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Warum wir uns nur im Zusammenspiel zwischen Körper und Geist verändern können

Neulich wurde ich in einem Seminar gefragt, warum es so schwer ist, sich zu verändern. Die fragende Teilnehmerin hatte es mit positiven Affirmationen versucht und ist immer wieder gescheitert.

Eine Antwort darauf liegt in der Tiefenstruktur unseres Organismus. Vereinfacht formuliert bestehen wir aus einem Denken, Fühlen und Empfinden: Wenn wir an einen Streit mit einem Kollegen denken, haben wir dazu innere Glaubenssätze, beispielsweise ‚Ich lasse mich zu leicht über den Tisch ziehen’, Gefühle wie Angst oder Wut – auch auf sich selbst – und körperliche Empfindungen wie Anspannung oder Aufgeregtheit. Diese innere Welt wird nun durch Reaktionen aus der äußeren Welt bestätigt oder aktualisiert:

Im Normalfall, hier am Beispiel eines gesunden Lampenfiebers, reduziert das positive Feedback unsere Angst, während ein kritisches Feedback uns anspornt, besser zu werden:

In einem solchen Fall sind wir idR. zufrieden mit uns, da sich ein wenig Lampenfieber durchaus positiv auf einen gelungenen Auftritt auswirkt – und uns zudem sympathisch macht.

Verändern wollen wir uns erst, wenn wir es mit einer ungesunden, evtl. sogar traumatischen Angst zu tun haben:

In solchen Fällen entstand über die Jahre hinweg ein Körperpanzer (nach Wilhelm Reich und Alexander Lowen), der kaum noch Rückmeldungen aus der Außenwelt wahrnimmt. Der Mensch verkrampft dann als Reaktion auf den kleinsten Trigger, weshalb selbst ein positives Feedback nicht mehr als Gegenbeleg zum eigenen negativen Glaubenssatz fungiert.

Wenn wir nun lediglich den Glaubenssatz durch eine einfache positive Affirmation („Du schaffst das“) austauschen, bleiben der unbewusste Körperpanzer, die inneren Verkrampfungen, angespannte Schultern, ein Zurückziehen des Kopfes, usw. unter Stress immer noch bestehen.

Ich sollte daher sowohl an meinen Glaubenssätzen als auch an meinen muskulären Verspannungen arbeiten. Dies ist u.a. mit Hilfe der Bioenergetik, Neurogenem Zittern und der Rational-Emotiven Therapie möglich oder mit Hilfe von Wenn-Dann-Ketten oder einem Angst-Tagebuch. Mit Wenn-Dann-Ketten mache ich mir bewusst, wie ich körperlich in bestimmten Situationen reagiere. Ich selbst balle manchmal die Faust in Situationen, in denen ich gerne etwas sagen würde, es dann aber doch nicht mache, weil ich glaube, der Aufwand wäre es nicht wert. Angst-Tagebücher gehen noch einen Schritt weiter, indem ich darin protokolliere, welche Ängste ich in einer bestimmten Situation hatte, beispielsweise Gesichtsverlust, und wie ich darauf körperlich insbesondere muskulär reagierte.

Sinn und Zweck dieser Übungen ist nicht die schnelle Auflösung der Anspannung, sondern die Bewusstmachung. Mein besagte geballte Faust wird mir oft erst bewusst, wenn meine Hände in mein Blickfeld geraten. Bewusstwerdung allerdings ist der erste Schritt zur Veränderung.

Literatur:

Alexander Lowen: Bioenergetik

Dr. Hildegard Nibel & Kathrin Fischer: Neurogenes Zittern

Arbeitswelt und Führung der Zukunft

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Arbeitswelt der Zukunft

Die Arbeitswelt der Zukunft ist flexibel, virtuell und von Netzwerken geprägt:

  • Flexibilität: Mitarbeiter*innen werden sich auf eine hohe Flexibilität einstellen müssen. Sie werden mal im Homeoffice arbeiten, mal vor Ort. Sie werden mal in dem einen, mal in einem anderen Team arbeiten, je nachdem, welche Kompetenzen gerade gebraucht werden. Dies gilt sicherlich nicht für alle Arbeitsbereiche. Doch je projektlastiger und kreativer eine Tätigkeit ist, desto mehr Flexibilität wird verlangt werden. Damit sollten Mitarbeiter*innen der Zukunft eine Menge Sozialkompetenz, Neugier und Offenheit mitbringen, um sich immer wieder auf neue Aufgaben, Situationen und Teams einzulassen.
  • Virtualität: Hier gilt v.a. die Devise: Die Technik muss bereit gestellt werden und funktionieren.
  • Netzwerke: Aufgrund der hohen Flexibilität wird Leistung wichtiger als Hierarchien.

