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Wer sinnerfüllt handelt, kündigt nicht

Keine Sinnerfüllung – keine Motivation

Zwischen der Jahrtausendwende und 2021 stieg der Anteil von Menschen mit einer Sinnkrise von 4% auf 14% an. Seit Corona glauben in Deutschland etwa 25% junger Menschen zwischen 18 und 29, dass ihr Leben im Grunde sinnlos ist. Kein Wunder, dass gerade Vertreter*innen der Generation Z unmotiviert in Bewerbungsgesprächen sitzen oder kurz nach einem vermeintlich gelungenen Berufseinstieg auf der Suche nach einer erfüllenderen Arbeit wieder kündigen. Dass dabei ein Sinnkrisen-Teufelskreis entsteht, erklärt nicht nur den weiter zunehmenden Verlust von Sinnhaftigkeit, sondern zeigt gleichzeitig einen Ausweg aus diesem Dilemma. Spoilerwarnung: Mehr Arbeitszeit und Kürzungen beim Bürgergeld werden dabei nicht helfen.

Sinnerfahrung ist individuell

Wie bereits in einem früheren Beitrag von mir dargestellt, ist es bei der Suche nach Sinn wichtig, von einer allgemeinen Suche nach dem Sinn des Lebens abzusehen und stattdessen nach dem Sinn im eigenen Leben zu fanden. Dazu ist es wichtig, die zeitliche Dimension zu betrachten: Ist das, was ich aktuell mache, vor dem Hintergrund meiner Vergangenheit stimmig?

Deshalb ist es vollkommen sinnvoll, dass sich jemand, der früher von seinem Chef schlecht behandelt wurde, heute vor Übergriffen schützt und abschottet. Betrachten wir Sinnhaftigkeit jedoch nicht nur als Stimmigkeit mit der Vergangenheit, sondern auch mit der Zukunft, wird ein Leben zusätzlich als sinnvoll erlebt, wenn wir etwas tun, dass die Zukunft zu einem subjektiv empfunden besseren Ort macht – für uns selbst und andere. Der Fachbegriff dazu lautet Generativität, sofern es sich um die Zukunftsgestaltung für kommende Generationen handelt.

Diese Zukunftsgestaltung wiederum kann ich für mich alleine vornehmen, beispielsweise in dem ich – wie hier – aufklärende Artikel verfasse, worüber hoffentlich viele Menschen nachdenken werden, oder indem ich mit anderen im Verbund auftrete, mich beispielsweise im Betriebsrat organisiere oder als Team ein spannendes Projekt auf die Straße bringe.

Die zwei Dimensionen des Sinnerlebens

Fassen wir all diese Aspekte zusammen, ergeben sich zwei Dimensionen einer erlebten Sinnhaftigkeit:

  • Zeitdimension: Ich führe ein sinnerfülltes Leben, wenn ich das Gefühl habe, dass sich das, was ich heute mache, aus meiner Vergangenheit erklären lässt und gleichzeitig einen wertvollen Beitrag für die Zukunft leistet.
  • Wirksamkeitsdimension: Ich führe ein sinnerfülltes Leben, wenn ich das Gefühl habe, dass es einen Unterschied macht, ob ich da bin oder nicht, egal, ob ich für mich agiere oder mich einer sozialen Gruppe zugehörig fühle.

Der Teufelskreis heutigen Sinnverlusts junger Menschen

Der Teufelskreis heutigen Sinnverlusts besteht nun logischerweise darin, dass sich junge Menschen aufgrund häufiger Arbeitsplatzwechsel ihrer eigenen Biographie berauben. Nicht mehr aufgrund ökonomischer Verpflichtungen zwangsweise jahrzehntelang bei einem Arbeitgeber bleiben zu müssen, ist sicherlich eine Errungenschaft. Der Preis dafür ist jedoch eine Zerstückelung der Vergangenheit und damit ein Verlust von Sinnhaftigkeit in der Arbeit. Damit verlagert sich die Sinnsuche automatisch in den privaten Bereich zu Hobbys und Freundschaften, die hoffentlich eine Kontinuität haben.

