Ein Phasenmodell der Themenzentrierten Interaktion

Die TZI ist vermutlich das bekannteste und beste Modell zur Analyse von Gruppendynamiken. Wenn ich das 4-Faktorenmodell in meinen Seminaren erläutere, ist es idR. sofort einsichtig:

  • Das Es: Es gibt ein Thema, an dem wir alle zusammen arbeiten und Ziele, die wir verfolgen.
  • Die Ichs: Es gibt Einzelinteressen und -bedürfnisse der Teilnehmer*innen, was auch Teamleitungen mit einschließt.
  • Das Wir: Das Teamgefüge lässt sich über verschiedene Merkmale beschreiben, insbesondere Dauer, Intensität, Homogenität und gemeinsame Erfahrungen.
  • Der Globe: Jedes Team wird durch vielfältige äußere Faktoren beeinflusst, die sich eher nicht im eigenen Einflussbereich befinden. IdR. sprechen wir hier von der Kultur eines Unternehmens, aber auch von gesellschaftspolitischen Trends.

Dass sich insbesondere die ersten drei Faktoren in einer Balance befinden sollten, leuchtet ebenso schnell ein. Und dass dieses Gefüge immer wieder durcheinander gerät, hat schon jede*r am eigenen Leib erfahren. Soweit, so hilfreich. Doch wie lässt sich damit arbeiten, wenn es tatsächlich zu einer Dysbalance kommt?

In diesem Fall ist es hilfreich, sich ein 3-Phasenmodell der TZI vorzustellen. Die TZI als Vorbereitungs-, Analyse- und Interventions-Tool:

1. Die TZI als Vorbereitungs-Tool

Das Modell der TZI ist enorm hilfreich, um sich als Führungskraft oder Teamleitung klar zu machen, was mich im Rahmen eines Teamtreffens erwartet:

Das ICH der Gruppenleitung

  • Wie geht es mir, wenn ich an die Gruppe denke? Worauf freue ich mich? Was macht mir Sorgen?
  • Worin besteht meine Rolle / Aufgabe?
  • Wie wirkte ich bislang / will ich wirken?

Die Ichs in der Gruppe

  • Aus welchen Situationen (privat, beruflich) kommen die Teilnehmer*innen?
  • Welche Erwartungen haben die TN an mich / das Thema / die Gruppe?

Das WIR – die Gruppe

  • Kennen sich die Teilnehmer*innen oder treffen sie sich zum ersten mal? Gibt es Untergruppen, die evtl. nicht miteinander können?
  • Besteht evtl. schon eine Ordnung / Hierarchie? Gibt es verschiedene Hierarchie- / Führungsebenen?
  • Welche Sprache / Kommunikation (Umgangssprache, direkt, humorvoll, diplomatisch, wissenschaftlich, Du / Sie) sind die Teilnehmer*innen gewohnt?
  • Inwiefern kann ich mich auf die Sprache / Kommunikation der Gruppe einlassen?
  • Wie steht die Gruppe zu den anzugehenden Themen?
  • Sind Widerstände oder Konflikte zu erwarten?
  • Welche Ideen habe ich, die Gruppe zu einem produktiven Team zu bewegen?
  • Treffen sich die richtigen Personen zum passenden Thema?
  • Passen die geplanten Methoden zur Gruppe?

Das ES – Themen und Ziele

  • Welche Themen sollen besprochen werden?
  • Welche Ziele gibt es? Gibt es unterschiedliche Ziele (Ichs, Wir, Globe)?
  • Wie dringend brauchen wir Ergebnisse?
  • Welches Interesse habe ich selbst als Leitung an den Themen?
  • Bleibt während des Treffens Arbeit liegen?
  • Welche Wertigkeit hat das Treffen i.Vgl. zur sonstigen Arbeit?
  • Passen die geplanten Methoden zum Thema?

