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Die bewusste und die unbewusste Moral

Oder: Der Mensch als empathisches Wesen

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Woher kommt unsere Moral? Durch äußere Regeln, die wir gelernt haben, um uns daran zu halten? Oder aufgrund innerer, emotionaler Impulse?

Große Aufklärer wie Immanuel Kant gingen paradoxerweise ähnlich wie Religionen, von denen sie sich abgrenzen wollten, von einer äußeren Macht aus: Der Mensch ist im Grunde schlecht und braucht einen moralischen Codex der Gesellschaft, um seine Triebe zu beherrschen.

Biologen wie Frans de Waal gehen von einem inneren Impuls aus, der uns als Menschen empathisch macht. Diese Empathie hat freilich auch ein Ziel: Wer sich allzu oft daneben benimmt, bekommt keine/n Partner/i und kann sich nicht fortpflanzen oder überlebt nicht ohne Kolleg*innen unter schwierigen Bedingungen. Wir leben zwar trotz Krieg in der Nachbarschaft verglichen mit der Vergangenheit in der sichersten aller Zeiten. Dennoch stecken in unserem genetischen Erbe die Grundlagen eines biologischen, unbewussten Moralverhaltens, das noch aus unsicheren Zeiten stammt.

Dieses Moralverhalten lässt sich anhand unserer Emotionen verdeutlichen:

  • Ekel und Verachtung: Ekel und Verachtung fallen uns vermutlich als erstes ein, wenn wir an moralische Emotionen denken. Der Ekel bezieht sich mehr auf die Handlungen und das Verhalten anderer, bspw. bezogen auf Sauberkeit und Hygiene. Verachtung geht tiefer und bezieht sich mehr auf das Wesen meines Gegenübers: „Warum macht der nicht mehr aus sich? Warum lässt die sich so gehen?“ Während ein ekelerregendes Verhalten lediglich mein Auge beleidigt, kann ein verachtenswertes Wesen die Gemeinschaft schädigen, indem es sich auf Kosten anderer egoistisch bereichert.
  • Angst: Wer einen Fehler macht, kann Angst vor dem Ausschluss aus der Gemeinschaft haben, von der er langfristig abhängig ist.
  • Wut: Der Ärger hat entweder den Sinn, die eigene Angst und Trauer zu verdecken, weil diese schmerzhafter sind als Wut. Oder die Wut richtet sich gegen Abweichler*innen einer sozialen Norm.
  • Trauer, Enttäuschung, Scham und Schuld: Wenn wir etwas falsch gemacht haben, werden manche von uns rot im Gesicht. Der Mensch ist das einzige Wesen mit dieser Eigenschaft. Die Röte lässt sich als offenes Schuldeingeständnis deuten, um die Situation wieder zu bereinigen. Oder wird machen uns klein und verbergen unser Gesicht hinter unseren Händen. Diese emotionalen Haltungen und Gesten lassen sich körpersprachlich unter das Gefühl der Trauer und Enttäuschung subsumieren. Wer gegen einen moralischen Codex verstieß, ist traurig darüber, dass andere wegen ihm leiden mussten und oft auch enttäuscht von sich selbst.
  • Positive Emotionen: Emotionen rund um den Komplex der Freude (Begeisterung, Erleichterung, Euphorie, usw.) kommen entweder auf, wenn ein gemeinsames Ziel erreicht wurde oder eine schwierige Situation – ein Problem oder ein Konflikt – gelöst wurden.

Warum brauchen wir dennoch eine äußere Moral durch Gesetze, Verbote oder religiöse Gebote, wenn doch unser biologisches Gerüst dies im Grunde unnötig macht?

Wer in einer kleinen Gruppe lebt, weiß intuitiv, was er sich erlauben kann und was nicht. Die Abhängigkeiten von Nahrung und sozialer Unterstützung sind klar. Je größer Gruppen jedoch werden, desto unpersönlicher werden die Beziehungen. Die Unabhängigkeiten nehmen zu. Man könnte sich ja potentiell im Internet neue Freunde suchen. Die Reproduktion wird im Zuge der Überbevölkerung ohnehin von einigen Menschen in Frage gestellt. Und von einer bestimmten Nahrungskette sind wir schon lange nicht mehr abhängig. Ein „künstlicher“ Moral-Codex, der in einer kleinen Gemeinschaft meist nur bedingt notwendig ist, ist daher in einer großen Gesellschaft unumgänglich.