Organisationskultur der Zukunft

Damit trotz stetiger Wechsel keine Unruhe aufkommt, braucht es einen starken Fokus auf eine offene, vertrauensvolle Organisationskultur:

  • Positive Lern- und Fehlerkultur: Vertrauen wird am besten geschaffen durch die Möglichkeit aus Fehlern zu lernen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Dazu gehört auch eine Kultur des offenen, gegenseitigen Feedbacks.
  • Kultur des offenen Austauschs: Wenn sich Menschen immer wieder aufeinander einlassen müssen, um vertrauensvoll und kreativ zusammen zu arbeiten, braucht es institutionalisierte Möglichkeiten des Austauschs und der Begegnung, bspw. eine Teamküche oder ritualisierte Treffen, in denen nicht über Arbeit gesprochen wird.
  • Kultur der persönlichen Weiterentwicklung: Und schließlich braucht eine mitarbeiterorientierte Kultur, in der die Weiterentwicklung jedes/r Einzelnen hoch aufgehängt ist, bspw. durch ein persönliches zeitliches Weiterbildungskontigent.

Führungsrollen der Zukunft

Während die ersten beiden Aspekte auch eine zentrale Aufgabe der gesamten Organisation sind, haben Führungskräfte insbesondere beim Aspekt der Weiterentwicklung der Mitarbeiter*innen eine zentrale Bedeutung. Folgende Rollen von Führungskräften werden daher in der Zukunft besonders wichtig sein:

  • Vorbild & Mentor*in: Einer Führungskraft, die Mitarbeiter*innen nicht als Vorbild betrachten, folgt niemand. Wenn also Hierarchien in einer netzwerkbasierten Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung verlieren, müssen Führungskräfte mehr als früher mit dem was sie tun und sind überzeugen und bestenfalls eine Art Mentor für Mitarbeiter*innen darstellen.
  • Talent-Scout & Coach: Eine wichtige Aufgabe der Zukunft in Netzwerken für Führungskräfte wird der Fähigkeit zukommen, Talente zu erkennen und/oder diese entsprechend weiterzuentwickeln, um mit den stetigen Veränderungen in einer digitalen Welt mitzukommen. Wobei ein Coach seinen Coachees durchaus liebevoll auf die Füße tritt, wenn es notwendig erscheint.
  • Visionär*in & Optimist*in: Wenn Hierarchien flacher werden, reicht es nicht mehr aus, Aufträge von oben nach unten durchzureichen. Es braucht stattdessen im Rahmen der Gesamtvision eines Unternehmens eigene Visionen und Ansätze, um die Mitarbeiter*innen zu begeistern.
  • Netzwerker*in: Sollen Teams innerhalb eines Unternehmens neu zusammen gestellt werden, müssen Führungskräfte wissen, wer mit wem am besten zu einem neuen Projekt passt. Sie müssen also sowohl die Kompetenzen als auch die sozialen Dynamiken einschätzen können. Dazu braucht es gute Netzwerken.
  • Moderator*in & Mediator*in: Wenn sich Teams immer wieder neu zusammengestellt werden, braucht es Führungskräfte, die die Prozesse in solchen Teams gut moderieren und gegebenenfalls Konflikte schlichten.

Techniken zum Training einer Radikalen Akzeptanz

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Seitdem ich das Prinzip der Radikalen Akzeptanz in meine Seminare einbaue, gibt es jedes mal 2-3 Teilnehmer*innen, für die genau das das Highlight des Trainings ist. Schon allein der Begriff ist ein Hinhorcher.

Für welche Situationen eine Radikale Akzeptanz sinnvoll ist und wie ein grundsätzlicher Zugang zur Radikalen Akzeptanz aussieht, habe ich hier beschrieben.

