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Für einen cleveren Umgang mit der Motivation von Einzelpersonen und Teams

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Ein beinahe uralter Trick aus dem systemischen Denken ist die Unterteilung einer Sache in verschiedene Bausteine, um genauer zu wissen, wo die Probleme wirklich liegen und entsprechend anzupacken. Eines dieser Probleme ist der Wille etwas zu tun, dem sich der Psychotherapeut Roberto Assagioli in den 1970er Jahren annahm. Assagioli war der Begründer der Psychosynthese, einer Therapierichtung, die heutzutage kaum noch jemand kennt, jedoch vieles vorweg nahm, was später durch neurobiologische Verfahren bestätigt wurde. Übertragen wir den Willen in unsere Zeit, erscheint der Begriff der Motivation allerdings passender und neutraler.

7+1 Bausteine des Willens

Assagioli unterschied 7 Bausteine des Willens. Auf den ersten Blick scheinen manche dieser Bausteine in die gleiche Kategorie zu gehören. Ausdauer und Disziplin zum Beispiel oder Mut und Entscheidungsfreude. Nach näherer Betrachtung ist es jedoch sinnvoll, bei diesen 7 Bausteinen zu bleiben. Auch wenn diese verschiedenen Blickwinkel auf unsere Motivation nicht getrennt voneinander funktionieren. Habe ich Mut, ist auch mein Energielevel höher. Kann ich mich schlecht von etwas Nicht-Gewähltem trennen, leidet vermutlich auch meine Konzentrationsfähigkeit:

  1. Überblick: Der Überblick über die eigenen Aufgaben und Möglichkeiten ist essentiell, um zu planen, organisieren, Prioritäten zu setzen und später Erfülltes wieder im Gesamtkontext zu sehen und zu integrieren. Der Überblick ist daher zu Beginn und am Ende wichtig.
  2. Mut und Initiative: Ab und an werden wir mit Möglichkeiten und Tätigkeiten konfrontiert, die komplett neu sind. Wir wissen nicht, was dabei herauskommt und ob es Schwierigkeiten geben wird. Wir bewegen uns ins Offene.
  3. Entscheidungsfreude: Bei der Entscheidungsfreude geht es weniger um etwas komplett Neues – obwohl das auch ein Aspekt sein kann – sondern um die Entscheidung zwischen zwei oder mehr Optionen. Wir sollten uns daher von den nicht gewählten Optionen ohne Groll trennen können, im Bewusstsein, dass wir im Leben nicht alles haben können.
  4. Energie: Jeder Mensch geht zwar mit einer persönlichen Grundenergie durch das Leben. Diese kann jedoch durch ein spannendes Projekt nach oben steigen. Ist die persönliche Energie sehr niedrig, kann dies durch eine große Ausdauer ausgeglichen werden. Ich kann ein Buch in 3 Monaten oder in 3 Jahren schreiben. Manchmal ist es auch gut, sich Zeit zu lassen und seine Energie einzuteilen.
  5. Konzentration und Fokussierung: Nach dem Überblick, dem Wagnis, ein neues Projekt anzugehen und der Entscheidung für und gegen etwas sollten wir uns ganz und gar auf das Angestrebte konzentrieren.
  6. Ausdauer: Manche Projekte lassen sich mit viel Energie schnell durchziehen. Andere brauchen einen langen Atem und die Beharrlichkeit, dran zu bleiben und sich nicht abbringen zu lassen. Schwierige Gespräche beispielsweise lassen sich langfristig effektiver mit Beharrlichkeit als mit dem Holzhammer durchführen.
  7. Disziplin: Während sich Ausdauer eher auf die Zeit an sich bezieht, strebt die Disziplin die Erhöhung der Qualität einer Tätigkeit an, indem sie die eigene Impulsivität beherrscht. Dies lässt sich gut an Sportarten verdeutlichen: Für manche Sportarten, bspw. einen Marathon, brauche ich mehr Ausdauer als Disziplin. Es ist nicht wichtig, ob ich schön laufe, sondern lediglich mit einer guten Zeit ins Ziel zu kommen. In anderen Sportarten, bspw. Fußball oder Turnen, brauche ich zusätzlich Disziplin. Beim Fußball kommt es darauf an, eine Ecke wieder und wieder zu üben, bis sie perfekt auf einem freundlichen Kopf landet. Und beim Turnen bekomme ich Punkte für perfekte, elegante Bewegungen. Ich muss also lernen, etwas nicht irgendwie, sondern auf eine bestimmte Weise zu tun.