Und dennoch macht es einen Unterschied, ob wir davon ausgehen, dass der Mensch im Kern schlecht ist und daher moralisch erzogen werden muss – paradoxerweise von Eltern und Politiker*innen, die im Grunde auch schlecht sind. Wo soll das nur enden?

Oder ob wir davon ausgehen, dass der Mensch einen guten, emotional-empathischen Kern hat, der nach Kooperationen strebt, um diesem zusätzlich eine moralische Stütze von außen mitzugeben.

Wie wir uns ständig einreden, wie unpassend es ist, anderen zu helfen

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Wie der Biologe Frans de Waal in seinem Buch „Der Mensch, der Bonobo und die 10 Gebote“ darstellt, gibt es zwei widerstreitende Maximen zum Thema Helfen: Die „Altruismus-muss-weh-tun“- und die „Altruismus-fühlt-sich-gut-an“-Hypothese.

Kostet anderen zu helfen einen Preis?

Dass anderen zu helfen mit Schmerzen verbunden sein muss, war lange Zeit die Haupterklärung für Altruismus. Wer anderen hilft, ist naiv. Und wenn schon geholfen wird, ist das zumindest erklärungsbedürftig. Die Grundannahme dahinter lautet: Wir leiden jetzt, indem wir uns für andere aufopfern, um später einen Vorteil daraus zu ziehen. Wir ziehen unsere Kinder auf, damit wir im Alter nicht alleine sind. Wir helfen Freunden beim Umzug, damit wir bei Bedarf ebenso Hilfe bekommen. Oder wir unterstützen Kolleg*innen, damit wir uns, wenn wir einmal ganz oben in der beruflichen Nahrungskette stehen, auf eine breite Unterstützungsbasis verlassen können.

Diese Denkweise hat auch heute noch in vielen Bereichen Gültigkeit, wenn es heißt, man solle sich nicht über den Tisch ziehen lassen und jede*r soll sich in unserer neoliberalen Welt am besten um sich selbst kümmert, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Und ganz falsch ist das nicht. Es ist ja tatsächlich so, dass wir uns durch ein altruistisches Verhalten Freunde machen, die uns bei Bedarf später mit einer höheren Wahrscheinlichkeit unterstützen werden.

Gleichzeitig klingt dieser Ansatz doch sehr strategisch, als würden wir genau deshalb helfen, um später Hilfe zu bekommen. Dass diese Herangehensweise nicht funktioniert, zeigt Adam Grant in seinem Buch „Geben und Nehmen“. Grant stellt dar, dass wir am meisten Hilfe zurückbekommen, wenn wir selbst keine Hintergedanken haben. Die strategische Version ist zu manipulativ.

Was wir alles denken, um anderen nicht helfen zu müssen

Die Altruismus-mit-Schmerzen-Hypothese kam jedoch in den letzten Jahren v.a. durch bildgebende Verfahren unter Druck. U.a. wurde von einem Team um James Rilling von der Emory University festgestellt, dass wir in sozialen Situationen zuerst den Impuls haben, anderen zu helfen und dann erst darüber nachdenken, ob diese Hilfe gut oder schlecht ist (de Waal, 2015, S. 72).

Kognitive Begründungen für eine Nichthilfe können entsprechend der „Altruismus-tut-weh“-Hypothese vielfältig sein:

  • Du machst dich hier zum Affen.
  • Ist das nicht übergriffig?
  • Bloß nicht einmischen.
  • Am Ende fühlt sie sich von dir angemacht.
  • Wer zu viel hilft, macht andere abhängig.
  • Und bei gehandicapten Menschen: Wie helfe ich hier am besten? Vielleicht will der das gar nicht.

Kurzum: Als erstes taucht der Impuls zu helfen auf. Dann jedoch finden wir eine Menge Gründe, warum es unpassend ist.

Öfter mal zum Affen machen

Wie de Waal zeigt, ist dieser Impuls ein Erbe unserer tierischen Vorfahren. Sowohl Schimpansen als auch Bonobos lösen eine Menge Konflikte, indem sie beispielsweise Kontrahenten nach einem Streit zur Versöhnung sanft aufeinander zu schieben oder anderen die Tür zu einem Futterraum öffnen, obwohl sie selbst dadurch weniger Futter bekommen.