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Ist das Thema aufoktroiert oder frei gewählt?
  • Ist die Gruppenzugehörigkeit freiwillig?
  • Ist die zeitliche Struktur passend für die Themen?
  • Ist der örtliche Rahmen passend (öffentlich, ungestört, Nebenräume, Sitzordnung)?
  • Welche medialen Ressourcen (Flipchart, Beamer, Pinwand, Moderationstools) sind vorhanden?
  • Welche Erwartungen gibt es von der Organisation?
  • Gibt es ein aktuelles gesellschaftliches Geschehen (Nachrichten, Wetter, Verkehrslage, Bahnstreik) mit Auswirkungen auf die Gruppe oder einzelne Teilnehmer*innen?
  • Ist die Gruppe entscheidungsfähig oder werden im Anschluss die Beschlüsse der Gruppe von einem höheren Gremium bewertet?
  • Gibt es Widerstände oder Unterstützer von außen?

2. Die TZI als Analyse-Tool

Als zweites empfehle ich die TZI als Analyse-Tool, um direkt in einem Gruppentreffen Dysbalancen wahrzunehmen:

Das Ich der Gruppenleitung

  • Ich stelle mich selbst nicht in den Dienst der Sache, sondern präsentiere mich gerne als Leitung.
  • Ich fühle mich der Gruppe nicht gewachsen und habe Angst davor, die Gruppe nicht gut leiten zu können.
  • Mir fehlen evtl. Erfahrungen oder Kompetenzen zur Leitung der Gruppe.
  • Mir fehlt der Stallgeruch.
  • Meine Rolle und Aufgabe ist unklar. Der Auftrag wurde unsauber geklärt.
  • Es gibt widersprüchliche Aufträge (Geschäftsleitung, Personalentwicklung, Gruppe).
  • Ich habe Vorurteile gegenüber der Gruppe / Branche / …

Die ICHs in der Gruppe

  • Einzelne oder alle Teilnehmer*innen haben im Grunde keine Lust auf das Treffen.
  • Einzelne Teilnehmer*innen sind aus irgendeinem Grund etwas Besonderes (neu, anderer Fachbereich, Geschlecht, …).

Das WIR – die Gruppe

  • Die Stimmung weist eine hohe Harmonie / Ungeduld / Unruhe / Gereiztheit / Unsicherheit / … auf.
  • Einzelne Untergruppen wollen am liebsten unter sich bleiben.
  • Manche in der Gruppe sprechen viel, andere gar nicht.
  • Manchen in der Gruppe wird andächtig zugehört, anderen nicht.
  • Es besteht eine heimliche Meinungsführerschaft.
  • Die Gruppe ist in ihrer Kommunikation inhomogen (Du / Sie, direkt / vorsichtig, umgangssprachlich / wissenschaftlich).
  • Es gibt Reizthemen in der Gruppe.
  • Es fehlen für das bearbeitende Thema essentielle Teilnehmer*innen.
  • Die Gruppe fremdelt mit den eingesetzten Moderationsmethoden oder der Gesprächsführung.

Das ES – Themen und Ziele

  • Verschiedene Untergruppen oder Teilnehmer*innen verfolgen unterschiedliche Ziele.
  • Der Zeitdruck erlaubt keine Kreativität oder Teamentwicklung.
  • Die Teilnehmer*innen sind parallel mit anderen Themen (Handy, Laptop) beschäftigt.

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Das Thema wurde den Teilnehmer*innen aufgedrückt.
  • Das Thema ist ein Prestigeobjekt.
  • Die Zeit reicht für den Umfang der Aufgaben nicht aus.
  • Die Räumlichkeiten passen nicht.
  • Die Gruppe ist in wichtigen Belangen nicht entscheidungsfähig.

3. Die TZI als Interventions-Tool

Als drittes gilt es, die Balance zwischen den vier Polen wieder herzustellen. Dazu einige Erfahrungen aus meiner Praxis als Seminarleiter:

Die ICHs in der Gruppe

  • Einzelne oder alle Teilnehmer*innen haben im Grunde keine Lust auf das Treffen.

Praxisbeispiel: Ich bekam vor einigen Jahren den Auftrag für alle Führungskräfte einer Stadtverwaltung ein Pflichtzeitmanagementseminar abzuhalten. Dass die Führungskräfte nicht begeistert sein werden, erfuhr ich bereits durch die Personalentwicklung. Die Stimmung war entsprechend. Eine teilweise Lösung ergab sich durch eine neue Auftragsklärung im Seminar und damit eine positive Erwartungsenttäuschung der Teilnehmer*innen: „Nein, ich mache hier keine Mitarbeiter-Optimierung, sondern arbeite bedürfnisorientiert.“

  • Einzelne Teilnehmer*innen sind aus irgendeinem Grund etwas Besonderes (neu, anderer Fachbereich, Geschlecht, …).

