Archiv der Kategorie: Führung und Kommunikation

Umgang mit Low-Performern

Die Frage, wie mit Low-Performern umgegangen werden soll, taucht in letzter Zeit in meinen Seminaren wieder häufiger auf. Sicherlich: Für Führungskräfte war es immer schon ärgerlich, dass manche Mitarbeiter*innen weniger leisteten als andere. Doch in Zeiten hoher Fluktuation, vermeintlich geringer Arbeitsmoral und damit einhergehend einer Dauerbelastung für alle anderen, spitzt sich das Thema weiter zu. Die Schere – so scheint es – geht immer weiter auseinander: Die einen ruhen sich aus. Die anderen arbeiten umso mehr. Der Ärger auf Minderleister ist dahingehend verständlich. Dennoch gilt es, die ersten Impulse des Ärgers beiseite zu schieben und einen kühlen Kopf zu bewahren.

Ursachen verstehen

Low Performer lassen sich grundsätzlich in zwei Kategorien einteilen:

  • Nicht Können: Wer nicht kann wurde evtl. schlecht eingearbeitet, ist falsch am Platz, ist schüchtern oder ihm/ihr fehlen Kompetenzen.
  • Nicht Wollen: Wer nicht will ist von Haus aus demotiviert, legt mehr Wert auf Freizeit oder wurde gekränkt. Er oder sie würde evtl. gerne etwas anderes tun, fühlt sich zu wenig gefo(e)rdert oder wurde bei einer Beförderung zurückgewiesen.

Low Performer frühzeitig erkennen

Nicht Können

Wer nicht mehr leisten kann zeigt meist ein fehlerhaftes Arbeiten mit ähnlichen Fehlern über einen längeren Zeitraum hinweg. Die Beschwerden von Kund*innen oder Kolleg*innen häufen sich. Mitarbeiter*innen, die unabsichtlich weniger leisten, sind meist unsicher.

Nicht Wollen

Wer nicht mehr leisten will zeigt meist überdurchschnittlich hohe Fehlzeiten über einen langen Zeitraum. Häufig zeigt sich auch ein starker, unerwarteter Leistungsabfall, was auf eine Kränkung hinweisen kann, etwa weil eine Beförderung zurückgewiesen wurde. Er oder sie zeigt ein unpassendes Verhalten oder Auftreten im Unternehmen, hält sich nicht an kommunikative Regeln oder Dresscodes, ist unkooperativ und hilft Kolleg*innen nicht oder nur ungern. Zudem verweigert er oder sie die Ausführung von Arbeitsaufträgen, wo es möglich ist.

Umgang mit Low Performern

  1. Ursachenforschung: Als erstes ist es wichtig, die Ursachen zu kennen. Nur dann kann adäquat reagiert werden. Dies funktioniert am besten im Rahmen eines Mitarbeitergesprächs, um als Führungskraft nicht aufgrund des Hören-Sagens zu urteilen. Kann oder will die Person nicht? Sind die Gründe privater oder beruflicher Natur? Liegt es an veränderbaren Kompetenzen? Handelt es sich um einen plötzlichen oder langfristigen Leistungsabfall?
  2. Lösungen finden: Erst wenn die Ursachen für die mangelnde Leistung geklärt sind, können passende Maßnahmen eingeleitet und/oder angeboten werden. So kann es durchaus sein, dass ein vermeintliches Nicht-Wollen weniger böswillig ist als zuerst gedacht. Was ist bspw. mit einer Mitarbeiterin, die ihre Kräfte schonen will, weil sie sich zuhause um einen depressiven Mann und zwei Kinder kümmern muss? Mitarbeiter*innen, die nicht können, lassen sich – sofern möglich und sinnvoll – eine Umbesetzung an einen passenderen Arbeitsplatz, ein Coaching, eine Weiterbildung, ein Mentoring oder der Austausch mit Kolleg*innen im Sinne einer Kollegialen Beratung anbieten. Bei Mitarbeiter*innen, die nicht wollen, lassen sich – sofern möglich und sinnvoll – Feedbackgespräche, Teambildungsmaßnahmen zur Erhöhung der Bindung im Team, eine Arbeitszeitreduzierung oder Maßnahmen zur Unterstützung der Work Life Balance-anbieten.
  3. Sanktionsmöglichkeiten: Sollte all das nicht funktionieren, ist es wichtig – insbesondere bei der Nicht-Wollen-Fraktion – sowohl die Vorkommnisse, als auch die Gespräche und Angebote sauber zu dokumentieren, falls es später – im Zuge von Abmahnungen oder einer Kündigung – zu einem Rechtsstreit kommt. Eine Alternative, die im Falle einer Unkündbarkeit am häufigsten gezogen wird, ist die interne Versetzung an eine Stelle, an der kein großer Schaden entstehen kann, bspw. ohne Kundenkontakt.