Doch wie genau funktioniert es, Situationen, die ich nicht ändern kann radikal anzunehmen? Dazu gibt es einige Techniken:

Realitäts-Check

Kern der Radikalen Akzeptanz ist die Vergegenwärtigung, dass unsere Gedanken sich von der Realität unterscheiden. Diese banale Tatsache ist bisweilen ein unerheblicher Teil unseres Alltags, erweist sich jedoch – insbesondere bei negativen Affirmationen – als besonders wichtig.

Unser aktuelles Denken weicht sehr häufig von der Realität ab. Wir haben Tagträume, denken an den kommenden Urlaub oder haben eine Idee für das anstehende Projekt. Manchmal hängen wir jedoch auch Glaubenssätzen an, die sich weder jetzt noch später mit der Realität decken werden.

Ergänzen Sie bitte den folgenden Satz: “Ein Indianer kennt keinen …”

Offensichtlich ist es unmöglich, das fehlende Wort nicht zu denken. Dabei wissen wir genau, dass der Satz Blödsinn ist. Und wenn nicht: Was wäre, wenn Sie auf der Straße einen Indianer träfen, der Sie nach einer Schmerztablette fragt? Geben Sie ihm dann eine Tablette und denken gleichzeitig an diesen Satz? Oder sagen Sie ihm: “Ne, ne, ne. Weißte ja selber, dass das nicht stimmen kann.”

Wir Menschen sind schon was Besonderes. Wir sind wohl die einzige Spezies, die gleichzeitig etwas tun und etwas Gegenteiliges denken kann. Oder wir sind uns bewusst, dass das, was wir denken unsinnig ist und denken es trotzdem.

Die Indianer-Szene erscheint uns nicht nur amüsant. Deren Wahrheitsgehalt ließe sich auch mehr oder weniger einfach überprüfen.

Weniger amüsant wird es bei verbaler Selbstgeißelung, wenn wir bspw. nach einer Kündigung zu uns sagen: “Das war ja von Anfang an klar” oder “Du hättest dich mehr reinknien sollen”. Umso wichtiger ist hier ein genauer Realitäts-Check:

  • Was genau war von Anfang an klar?
  • In welchen Momenten hätte ich mich mehr anstrengen sollen?
  • Was hätte das konkret verändert?

Hätte ich tatsächlich etwas verändern können, gilt es, eine Lehre aus der Situation zu ziehen. Wenn nicht, kann ich die Situation nur radikal akzeptieren.

Typische Muster erkennen

Um nicht wieder in seine üblichen Reiz-Reaktionsmuster zu verfallen, ist es hilfreich, sich selbst gut zu beobachten und seine üblichen Muster zu erkennen. Das bereits erwähnte Beispiel der Kündigung könnte als typisches persönliches Muster bei manchen Menschen die Selbstgeißelung nach sich ziehen. Andere werden in einem solchen Fall wütend und anklagend: “Das ist mal wieder typisch für die da oben. Denen ist doch egal, was aus einem einfachen Angestellten wird.”

Solche internen Muster binden jedoch eine Menge Energie und verhindern eine kreative Auseinandersetzung mit der Situation. Auf der Basis einer Radikalen Akzeptanz des Ist-Zustands könnte ich die Situation stattdessen abhaken und meine Energie in Bewerbungen stecken.

Gedanken erkennen und einordnen

Eine Vorstufe der Mustererkennung kann das bloße, wohlwollende Wahrnehmen der eigenen Gedanken sein: “Aha. Da kommt mal wieder dieser Ärger oder diese Selbstzerfleischung.”

Diese Gedanken können zudem kategorisiert werden:

  • Ah, da ist mal wieder eine Prophezeiung.
  • Ich vergleiche mich mal wieder mit meinem Bruder.
  • Ich bewerte mich mal wieder.

Den Mustern einen Krankheitsnamen geben

Ebenso kann es hilfreich sein, den eigenen Mustern einen Namen zu geben, der an Krankheiten erinnert:

  • Beschuldigeritis: Wenn ich den Fehler mal wieder bei allen anderen suche, nur nicht bei mir.
  • Rechthaberitis: Wenn ich mal wieder unbedingt Recht haben muss, anstatt mir die Situation genauer anzusehen.
  • Bewerteritis: Wenn ich mich selbst mit allem, was ich tue, negativ bewerte.
  • Übertreiberitis: Wenn ich mich selbst an Maßstäben messe, denen ich niemals gerecht werden kann.
  • Analyseritis: Wenn ich mich selbst analysiere und mich damit fertig mache.
  • Ironisiereritis: Wenn ich die Situation ins Lächerliche ziehe, anstatt der Wahrheit ins Auge zu blicken.
  • Ablenkeritis: Wenn ich mich anstatt der Situation zu stellen, mit ganz anderen Dingen beschäftige.
  • Fluchteritis: Wenn es das alles nicht wahrhaben will.

