Schlagwort-Archive: krisen

Mit der Philosophie des Kintsugi zu einem „neuen“ Umgang mit Biographiebrüchen

Bild von ededchechine auf Freepik

Bild von ededchechine auf Freepik

Mit Kintsugi zerbrochene Schalen veredeln

In Japan gibt es die Tradition des Kintsugi: Altes wird nicht nur repariert, sondern bekommt durch die kunstvolle Wiederherstellung einen neuen, besonderen Glanz. Antike Schalen steigen damit sogar im Wert (Externer Link: www.japan-budo.com/japanische-antiquitaeten/kintgusi-ko-karatsu.html). Immerhin erforderten sie eine beachtliche Mehrarbeit, Achtsamkeit und Wertschätzung im Vergleich zu einer unzerbrochenen Tasse. Sie sind mit mehr Leben gefüllt, haben mehr erlebt. Sie haben eine Geschichte zu erzählen.

Kintsugi als Metapher

Was würde passieren, wenn wir diese Metapher auf unser Leben übertragen? Auf all unsere Biographiebrüche.

Bei der Übertragung ließen sich folgende Aspekte beleuchten:

  • Worüber sollte ich mich nicht mehr ärgern?
  • Auf welche Weise will ich mit mir selbst wohlwollender umgehen?
  • Was will ich mir selbst verzeihen?
  • Was sollte ich hinter mir lassen?
  • Wofür bin ich im Nachhinein dankbar?
  • Was will ich anderen Menschen vergeben?

Es stellt sich also die Frage, ob sich der Ärger über einen Bruch wirklich lohnt und was ich brauche, um diesen Bruch zu akzeptieren, um einen Neuanfang bestmöglich zu gestalten.

Gleichzeitig wird deutlich: Jeder Mensch ist ein Unikat. Niemand lässt sich einfach so in einem Laden als Massenware erwerben. Was uns stattdessen als Individuen ausmacht, sind nicht nur unsere Erfolge, sondern auch unser Scheitern. Dies erinnert mich an ein Zitat aus dem Song Anthem von Leonard Cohen: “There is a crack in everything. That’s how the light gets in.”

Für einen „neuen“ Umgang mit Fehlern

Verinnerliche ich die Philosophie des Reparierens – die in unserer konsumatorischen Zeit einen sehr negativen Beigeschmack hat – kehre ich langfristig ab vom Diktat des Perfektionismus. Ich versuche dann Fehler nicht mehr zu vermeiden, sondern akzeptiere sie als einen Teil des Lebens. Genau wie wir nicht absichtlich eine schöne Tasse aus unserem Schrank auf den Boden werfen, sondern viele Jahre verhindern, dass dies passiert, akzeptieren wir den Umstand, dass es nun einmal trotz Achtsamkeit eines Tages so weit ist. Dann jedoch behandeln wir die zerbrochene Tasse mit der gleichen Achtsamkeit und Wertschätzung wie zuvor.

Die drei Phasen eines Heilungsprozesses

Was brauchen wir nun – neben den oben genannten Fragen – um sich selbst oder sich gemeinsam in einem Workshop zu reparieren?

Zuerst einmal finde ich den DIY-Gedanken spannend. Wir brauchen keinen großen Meister. Es braucht Achtsamkeit, Wertschätzung, Geduld und sicherlich viel Übung, um eine Schale und im übertragenen Sinn sich selbst zu reparieren. Und natürlich braucht es ein paar Materialien. Der wichtigste Faktor ist jedoch man oder frau selbst.

Was also brauchen wir zur Heilung unserer Brüche und Narben?

Wie so oft im Leben lässt sich ein Heilungsprozess, der auch sehr gut als Multi-Impact-Coaching-Tool eingesetzt werden kann in mehrere Phasen einteilen:

Phase 1: Das Zusammenfügen

MaterialienÜbertragung
HandschuheBei welchen Themen sollte ich besonders achtsam, wertschätzend und vorsichtig mit mir umgehen?
Zwei-Komponenten-KleberWas hält mich noch oder wieder zusammen? Was brauche ich, um wieder ganz zu sein?
ModelliermasseWoraus ziehe ich eine Erkenntnis? Was kam durch den Bruch Neues in mein Leben? Woran bin ich gewachsen?