Wie erwähnt, steht und fällt der Umgang mit Low Performern jedoch mit einer sauberen Analyse im Rahmen eines offenen 4-Augen-Gesprächs mit der Führungskraft.

Gibt es eine Resilienz-Formel?

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Warum überstehen manche Menschen, bspw. Soldaten nach einem Einsatz, scheinbar unbeschadet große Belastungen und andere nicht? Woran liegt das?

Eine glasklare Resilienz-Formel gibt es nicht und wird es vermutlich auch niemals geben. Dazu ist die Frage zum Umgang mit großen Belastungen zu komplex. Dennoch lassen sich aus der Forschung einige Aspekte zu einer Art Formel zusammenfassen.

Die zentrale und vermutlich wichtigste Erkenntnis lautet: Resilienz ist keine statische Fähigkeit und kein Talent. Resilienz ist dynamisch. Wir können sie wie einen Muskel trainieren und uns damit auf kommende Belastungen vorbereiten. Tatsächlich lassen sich Menschen, die kaum Stress empfinden nicht automatisch als resilient bezeichnen, da uns erst die Konfrontation mit negativem Stress zeigt, ob ein Mensch resilient ist oder nicht. Dabei gilt der Grundsatz: Leichte, bewältigbare Belastungen fördern unsere Resilienz. An großen Belastungen können wir zerbrechen. Der Satz von Nietzsche „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“ stimmt zwar, ist jedoch – wie so oft bei knalligen Sprüchen – in der Realität etwas komplizierter.

Was also sollte in eine Art Resilienz-Formel mit hinein:

  1. Wahrscheinlichkeit und Einschätzung der Bedrohung: Resiliente Menschen schätzen das Auftreten einer Bedrohung optimistisch-realistisch ein. Sie gehen zwar im Zweifel davon aus, dass eine Bedrohung wirklich stattfindet, dass sie uns jedoch nicht überrollt. Dabei reflektieren sie auch, inwiefern eine äußere Bedrohung wirklich zu einer inneren Bedrohung wird. Nehmen wir als Beispiel die Attacke einer cholerischen Chefin. Eine Demütigung vor der gesamten Belegschaft wird erst zu einer inneren Bedrohung, wenn Sie sich selbst auch tatsächlich als inkompetent einschätzen und / oder sich in Ihrer Ehre gekränkt fühlen. Empfinden Sie den Angriff als ungerecht und haben zudem die (wenn auch nur heimliche) Unterstützung Ihrer Kolleg*innen, sind Sie zwar vermutlich dennoch wütend. Dennoch lässt es sich leichter mit einer solchen Attacke umgehen.
  2. Austausch: Zudem ist es bei Bewertungen von Bedrohungen hilfreich, sich mit anderen Menschen auszutauschen, um einen objektiven Blick auf die Situation zu gewinnen oder sich sogar Vorbilder für die Bewältigung der Bedrohung zu holen.
  3. Selbstwirksamkeitserwartung: Nach der Bewertung der Belastungssituation stellt sich die Frage der Einflussmöglichkeiten. Resiliente Menschen gehen nicht unbedingt davon, dass alles gut wird. Sie gehen jedoch davon aus, dass sie etwas tun können, um die Situation zumindest zu erleichtern, dass es also einen Unterschied macht, ob sie handeln oder nicht. Gleichzeitig akzeptieren sie, dass ihr Einfluss in einer komplexen Situation begrenzt ist. Diese Vorgehensweise folgt der Devise „Handeln statt Hadern“: Wer handelt, weiß im Nachhinein, ob er Erfolg damit hatte oder ob er aus seinem Misserfolg etwas lernt. Wer nicht handelt, macht sich mit einer größeren Wahrscheinlichkeit im Anschluss Vorwürfe.
  4. Persönliche Chance: Bei allem Stress sind mit Belastungen auch immer Chancen verbunden. Resiliente Menschen betrachten Belastungen entsprechend nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance sich zu beweisen, an der Herausforderung zu wachsen und/oder anderen zu helfen.
  5. Netzwerk: Sollte die Situation belastender sein als gedacht, greifen resiliente Menschen auf ein Netzwerk aus nahen und fernen Unterstützer*innen zurück.
  6. Entspannen, wenn der Stress nachlässt: Resiliente Menschen bleiben gegenüber Bedrohungen nicht cool. Sie werden i.d.R. genauso aktiviert wie nicht-resiliente Menschen. Sie haben jedoch die Fähigkeit, sich wieder schneller zu beruhigen, beispielsweise mit Achtsamkeitstrainings.
  7. Extinktion: Resiliente Menschen verlieren sich nach einer belastenden Situation nicht in Ängsten vor möglichen neuen Bedrohungen, sondern konfrontieren sich frühzeitig mit ähnlichen Situationen. Getreu dem Motto: Wenn du vom Pferd fällst, steig gleich wieder auf.

Zusammengefasst lassen sich diese 7 Aspekte einer resilienten Persönlichkeit im Angesicht einer Bedrohung in 7 Fragen fassen:

  1. Was an der Situation empfinde ich als persönlich bedrohlich?
  2. Wie sehen es andere?
  3. Was kann ich konkret tun, um einen Unterschied zu machen?
  4. Was kann ich daraus lernen?
  5. Auf wen kann ich mich verlassen, wenn ich nicht weiter weiß?
  6. Wie kann ich mich wieder beruhigen, um ein und dieselbe Situation nicht immer wieder im Geiste durchzuspielen?
  7. Was kann ich tun, um langfristig besser mit solchen oder ähnlichen Herausforderungen umzugehen?

Literatur:

Raffael Kalisch – Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. 2017. berlin-Verlag

Wie sollte eine Dienstvereinbarung zum Thema Homeoffice aussehen?

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Die Zeit des Ausprobierens von Homeoffice ist in vielen Unternehmen und öffentlichen Institutionen, für die ich tätig bin, vorbei. Nun gilt es, die Erfahrungen der letzten Jahre in Dienstvereinbarungen festzuschreiben. Dies schafft einen sicheren Rahmen v.a. für Führungskräfte, die sich im Versuch-und-Irrtum-Verfahren eigene Regeln erarbeitet haben und sich ab und an die Frage stellen, ob sie richtig liegen und welche Argumente sie in der Hand haben, Mitarbeiter*innen kein Homeoffice zu erlauben bzw. den Homeoffice-Status wieder zu entziehen.