Aber gehen insbesondere Schimpansen nicht oftmals aggressiv miteinander um? Dies liegt meist an der Enge und fehlenden Fluchtmöglichkeiten in einer unnatürlichen Umgebung. Zum Vergleich: In einen einstöckigen Nahverkehrs-Reisezugwagen passen inklusive stehenden Personen etwa 150 Menschen. Stellen wir uns vor, der Zug strandet bei Vollbesetzung zwischen zwei Haltestellen im Nirgendwo. Bei einer sommerlichen Hitze von 30 Grad. Die Klimaanlage fällt aus. Zudem ist unklar, wie lange der Aufenthalt dauert. Wie lange dauert es wohl, bis die ersten Menschen darin ungehalten reagieren? Nebenbei: Gibt es schon eine Serie über Geschichten, die Menschen erleben, wenn die Bahn Verspätung hat? Wenn nein, warum nicht? Netflix, Amazon oder Disney, wie wär’s?

Unsere weniger sozialisierten Vorfahren denken vermutlich weniger als wir über Gründe nach, warum sich gegenseitig zu helfen falsch ist. Vielleicht sollten wir uns viel öfter „zum Affen machen“. Aber vielleicht steckt dahinter auch eine große Kränkung. Wie Sigmund Freud bereits anmerkte: Wir sind nicht Herr im eigenen Haus. Und Frau wohl auch nicht. Freud meinte damit, dass unser Es, d.h. unsere unbewussten Impulse, uns oftmals mehr leiten, als uns lieb ist.

Wobei der Geschlechterunterschied, wenn wir schon dabei sind, ein gutes Stichwort ist: Nach de Waal reagieren bereits neugeborene Mädchen stärker auf Gesichter, während das männliche Geschlecht stärker auf mechanisches Spielzeug reagiert. Später sind Mädchen prosozialer als Jungs, achten mehr auf Stimmen, können emotionale Ausdrücke besser deuten, sind empathischer und haben mehr Gewissensbisse, wenn sie andere verletzen (de Waal, S. 75).

Geht es also gar nicht darum Chef*in im eigenen Haus zu sein, sondern besser auf die eigenen inneren Impulse zu horchen, ohne sie mit logischen Argumenten beiseite zu schieben?

Helfen macht Spaß

Schauen wir uns genauer an, welche Tätigkeiten bei uns Menschen mit Lust verbunden sind, wird deutlich, dass biologisch alles, was uns im ersten Moment keinen Vorteil bringt, jedoch wichtig für unser Überleben als Mensch oder Menschheit ist, mit positiven Emotionen vernetzt ist:

  • Das Stillen unseres Hungers gibt uns ein befriedigendes Gefühl. Der Geschmack von Salz, Zucker, Pfeffer, Knoblauch, usw. ist dabei auch nicht zu vernachlässigen.
  • Wie Sex funktioniert brauche ich wohl nicht zu erläutern.
  • Und die Königsdisziplin des Helfens – die Brutpflege – funktioniert ebenso nur durch positive Emotionen.

Einfach formuliert werden beim Helfen – und zwar nicht nur den eigenen Nachkommen, sondern auch der alten Dame am Ticketautomaten – Bindungshormone (Oxytocin) ausgeschüttet, die uns über unsere Spiegelneuronen beinahe das Gefühl geben, uns selbst zu helfen. Schaffen wir es, die unterstützte Person zu ihrem Ziel zu führen, haben wir damit auch das Gefühl, selbst ein Ziel erreicht zu haben. Dadurch werden Glücks- und Belohnungsgefühle im Nucleus accumbens ausgelöst, wodurch wir uns gemeinsam über diesen Erfolg freuen können.

Und damit sind wir bei der „Altruismus-fühlt-sich-gut-an“-Maxime angekommen. Der Grundgedanke dahinter lautet also: Wenn wir schon weniger an uns selbst denken, sollte es sich gut anfühlen, anderen zu helfen, damit wir es auch tun.

Um andere zu unterstützen brauchen wir also nicht einmal Mut, sondern lediglich das Im-Zaun-halten der inneren Stimmen, die uns suggerieren, wie naiv und unpassend es doch ist, anderen zu helfen.