Im Privatleben fällt es jedoch oftmals schwerer als wir denken, einen Sinn im eigenen Leben zu finden. Wer versucht, im Privatleben (Selbst-) Wirksamkeit zu erfahren, wird sich im Ehrenamt oder in der Politik wiederfinden und vermutlich erleben, dass beides ein zähes Geschäft ist. Die Arbeit wiederum könnte tatsächlich eine Sinnerfüllungsmaschine sein:

  • In der Arbeit lassen sich als sinnvoll wahrgenommene Ziele aufgrund vorhandener Strukturen (Räume, Projektpläne, Prozessabläufe, Rollenverteilungen in Teams) professionell anstreben.
  • In der Arbeit gibt es genügend finanzielle Unterstützung – zumindest im Vergleich zum privaten Bereich.
  • In der Arbeit kann ich Fortbildungen besuchen, um meine eigene Selbstwirksamkeit zu erhöhen.
  • In der Arbeit lassen sich schlagkräftige Teams organisieren.
  • In der Arbeit produzieren wir etwas oder stellen Dienstleistungen zur Verfügung und bekommen von Kund*innen Rückmeldungen, ob das, was wir tun deren Leben erleichtert oder verbessert.
  • In der Arbeit fällt es leichter, sich kontinuierlich einer Tätigkeit zu widmen, oft auch, weil es genügend Druck gibt, damit das Gewohnheits-Tier Mensch in die Gänge kommt oder an einer Tätigkeit dran bleibt.

Auch wenn es sich bei dieser Aufzählung um ein Idealmodell handelt, bleibt das Prinzip erhalten: All das, was ich mir für ein sinnerfülltes Leben im Privaten mühsam selbst organisieren muss, wird in der Arbeit nicht automatisch und nicht immer gratis, aber zumindest potentiell zur Verfügung gestellt.

Die beiden Sinn-Dimensionen als Ausweg aus der Sinnkrise

Da wir nun Arbeit als wichtige Möglichkeit eines sinnerfüllten Lebens erkannt haben, stellt sich die Frage, wie diese Erkenntnis gerade im Umgang mit jungen Kolleg*innen zum Einsatz kommen kann.

Blicken wir noch einmal auf unser Vier-Felder-Schema ergeben sich vier Ansatzpunkte:

  1. Erkenntnisse aus vergangenen Zugehörigkeiten
  2. Erkenntnisse für aktuelle und zukünftige Zugehörigkeiten
  3. Erkenntnisse aus der persönlichen Entwicklungsgeschichte
  4. Erkenntnisse für die aktuelle und zukünftige Entwicklung

Aus diesen vier Ansätzen lassen sich beispielsweise nach Abschluss der Probezeit sinnstiftende Fragen formulieren:

Literatur: Interview mit Tatjana Schnell: Wir verwechseln Sinn mit Glück, in: Philosophiemagazin 05/2025, S. 61ff

Weisheit versus Intelligenz

Warum ist es sinnvoll, sich über Weisheit Gedanken zu machen?

Lange Zeit galt das Primat der Intelligenz. Dabei zeigt sich in aktuellen Studien, dass Intelligenz vielleicht dazu führt Karriere zu machen, jedoch weder vor Dummheiten schützt, noch glücklich macht. Laut Dilip Jeste steht Weisheit in einer engen Verbindung zu geistiger und körperlicher Gesundheit, einem langen Leben und persönlichem Glücksempfinden (siehe Hohe Luft Kompakt, Sonderheft 1 / 2022, S. 76ff). Doch was genau ist Weisheit?

Damit beschäftigten sich Dilip Jeste von der University of California und Michael Thomas von der Colorado State University. Laut ihren Forschungen beinhaltet Weisheit 7 Komponenten, die sich mit lediglich 7 Fragen messen lassen. Diese Komplexitätsreduktion wird der Wirklichkeit vermutlich nicht ganz gerecht. Sie bietet dafür einen handhabbaren Einstieg in ein schwieriges Thema, um zum Nachdenken anzuregen, was gerade in hektischen Zeiten hilfreicher ist als ein bis in alle Details ausgeklügelter Fragebogen.

7 Komponenten der Weisheit

Die Komponenten sind nicht neu und werden schon seit geraumer Zeit erforscht und diskutiert, u.a. von Daniel Goleman oder David Caruso und Peter Salovey. Neu ist jedoch die Hinzunahme der spirituellen Komponente, die in einer fragilen Welt immer wichtiger erscheint, sowie die Fokussierung auf lediglich 7 Fragen, mit denen die beiden Professoren Weisheit messen (externer Link).

Persönliche Kompetenzen

Die Komponente Selbstreflexion misst die Kompetenz, sich selbst zu hinterfragen und zu versuchen Hintergründe und Entstehungen eigener Handlungen zu verstehen: Was treibt mich an? Welche Ziele verfolge ich? Bin ich auf dem richtigen Weg?

Die Komponente Emotionsregulation misst die Kompetenz, negative Emotionen zu regulieren, um bessere Entscheidungen zu treffen und sich nicht durch Denkfehler manipulieren zu lassen. Dabei geht es nicht darum, durch eine rosa Brille zu blicken, sondern Emotionen als wichtiges Signal anzusehen, sie jedoch nicht überzubewerten.