Ziele der Dienstvereinbarung

Als erstes ist es sinnvoll, sich der Ziele von Homeoffice bzw. einer Dienstvereinbarung dazu bewusst zu werden:

  • Geht es darum, die Attraktivität des Arbeitsplatzes gegenüber der Konkurrenz zu erhöhen, individuelle Wünsche der Arbeitnehmer*innen zu erfüllen und eine gelingende Work Life Balance zu ermöglichen?
  • Auf der anderen Seite sollte es auch darum gehen, den Dienstbetrieb und die Qualität der Arbeitsleistung aufrecht zu erhalten.
  • Und schließlich ist darauf zu achten, dass der analoge Austausch untereinander wesentlich zu einem positiven Arbeitsklima, zur Motivation der Mitarbeiter*innen, zur Bindung an das Unternehmen und zur Vermeidung bzw. Klärung von Konflikten beiträgt.

Grundsätzliche Rahmenbedingungen zur Bewilligung von Homeoffice

Auf der Grundlage der Ziele sollten Rahmenbedingungen klar abgesteckt werden: Wie viel Zeit darf maximal im Homeoffice verbracht werden, um die oben genannten Ziele zu erfüllen bzw. nicht zu verhindern? Meist handelt es sich um eine prozentuale Orientierung, wenn Mitarbeiter*innen bspw. maximal 70% im Homeoffice verbringen können, sofern nichts dagegen spricht, und minimal einen Tag pro Woche in Präsenz sein sollen. Hier sind zwar dann Führungskräfte in der Begründungspflicht. Die Dienstvereinbarung hilft jedoch dabei, wenn es um folgende Faktoren geht, die gegen Homeoffice sprechen:

  • Aufgabe: Lässt sich die Aufgabe von zuhause aus genauso erledigen wie vor Ort? Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Ich gebe u.a. Seminare für das Bayerische Landeskriminalamt. Aber auch in anderen Institutionen und Unternehmen wird mit besonders heiklen Daten operiert, die eine sorglose Arbeit im Homeoffice erschweren.
  • Gruppendynamik: Erfordert eine qualitativ hochwertige Leistung kreative Austauschprozesse im Team, die nicht ohne weiteres auf Distanz genauso gut funktionieren wie in vor Ort inklusive der Dynamik körpersprachlicher und sprachlicher Feedbackprozesse? Manche Teamarbeiten erfordern zusätzlich eine hohe Agilität und Spontaneität. Was passiert bspw., wenn ein Kunde eine schnelle Anpassung eines Produkts erwartet und die Führungskraft dazu erst einmal die Teammitglieder aus dem Homeoffice zusammen trommeln muss? Eine unklare „rechtliche“ Situation in punkto Homeoffice könnte Führungskräfte hier schnell zu Bittsteller*innen machen.
  • Persönliche Kompetenzen: Sind die Mitarbeiter*innen loyal, gebunden und gut genug strukturiert, um sie mit gutem Gewissen ins Homeoffice zu entlassen?
  • Arbeitsplatzsituation zuhause: Ist der Arbeitsplatz zuhause homeofficetauglich? Wie sieht es mit der familiären Situation aus (Stichwort: Kleine Kinder)? Wie sieht es mit arbeitsschutzrechtlichen Bedingungen aus? Soll der Arbeitsplatz kontrolliert werden oder gibt es eine Selbstauskunft? Passt die Bandbreite des Internets zuhause? Wird die Technik gestellt oder greifen Mitarbeiter*innen auf eigene Technik zurück? Wie ist die Haftung bei Schäden geregelt? In vielen Unternehmen ist es u.a. aus Datenschutzgründen nicht erlaubt, private Geräte zu nutzen.

Grundsätzliche Regelungen versus Flexitag

Grundsätzliche Regelungen betreffen regelmäßige Vereinbarungen zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen. Flexitage können spontan vereinbart werden, bspw. wenn an einem bestimmten Tag ein Handwerker kommt. Meist besteht ein bestimmtes Kontingent an Flexitagen pro Jahr.

Geregelt werden muss ebenso, wie und wann ein Flexitag beantragt werden muss. Dies schließt idR. Situationen aus, in denen Mitarbeiter*innen früh morgens anrufen, weil sie verschlafen haben oder krank sind, aber dennoch im Homeoffice arbeiten wollen.