Externalisieren

Externalisieren schließlich ist eine oft genutzte therapeutische Methode zum Umgang mit schwierigen Situationen. Sobald Probleme schreibend oder zeichnend auf Papier gebracht werden, verlieren sie häufig ihre Dramatik. Kein Wunder, dass so viele Menschen immer noch Tagebuch schreiben.

Matthias Wengenroth: Das Leben annehmen. Huber

Flexibel führen in Belastungen mit der Führungsmatrix

Im Zuge agilen, emotional kompetenten oder positiven Führens gerät das klassische flexible Führen beinahe in Vergessenheit. Da ich ab und an Grundlagen zum Thema Führung trainiere, nahm ich mir vor kurzem wieder einmal die gute, alte Führungsmatrix des flexiblen Führens vor. Dabei setzte ich die klassische Matrix in Bezug zur Zunahme von sozialem Stress sowie Druck und Krisen und erweiterte die Matrix um den Führungsstil des Systemischen Führens.

  • Grundsätzlich sollte ich als Führungskraft versuchen auf Augenhöhe mit meinen Mitarbeiter*innen so kooperativ wie möglich zu führen.
  • Sind sowohl der psycho-soziale Stress als auch der Arbeitsdruck gering, kann ich es als Führungskraft auch mal laufen lassen.
  • Steigen die psycho-sozialen Probleme an, kommt es bspw. zu Konflikten, muss ich mich entsprechend dem TZI-Satz “Störungen haben Vorrang” erst einmal darum kümmern.
  • Geht es meinen Leuten gut, steigen jedoch der äußere Druck und die Krisenstimmung, braucht es eine klare Linie in der Führung.
  • Sind sowohl der äußere Druck als auch der psycho-soziale Stress dauerhaft, gilt es an systemischen Veränderungen zu arbeiten.

Was das konkret bedeutet, sehen wir in der Tools-Matrix:

Die klassischen Führungsstile sind bekannt. Spannend wird es beim Systemischen Führen, das letztlich alles beinhaltet, was nicht direkt das eigene Team oder einzelne Mitarbeiter*innen betrifft, sondern das System um das Team herum. Teilweise geht es darum, überkommene Werte und Regeln gerade in Dauerbelastungen zu überdenken, beispielsweise den eigenen Perfektionismus infrage zu stellen, als Führungskraft Mitarbeiter*innen am Limit für einen Tag nach Hause zu schicken oder agile Strukturen einzuführen, um zielgerichteter auf Kundenwünsche zu reagieren. Teilweise besteht ein Systemisches Führen auch darin, Probleme nach oben zu eskalieren, bspw. eine kollektive Überlastungsanzeige zu schalten. Solche Aktionen sind nicht unbedingt von einem tatsächlichen Erfolg gekrönt. Systeme sind schließlich schwer und nur langsam veränderbar. Sie zeigen jedoch, wie wichtig einer Führungskraft ihr Team ist. Bereits das kann einen Unterschied machen, der einen Unterschied macht.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf die Rollen, die Führungskräfte mit den verschiedenen Stilen einnehmen:

Über die Emotionalisierung der Arbeitswelt

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Die Psychologisierung der Arbeitswelt

In den 70er Jahren, als Therapien und Coachings intensiv erforscht wurden und zumindest im privaten Bereich u.a. durch Encountergroups in Mode kamen, gab es noch eine strikte Trennung zwischen Privatem und Arbeitsleben. Heutzutage gelten Coachings teilweise schon zum guten Ton. Es gbit noch Ausnahmen in deutschen Unternehmen. Doch der Weg ist geebnet. Der Makel ein Coaching zu benötigen ist kaum noch vorhanden. Stattdessen heißt es eher: Toll, dass unsere Firma dafür Geld ausgibt. Coachings werden heutzutage weitgehend als Wertschätzung für eine*e Coachee betrachtet.

