Endlich. Endlich ein Kommissar, der zwar homosexuell ist und wie ein Pfau durch die oftmals tristen Landschaften Brandenburgs läuft. Der jedoch ansonsten jeglichem Klischee widerspricht.
Ich spreche von Vincent Ross, dem noch relativ neuen Kommissar aus dem Polizeiruf 110. Ross trägt gerne lila Mäntel mit falschem Pelzkragen. Es darf aber auch gerne ein aggressiv kariertes Hemd sein, das auch auf dem Chanson d’Eurovision nicht fehl am Platz wäre. Bei den Schuhen frage ich mich, ob er wirklich damit auf Mördersprint gehen kann. Zu alledem schminkt er seine Augen mit Kajalstift und sieht wie eine Mischung aus David Gahan (Depeche Mode) und dem jungen Robert Smith (The Cure) aus.
Aber halt! Das klingt aber doch ziemlich klischeehaft. Ist es auch. Entsprechend steht in einer Filmbesprechung im Spiegel, dass das gar nicht geht. 4 von 10 Punkten.
Doch wer genauer hin sieht, erkennt eine zweite und sogar dritte Ebene:
- Die Optik: Oberflächlich betrachtet könnte man den Macher*innen des Polizeirufs vorwerfen, auf Effekthascherei aus zu sein: Wir werfen einfach mal einen superqueeren jungen Kommissar in die brandenburgische Provinz. Das wirkt herrlich polarisierend.
- Das Verhalten: Doch unter der Oberfläche findet sich alles andere als Klischees. Ross hat keine privaten Probleme. Zudem verfügt er über psychologisch einfache, aber extrem effektive Verhörfragetechniken. Wäre da nicht die Optik, wäre er ein ganz “normaler” Kommissar. Doch so ergibt sich ein äußerst spannender Kontrapunkt, der unsere Sehgewohnheiten durchbricht, da Homosexuelle in Filmen häufig immer noch leicht überdreht dargestellt werden, sozusagen als Alleinstellungsmerkmal.
- Das Zwischenmenschliche: Richtig spannend wird es allerdings, wenn Vincent Ross auf Kolleg*innen stößt, die vermutlich ähnliches erlebt haben wie er. Die, man kann es nur vermuten, weil nicht direkt darüber gesprochen wird, ähnlich marginalisierende Erfahrungen mitbringen. Da ist die Kollegin in Cottbus, die vielleicht aufgrund ihrer Körperfülle bereits als Kind gehänselt wurde. Oder der ältere Kollege, der sich aufgrund seiner Probleme mit Autorität selbst in einen kleinen ländlichen Außenposten versetzen ließ. Ross begegnet ihnen mit einer körperlich spürbaren Empathie, als würde er sagen: “Ich kenne das. Die Zeit in der Polizeiakademie war auch nicht gerade ein Zuckerschlecken.” Darüber wird jedoch glücklicherweise nicht gesprochen. Es sind die Augen, die Gesten, die Körperhaltung, die sein Spiel – zusammen mit seiner zu vermutenden Biographie – so stark machen. Und: Ross könnte das nicht alleine stemmen. Die ergänzende Schauspielkunst insbesondere seiner Kolleg*innen Rogov und Luschke stehen dem in Nichts nach.
Keine Frage: Die Fälle haben noch Luft nach oben. Doch auch ohne spannende Fälle ist der Polizeiruf Brandenburg mein neues Sonntag-Abend-Highlight.