Mir persönlich fehlt bei den Bausteinen ein weiterer Punkt:

8. Durchsetzung: Wie gehe ich mit Widerständen um? Wie verteidige ich meine Entscheidung gegen andere?

Motivation als Thema von Mitarbeitergesprächen

Aus psychologischer Sicht haben wir mit diesen 8 Aspekten der eigenen Motivation eine großartige Möglichkeit, zu untersuchen, woran es liegt, dass Mitarbeiter*innen motiviert sind oder nicht:

  1. Hast du einen Überblick über deine Tätigkeiten und weißt, welche Möglichkeiten du zum Handeln hast?
  2. Wie leicht fällt es dir auf einer Skala von 1-10, etwas Neues auszuprobieren? Wobei ab 11 der Übermut beginnt.
  3. Wie leicht / schwer fällt es dir, dich von dem Nicht-Gewählten zu trennen?
  4. Wie hoch ist dein Energielevel bei diesem Thema auf einer Skala von 1-10?
  5. Wie leicht / schwer fällt es dir, für eine bestimmte Zeit alles andere auszublenden und dich voll und ganz auf dein Thema zu konzentrieren?
  6. Wie leicht / schwer fällt es dir, solange an der Aufgabe dran zu bleiben, bis sie erledigt ist, insbesondere wenn es länger dauert. Denkst du, die Aufgabe ist eher eine Kurz- oder Langstrecke?
  7. Glaubst du, die Aufgabe erfordert es, sich in Feinheiten einzuarbeiten oder geht es eher darum, sie zackig umzusetzen? Hast du Lust darauf, die Tätigkeit so lange zu verfeinern, bis sie perfekt ist, wenn es sinnvoll erscheint?
  8. Wie leicht / schwer fällt es dir, dich gegen äußere Widerstände argumentativ durchzusetzen?

Auf der Teamebene

Auch auf der Teamebene bieten diese 8 Aspekte der Motivation gute Ansätze zur Diskussion und Aufgabenverteilung:

  • Haben wir alle einen umfassenden Überblick über das Anstehende?
  • Welche (Teil-)Aufgaben erfordern einen gewissen Mut und wem fällt es leicht, sich darauf einzulassen?
  • Wogegen entscheiden wir uns und wie schwer fällt uns das?
  • Wie hoch ist unser Energielevel bei dem anstehenden Projekt?
  • Welche (Teil-)Aufgaben könnten länger dauern und wer bringt die entsprechende Ausdauer mit?
  • Welche (Teil-)Aufgaben müssen kurz und knackig erledigt werden und wer fühlt sich dafür geeignet?
  • Welche (Teil-)Aufgaben erfordern eine gewisse Lust an Perfektion und wer bringt die entsprechende Disziplin dazu mit?
  • Welche (Teil-)Aufgaben erfordern lediglich eine Erledigung ohne Schnörkel und wer fühlt sich dazu berufen?
  • Müssen wir unsere Entscheidungen nach außen rechtfertigen? Wenn ja, was brauchen wir dafür und wie leicht wird uns das fallen?

Wir sehen also, dass v.a. die Aspekte der Initiative, Energie, Ausdauer und Disziplin individuelle Kompetenzen erfordern, während der Überblick, die Konzentration, Entscheidungs-freude und Durchsetzung eher Gesamt-Team-Themen sind.

Auf Team-Ebene lässt sich zudem elegant mit einer Motivations-Canvas arbeiten:

Literatur:

Roberto Assagioli – Die Schulung des Willens

Warum wir zwingend ein positive Sicht auf die Welt brauchen

Wer sich derzeit in der Welt umsieht, scheint beinahe nur noch mit Negativem konfrontiert zu sein. Europa bereitet sich auf einen Handelskrieg mit den USA vor und gleichzeitig auf die Gefahr, die seit den Hunnen aus dem Osten zu kommen scheint (Literaturempfehlung über Ur-Ängste und Konflikte: Ralf Langejürgen – Entfasziniert euch!). Die Belastung in deutschen Organisationen erreicht beinahe wöchentlich neue Hochstände. Aber lassen wir das. Sie kennen die Hiobsbotschaften.