Radikale Akzeptanz

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Vor ein paar Tagen besuchte ich meine Eltern. Beide sind jetzt über 80 und mein Vater leidet seit einigen Monaten an einer rapide fortschreitenden Demenz. Als ich mit meinem Vater zusammen eine Pumpe zum Bewässern des Gartens zusammen baute, wurde mir eines klar: Ich kann ihm widersprechen, wenn ich sehe, dass er die Pumpe falsch zusammenbaut, weil er vergessen hat, wie es richtig geht. Damit befinde ich mich jedoch in Sekundenschnelle in einem Streitgespräch. Oder ich lasse ihn nach seiner Vorstellung walten – Gefahrensituationen ausgeschlossen – bis er merkt, dass es nicht funktioniert und schlage ihm dann erst vor, es anders auszuprobieren.

Ich entschied mich nach 2-3 Situationen auf der Kippe für die zweite Version. Ich muss zugeben, dass es mir nicht leicht fiel. Mein Ego stand mir dabei breitschultrig im Weg. Hitzige Diskussionen helfen jedoch nicht weiter. Er selbst vergisst ohnehin schnell, was er vor ein paar Minuten sagte. Und ihm zu zeigen, wie es funktioniert, damit er es sich merkt ist ohnehin zum Scheitern verurteilt.

Am ehesten hilft meines Erachtens die radikale Akzeptanz dieses unveränderbaren Status Quo, so anstrengend es auch sein mag. Radikale Akzeptanz ist daher auch eine Abkehr vom Wollen. Ich will ihn nicht verändern, sondern lediglich eine gute Zeit mit ihm verbringen, ohne Stress und ohne Streit.

Mit einer radikalen Akzeptanz neue Perspektiven gewinnen

Radikale Akzeptanz wird am häufigsten in Situationen angewandt, in denen wir nicht in der Lage sind, das Geschehene zu ändern, oder wenn sich etwas ungerecht anfühlt wie der Verlust eines geliebten Menschen, der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Diagnose eine unheilbaren Krankheit – bei sich selbst oder jemand anderem. Diesen Zustand radikal zu akzeptieren bedeutet jedoch nicht, dass mir alles egal ist. Eine solche Haltung hilft jedoch dabei, sich einen neutralen Blick zu erkämpfen. Denn in der Regel ist es nicht nur der Zustand an sich – eine Krankheit oder Kündigung – der uns schmerzt, sondern v.a. der Umgang damit: Wir finden es unfair, dass ausgerechnet wir so etwas erleben müssen. Wir fragen uns, was wir falsch gemacht haben. Wir fragen uns, was wir anders im Leben hätten machen können.

Damit potenzieren wir unser Leiden nur noch. Könnten wir es als einen unveränderbaren Zustand akzeptieren, hätten wir die Chance einen neuen Umgang damit zu finden. Wir könnten dann – anstatt uns dagegen aufzulehnen – lernen damit umzugehen. Wir würden dann vermutlich auch positive Seiten daran entdecken. Eine Krankheit zeigt uns Grenzen auf, mit denen wir uns arrangieren müssen. Und vielleicht ist ein langsameres Leben, weil es nicht mehr schneller geht, manchmal nicht das Schlechteste. Und vielleicht bietet eine Kündigung die Chance auf einen Neuanfang.

Damit soll beileibe nicht alles Negative rosarot angesprüht werden. Wenn Veränderungen möglich sind, ist es auch für unsere Psyche wichtig, alles Menschenmögliche zu unternehmen, etwas zum Positiven zu wenden. Wenn jedoch keine Veränderungen möglich erscheinen – der Krankheitsverlauf ist eindeutig und die Kündigung ist final – gilt es, dies als gegeben zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Alles andere wäre ein Energieverlust.

Ich kann dennoch trauern oder enttäuscht sein. Es ist sogar wichtig, Trauerphasen durchzumachen. Trauerphasen sollten jedoch nicht ewig dauern, weil wir ansonsten nur noch auf den Schmerz und das Leiden fokussiert sind.

Krankheit oder Kündigung sind extreme Situationen. Es gibt allerdings eine Menge Alltagssituationen, in denen wir ebenso die Haltung einer radikalen Akzeptanz üben können, beispielsweise, wenn einem der ICE vor der Nase weg fährt und ich eine Stunde auf den nächsten Zug warten muss. Wer kennt sie nicht, die Menschen, die bereits bei 5 Minuten Verspätung Schnappatmung bekommen? Würde der kleine empörte Wutausbruch über die Unzuverlässigkeit der Bahn etwas bringen, wäre ich sofort dabei. Es bringt aber nichts. Also kann ich mich genauso gut in ein Buch vertiefen.