Phase 2: Die Feinarbeit

MaterialienÜbertragung
Grobes und feines SchleifpapierManche Komponenten unseres Lebens lassen sich leicht reintegrieren. Andere brauchen erst einen neuen Schliff. Ich kann daher das Abgebrochene als ehemaligen Teil von mir betrachten, der erst reintegriert werden kann, wenn mir die Bedeutung für mich bewusst wird.
ReinigerNach einer Reintegration braucht es manchmal eine Reinigung, beispielsweise im Rahmen eines Rituals, um Wut, Ärger und Enttäuschungen loszulassen. Erst dann wird das Abgebrochene als Teil von uns akzeptiert. Was will ich mir also selbst verzeihen? Wovon will ich mich selbst freimachen und reinigen?

Phase 3: Verschönerung

Bauschiger PinselManche Themen erfordern einen robusten Umgang im Sinne eines „Schwamm drüber und weiter machen“. Hierzu passt die Frage nach der Vergebung und dem Abhaken.
Spitzer PinselAndere Themen erfordern eine filigrane Behandlung. Hier geht es um die Details.
Gold- und SilberfarbeWas verleiht mir sogar einen neuen Glanz? Worauf kann ich wirklich stolz sein?
Verschiedene FarbenManchmal möchte man seine Brüche, Narben und Wunden bunt anmalen, um seine Einzigartigkeit zu feiern. In diesem Sinne kann ich auch dankbar für meine neue Buntheit sein.

5 Ansätze zum Umgang mit Dauerbelastungen und Frustrationen im Team

In letzter Zeit taucht in meinen Führungstrainings vermehrt das Thema der Dauerbelastung in Teams oder einzelner Mitarbeiter*innen auf. Meist handelt es sich dabei um Themen, die zwar aus der Arbeit kommen, sich jedoch nicht lösen lassen. Der Hintergrund ist offensichtlich: Während Corona und jetzt auch in der Ukraine-Krise gab und gibt es immer wieder Anpassungen auf der organisatorischen Ebene, die mit Mehrarbeit verbunden sind. Mitarbeiter*innen sind krank und/oder überlastet. Neue Kräfte werden jedoch nicht eingestellt oder sind schlicht und einfach nicht zu finden.

Nun liegt der Schluss für Führungskräfte nahe, selbst frustriert zu reagieren, weil sie die Situation schließlich nicht ändern können. Doch auch hier gilt es, genauer hinzusehen. Die folgenden 5 Ansätze bauen alle auf dem Prinzip auf, das Sie vielleicht aus der eigenen Erfahrung kennen, wenn Ihr/e Partner*in, Ihr Kind oder ein/e Freund*in seinen oder ihren Ärger loswerden möchte, ohne von Ihnen erwartet, Lösungen zu liefern. Auch hier macht es einen Unterschied, wenn Sie präsent zuhören, ohne den Anspruch auf Lösungen zu haben.

All diese Ansätze sollen nicht darüber hinweggehen, dass auch an organisatorischer Stelle eine Veränderung stattfinden sollte, beispielsweise indem neue Kolleg*innen eingestellt werden. Es geht also nicht um eine “Alles wird gut”-Attitüde. Wenn sich Probleme jedoch nicht so schnell lösen lassen, ist es immer noch besser, sie anders anzunehmen und das Beste daraus zu machen, anstatt daran zu zerbrechen.

Austausch darüber, was wen frustriert

Regen Sie dazu einen Austausch im Team mittels Wenn-Dann-Karten an. Beispiel: Wenn ich merke, ich werde mit der Arbeit nicht fertig, (dann) ärgere ich mich.

Gemeinsamer Ärger wirkt verbindend. Ein unterschiedlicher Umgang mit Frustrationen bringt zum Nachdenken.