Intuition als Überlebensfaktor

Unsere Wahrnehmung hat einen guten Draht zu unserem Bauchgefühl. Das wiederum sagt: Es ist schlimm und wird eher noch schlimmer. Und der Austausch mit anderen macht es meist noch schlimmer, weil unser Gehirn lieber nach Bestätigung sucht als nach Korrektur.

Aus Urzeiten wissen wir: Wer im Wald einem potentiell gefährlichen Tier begegnet, denkt nicht lange nach, um zu überleben. Mit weitreichenden Konsequenzen:

  • Wer regelmäßig wilde Tiere kontaktet, weiß (intuitiv) was zu tun ist.
  • Wer zum ersten Mal in seinem Leben eine solche Erfahrung macht, verfügt über keine adequate Lösung.

Ein Mensch ohne Erfahrung spielt folglich Roulette mit einer 1 zu 4-Chance (totstellen, wegrennen, angreifen oder ruhig auf den potentiellen Angreifer einreden). Als Mediator würde ich vermutlich intuitiv auf meine sanfte Mediatoren-Stimme umstellen und hoffen, dass die autditiv-hypnotischen Schwingungen auch bei Nicht-menschlichen Organismen funktionieren. Alles andere läge mir sowieso fern. Aber ob es funktioniert? Keine Ahnung.

Intuition als schnelles Analyse-Tool

Genauso geht es uns allen in Situationen, die wir nicht kennen. Wir sollten schnell handeln, wissen jedoch nicht wie. In solchen Situationen kann unsere Intuition als schnelles Analysetool hilfreich sein. Ein Garant für ein erfolgreiches Handeln ist sie jedoch nicht. Ein Beispiel: Sie sprechen mit einem Mitarbeiter, der Sie vermeintlich „angreift“. Ihre Inttuition flüstert Ihnen folgende Assoziationen ein:

  • eher ein Fuchs als ein Bär oder Wolf
  • er könnte mich hintergehen
  • bloß nicht den Rücken zukehren
  • nicht zu viele Freiräume lassen
  • usw.

Sie können solche intuitiven Übungen freilich mit verschiedenen Tieren durchspielen. In meinen Seminaren tauchen ab und an Aale (glitschig, gleitet einem durch die Hände), Elefanten (schwer zu etwas zu bewegen) oder Platzhirsche (der verteidigt vehement sein Revier) auf. Aber auch andere intuitive Metaphern wie „mein Kindergarten“ oder „Hühnerhaufen“ sind sehr beliebt. Vermutlich entstand aus einem solchen intuitiven Impuls die Idee von Eric Berne, kommunikative Dynamiken in der Transaktionsanalyse zwischen Eltern und Kindern zu untersuchen.

So wertvoll solche intuitiven Analysen sein können, bringen sie doch drei Probleme mit sich:

  1. Mangelnde erfahrungsbasierte Intuition: Wir kennen uns häufig nicht mit solchen Ausnahmesituationen aus, da Führungskräfte eben nur einen Aal, einen Wolf und einen Elefanten im Team haben und kein Dutzend davon. Deshalb ist unsere erfahrungsbasierte Intuition in Ausnahmesituationen überfordert und greift v.a. auf einfache Strategien wie Angriff, Verteidigung oder Aussitzen zurück.
  2. Tendenz zum Negativen: Sie betonen das Negative stärker als das Positive, weil der Mensch in Belastungs- und Bedrohungs-Situationen auf Überleben gepolt ist. Aus der möglicherweise bedrohlichen Ausgangssituation entsteht logischerweise nur eine negative Möglichkeit, damit umzugehen. So erfolgt aus der Analyse, einem Aal gegenüber zu stehen, logischerweise, diesen in einem kleinen Becken zu halten und irgendwie „dingfest“ zu machen. Produktiv sieht anders aus.
  3. Wirklichkeitskonstruktion: Intuitive Analysen sind häufig nicht wertschätzend und daher nicht für einen Austausch mit der betreffenden Person geeignet. Wer mag schon von seiner Führungskraft als Kindergarten oder Wolf bezeichnet werden. Sollte Sie dennoch kommunikativ mit solchen schnellen Analyse arbeiten, können sogar Wirklichkeiten festgeschrieben werden, die zuvor noch gar nicht bestanden. Plötzlich verhält sich der Elefant tatsächlich wie ein Elefant.