Der Dalai Lama meinte dazu einmal sinngemäß: „Schmerz zu empfinden ist unvermeidlich – zu leiden ist eine Entscheidung“. Wer sich leidvoll an Situationen klammert, verhindert seine persönliche Weiterentwicklung, die notwendig wäre, um auch in Zukunft mit schwierigen Situationen umzugehen.

Typische Situationen, in denen eine radikale Akzeptanz sinnvoll ist

  • Verlustsituationen: Wenn Sie mit einem Verlust konfrontiert sind, einem Todesfall, dem Verlust des Arbeitsplatzes oder einer Beziehung.
  • Traumata: Wenn Sie an eine schwierige Zeit in Ihrer Vergangenheit denken, möglicherweise an ein Trauma. Den Vorfall können Sie nicht mehr ändern, nur noch den Umgang damit in der Jetzt-Zeit.
  • Schuldgefühle: Ähnliches gilt für das eigene Verschulden, bspw. eines Unfalls.
  • Gedankenkarussell: Wenn Gedanken und Gefühle Sie daran hindern eine Situation abzuhaken und einen Schritt weiterzukommen.
  • Dauerhafte Trauerphase: Wenn Sie nach einem Verlust in der Trauerphase stecken geblieben sind.
  • Unveränderbare Umstände: Wenn Sie sich an einem Problem die Zähne ausbeißen und dennoch nicht weiter kommen.
  • Akzeptanz der eigenen Kompetenzen: Wenn Sie trotz großer Anstrengungen ein selbst gestecktes Ziel nicht erreichen, evtl. weil andere besser sind als Sie.
  • Impulsivität: Wenn Sie dazu neigen, in Hauruckverfahren Dinge (und Menschen) verändern zu wollen.

Zeichen für eine mangelnde emotionale Distanz

Hier sind einige typische Gedanken oder Sprüche, die uns durch den Kopf gehen, wenn es uns schwer fällt, unveränderbare Situationen zu akzeptieren:

  • Das ist unfair.
  • Warum ich?
  • Ich verstehe nicht, wie es soweit kommen konnte.
  • Warum passiert das jetzt?
  • Habe ich nicht schon genug gelitten?
  • Womit habe ich das verdient?
  • Die Welt hat sich gegen mich verschworen.
  • Das ist typisch für mich.
  • Niemand sonst muss mit so einer Situation klar kommen.
  • Ich werde mich damit niemals abfinden.
  • Wenn ich könnte, würde ich das alles ganz anders angehen.