Auch Fragen der Zeiterfassung müssen geklärt werden: Loggen sich Mitarbeiter*innen zuhause ein und aus oder gelten Prinzipien der Vertrauensarbeitszeit und Ergebnisorientierung?

Und schließlich sollte geklärt werden, wer über die Bewilligung eines grundsätzlichen Homeofficeplatzes entscheidet. Meist ist es hilfreich, wenn dies nicht nur Führungskräfte entscheiden müssen, sondern zusätzlich Datenschutzbeauftragte, Betriebsrat und die Personalabteilung mit im Boot sind, insbesondere wenn es um kritische Entscheidungen geht.

Möglich und hilfreich kann auch eine Probephase sein bzw. sich als Arbeitgeber eine Hintertür offen zu halten, falls sich die Rahmenbedingungen ändern und Mitarbeiter*innen aus dem Homeoffice zurück geholt werden sollten.

Besondere Gründe im Zweifelsfall

Bestehen besondere soziale oder individuelle Gründe, auch wenn es (vereinzelt) Gründe gegen Homeoffice gibt bzw. mehr Mitarbeiter*innen in Homeoffice wollen als es für die Teamdynamik gut ist? Dies gilt insbesondere für:

  • Schwerbehinderung
  • Betreuung kleiner Kinder
  • Betreuung von pflegebedürftigen Familienangehörigen

Einarbeitungsphase

Für Einarbeitungsphasen sollte es extra Regelungen geben, am besten in Form eines Phasenplans. Diesen komplett für alle Bereiche, Abteilungen und Aufgaben vorzugeben ist nicht sinnvoll, da jeder Aufgabenbereich anders ist. Wichtig in der Einarbeitung sollten drei Aspekte sein:

  1. Sich mit den Aufgaben vertraut machen.
  2. Die Kolleg*innen kennenlernen und sich ein erstes Netzwerk aufbauen.
  3. Die Werte des Unternehmens kennen lernen.

Punkt 1 lässt sich häufig auch im Homeoffice erledigen – sofern es sich nicht um Teamarbeit handeln. Punkt 2 und 3 sind wesentlich schwerer vom Homeoffice aus bzw. bei Punkt 3 beinahe unmöglich. Deshalb kann folgende Orientierung sinnvoll sein:

  • In den ersten drei Monaten sollten Mitarbeiter*innen in Präsenz sein.
  • Danach können sie drei Monate lang einen Tag im Homeoffice verbringen.
  • Anschließend wird gemeinsam reflektiert, was für alle Seiten passt.

Newtro Work

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Das Kunstwort Newtro ist zusammengesetzt aus new und retro, sprich neu und alt gleichzeitig. Aktuell sind beispielsweise Falthandys wieder im Kommen. Das Falten verdeutlicht das bewusste Abschalten des Handys, während die Technik freilich hochmodern ist.

Vielleicht sind solche Mischwörter ja ein Zeichen der Zeit – denken wir an die „Neue Normalität“ – und symbolisieren unser Bedürfnis nach ein wenig Stabilität in einer hektischen Welt ständiger Veränderungen.

„Newtro Work“ brauchen Sie nicht in eine Suchmaschine einzutippen. Diese Zusammensetzung habe ich gerade erst erfunden und darf gerne Karriere machen.

Als ich den Begriff Newtro las, kamen mir jedoch sofort die Diskussionen aus meinen Führungstrainings in den Sinn. Das zentrale Hauptthema lautet derzeit „Wie halten wir die Bindung und den Austausch untereinander in Zeiten einer hybriden Zusammenarbeit und hohen Fluktuation aufrecht?“

Die Brainstormings dazu in meinen Seminaren ergeben folgende Ideenliste:

  • Regelmäßige Face-to-Face-Treffen
  • Den Stammtisch reaktivieren
  • Die Fußballmann(und frau)-schafft reaktivieren
  • Mal wieder Bowlen gehen
  • Gemeinsames Mittagessen
  • Regelmäßige Aktionstage in Präsenz
  • Regelmäßige kurze Feedbackgespräche zwischen Chef*in und Mitarbeiter*in
  • Gezielt manche Besprechungen in Präsenz abhalten
  • Gemeinsame virtuelle Mittagspausen
  • Geburtstagsfeiern in Präsenz
  • Fehlerbesprechungsrunden in lockerer Atmosphäre mit Kaffee und Kuchen
  • Mehr Struktur in Online-Meetings
  • Klare Ziele, klare Planungen, sauberes Delegieren
  • Regelmäßige Teambildungs-Events

Mehr retro geht kaum.

Auch wenn junge Bewerber*innen häufig am liebsten sofort ins Homeoffice möchten, sind die Zahlen einiger meiner Auftraggeber, was das Homeoffice angeht eher wieder rückläufig. Die Kolleg*innen vermissen sich. Nach der Extremversion zu Corona-Zeiten pendelt sich offensichtlich eine neue Neue Normalität ein. Ob es dazu noch einen weiteren Begriff braucht? Keine Ahnung. Spannend ist es in jedem Fall, darüber nachzudenken, wie viel Altes das Neue braucht, damit Mitarbeiter*innen in Veränderungen mitziehen. Und manchmal ist das Alte eine feine Sache. Ist Fußball spielen mit den Kolleg*innen nicht so cool wie Funkmusik aus den Siebzigern? Retro eben.

Nachhaltige Veränderungen brauchen Struktur und Haltung

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Was Agilität und Homeoffice mit Materialismus und Idealismus zu tun haben

Materialismus versus Idealismus

Wenn es um große Veränderungen in der Gesellschaft geht, gibt es zwei Strömungen. Die eine steht in der Tradition des marxistischen Materialismus und geht davon aus, dass Strukturen verändert werden müssen. Die andere beruft sich auf den Hegelschen Idealismus und geht davon aus, dass sich v.a. das Bewusstsein verändern sollte.

Wer materialistisch denkt ist beispielsweise für eine Frauenquote in Unternehmen. Wer hegelianisch denkt, versucht, Vorurteile gegenüber Frauen aufzudecken. Beide Vorgehensweisen haben Vor- und Nachteile: Wer lediglich eine Frauenquote für Führungspositionen einführt, sorgt zwar dafür, dass mehr Frauen in der Führung präsent sind. Bleibt die Veränderung jedoch auf der Strukturebene stehen, kann es sein, dass Frauen ihre Karriere geneidet wird und diese sich mehr anstrengen (müssen) als Männer, um gegen bewusste oder unbewusste Vorurteile anzukämpfen.

Die Wirkmächtigkeit solcher Vorurteile untersuchte insbesondere der französische Soziologe Pierre Bourdieu. Für nachhaltige Veränderungen reicht es also nicht aus, lediglich Strukturen zu verändern, wie im Falle der Frauenquote eine Regel einzuführen Als Ergänzung braucht es die Beschäftigung mit Bewertungen, Neigungen und typischen Verhaltensweisen, als Bündel bei Bourdieu Habitus genannt:

  • Was verbindest du eher mit Leistung und Zuverlässigkeit: Männer oder Frauen?
  • Was verbindest du eher mit Emotionalität: Männer oder Frauen?
  • Wer ist eher für eine Führungsposition geeignet: Männer oder Frauen?
  • Wen würdest du eher als Kolleg*in wählen: Einen Mann oder eine Frau? Usw.

Die Fragen erscheinen plump, insbesondere wenn wir der Meinung sind, gesellschaftlich weiter zu sein, was Egalität angeht. Zudem lassen sich sicherlich elegantere Fragen stellen. Doch auch wenn sich Strukturen in der Praxis bereits verändert haben, hängt unsere Geisteshaltung oft viele Jahre hinterher. Es kann also nicht schaden, zumindest darauf aufmerksam zu machen, dass wir häufig noch nicht so weit sind, wie wir uns das eigentlich wünschen oder es gesellschaftspolitisch erwartet wird.