Auf Milton Erickson geht der Satz „energie flows, where concentration goes“ zurück. So kann es sein, dass sogar ein Zu-spät-Kommen zu Teamsitzungen umso häufiger wird, je mehr Aufmerksamkeit Sie diesem Phänomen widmen.

Dieses Phänomen lässt sich auch gesamtgesellschaftlich beobachten:

  • Es kann sein, dass Russland Europa eines Tages angreift. Ob die beinahe schon obsessive Beschäftigung mit Krieg in den Medien dies verhindert, wage ich jedoch zu bezweifeln. Doch so wie der Konflikt- ist offensichtlich auch der Kriegs-Hund sehr hungrig und will gefüttert werden. Der Versöhnungs- und Friedens-Hund scheint dahingegen ein eher bescheidener Genosse zu sein.
  • Es kann sein, dass manche Vetreter*innen der jungen Generation nicht mehr so viel arbeiten wollen wie die Generationen zuvor. Es kann aber auch sein, dass sie noch auf der Suche nach einem guten, eigenen Weg durch den Dschungel sind zwischen einem erfüllenden Job und nach Corona endlich das Leben genießen.

Kurzum: Aufgeregt haben wir uns schnell, weil irgendeine Stimme uns ein schnelles Urteil einflüsterte. Aber ob diese Stimme recht hat?

Intuition als Möglichkeitssinn

Von Robert Musil (Der Mann ohne Eigenschaften) stammt der schöne Begriff des Möglichkeitssinns. Eines Sinns, der in die Zukunft weist, der fantasiert und hofft und damit positiver denkt als unsere Analyse-Intuition. Der Fokus einer solchen Möglichkeits-Intuition sollte jedoch von unserem Gegenüber weg- und zu uns selbst hingehen. Sie nehmen dann den Elefanten, Fuchs oder Kindergarten zwar wahr. Diesen können Sie jedoch ohnehin nicht verändern. Verändern können Sie nur sich selbst. Dazu brauchen Sie jedoch das Gegenstück Ihres Gegenübers. Wer also sind Sie, wenn Ihr Gegenüber ein Elefant, Fuchs oder Kleinkind ist? Ein*e Dompteur*in, Waldhüter*in oder Kindergärtner*in? Oder sehen Sie sich als etwas anderes? Vielleicht ja als Chef*in eines Rudels, als Gefährt*in oder als Anleiter*in für kleine Kindergarten-Wissenschaftler*innen? Und wie können Sie aus dieser intuitiven Figur heraus die Realität positiv beeinflussen?

Eine Anleitung zur intuitiven Veränderung der Wirklichkeit

Aufbauend auf diesen Gedanken lassen sich vier bzw. fünf Schritte zur Veränderung der Wirklichkeit festschreiben:

  1. Intuitive Analyse Ihres Gegenübers: Beispiele: Mein Gegenüber ist wie ein lauernder Wolf, der mich bedroht. Oder: Mein Gegenüber ist wie ein Aal, der mir durch die Finger gleitet. Oder: Mein Gegenüber ist wie ein Maulwurf, der sich in Winderseile versteckt, wenn ich komme. Welches Bild fällt Ihnen von Ihrem Gegenüber spontan ein?
  2. Intuitive Selbstreflexion IhrerErst-Reaktion: Ich passe schlimmstenfalls in sein Beuteschema. Angriff oder Verteidigung! Oder: Der Aal darf nicht zu viele Spielräume haben (kleines Becken), um ihm habhaft zu werden. Oder: Ich muss den Maulwurf los werden, bevor mein Garten ruiniert ist. Wie reagieren Sie intuitiv?
  3. Entscheidung für eine wunsch-intuitive eigene Wirklichkeit: Ich weigere mich, Beuteschema zu sein oder Aalzüchter*in oder Gärtner*in und entscheide mich für einen anderen Gegenpart, bspw. als Gefährt*in, um dem Wolf respektvoll auf Augenhöhe zu begegnen und die jeweiligen Kompetenzen zu ergänzen, in diesem Fall Cleverness und Weitblick. Oder ich akzeptiere den Maulwurf als Eigenbrötler und versuche ihn ab und an (Nachts, wenn alle anderen weg sind?), aus seinem Bau zu locken. Oder ich vertraue darauf, dass der Aal einen eigenen Kompass hat. Wer könnten oder wollen Sie sein, um eine neue Wirklichkeit herzustellen?
  4. Möglichkeitenin gewünschte Bahnen lenken: Ich übersetze meine Wunsch-Intuition in realistische Sprache und bahne damit eine neue Wirklichkeit: „Ich habe das Gefühl, wir könnten uns gut ergänzen. Du bist clever (wie ein Fuchs) und ich habe den Überblick über die kommenden Projekte. Bist du dabei?“ Oder: „Wann wäre eine gute Zeit, sich in Ruhe über Ergebnisse auszutauschen?“ Oder: „Mich würde interessieren, wie dein innerer Kompass aussieht“. Was könnten Sie Ihrem Gegenüber konkret sagen, um eine neue, kooperative Begegnung zu ermöglichen?
  5. Intuitive Wunschvision des Gegenübers fördern: In Coachings oder intensiven, vertrauensvollen Mitarbeitergesprächen bietet es sich zudem an, die intuitive Wunschvision des Gegenübers bspw. mit inneren Bildern oder Bildkarten zu fördern. Dies sollte jedoch losgelöst vom eigenen Bild des Fuchses, Elefanten, etc. stattfinden, um neurobiologische Vorbahnungen zu verhindern. Das Züricher Ressourcenmodell (ZRM) greift dabei auf Bildkarten zu Bergbesteigungen (anstrengend, aber lohnend), Flugzeugen (hoch hinaus), Krieger (ungeahnte Kräfte), Löwen (Stärke), bemalte Gesichter (Vielfalt), helfende Hände (Unterstützung), Apfelbäume (Ernte) oder Jogger (Ausdauer) zurück, um unbewusste Ziele ans Licht zu bringen.

Mit diesem Schema kommen Sie von einer ersten intuitiv-negativen auf eine zweite, produktivere und mit Sicherheit realistischere Sicht auf die Welt oder Ihr Gegenüber.

Literatur: Bernd Schmid – Intuition und Professionalität

Gibt es ein gutes Leben im falschen?

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Wir leben zwar nicht im Nationalsozialismus, der Grund für Theodor Adorno war, über diese Frage nachzudenken. Dennoch lohnt es sich, auch in unserer Zeit darüber zu philosophieren. Anlass für mich sind Inhouse-Seminare im öffentlichen Dienst, in denen es beinahe jedes mal um die Frage geht, wie viel Einfluss Führungskräfte überhaupt haben in einem trägen bürokratischen System, das zudem von politischen Entscheidungen geprägt ist. Auf der anderen Seite nimmt das Lamentieren von Bürger- und Mitarbeiter/innen über Missstände immer mehr zu, obwohl früher mit Sicherheit nicht alles besser war. Viele Menschen haben offensichtlich das Gefühl, in einem mehr oder weniger schwierigen System zu leben.

Letzter Auslöser für mich, über ein gutes Leben im falschen nachzudenken war der Film „Der Passfälscher“, in dem sich ein junger jüdischer Passfälscher in der Nazizeit mit Sorglosigkeit und Frechheit immer wieder aus scheinbar ausweglosen Situationen heraus manövriert und entgegen aller Wahrscheinlichkeit im Gegensatz zu vielen anderen überlebt. Der Film ist aktuell (Stand 18.05.2024) bei Arte zu sehen. Die Hauptfigur des Films, Cioma Schönhaus, ließe sich wohl als Trickster bezeichnen. Die Figur ist nicht nur positiv belegt. Cioma bringt seine Mitmenschen mit seiner Sorglosigkeit durchaus in Bedrängnis, was v.a. für diejenigen gefährlich ist, die die Gabe nicht mitbringen, sich schlagfertig aus kritischen Situationen herauszuquatschen. Gleichzeitig fälscht er über 300 Pässe und verschafft damit all diesen Menschen eine Überlebenschance. Auch wenn er seine ersten Pässe mit einer gewissen Sorglosigkeit fälscht, um auszuprobieren, ob er das Fälschungshandwerk beherrscht – er wäre gerne Kunstmaler geworden – ohne sich die Konsequenzen eines verwaschenen Stempels oder anderer kleiner Fehler bewusst zu machen, ist es genau diese Haltung, die ihn dazu bringt, es zu versuchen und nach und nach immer besser zu werden. Solange, bis sein Auftraggeber ihm eines Tages sagt, dass seine aktuelle Fälschung nun endlich ein kleines Kunstwerk ist. Cioma freut sich über dieses Lob, wobei es unklar bleibt, ob er sich mehr für sich selbst freut oder wirklich die Konsequenzen seines Handelns im Blick hat, die über die Fälschung eines Passes für ihn selbst und einen Freund hinaus geht. Doch selbst wenn er sich lediglich über eine großartige Leistung freut, hat sein Handeln für viele andere Menschen positive Folgen.

