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Resilienz als Fähigkeit, schwierige Situationen und damit auch Krisen und Dauerbelastungen gut zu meistern und bestenfalls gestärkt daraus hervor zu gehen, ist offensichtlich ein Begriff unserer Zeit, der bis in die Politik hinein reicht. Dabei stellt sich immer auch die Frage, was damit bezweckt werden soll:
- Soll der Mensch für die Zukunft fit gemacht werden?
- Oder soll von notwendigen strukturellen Veränderungen abgelenkt werden?
Veränderbare und unveränderbare Faktoren
So wie es eindeutig erscheint, dass wir in Zukunft mehr mit plötzlichen Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürreperioden und dergleichen mehr zu tun haben werden und uns daher auch dafür wappnen sollten, d.h. resilienter mit unvorhersehbaren, unsicheren Situationen umgehen sollten, erscheint es im Zuge der Herausforderungen in Unternehmen ebenso klar, dass stetige, oft auch krisenhafte Umbruchsituationen vorprogrammiert sind:
- Die Krisen der Welt führen auch in Unternehmen zu stetigen Anpassungsprozessen.
- Durch die Digitalisierung hat sich die Konkurrenz globalisiert.
- Der Fachkräftemangel hat sich mittlerweile zu einem allgemeinen Personalmangel ausgewachsen, in dem es in vielen Branchen nicht mehr darum geht, gute Leute, sondern überhaupt jemanden zu bekommen.
- Eine grassierende Unzufriedenheit von Arbeitnehmer*innen sowie die mangelnde Bindung an den Arbeitgeber führen u.a. zu einer höheren Fluktuation als früher und dem Phänomen des „Quiet quitting“.
Bereits an diesen wenigen Punkten lässt sich der Unterschied zwischen veränderbaren und unveränderbaren Faktoren verdeutlichen. An Krisen, digitaler Globalisierung und Personalmangel kann ein Unternehmen zuerst einmal nichts ändern. Die Folgen einer Krise für Unternehmen sind genauso ein Fakt wie die Anzahl potentieller Bewerber*innen. Am Beispiel Personalmangel zeigt sich jedoch, dass es mittlerweile einige Strategien gibt, die Bewerber*innen, um die sich Unternehmen streiten, anders als bislang anzusprechen:
- Mittlerweile gibt es einige Beispiel vom Erfolg der 4-Tage-Woche, wenn Unternehmen berichten, dass sie damit plötzlich wieder 100 Bewerbungen mehr im (digitalen) Briefkasten haben.
- Das Homeoffice kann ein Zugpferd insbesondere für junge Menschen sein, auch wenn es wichtig ist, klar zu definieren, wann ein mobiler Arbeitsplatz sinnvoll ist und wann eher nicht.
- Ein clever eingesetztes Employer Branding, indem Mitarbeiter*innen emotional und nahbar mittels Videoclips für ihr Unternehmen werben, kann ebenso einen hohen Werbeeffekt haben.
- Und schließlich gilt es zu überlegen, inwiefern Migrant*innen als Bewerber*innen eingebunden werden können.
Ob es jedoch reicht, Stellenanzeigen zu gendern, um die eigene Diversität zu verdeutlichen und damit mehr Bewerber*innen anzusprechen, bezweifle ich.
Bei der Unzufriedenheit der Mitarbeiter*innen wiederum wird schnell deutlich, dass dieser Faktor in weiten Teilen hausgemacht ist. Da Unzufriedenheit und damit einher gehend auch eine mangelnde Bindung an Teams und Unternehmen in der Regel auf eine mangelnde Führung zurückgehen, ist es unabdingbar, genau hier anzusetzen. Die Konzepte dafür sind reichhaltig vorhanden, egal ob sie nun „Agiles Führen“ mit Vertrauen und Transparenz, „Positive Leadership“ auf der Basis der positiven Psychologie, „Führen mit emotionaler Kompetenz“, „Dienende Führung“ bzw. „Servant Leadership“ oder „Menschliche Führung“ heißen.
Das feine Gespür der Mitarbeiter*innen
Zeitsprung in das Jahr 2010: Damals sollte ich für die gesamte Führungsriege eines Unternehmens ein Zeitmanagementtraining durchführen. Nach Abklärung mit der Personalentwicklung war ich gewarnt, dass einige der Teilnehmer*innen das Seminar begrüßen, andere jedoch eher nicht. Nun gut: Ich war jung und brauchte das Geld. Der einhellige O-Ton im Seminar lautete jedenfalls: „Wir haben kein Zeitmanagement-Problem, sondern die Geschäftsleitung. Sobald ein Meeting zu kurz wird, beginnt er mit ausufernden Reden. Der scheint sich einfach selber gerne zuzuhören.“
Schnell wurde klar, dass es nicht nur am Chef lag, sondern an der grundsätzlichen Führungskultur im Unternehmen. Die Eckpunkte lauteten: Wenig Vertrauen gegenüber den Mitarbeiter*innen und eine Kultur der Wichtigkeit, bei der es Führungskräften schwer fällt loszulassen. Der Chef war hier lediglich ein Teil des Problems.