In 7 Schritten zu einer radikalen Akzeptanz

  1. Decken Sie Ihre Illusionen auf: Womit beschwichtigen Sie sich in der aktuellen Situation? In einer zubrüche gegangenen Beziehung könnten Sie sich sagen: „Er kommt bestimmt zurück.“ Wurde jemand anders befördert könnten Sie zu sich sagen: „Die bereuen sicher bald, dass sie nicht mich genommen haben.“ Und: „Der macht bestimmt einen schlimmen Fehler.“ Für solche Hoffnungen oder auch Rachegedanken gibt es meist wenig Anhaltspunkte. Sinnvoller ist es, zu sich zu sagen: „Prima, wenn es passiert (bis auf den Rachegedanken), aber darauf werde ich mich nicht verlassen.“ Wissen Sie zu wenig, verschaffen Sie sich die nötigen Informationen. Sie könnten beispielsweise recherchieren, die Expertise eines zweiten Arztes einholen oder einen Kollegen nach seiner Meinung befragen.
  2. Entdecken Sie, was Ihnen wirklich wichtig ist: Finden Sie heraus, was wirklich hinter Ihrem Schmerz über die Situation steckt. Oftmals kratzen wir mit unseren Aktionen nur an der Oberfläche. Wenn Sie gekündigt werden, kann Ihr Selbstwertgefühl angeknackst sein. Oder aber Sie brauchen eine Arbeit aus Sicherheitsgründen, um die Miete zu bezahlen. Je nachdem, was Ihnen wirklich wichtig ist, gibt es andere Strategien zu Bewältigung des Schmerzes. Ist Ihnen Selbstwert wichtig, können Sie sich auf die Suche nach anderen Quellen für Ihren Selbstwert machen, bspw. ein Ehrenamt. Ist Ihnen Sicherheit wichtig, könnte ein anderer Job dieses Bedürfnis stillen.
  3. Aktivieren Sie bewährte Strategien: Auf welche Strategien zur Bewältigung schwieriger Situationen griffen Sie in der Vergangenheit zurück? Tauschten Sie sich mit Freunden aus oder nahmen sich eine Auszeit? Was davon könnten Sie auch jetzt wieder anwenden?
  4. Üben Sie sich in Akzeptanz: Akzeptanz lässt sich üben. Üben Sie in Alltagssituationen, wenn Ihnen der Zug vor der Nase weg fährt oder Sie bei ebay in letzter Sekunde überboten werden. Sie können auch am Abend den Tag Revue passieren lassen und die Situationen durchgehen, an denen Sie nichts ändern konnten und sich Ihre Einstellungen dazu reflektieren. Auch Tagebuch zu führen kann helfen.
  5. Lernen Sie aus Ihren Erfahrungen: Richten Sie den Blick in die Zukunft. Wir ärgern uns häufig über uns selbst. Meist wissen wir ja, dass wir anders hätten handeln können und vielleicht zu impulsiv waren. Anstatt sich über sich selbst zu ärgern ist es jedoch sinnvoller, sich zu fragen, was ich das nächste Mal anders machen könnte.
  6. Der retrospektive Blick: Stellen Sie sich vor, wie Sie fünf Jahre später auf das zurückblicken, was aktuell passiert. War es das wirklich wert, sich so zu ärgern? War es vielleicht sogar gut, dass mir das passierte? Was konnte ich daraus lernen?
  7. Entdecken Sie Ihren eigenen Wesenskern:Insbesondere wenn wir anderen Menschen begegnen, bspw. einem kranken, zu pflegenden Menschen, ist es essentiell, seinen eigenen Wesenskern als Mensch zu kennen. Anstatt mein Gegenüber verändern zu wollen, ist es sinnvoller, die eigene Neugier, Präsenz, Achtsamkeit, Hoffnung, Aufmerksamkeit, Güte, Sanftheit und Geduld zu aktivieren, um eine gute Begegnung zu ermöglichen.

Zurück in die Zukunft-Tugenden

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Turbulente Zeiten verlangen Führungskräften und Mitarbeiter*innen eine Menge ab. In diesem Kontext wird häufig von Fähigkeiten und Kompetenzen gesprochen, die Mitarbeiter*innen mitbringen sollten, sogenannte Future-Skills, oft auch von einem digitalen Mindset.

Worüber seltener gesprochen wird, sind Tugenden, vielleicht weil der Begriff altmodisch anmutet. Oder auch, weil Tugenden schlechter zu greifen und messen sind als Kompetenzen. Dabei sind alte Konzepte nicht per se falsch, sondern sollten eher an moderne Zeiten angepasst werden. Die Führungskraft als Vorbild und Autorität beispielsweise ist nicht das gleiche Vorbild und die gleiche Autorität wie vor 50 Jahren. Dennoch gibt es gerade in Krisenzeiten eine Renaissance des Vorbilds und der Stärke auf der Führungsebene. Die neue Autorität ist jedoch nicht mehr unverrückbar, sondern darf und soll diskutiert werden. Und dennoch ist es wichtig, dass da ein Mensch ist, der für etwas steht.

Dem gleichen Prinzip folgen Tugenden, die in großen Teilen auf die griechischen Stoiker zurückgehen. Im Vergleich zu Fähigkeiten und Kompetenzen wie Selbstmanagement, Ergebnisorientierung, Veränderungsbereitschaft oder Empathie sind Tugenden eher eine Voraussetzung für ein gutes Miteinander und eine gute Zusammenarbeit. Während beispielsweise Empathie Mitarbeiter*innen hilft, sich auch auf Distanz in ihre Kolleg*innen gedanklich hinein zu versetzen, braucht es die Tugenden Weitsicht, um zu wissen, wie meine Handlungen bei anderen ankommen, Besonnenheit, um zuerst einmal zur Ruhe zu kommen und damit der Empathie den Boden zu bereiten und ein Gespür für Gerechtigkeit, um abzuschätzen, ob jemand etwas als unfair empfinden könnte.