Mediationen haben es immer noch schwer. Doch mit dem Coaching kam auch der Gedanke einer emotionalen Ganzheitlichkeit in die Unternehmen. In einem Coaching wird – nicht immer, aber meistens – nicht nur eine Teilkompetenz des Menschen, sondern der ganze Mensch angesprochen, mitsamt seiner Schwächen, Ängste und Probleme. Dieser Blick hinter die Bühne ist normalerweise nicht erlaubt. Zu recht, denn welcher Kunde möchte sich mit den Sorgen und Nöten eines Verkäufers oder einer Beraterin auseinandersetzen? Auf der Arbeitsbühne gilt es eine saubere Vorstellung hinzulegen. Auf der Bühne zählen Kompetenzen, auch wenn ein Sahnehäubchen menschliche Fehlbarkeit niemals fehl am Platz sind.

Doch hinter der Bühne darf der Mensch als Ganzes wahrgenommen werden. Er muss es sogar, damit er später gut „performen“ kann. Erst wenn er lernt, gut mit seinen Schwächen umzugehen, ist er in der Lage, später eine gute Leistung abzuliefern, die nicht darauf beruht, Unsicherheiten zu verbergen, sondern darauf fußt, seine Schwächen zu kennen und sie im Griff zu haben.

Dieser grundlegende Coaching-Gedanke ging über die letzten Jahrzehnte auch in andere Bereiche des Arbeitslebens über, beispielsweise in die Didaktik in Seminaren:

  • In Seminaren nach behaviouristischem Muster geht es um pure Verhaltensänderungen. Seminarteilnehmer*innen sollen sich Wissen aneignen, um es bei Bedarf abzurufen. Unser Schulsystem ist weitgehend so aufgebaut. Trainer*innen treten hier als Expert*innen auf. In den letzten Jahrzehnten kam dieses Modell jedoch immer mehr aus der Mode, da es wenig nachhaltig ist.
  • Seminare nach kognitivistischem Muster sollen das Verständnis fördern. Seminarteilnehmer*innen analysieren und reflektieren Themen und Probleme, um eigene Schlüsse daraus zu ziehen. Trainer*innen treten in diesem Kontext als Mentor oder Tutor auf.
  • In einem systemisch-konstruktivistischen Kontext wiederum werden Seminare als Partizipationsveranstaltung konzipiert. Jede*r Teilnehmer*in gilt als Expert*in ihres eigenen Gebiets. Entsprechend werden auf Augenhöhe gemeinsam neue Wege und Lösungen erkundet. Diese Erkundungen werden von Coaches, Moderator*innen oder Teamentwickler*innen begleitet, damit es nicht zu einem Chaos kommt und Ungleichheiten in Teams ausgeglichen werden.

In den letzten Jahren verschob sich die Didaktik in Seminaren immer mehr in Richtung systemisch-konstruktivistisch. Insbesondere, wenn wir an Formate wie Open Space oder Bar Camps denken. Das heisst nun nicht, dass nur noch offen diskutiert wird. Natürlich spielt Expertenwissen immer noch eine Rolle, beispielsweise im Rahmen kurzer Online-Impulsvorträge. Und auch das „einfache“ Reflektieren über Probleme und Themenstellungen ist nach wie vor wichtig. Die grundsätzliche Organisation zur Wissensgenerierung und Kompetenzentwicklung ist jedoch weniger hierarchisch als früher.

Der Mensch wird also heutzutage nicht nur in Coachings oder Therapien, sondern auch in Seminaren ganzheitlicher angesprochen. Ein zentraler Satz des Vorreiters des Open Space-Gedankens, Harrison Owen, lautet entsprechend: Was da ist, ist da.1 Es wird mit den Ideen und dem Wissen gearbeitet, das aktuell im Rahmen einer Veranstaltung im Raum ist. Ein klassischer Spruch aus dem Wissensmanagement unterstreicht diesen Gedanken: Wenn das Unternehmen wüsste, was das Unternehmen weiß …

