Die professionell-private Lebensbalance

Als Trainer wird von mir erwartet, professionell aufzutreten. Professionell im Sinne von „der hat Ahnung“ oder auch „der weiß mehr als wir“. Natürlich sind auch Trainer*innen oder Coaches keine allwissenden Übermenschen. Dennoch gibt es diesen professionellen Verhaltenscodex, der nicht nur die Wissensebene, sondern auch die emotionale Metaebene beinhaltet:

  • Ich sollte souverän mit Kritik umgehen.
  • Ich sollte spontan und schlagfertig sein.
  • Ich sollte entweder Lösungen zu den Problemen meiner Klient*innen anbieten oder mit Ihnen zusammen erarbeiten.

So weit, so nachvollziehbar. Doch was passiert, wenn sich diese professionelle Rolle in das Privatleben einschleicht. Das wäre dann in meinem Fall so, als würde ich bei einem privaten Treffen einem Freund das Gefühl geben, er hätte einen Vortrag bei mir gebucht. Die Kinder werden professionell im Umgang mit schwierigen Lehrer*innen gecoacht. Und der eigenen Frau werden nach bestem Wissen und Gewissen gute Ratschläge zum Umgang mit anstrengeden Kolleg*innen in der Arbeit erteilt. Wie heisst es so treffend: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Und je wohler wir uns in einer Arbeitsrolle fühlen, desto größer ist die Gefahr, in dieses Rollenkostüm auch privat zu rutschen. Das jedoch ist weder für mein privates Gegenüber befriedigend, noch für mich selbst erholsam. Professionalität gehört – wie der Name schon sagt – in die Arbeit und nicht ins Privatleben. Denn im Privatleben sollte ich als ganzer Mensch greifbar und erfahrbar werden, mit all meinen Schwächen und Macken.

Kein Wunder, dass so viele Menschen gerade in psychosozialen Berufen einen Burnout erleiden. Vielleicht liegt ja der Schlüssel in ihrer Dauer-Professionalität: Immer zuhören, sich stetig verantwortlich fühlen, auf alles eine Lösung haben müssen.

Das Überschwappen des Professionellen ins Private kennen freilich auch andere Berufe: Auch der Maler wird gefragt, ob er nicht mal schnell mit Pinsel und Farbeimer vorbeikommen kann. Der Maler kann jedoch seinen Pinsel zuhause lassen. Der psycho-sozial arbeitende Mensch nimmt sein Denk- und Mundwerk überall hin mit. Umso wichtiger ist es – insbesondere für die eigene professionell-private Lebensbalance – sich Nischen der bewussten Unprofessionalität zu erlauben:

  • Ich höre zu, ohne eine Antwort wissen zu müssen.
  • Ich erlaube mir, auch mal keine Ahnung zu haben.
  • Ich stoppe mein inneres, automatisiertes Programm, wenn ich merke, dass ich professionell angetriggert werde.
  • Ich muss heute einfach mal nichts müssen.