Die wichtigsten Tugenden lauten:

  • Neugier, um über den Tellerrand zu blicken und Bekanntes zu überwinden,
  • Mut, um das Richtige zu tun, dabei über eigene Bedenken hinwegzusehen und eventuell auftretende eigene Nachteile in Kauf zu nehmen,
  • Selbstbeherrschung, Besonnenheit, Bescheidenheit, Demut und Nachsicht, um in schwierigen Situationen angemessen zu reagieren.
  • Weisheit und innere Reife, um Entscheidungen in Ruhe zu treffen,
  • Weitsicht, um die Folgen des eigenen Handelns vorweg zu nehmen.
  • Gespür für Gerechtigkeit, um mit anderen gut umzugehen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und sie anständig zu behandeln,
  • Güte, Großmut und Hilfsbereitschaft, um insbesondere unter Belastungen die Solidarität untereinander zu fördern.
  • Sanftheit und Geduld, um auch ohne den Einsatz von Macht Ziele zu erreichen.

Das Wissen um solche Tugenden kann Führungskräften und Teamleitungen dabei helfen, ihre Wahrnehmung dafür zu schärfen, was ihre Teams und Abteilungen benötigen und was eventuell fehlt, insbesondere im Umgang miteinander unter Stress und Zeitdruck.

Warum Sprachgenauigkeit in der Digitalisierung wichtig ist

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Das mediale Schwarz-Weiß-Denken hat Folgen

In vielen Bereichen achten wir mittlerweile auf eine sehr genaue Sprache, bspw. wenn es um Gender-Themen, den Umgang mit Minderheiten oder Migration geht. Der Mensch ist dann zuallererst Mensch und hat eben zusätzlich noch ein Handicap oder kommt aus einem anderen Land. Soweit so fortschrittlich.

In anderen Bereichen hat sich jedoch offensichtlich ein mediales Schwarz-Weiß-Denken durchgesetzt, das Konflikte neu anheizt. In der Coronazeit wurde viel von Coronaleugnern berichtet. Dabei tauchte diese Gruppe in meinem Umfeld so gut wie nicht auf. Und ich lerne sowohl als Trainer als auch privat sehr viele Menschen kennen. Ich persönlich kenne auch keinen Zero-Covid-Befürworter. Stattdessen gab es aus meiner Sicht vor allem Menschen, die das Virus als real ansahen, aber einige Maßnahmen als überzogen kritisierten. Nennen wir sie Maßnahmenkritiker, die es in den unterschiedlichsten Facetten gab. Alleine die Nutzung von Masken eröffnete eine riesige Bandbreite an unterschiedlichen Meinungen, von Maske auf dem Fahrrad durch Wald und Wiese, über Maske in Innenräumen ja, außen jedoch nicht, bis hin zu „Maske bringt nichts“. Ich kenne sogar Maskenverweigerer, die jedoch keine Coronaleugner sind. Und ja, es gibt komplette Impfgegner, es gibt aber auch Impfskeptiker. Es gibt sogar Menschen, die sich impfen ließen und der Impfung dennoch skeptisch gegenüber stehen. Diese kurz angerissenen Beispiele sollen zur Verdeutlichung der Komplexität genügen, da in den letzten Jahren schon genug darüber geschrieben wurde.

Aktuell geht es mit dem russischen Angriffskrieg weiter. Bereits der Begriff der Ukraine-Krise ist unscharf, da er zu sehr die Ukraine betont und den Aggressor ausblendet. Auch mit einer solchen Begrifflichkeit werden über unsere Wahrnehmung Wahrheiten geschaffen, genauso wie mit einer gender-, migrations- oder behindertenfreundlichen Sprache. Oder nennen wir sie schlicht eine menschenfreundliche Sprache. Wir sollten also viel mehr „sagen, was ist“ und weniger Abkürzungen nehmen.

Auf der anderen Seite scheint sich das Schema aus den letzten drei Jahren zu wiederholen. Was während Corona Coronaleugner waren sind jetzt Putin-Versteher. Und in großen Teilen sind tatsächlich ähnliche Gruppierungen gemeint. Die große Gemeinsamkeit besteht jedoch offensichtlich in einer grundsätzlich kritischen Haltung dem Staat und seinen Maßnahmen gegenüber, die früher nicht so vehement geäußert wurden oder vielleicht auch nicht bestanden. Es geht also weder um Corona noch um Putin, sondern um den Staat und seine Vorgehensweise. Da Politik nicht mein Hauptgebiet ist, geht es mir hier nicht um politische Lösungen, sondern um die Sprache bzw. allgemeiner die Kommunikation.