Die spannendste Person in dem Film ist jedoch seine Vermieterin, die sich grundsätzlich streng an die Vorschriften hält, Cioma aber im Zweifel unterstützt. Cioma fällt es aufgrund seiner Trickster-Natur leicht, ein gutes Leben im falschen zu führen. Er scheint kaum fähig zu sein, Angst zu haben. Seiner Vermieterin jedoch fällt es sichtbar schwer. Sie hadert mit sich und entscheidet sich dennoch im entscheidenden Moment für die Menschlichkeit.

Welche Lehren können wir daraus für unseren Alltag ziehen?

  1. Reflexion über den eigenen Einfluss: Wir sollten uns unsere Rolle und Möglichkeiten in einem System bewusst machen. Neulich hatte ich ein Seminar für stellvertretende Führungskräfte. Als wir reflektierten, welchen Einfluss sie haben, auch wenn sie „nur“ im Vertretungsfall Entscheidungen treffen, wurde klar, dass ihr Einfluss größer ist als manche dachten. Als Vermittler*innen zwischen Management und Mitarbeiter*innen nehmen sie eine wichtige Zwischenposition ein und sind vor allem als Dolmetscher und emotionale Seelsorger tätig. Sie beraten ihre Abteilungsleitung im Umgang mit den Mitarbeiter*innen und die Mitarbeiter*innen im Umgang mit der Abteilungsleitung. Auch wenn sie Strukturen im System nicht unbedingt verändern, haben sie einen enormen Einfluss auf das System. Genauso wie Ciomas Sorglosigkeit für sein Umfeld mitreißend ist, können diese stellvertretenden Führungskräfte den Optimismus in ihren Teams hochhalten oder bei Beschwerden vermittelnd tätig werden.
  2. Intuitives Agieren im Jetzt: Damit dies gelingt und die Frustration über einen mangelnden Einfluss nicht überhand nimmt, ist es wichtig, nicht immer an die Konsequenzen des eigenen Handelns zu denken, sondern sich auf ein menschliches Miteinander in konkreten Begegnungen zu konzentrieren. Denken wir zu viel an die Zukunft, könnten Ängste und Sorgen überhand nehmen. Cioma beginnt mit seinen Fälschungen, obwohl er insgeheim weiß, dass ein schlecht gefälschter Pass ein Todesurteil sein kann. Er verteilt Essensmarken, ohne an seinen eigenen Hunger zu denken. Und seine Vermieterin denkt im entscheidenden Moment nicht an ihr eigenes Leben, sondern vertraut auf ihr Bauchgefühl. Auch in unserem Alltag sollte ab und an die Devise gelten nicht lange nachzudenken, sondern das zu machen, was sich richtig anfühlt. Wenn wir das beherzigen – immerhin geht es bei uns nicht um Leben oder Tod – ist auch ein gutes Leben in schwierigen Strukturen möglich.

Kritisch denken, optimistisch handeln

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In einer Welt voller Ungerechtigkeiten stelle ich mir regelmäßig die Frage, ob ich lieber pessimistisch oder optimistisch sein sollte. Soll ich pessimistisch sein, um den Antrieb zu haben, etwas zu verändern? Oder optimistisch, weil ich ansonsten depressiv werde und der Pessimismus (Stichwort: Deutschland geht unter) uns alle stimmungsmäßig nach unten zieht?

Neulich bin ich über einen Satz den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci gestoßen: Pessimismus des Denkens und Optimismus des Willens. Ein schöner Satz, der dieses Dilemma auf den Punkt bringt: Immer schön skeptisch bleiben, aber gleichzeitig an Veränderungen glauben. Sich also nicht in seinem Pessimismus suhlen, sondern eine negative Sicht auf die Welt zum Anlass nehmen, etwas zu verändern.