Das Problem bei solchen Seminaren ist jedoch immer dasselbe: Bekommen Mitarbeiter*innen ein Zeitmanagementtraining aufoktroiert, obwohl sie bereits hoch organisiert sind, sich jedoch an den Strukturen wenig verändert, lautet die unausgesprochene Nachricht: Wir schieben euch den schwarzen Peter zu, damit sich kulturell und/oder strukturell nichts verändern muss.
Dies spricht nicht automatisch gegen Zeitmanagementtrainings, sondern dafür, die Probleme klar zu benennen und sauber anzugehen:
- Wie schaut es mit unserer Führungskultur aus? Brauchen wir anstatt eines Zeitmanagementtrainings eher ein Führungstraining zu den Themen Vertrauen, Delegieren und Loslassen?
- Und was passiert auf der systemischen Ebene? Gibt es genügend Ressourcen? Sind unsere Prozesse und Schnittstellen sauber definiert? Und wie schaut es mit unserem Fehlermanagement aus?
Resilienz ist das neue Zeitmanagement
Während sich Zeitmanagement (Prioritäten setzen, Listen führen, etc.) noch auf der Handlungsebene abspielte, geht Resilienz als Denkhaltung tiefer. Hier geht es letztlich nicht mehr darum, etwas zu verändern, sondern schwierige Situationen auszuhalten. Was ist also davon zu halten, wenn ein Krankenhaus seinen Mitarbeiter*innen ein Resilienzprogramm für Soldat*innen anbietet, jedoch auf der strukturellen Ebene alles beim Alten bleibt (siehe der Freitag, Nr. 16, 20.04.2023, Seite 7)?
Was für Zeitmanagement gilt, gilt auch für Resilienz: Die Menschen fit zu machen für widrige Umstände, aus denen es erst einmal kein entrinnen gibt, kann ein wichtiger Baustein im Fortbildungsprogramm eines Unternehmens sein. Tatsächlich kommt die Resilienzforschung aus Bereichen, in denen ein Ausbruch unmöglich erschien, beispielsweise in Konzentrationslagern, Gefängnissen oder schwierigen Familienverhältnissen. Zudem vereinnahmen diese sozialen Settings den gesamten Menschen. Dies ist bei Unternehmen nicht der Fall. Unternehmen sind keine totalitären Einrichtungen. Mitarbeiter*innen gehen am Abend nach Hause und schlimmstenfalls können sie kündigen. Unternehmen, die es folglich mit dem resilienten Aushalten schwieriger Umstände übertreiben, müssen alsbald erkennen, dass die Mitarbeiter*innen, die es sich leisten können, weil sie jung und/oder gut ausgebildet sind, woanders eine bessere Chance suchen. Zurück bleiben dann nur noch diejenigen, die es sich nicht leisten können, was Teams langfristig sicherlich nicht resilienter macht.
Ohne flankierende Maßnahmen keine Resilienz
Wer Resilienztrainings anbietet, sollte deshalb nicht davon ausgehen, dass Mitarbeiter*innen automatisch „Hurra!“ schreien. Personalentwickler*innen sollten sich stattdessen bewusst machen, dass damit auch die Nachricht verbunden sein kann, den Mitarbeiter*innen den schwarzen Peter bei Dauerbelastungen zuzuschieben.
Um das zu vermeiden, ist es wichtig flankierende Maßnahmen anzubieten und durchzuführen:
- Kulturveränderung: Resilienz ist auch ein Führungsthema. Im Rahmen von Führungstrainings, bspw. „Positive Leadership“ geht es auch darum, was Führungskräfte tun können, um die Resilienz ihrer Mitarbeiter*innen zu fördern.
- Strukturveränderung: Unternimmt ein Unternehmen realistische Anstrengungen, um den aktuellen Herausforderungen wie Personalmangel, Fluktuation und Bindung der Mitarbeiter*innen zu begegnen, verlieren Resilienztrainings ihren Schwarzen-Peter-Beigeschmack.
Damit wird deutlich: Es geht in einem Resilienztraining darum, mit vorübergehenden Unsicherheiten umzugehen. Das Unternehmen geht aktuelle Probleme jedoch systemisch an. Das wiederum bedeutet nicht, dass unsichere Situationen nicht wieder einmal auftreten werden. Dafür wurde unsere Welt zu krisenhaft. Dann jedoch sind alle im Unternehmen sowohl kulturell, strukturell als auch individuell gewappnet.
Am sinnvollsten ist es folglich, diese drei Ebenen als Gesamtpaket im Unternehmen zu denken und etablieren:
Literatur:
Stefanie Graefe: Resilienz als Leitkonzept in der Vielfachkrise, (externer Link) https://geschichtedergegenwart.ch/resilienz-leitkonzept-in-der-vielfachkrise
Rosemarie Walter-Enderlin & Bruno Hildenbrand: Resilienz – Gedeihen unter widrigen Umständen. Carl-Auer