Die Digitalisierung erfordert mehr Empathie und mehr Sprachkompetenz

Dass Medien so funktionieren liegt in der Natur der Sache. Die Maxime „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ gab es wohl schon immer, wurde in der digitalen Medienwelt lediglich extremer. Schließlich führt die digitale Globalisierung auch bei den Medien zu einem enormen Konkurrenzdruck. Leider prägt diese Denkweise unser aller Wahrnehmung und damit ebenso unsere Berufswelt, was sich auch in manchen Diskussionen auf Xing oder Linkedin verfolgen lässt. Um daraus folgende Konflikte zu vermeiden, lassen sich v.a. zwei persönliche Kompetenzen entgegen setzen: Empathie und Sprachkompetenz.

Je digitaler wir unterwegs sind, desto wichtiger wird unsere Sprachkompetenz, weil wir in einer Zusammenarbeit auf Distanz Nonverbales und Ungesagtes selbständig ergänzen müssen und daher lernen sollten, klarer zu kommunizieren. Wir brauchen daher auf der einen Seite wesentlich mehr Empathie als früher und sicherlich auch eine gute Portion Wohlwollen. Damit wird der kategorische Nörgler zu einem Menschen mit einer kritischen Haltung. Der Jammerer wir zu einem Menschen mit einer erhöhten Sensibilität. Und die Dominante wird zu einer Person mit einem starken Auftreten (ein interessantes Fallbeispiel, siehe hier).

Auf der anderen Seite brauchen wir eine genauere Sprache, die jedoch nicht nur von unserem Wortschatz abhängt, sondern zum einen von der Fähigkeit, vorwegzunehmen, wie meine Worte bei meinem Gegenüber ankommen. Zum anderen sollte ich genau wissen, was ich in der Kommunikation erreichen will. Dazu ist es hilfreich sich selbst und seine Bedürfnisse und Erwartungen gut zu kennen, ohne davon auszugehen, dass sich das erst nach und nach im Rahmen gemeinsamer Feedbackprozesse klärt. Erwartungen sollten daher so geäußert werden, dass sie genau so ankommen, wie sie gemeint sind, ohne die Möglichkeit zur Nachbesserung zu haben. Ich muss sozusagen immer davon ausgehen, dass ich nur eine Chance habe, um das mitzuteilen, was mir wirklich wichtig ist.

Nehmen wir zur Verdeutlichung ein banales Beispiel: Zwei Mitarbeiter arbeiten eng zusammen – auch auf Distanz. Mitarbeiter A schreibt an Mitarbeiter B „Wir sollten reden“. Um zu klären, wie diese schwammige Aussage bei B ankommt, gibt es seit gefühlten Uhrzeiten das Modell des 4-öhrigen Empfängers:

  • Neben der Sachinformation könnte B die Nachricht als Befehl auffassen: Ruf mich an!
  • Oder als Beziehungsaussage: Wir sind ein Team und sollten uns mal wieder austauschen. Oder auch: Ich bestimme, dass du mich anrufst, weil ich höher stehe als du.
  • Oder als Ich-Aussage von A: Ich komme nicht weiter. Ruf mich bitte an.

In Präsenz ist eine solche Aussage schnell geklärt. Auf Distanz hängt es von der Geschichte zwischen A und B ab, ob sich daraus ein Drama entwickelt oder nicht. Ist die Geschichte negativ, wird sich B denken: Der kann mich mal, soll er doch selber anrufen, wenn er was von mir braucht. Mir geht es gut. Mit einer möglichst klaren Nachricht wäre das nicht passiert.

Was lernen wir daraus?

Die Konzepte für eine gelungene Kommunikation sind vorhanden. Das 4-Ohren-Modell ist hier nur ein kleiner, bekannter Ausschnitt daraus. Meist werden diese jedoch „nur“ an Führungskräfte vermittelt. Wünschenswert wäre es also, allen Mitarbeiter*innen Kommunikationstrainings nahezulegen, so wie früher zum Thema Zeitmanagement. Mittlerweile werden viele Kommunikationskonzepte bereits in der Schule vermittelt. Eine Auffrischung kann vermutlich dennoch nicht schaden.