Praxisbeispiel: In einem Seminar neulich setzte sich eine Person weit weg von allen anderen. Dadurch ergab sich eine spürbare Dysbalance zwischen dieser Person und der restlichen Gruppe, die sich schnell auflösen ließ: Auf Nachfrage wurde klar, dass die Person krank war und die anderen im Raum nicht anstecken wollte. Manchmal ist es sehr einfach, die Balance wieder herzustellen.

Das WIR – die Gruppe

  • Die Stimmung weist eine hohe Unruhe auf.

Praxisbeispiel: Vor ein paar Jahren leitete ich ein Führungsseminar für ein Gruppe von Vertriebler*innen. Am zweiten Tag des Seminars kam auf einmal eine große Unruhe auf und beinahe alle begannen heimlich auf ihre Laptops zu schauen und zu tuscheln. Schnell wurde klar, dass am Morgen die aktuellen Quartalszahlen veröffentlicht wurden. Ich machte daraufhin eine halbe Stunde Pause, damit die Gruppe sich über die Zahlen austauschen konnte. Anschließend konnten wir konzentriert weiter arbeiten.

  • Einzelne Untergruppen wollen am liebsten unter sich bleiben.

Praxisbeispiel: Hier braucht es heterogene Kleingruppenreflexionen, d.h. Gruppenarbeiten mit Personen, die sich noch nicht kennen.

  • Manche in der Gruppe sprechen viel, andere gar nicht.

Praxisbeispiel: Hier helfen strukturierte Moderationsmethoden, bspw. 1-2-4-All: Zu einem Thema macht sich zuerst eine Person eine Minute lang Gedanken, dann folgt zwei Minuten lang ein Austausch zu zweit, dann zu viert und schließlich im Plenum.

  • Die Gruppe fremdelt mit den eingesetzten Moderationsmethoden oder der Gesprächsführung.

Praxisbeispiel: Neulich war ich einer Gruppe zu wissenschaftlich. Ich reagierte mit Humor und begann immer dann, wenn mir auffiel, zu abgehoben zu wirken, meinen eigenen Vortrag zu dolmetschen.

Das ES – Themen und Ziele

  • Verschiedene Teilnehmer*innen verfolgen unterschiedliche Ziele.

Praxisbeispiel: Streng genommen ist das der Normalfall, der sich nur durch eine sehr individuelle Agenda lösen lässt, die am besten in regelmäßigen Untergruppen umgesetzt wird. Dabei sollten freilich die gemeinsamen Ziele (im Plenum) nicht aus dem Auge verloren werden. Eine Methode, um Einzelinteressen gerecht zu werden ist der Marktplatz der Kompetenzen: Jede*r Teilnehmer*in schreibt auf grünen Karten seine Kompetenzen auf bzw. das, was er der Gruppe bieten kann und auf rote Karten das, was er noch von der Gruppe braucht bzw. was er weniger gut kann und was folglich seine Ziele sind. Anschließend sucht sich jede*r Teilnehmer*in mind. eine andere Person aus, von der er oder sie glaubt, dass diese Person ihm oder ihr weiterhelfen kann.

Die Rahmenbedingungen (GLOBE)

  • Die Gruppe ist nicht entscheidungsfähig.

Praxisbeispiel: Ein Thema, das in Seminaren andauernd passiert: Die Teilnehmer*innen ärgern sich über Dinge, die sie nicht oder nur bedingt ändern können, bspw. den aktuellen Personalmangel. Die Lösung: Eine klare Unterscheidung zu treffen zwischen dem, was die Gruppe betrifft und dem, worauf sie selbst einen Einfluss hat. Am einfachsten ist beim Thema Personalmangel der Zusatz: „Umgang mit …“: Den Personalmangel können wir nicht beeinflussen. Den Umgang damit jedoch schon.