Warum wir uns nur im Zusammenspiel zwischen Körper und Geist verändern können

Neulich wurde ich in einem Seminar gefragt, warum es so schwer ist, sich zu verändern. Die fragende Teilnehmerin hatte es mit positiven Affirmationen versucht und ist immer wieder gescheitert.

Eine Antwort darauf liegt in der Tiefenstruktur unseres Organismus. Vereinfacht formuliert bestehen wir aus einem Denken, Fühlen und Empfinden: Wenn wir an einen Streit mit einem Kollegen denken, haben wir dazu innere Glaubenssätze, beispielsweise ‚Ich lasse mich zu leicht über den Tisch ziehen’, Gefühle wie Angst oder Wut – auch auf sich selbst – und körperliche Empfindungen wie Anspannung oder Aufgeregtheit. Diese innere Welt wird nun durch Reaktionen aus der äußeren Welt bestätigt oder aktualisiert:

Im Normalfall, hier am Beispiel eines gesunden Lampenfiebers, reduziert das positive Feedback unsere Angst, während ein kritisches Feedback uns anspornt, besser zu werden:

In einem solchen Fall sind wir idR. zufrieden mit uns, da sich ein wenig Lampenfieber durchaus positiv auf einen gelungenen Auftritt auswirkt – und uns zudem sympathisch macht.

Verändern wollen wir uns erst, wenn wir es mit einer ungesunden, evtl. sogar traumatischen Angst zu tun haben:

In solchen Fällen entstand über die Jahre hinweg ein Körperpanzer (nach Wilhelm Reich und Alexander Lowen), der kaum noch Rückmeldungen aus der Außenwelt wahrnimmt. Der Mensch verkrampft dann als Reaktion auf den kleinsten Trigger, weshalb selbst ein positives Feedback nicht mehr als Gegenbeleg zum eigenen negativen Glaubenssatz fungiert.

Wenn wir nun lediglich den Glaubenssatz durch eine einfache positive Affirmation („Du schaffst das“) austauschen, bleiben der unbewusste Körperpanzer, die inneren Verkrampfungen, angespannte Schultern, ein Zurückziehen des Kopfes, usw. unter Stress immer noch bestehen.

Ich sollte daher sowohl an meinen Glaubenssätzen als auch an meinen muskulären Verspannungen arbeiten. Dies ist u.a. mit Hilfe der Bioenergetik, Neurogenem Zittern und der Rational-Emotiven Therapie möglich oder mit Hilfe von Wenn-Dann-Ketten oder einem Angst-Tagebuch. Mit Wenn-Dann-Ketten mache ich mir bewusst, wie ich körperlich in bestimmten Situationen reagiere. Ich selbst balle manchmal die Faust in Situationen, in denen ich gerne etwas sagen würde, es dann aber doch nicht mache, weil ich glaube, der Aufwand wäre es nicht wert. Angst-Tagebücher gehen noch einen Schritt weiter, indem ich darin protokolliere, welche Ängste ich in einer bestimmten Situation hatte, beispielsweise Gesichtsverlust, und wie ich darauf körperlich insbesondere muskulär reagierte.

Sinn und Zweck dieser Übungen ist nicht die schnelle Auflösung der Anspannung, sondern die Bewusstmachung. Mein besagte geballte Faust wird mir oft erst bewusst, wenn meine Hände in mein Blickfeld geraten. Bewusstwerdung allerdings ist der erste Schritt zur Veränderung.

Literatur:

Alexander Lowen: Bioenergetik

Dr. Hildegard Nibel & Kathrin Fischer: Neurogenes Zittern