Die Generation-Z hätte es gerne emotionaler

Doch damit nicht genug. Auch in Teamentwicklungsmaßnahmen fand über Jahrzehnte hinweg eine Emotionalisierung statt, von Kletterparks bis Escape-Rooms. All das kommt insbesondere jüngeren Generationen entgegen, die sich laut Umfragen sowohl eine klarere Positionierung ihres Unternehmens in punkto Werte, beispielsweise zu Themen wie Nachhaltigkeit und Diversität, als auch eine ehrlichere und damit auch authentischere Kommunikation wünschen. Das Verstecken von Chef*innen hinter einer Rolle der Macht ist weniger angesagt. Arbeit soll stattdessen Spaß machen und sich gut mit dem restlichen Leben, beispielsweise im Homeoffice vereinbaren lassen.2 Kein Wunder, dass ein Begriff wie Work-Life-Balance, der eine klare Trennlinie zwischen Arbeit und Privatleben suggeriert, von vielen eher skeptisch betrachtet wird.

Doch auch hier stellt sich die Frage: Was passiert, wenn jemand kein Spieltyp ist und keine Lust auf Escape-Rooms hat? Was passiert beispielsweise mit Menschen mit autistischen Zügen, die sich anderen Menschen ungern öffnen und offenbaren? Früher konnten diese Menschen einfach nur ihrer Arbeit nachgehen. Sie schlüpften in eine Rolle, erfüllten bestimmte Erwartungen und Anforderungen und gingen am Abend vermutlich nicht glücklich, aber doch irgendwie zufrieden nach Hause.

Vor ein paar Jahren wurde ich als Mediator zu einem Konflikt berufen, bei dem ein Mitarbeiter sich partout nicht am Teamgeschehen beteiligen wollte. Alle Vermittlungsversuche schlugen fehl, weil sich der Mitarbeiter im Rahmen der Mediation nur noch mehr verschloss. Es endete schließlich mit einer Kündigung, wie ich im Nachhinein erfuhr. Der Mitarbeiter passte letztlich nicht in das kleine Team von etwa sechs Personen, weil er nicht zum Mittagessen mitging und auch sonst mit den Kolleg*innen kaum einen kommunikativen Austausch pflegen wollte. Dies wurde ihm als Vertrauensbrauch ausgelegt. Der Fall hatte insgesamt eine kompliziertere Vorgeschichte als hier dargestellt. Der Mitarbeiter startete zusammen mit dem Geschäftsführer als Zweiterteam. Doch irgendwann ist zwischen den beiden aufgrund eines beinahe gescheiterten Projekts ein Bruch entstanden, worauf sich der Mitarbeiter zurück zog. Was aber, wenn ein Mitarbeiter von Anfang nicht so offen kommunizieren will? Gibt es Inseln für diese Menschen? Verbannen wir sie ins Homeoffice? Oder profitieren dann endlich diejenigen, die früher leiden mussten und es immer schon emotionaler wollten?

Höhere Ansprüche erfordern mehr Offenheit

Sicherlich, die Ansprüche sind gestiegen. Das Homeoffice erfordert eine Menge Selbstführung von Mitarbeiter*innen, die bislang das Thema Führung eher vermieden. Der Umgang mit Krisen, Dauerbelastungen und Unterbesetzung erfordert von allen Beteiligten enorme (Rest-) Reserven ab. Und die stetigen Veränderungen und Anpassungen torpedieren das Thema „Lernende Organisation“ erneut auf die Unternehmens-Agenda. All das erfordert auch ein offeneres Miteinander.

Und dennoch, oder gerade deshalb, gibt es eine enorme Sehnsucht von Mitarbeiter*innen, wenn auch nur temporär, einfach nur ihren Job zu machen – sachlich, stoisch, unemotional und vollkommen unbegeistert.

Dieses Bedürfnis ist auch in Seminaren zu spüren: Wer in der Arbeit stetig Entscheidungen trifft, möchte sich auch mal berieseln und von Expert*innen die Welt erklären lassen. Vielleicht spiegelt sich darin auch der gesellschaftliche Trend der Expertokratie wieder. Oder frei nach Karl Valentin: Denken ist schön. Macht aber auch Arbeit.

Seien wir also froh darüber, dass der Trend der letzten Jahre in der Arbeit eindeutig in Richtung Offenheit und Partizipation ging, gewähren den Mitarbeiter*innen zur emotionalen Erholung aber auch den ein oder anderen Moment des bloßen sachlichen Ableistens ohne große Emotionalität.

1Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Open_Space

2Vgl. https://unicum-media.com/marketing-wiki/generation-z/#werte