Tolerant zu sein kann eine Identität ausmachen. Intoleranz ebenso. Wenn wir Diversity ernst nehmen, müssten multiidentitäre Tolerante die Intoleranten akzeptieren, während die identitären Intoleranten alles hassen, was sie nicht selbst sind. Doch wie sieht es mit Respekt aus?
Respekt speist sich daraus, zu jemandem aufsehen zu können. Es respektabel finden, was jemand leistet. Meist hat dies mit Dominanz zu tun. Und Dominanz lässt sich auf dreifache Weise zeigen:
- Humor: Das ist ja lachhaft!
- Gelassenheit: Aufgrund meines Wissens und Könnens bin ich da ganz entspannt.
Zusammengefasst bietet eine Heitere-Gelassenheits-Einstellung den Vorteil, Angriffe abprallen zu lassen, ohne sich damit auseinandersetzen zu müssen.
Ein tiefenentspannter Aikidomeister lässt die Aggression seines Gegenübers ins Leere laufen. Das bringt ihm den Respekt seines Gegners ein. Wer jedoch mit voller Wucht in der Hoffnung auf Widerstand gegen eine Nebelwand rennt, fällt auf die Nase. Das ist schmerzhaft. Gibt es Zuschauer, erntet er zusätzlich Spott und Häme, was seine Wut noch potenziert.
In diesem Moment darf er Respekt, selbst wenn er ihn hätte, nicht mehr zeigen. Zum Erhalt seines Selbstwerts muss er den Gegner diffamieren. Er wird ihm unlautere Mittel vorwerfen. Lug und Trug.
Vielleicht wollte der Aikidomeister seinen Gegner sogar schützen. Doch da die Nachricht einer Botschaft immer der Empfänger bestimmt, ist die Absicht irrelevant. Wird Heitere Gelassenheit als Arroganz wahrgenommen, kann ich es noch so gut gemeint haben.
Die 3. Möglichkeit, sich Respekt zu verschaffen, ist der ‘ehrliche’ Kampf. Ohne Tricks und doppelten Boden. Wer Reibung erwartet und Reibung bekommt, wird zufrieden sein.
Man könnte sich entspannt zurücklehnen, wenn die Trumps, Höfers, Petrys, Höckes, LePens, Putins und Erdogans der Welt ehrliche Kämpfer wären. Die seeligen Jahre für Privilegierte würden zuneige gehen. Die Stunde des kleinen Mannes und der kleinen Frau würden nun schlagen. Nur fair. Doch wer postfaktische Fake News (für die Google-Suchmaschine: Fake News Fake News Fakes News postfaktisch postfaktisch postfaktisch) einsetzt, geht kaum als ehrlicher Kämpfer durch. So mancher Populist erinnert eher an den freundlichen, charmanten und wortgewandten Parteifunktionär O’Brien aus 1984 von George Orwell. Das Ministerium für Wahrheit kreierte ebenso seine eigenen Fakten.
Um dem etwas entgegen zu setzen, reicht kluge Gelassenheit nicht mehr aus. Es braucht ehrliche Kämpfer, einen Gysi, Brandt oder Schlingensief. Streitbare Menschen ohne Zeigefinger, mit Macken, Fehlern und Humor. Helden, die ohne eisiges Kalkül aus der Reihe tanzen. Trinker, Raucher, Charmeure. Echte zerrissene Helden, die dennoch den Mut haben, für Ihre Ziele zu streiten. Ob die Gesellschaft solch streitbare Helden noch aushält, ohne sie sofort medial in der Luft zu zerpflücken? Vielleicht ist es nicht die politische Korrektheit, die uns schadet, sondern deren Folge, dass sich niemand mehr traut, unpopulär in seinem Denken zu sein. Als Selbsttest gegen Langeweile empfehle ich, auf facebook einen der folgenden Posts zu erstellen:
Beginnen wir mit einem harmlosen Tabu:
- Ich mag Beamte.
Spannender wird es damit:
- Ich habe meine Kinder nicht impfen lassen. Steigerung: Stattdessen behandle ich sie mit homöopathischen Mitteln.
- Ich bin gegen Abtreibungen. Steigerung: Ich finde es super, wenn Frauen 5 Kinder oder mehr in die Welt setzen.
- Gentrifizierung hat auch seine guten Seiten. Steigerung: Ich mag Banker.
… bis zum Highlight:
- Ich rauche vor meinen Kindern. Steigerung: Am Küchentisch.
Zur weiteren Vertiefung:
- Reinhard Kreissl – Feinde
- Matthias Horx: Anleitung zum Zukunftsoptimismus.
Wollen Sie den anschließenden Shitstorm wieder beenden, suchen Sie sich zwei Quellen im Internet heraus: Eine, die ihre Meinung stützt und eine, die sie widerlegt. Wenn Ihr Schlusskommentar auf mindestens 10 Zeilen die komplexe Dualität des Themas darlegt, hat niemand mehr Lust, weiterzufeuern. Das Leben ist kompliziert und wir stecken irgendwo dazwischen.
Auch wenn sich Populisten damit brüsten, unpopuläre Meinungen zu äußern, liegt der Fall doch anders. Würden sie diese Meinungen auch äußern, stünde der Zeitgeist nicht auf ihrer Seite? Sind Populisten wirklich mutig? Ist es mutig, eine Stimme für die schweigende Mehrheit darzustellen?
Populisten sind sich immer zu 100% sicher. Immer! Zu 100%! Doch wer ganz und gar weiß, was in der Zukunft passieren wird, lügt. Ich selbst habe keine Ahnung. Ich war noch nicht da. Man möge ihm zurufen: Wir haben beide keine Ahnung! Es geht aber auch weniger darum, die Welt zu erklären, sondern mehr darum, zu lernen mit der Ahnungslosigkeit umzugehen.
Eine Strategie, damit umzugehen, ist eine Heitere Gelassenheit. Der Zweifel und das Unwegbare gehören zum Leben wie das Salz in die Suppe. Zweifeln macht uns menschlich. Doch über sich selbst, seine Fehler und Zweifel zu lachen, geht jedem Populisten ab. Oder kennen Sie einen humorvollen Populisten? Trotz aller Streitbarkeit ist Gysi ist ein amüsanter Redner. Brandt sagte: Die besten Reden sind die, die nicht gehalten werden. Die zweitbesten sind die scharfen, die drittbesten die kurzen. Und Schlingensief notierte sich selbst Schulnoten und amüsante Kommentare zu den oft sehr kritischen Kritiken zu seinen Filmen.
Wer der Unsicherheit über komplexe Zusammenhänge mit einfachen Lösungen begegnet, gibt vor, die Zukunft zu kennen, ohne Zweifel, ohne Wenn, ohne Aber. Doch wer die Zukunft kennt, könnte in der Wirtschaft mehr Geld verdienen als in der Politik. Außer natürlich, er will die Welt zu einem besseren, menschenfreundlicheren Ort machen.
Eine weitere Möglichkeit, mit Unwägbarkeiten umzugehen, ist die Berufung auf Werte: Respekt, Menschenfreundlichkeit, Toleranz, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Optimismus, Vertrauen, Freiheit, Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens, Verantwortung, Frieden, Nachhaltigkeit, Demut, Ehrlichkeit, Achtsamkeit.
Vielleicht sind gemeinsame Werte der einzig wahre Grund zu kämpfen.