Reflexionen über den Umgang mit Belastungen im Team

Bereiten Sie dazu eine oder mehrere Flipcharts mit folgenden Kategorien vor, um den Austausch im Plenum oder in Kleingruppen anzuregen:

  • Zusammenarbeit bedeutet für mich …
  • Teams sind am stabilsten, wenn …
  • Probleme im Team tauchen meist auf, wenn …
  • Der Umgang mit Belastungen gelingt am leichtesten, wenn …

Herausfinden der eigentlichen Wünsche

Können Probleme nicht gelöst werden, kann es stattdessen darum gehen, dass zumindest die Wertschätzung da ist, dass Mitarbeiter*innen ihr Bestes geben.

Das Kohärenzmodell (nach Antonovsky)

Kann ich Belastungen nicht abstellen, ist es hilfreich, die Belastung zumindest logisch zu verstehen, den Sinn dahinter zu ergründen und die eigene Handlungsfähigkeit zu reflektieren:

  • Logik: Was an der Situation kann ich logisch nachvollziehen?
  • Sinn: Worin könnte der (höhere) Sinn der Belastung bestehen?
  • Handlungskompetenz: Welche (wenn auch geringen) Möglichkeiten habe ich, handlungsfähig zu sein oder wieder zu werden?

Teamkultur-Reflexion

Und schließlich ist es manchmal sinnvoll, eine Wendezeit oder auch nur eine temporäre Wende der kulturellen Werte innerhalb eines Teams zu reflektieren. Dazu ist eine Reflexion darüber sinnvoll, wofür Mitarbeiter*innen gelobt werden, welche Tabus es gibt, usw. Während es beispielsweise in normalen Zeiten ein Lob für Perfektionismus gibt, könnte es dies in Krisenzeiten für eine 80%ige Leistung geben. Oder während in normalen Zeiten jede*r vor sich hinarbeitet, ist es in Krisenzeiten wichtiger, sich gegenseitig zu unterstützen. Eine solche Zeitenwende ergibt sich zum einen aus der gemeinsamen Reflexion und zum anderen durch die Erlaubnis der Führung: Es ist OK, wenn du nur 80% leistest, um deine Gesundheit zu schützen. Oder: Es ist OK, deine Sachen liegen zu lassen, um einen Kollegen zu unterstützen.

Mögliche Ansätze, die kulturellen Regeln in einem Team zu untersuchen sind:

  • Status: Wofür werde ich bewundert?
  • Anerkennung: Wofür bekomme ich Lob?
  • Sanktionen: Was darf ich auf keinen Fall tun, weil es sonst Ärger gibt?
  • Tabus: Was ist nicht erlaubt, es wird aber auch nicht darüber gesprochen?

Entsprechend ist es sinnvoll, die dahinter liegenden Regeln für normale und Krisen-Zeiten gemeinsam zu reflektieren und anzupassen.

Ein konkretes Workshop-Angebot finden Sie hier.

Übergänge als Zeiten des Wachstums

Übergänge sind die spannendsten und fruchtbarsten Orte in der Natur. Im Übergang zwischen Wald und Wiese, Ökoton genannt, ist sowohl ein Ort der Begegnung zwischen Wald- und Wiesen-Tieren, als auch ein Ort an dem Pflanzen und Tiere ihr Zuhause finden, die es sonst nirgendwo gibt. Während der Wald im besten Fall ein Ort des Chaos ist, mit einem wildwuchernden systemisch perfekt aufeinander abgestimmten Netzwerk aus Wurzeln, Pilzen und Tieren, wird die Wiese regelmäßig gemäht und bewirtschaftet. Die Wiese ist damit das genaue Gegenstück zum Wald, ein Ort der Ordnung. Dazwischen ist der Übergang, weder zu 100% Ordnung, noch zu 100% Chaos.

In der Natur gibt es viele solche Übergänge. Zwischen Meer und Land wachsen Korallenriffe. Auch Dünen gelten als einzigartige Ökosysteme. Und am Fuß eines Berges endet das Quellwasser aus dem Berg und führt auch hier zu einer einzigartigen Fruchtbarkeit, weshalb es früher logisch war, sich hier anzusiedeln.

