republikaner um Donald Trump.

Gleichzeitig läuft damit der Vorwurf der Republikaner, die Demonstrant*innen würden Amerika hassen, ins Leere: Die No-Kings-Bewegung steht für Gewaltfreiheit, Freude (man schaue sich nur die lustigen Konstüme an) und die Verteidigung ur-amerikanischer Grundrechte.

Was lässt sich daraus grundsätzlich für den Umgang mit Systemen lernen?

Nicht wenige Führungskräfte in meinen Seminaren beklagen sich über starre Systeme. Eine große Demonstration ist hier natürlich fehl am Platz. Denn in Organisationen geht es nicht darum, „einen König zu stürzen“, sondern darum, andere Werte als die momentan aktuellen zu leben oder Strukturen zu hinterfragen. Es geht darum, einen guten Weg miteinander zu finden. Es geht um die Ur-Frage von Theodor Adorno: Wie gelingt ein gutes Leben in einem schwierigen System?

Eine Anekdote aus meinem Seminaralltag: Zu Beginn eines einmal im Jahr stattfindenden Führungsseminars in einem mittelständischen Unternehmen lässt eine Führungskraft in der Erwartungsabfrage eine mittelschwere, verbale Bombe explodieren: „Das hier ist doch nur ein Feigenblatt! In Wirklichkeit verändert sich doch sowieso nichts!“

Frage an die Trainer*innen da draußen, bevor ihr weiterlest: Was hättet ihr gemacht?

Ich jedenfalls hab leer geschluckt, kurz durchgeatmet und mich dann bei dem Teilnehmer bedankt: „Danke, dass Sie das hier so offen aussprechen. Damit lässt sich arbeiten. Gleichzeitig zeigt es, dass Sie Kritik üben können, ohne rauszufliegen.“

Daraufhin entstand eine lebhafte, aber immer konstruktive Diskussion mit den anderen Teilnehmer*innen und v.a. mit der anwesenden Personalleiterin. So schnell bin ich noch nie in eine Seminar gestartet. Und am Ende gingen alle mit frischer Motivation nach Hause.

Das Beispiel zeigt: Es gibt viele Möglichkeiten, Veränderungen herbei zu führen. Manchmal ist es die öffentliche Kritik einer einzelnen Person, die etwas in Gang bringt. Manchmal ist es aber auch das jahrelange Netzwerken Gleichgesinnter, manchmal Humor, und manchmal das Bewahren der eigenen Würde, nicht alles mitzumachen.

Egal wie: Wer erkennt, dass er die Zukunft mitgestalten kann, muss nicht resignieren. Denn viele Früchte ernten wir erst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten. Die No-Kings-Demonstrationen werden zu keinem Sturz von Donald Trump führen. Aber sie zeigen: Die Zivilbevölkerung ist wach.

Vielleicht malen die Mühlen langsam. Aber sie malen.

Genauso wenig führt eine offene Kritik an Strukturen in einem Unternehmen sofort zu Veränderungen. Aber auch hier ist das Signal deutlich: „Ich bin nicht zufrieden, wie es hier läuft. Ich will aber auch nicht kündigen, sondern mitgestalten. Lasst uns reden.“

Als Unternehmensleitung würde ich solche Mitarbeiter*innen sofort in die Pflicht nehmen und mindestens als Co-Leitung in einem Restrukturierungsprojekt einsetzen. Eine solche Energie sollte produktiv genutzt werden.