Die Komponente Entscheidungsfreude misst die Fähigkeit, Entscheidungen weder zu schnell noch zu langsam zu treffen. Manche Entscheidungen müssen reifen, andere sollten schnell getroffen werden, um negative Folgeeffekte für mich selbst und/oder mein Umfeld zu vermeiden.

Soziale Kompetenzen

Die Komponente Pro-soziale Verhaltensweisen umfasst Empathie und einen Sinn für Gerechtigkeit: Kann ich positive soziale Beziehungen aufrecht erhalten? Kann ich mich in die Gefühlswelt anderer hineinversetzen? Handle ich gewissenhaft und fair?

Die Komponente Akzeptanz abweichender Perspektiven untersucht die Akzeptanz und Toleranz anderer Erfahrungen und Wertesysteme sowie das echte Interesse daran, die Sichtweisen und Meinungen meines Umfelds kennen zu lernen.

Die Komponente Soziale Beratung bezieht sich auf die Fähigkeit, anderen beratend beizustehen und sie wohlwollend (also nicht bevormundend) zu coachen.

Spritualität und Sinnhaftigkeit

Die Komponente Spiritualität wird schon seit Jahrhunderten als Bestandteil von Weisheit angesehen, wurde jedoch lange Zeit in der Psychologie, die einen maßgeblichen Einfluss auf moderne Unternehmensführung hat, vernachlässigt. In einer Zeit, in der die Menschen nach einem Halt in einer fragilen Welt suchen, wird auch das Thema Spiritualität immer wichtiger, auch in Unternehmen. Dabei muss Spiritualität nicht automatisch gleichgesetzt werden mit Religiösität. Spiritualität bedeutet letztlich, die Überzeugung zu haben, dass das Leben und/oder einzelne Episoden des Lebens einen höheren Sinn verfolgen. Diese Sinnsuche ist eine Grundbedingung dafür, auch unter Dauerbelastungen – wie aktuell einem Krieg vor der eigenen Haustür mit all seinen Konsequenzen – einen Halt im Haltlosen zu finden.

7 Fragen auf einer Skala von 1-5

Und hier kommen die 7 Fragen, mit denen Jeste und Thomas Weisheit messen. Die Fragen sind im Original teilweise negativ formuliert. Ich habe mich jedoch der besseren Lesbarkeit wegen dazu entschlossen, sie positiv umzuschreiben. Alle Fragen sollen auf einer Skala von 1-5 beantwortet werden.

  1. Ich reflektiere mich regelmäßig selbst.
  2. Ich bleibe unter Druck ruhig.
  3. Ich zögere wichtige Entscheidungen nicht zu lange hinaus.
  4. Situationen, in denen ich weiß, dass meine Hilfe benötigt wird, machen mir keine Angst.
  5. Es fällt mir leicht, anderen Menschen beratend beizustehen.
  6. Ich lerne gerne verschiedene Standpunkte kennen.
  7. Mein spiritueller Glaube gibt mir innere Stärke.

Damit haben Sie jetzt auch ohne professionelle Auswertung die Möglichkeit, sich selbst einzuschätzen und Ihre Schlüsse daraus zu ziehen:

  • Sollten Sie auf einen Wert von 30-35 kommen, können Sie sich freuen. Offensichtlich sind Sie sowohl persönlich als auch sozial und spirituell auf einem weisen Weg. Das wissen Sie jedoch vermutlich schon selbst: Sie lassen sich dann nicht so schnell aus der Ruhe bringen, blicken optimistisch in die Zukunft, pflegen Ihr Netzwerk und handeln, wenn es nötig ist.
  • Sollten Sie grundsätzlich hohe Werte haben, jedoch in einzelnen Punkten auffallend geringe Ausprägungen haben, wissen Sie vermutlich ohnehin schon, was zu tun ist. Aber schön, dass die Forschung einen noch einmal darauf hinweist. Wo also liegen Ihre Baustellen? Im Netzwerken? In Reflexionspausen? In einer Aufschieberitis? Oder in der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns?
  • Sollten Sie mehrere Baustellen haben, ist das auch kein Beinbruch. Es ist (beinahe) nie zu spät für einen Neustart im Leben. Dabei zeigt sich, dass sich viele „Kleinigkeiten“ leicht und schnell umsetzen lassen: Vielleicht eine eMail an einen alten Bekannten schreiben und ein Telefonat vereinbaren? Oder sich einmal die Woche einen Spaziergang mit ein paar Selbstreflexionsfragen gönnen? Ein paar Beispiele dazu finden Sie hier: https://www.m-huebler.de/selbstcoaching-leitfaden

So oder so werden Sie die 7 Fragen zum Nachdenken angeregt haben. Und das ist schon einmal ein guter erster Schritt hin zu einem weiseren Leben.