Leider ist es nicht ganz so einfach. Genau genommen sind sogar manche Pessimisten verkappte Optimisten, wenn sie davon schwadronieren, wie degeneriert die Welt ist, wir jedoch einiges dafür tun können, die Menschheit noch zu retten, beispielsweise durch die Entwicklung eines neuen, gesunden Menschen, inklusive Konzentrationslagern, Gulags und Euthanasieprogrammen. Ein solcher teleologischer, zielfokussierter Optimismus auf der Basis eines extremen Idealismus ist selbstredend gefährlich. Doch auch im Kleinen kann zu viel Optimismus schädlich sein, wenn wir daran glauben, die Welt zu beherrschen. Dass Ingenieure aus Dubai Regen machen können, mag eine feine Sache für den Wüstenstaat sein. Die langfristigen Folgen jedoch sind kaum abschätzbar. Auch der Optimismus hinter einer Zero-Covid-Vision ist nicht durchzuhalten ohne umfassende soziale Kollateralschäden. Kritische Stimmen sind bei zu hohem Idealismus zudem eher unerwünscht.

Der Philosoph Karl Popper entwickelte daher den Kritischen Rationalismus als skeptischen Regulator gegenüber den negativen Auswüchsen eines überbordenden Zukunftsoptimismus. Tatsächlich ist ein kritischer, aufgeklärter und damit im Grund pessimistischer Geist das zentrale, regulierende Element gegen einen Optimismus, der zu sehr von sich überzeugt ist und aufgrund seiner blinden Flecken in sein eigenes Verderben rennt. Optimismus sollte daher immer offen und konstruktiv sein.

Nehmen wir Optimisten und Pessimisten genauer unter die Lupe haben wir es mit zwei Arten von Pessimisten und zwei Arten von Optimisten zu tun:

  • Defensive Pessimisten, typische Jammerer, setzen in sich selbst geringe Erwartungen in der Hoffnung nicht enttäuscht zu werden. Glücklich sind sie dennoch nicht.
  • Aggressive Pessimisten, typische Grantler und Nörgler, stehen Neuerungen skeptisch gegenüber und wollen auch ihr Umfeld davon abbringen, etwas Neues auszuprobieren. Während defensive Pessimisten grundsätzlich von der eigenen Inkompetenz ausgehen, fühlen sich aggressive Pessimisten wohl in ihrer Rolle des Mahners. Sie haben sich mit dem Status Quo arrangiert und fühlen sich in dem, was sie tun und können kompetent. Diese Kompetenz würden sie am Ende einbüßen, wenn sie sich anpassen müssten.
  • Naive Optimisten glauben daran, dass alles möglich ist, wenn man nur fest genug daran glaubt. Für jemanden, der es sich wie Elon Musk leisten kann, Millionen von Dollar in die Luft zu pusten, mag dies eine gangbare Strategie sein. Für die meisten von uns könnte dies in den Ruin führen.
  • Realistische Optimisten schließlich haben eine positive Vision von ihrer Zukunft, wissen aber auch, dass zu deren Erreichen eine Menge Arbeit gehört. Skeptische und damit kritische Stimmen sind hier eindeutig erwünscht.

Spielen wir die vier Typen anhand einer chronischen Krankheit durch:

Ein defensiver Pessimist mit einer schweren Krankheit meidet jegliche Konfrontation mit der Krankheit. Er verschließt die Augen und schont sich weitgehend, verbietet sich jedoch Mut machende Momente im Leben, weshalb er mit seiner Krankheit dahindümpelt.

Ein aggressiver Pessimist mit einer schweren Krankheit gibt sich auf und erhöht dadurch das Risiko, tatsächlich an seiner Krankheit zu sterben. Er sagt sich: „Jetzt ist es eh schon egal“ und achtet nicht mehr auf eine gesunde Lebensweise.

Ein aggressiver Optimist mit einer schweren Krankheit versucht alles, um seine Krankheit zu bezwingen. Eine klare Strategie steht jedoch nicht dahinter. Vielleicht landet er einen Glückstreffer bei einer Wahrsagerin oder auch nicht.