Solche Übergangsorte der Begegnung finden sich auch bei uns Menschen, beispielsweise an den Randgebieten der Innenstadt in Häusern, die noch kein Vorort sind, aber auch nicht mehr zur schicken und teuren Innenstadt gehören. Dort zieht meist eine bunte Mischung aus ärmeren Menschen, Migrant*innen und Künstler*innen ein, die wesentlich weniger homogen und damit spannender im Austausch untereinander sind als die Menschen in Vororten oder Innenstädten.

Auch Schulen und Ausbildungsstätten sind Orte des Übergangs. Der Schüler ist noch nicht fertig. Er wächst noch. Es sollte in Schulen daher weniger darum gehen, keine Angst zu haben, sondern mit seiner Angst gut begleitet zu werden.

In Übergängen, beispielweise der Geburt, Pubertät, Ausbildung, Trennung, dem Tod oder einem Neuanfang, ist noch nicht klar definiert, was einmal daraus wird. Deshalb gelten für Übergänge andere Maßstäbe als für “normale” Zeiten. Niemand kann wissen, was richtig oder falsch ist. Sinnvoller ist es, Beziehungen zu pflegen, Dinge auszuprobieren und sich auszuprobieren, das Leben zu beobachten und sich zu beobachten. Und so während des Übergangs für die Zeit danach zu lernen.

In diesem Sinne sind Zeiten des Übergangs Zeiten des Wachstums. Der Mensch muss sich noch nicht beweisen. Er darf noch reifen und sollte lernen, diese Reifung, die immer auch mit einer guten Portion Ungewissheit einher geht, lieben zu lernen.

Wer kümmert sich eigentlich um die Führungskräfte in Krisenzeiten?

Gestern hatte ich ein Coaching-Gespräch mit zwei Geschäftsführer:innen aus einem kleinen, mittelständischen Unternehmen, für die ich schon länger als Coach und Mediator arbeite. Vor dem Termin fragte ich, ob ich mich vorbereiten soll. Die Antwort lautete: Nein.

Also unterhielten wir uns eineinhalb Stunden über alle Baustellen, die aktuell vorhanden sind. Die Überlastung mancher Mitarbeiter:innen hat sich durch Corona und die Maßnahmen dramatisch gesteigert. Mitarbeiter:innen sehen sich kaum noch. Konflikte verschieben sich oder spitzen sich zu. Manche Mitarbeiter:innen sind im Homeoffice überfordert. Eine Studie (externer Link) der Friedrich-Mohn-Stiftung ergab, dass v.a. junge Führungskräfte unter der Distanz leiden. Eventuell, weil sie noch mitten in ihrer Work-Life-Balance stecken, mit Kind und Familie. Manche Mitarbeiter:innen drohen mit Kündigung in einem Bereich, in dem ein eklatanter Fachkräftemangel herrscht. Andere sind dauerhaft in Quarantäne und müssen ersetzt werden.

Kurzum: Bei so vielen Baustellen weiß man nicht, wo man anfangen soll. Der derzeit ganze normale Corona-Wahnsinn?

Wie lautete nun die Erwartung an mich als Coach?

Wie gesagt: Wir unterhielten uns. Ich gab ein paar Rückmeldungen. Wir setzten Prioritäten zwischen wichtig und dringend. Dachten über verschiedene Zukunftsszenarien nach und kamen auf kleine Lösungen. Der große Wurf war nicht dabei. Das Ganze ist ein Prozess und ein großer Wurf wäre weder möglich noch in Anbetracht der Schwere der Probleme respektvoll gewesen.

Am Ende stellte ich ein paar Fragen zur Selbstfürsorge: Was tun Sie bei all dem Stress für sich? Worauf können Sie vertrauen? Was gibt Ihnen Stabilität und Halt?

Vielleicht sind das die wichtigsten Fragen an Führungskräfte in Krisenzeiten: Was können Sie für sich tun? Denn um alle anderen kümmern sich Führungskräfte, sofern sie ihren Job ernst nehmen. Nur nicht um sich selbst. Wenn jedoch der Kopf fällt, fällt auch alles andere.