Ein realistischer Optimist mit einer schweren Krankheit hingegen glaubt fest daran, wieder gesund zu werden, weiß jedoch, dass dazu eine gesunde Ernährung, liebevolle gute Freunde und eine maßvolle sportliche Betätigung nicht die schlechtesten Rezepte zur Genesung sind.

Das gleiche gilt für alle Bereiche des Lebens: Wer Erfolg im Leben und im Beruf haben will, sollte fest daran glauben und sich dann einen Plan zur Zielerreichung machen. Klappt es nicht, sollte ich aus meinem Scheitern zumindest etwas gelernt haben.

Es geht also nicht darum, Optimisten gegen Pessimisten auszuspielen, wie es in dem alten Witz heißt: Der Optimist meint, wir leben in der besten aller Welten, worauf der Pessimist entgegnet, dass das wohl stimmt. Stattdessen sollten wir uns fragen, ob wir in der besten aller vorstellbaren Welten leben. Oder um noch einmal mit Antonio Gramsci zu sprechen: Kritisch denken und optimistisch handeln. Würden wir nicht daran glauben, etwas in der Welt zu verbessern, wären wir kein Optimist. Das kritische Denken jedoch hilft uns dabei, Verbesserungspotentiale überhaupt zu erkennen.

Dieser Artikel wurde in leicht veränderter aus dem eBook „Wie kompetent muss ich sein?“ (externer Link) entnommen.

Fragetechniken und die Haltung echten Zuhörens

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Im Kontext einer Positiven Führung geht es in meinen Seminaren regelmäßig um den Aspekt der Wertschätzung für Mitarbeiter*innen. Eine der besten Möglichkeiten, einer Person Wertschätzung zu zeigen ist das Signal, sie ernst zu nehmen, indem ich mir deren Probleme und Bedürfnisse anhöre. Doch wie geht das eigentlich, gutes, echtes Zuhören?

Zum einen gehört dazu ein dickes Paket clever eingesetzter Fragetechniken:

Der Einsatz von Fragetechniken kann jedoch schnell inquisitorisch werden, wenn daraus Verhörtechniken werden. Deshalb sollte zum Einsatz von Fragen eine positive Zuhör-Haltung gehören. Die folgende Checkliste hilft dabei, sich seine eigene Haltung beim Zuhören bewusst zu machen:

Die Pro-Seite:

  • Sie haben ein echtes Interesse an der Person und Ihren Äußerungen.
  • Sie lassen die Person ausreden.
  • Sie versuchen, zu verstehen, worum es wirklich geht.
  • Sie achten auf Signale in der Körpersprache.
  • Sie fragen nach, um das Geäußerte besser zu verstehen.
  • Sie nehmen sich die Zeit, die es braucht.
  • Sie fragen nach, bis Sie das Gehörte richtig verstanden haben.
  • Sie halten Kritik aus, ohne postwendend etwas zu entgegnen oder sich zu rechtfertigen.
  • Sie laden Ihr Gegenüber dazu ein, über Gefühle zu sprechen.
  • Sie respektieren Ihr Gegenüber ohne Bewertung.

Die Kontra-Seite:

  • Sie denken bereits während dem Zuhören über eine Antwort nach.
  • Sie geben Ratschläge aufgrund Ihrer Expertise, um Ihrem Gegenüber zu helfen.
  • Sie stellen Vergleiche an, um Ihrem Gegenüber zu zeigen, dass er oder sie nicht alleine mit seinem Problem ist.
  • Sie wissen oft schon was kommt. Deshalb lassen sich viele Gespräche abkürzen.
  • Sie bieten Standardlösungen für ein Problem an.
  • Manche Probleme sind leider hausgemacht.
  • Bei manchen Gesprächen lassen sich parallel andere Dinge erledigen, um Zeit zu sparen oder weil es langweilig ist.
  • Manchmal reicht es aus, so zu tun als würde man zuhören.
  • Es gibt Zeitgenoss*innen, die immer wieder mit den gleichen Beschwerden kommen. Denen lässt sich im Grunde nicht helfen.
  • Wenn jemand sehr aufgebracht ist und aus seiner negativen Trance nicht herauskommt, kann es helfen, ihn mit einem anderen Thema abzulenken.
  • Sie halten mit eigenen Emotionen hinter’m Berg.

Siehe auch: https://www.m-huebler.de/jetzt-hoer-mir-doch-mal-zu