Materialismus und Idealismus als Streitpunkt in Veränderungen

Die Unterscheidung zwischen Materialismus und Idealismus erscheint simpel, bildet jedoch die Grundlage vieler heftig geführter Debatten. Während die eine Seite am liebsten alle Reiterstandbilder aus kolonialistischen Vorzeiten abreißen, jedes N-Wort aus Büchern und Lesungen verbannen und bei Personenbezeichnungen einen Genderstern dazu basteln will, behauptet die andere Seite, dass damit noch lange nichts erreicht ist. Denn nur weil wir Ungerechtigkeiten mit Strukturveränderungen bekämpfen, sind sie nicht aus der Welt geschafft.

Auf den ersten Blick erscheinen die oben genannten Beispiele wie eine Strukturveränderung. In Wirklichkeit folgen sie jedoch dem (jugendlichen) Idealismus, mit Worten die Welt zu verändern. Tatsächlich verändert Sprache unser Denken und unseren Blick auf die Welt (Ideal = lateinisch „dem Urbild entsprechend“) und schafft damit eine zukünftige, andere Wirklichkeit. Bis dahin bleiben jedoch die aktuellen Strukturen unangetastet, bspw. Hungerlöhne und Kinderarbeit in der 3. Welt, auch wenn es seit einigen Jahren offiziell „Eine Welt“ heißt. Der strukturelle Rassismus geht also weiter, egal ob wir das N-Wort benutzen oder nicht.

Und was hat das alles mit Agilität zu tun?

Machen wir zum Ende dieses Artikels noch einen kurzen Schwenk zurück in die Arbeitswelt. Was hat nun Agilität mit der ganzen Diskussion um Materialismus und Idealismus zu tun?

Agile Führung setzt an zwei Fronten an:

  • Zum einen sollte sich das Mindset von Führungskräften verändern. Sie sollten insbesondere mehr mit Vertrauen führen und Prozesse wie auch sich selbst transparenter machen, um das Vertrauen ihrer Mitarbeiter*innen zu gewinnen. Dieser Ansatz ist zutiefst idealistisch. Oder wie En Vogue 1992 sangen „Free your mind and the rest will follow“. In der Ursprungsversion von Funkadelic 1970 hieß es übrigens noch „Free your mind and your ass will follow“. Auch schön.
  • Zum anderen gibt es mit Scrum, Objectives & Keyresults (OKR) oder Design Thinking Frameworks mit festen Strukturen aus Ritualen (Dailys, Weeklys, Reviews, Retrospektiven), Rollen (Scrum-Master, Product-Owner), Prinzipien und Regeln (Agiles Manifest, Design Thinking-Regeln). Dieser Ansatz ist zutiefst strukturell.

Dieses Zusammenspiel ist nicht nur in agilen Projekten und einer agilen Führung sinnvoll, sondern sollte in jeder Veränderung mitgedacht werden, um eine psychologisch-strukturelle Sicherheit zu bieten und Rückschläge zu vermeiden.

Mindset und Struktur im Homeoffice

Wer beispielsweise die Zusammenarbeit auf Distanz nachhaltig gestalten will, sollte neben dem Mindset des Vertrauens und der Transparenz folgende Strukturen klären bzw. vorgeben:

Richtlinien:

  • Chatten zur Bindung auf Distanz sollte erwünscht sein.
  • Erreichbarkeiten sollten transparent gemacht werden.
  • Bei den Einarbeitungszeiten muss geklärt werden, was im Homeoffice möglich ist und wofür es Präsenzzeiten braucht.

Regeln:

  • Verbindliche Kernzeiten und Erreichbarkeiten müssen klar sein.
  • Rückrufe sollten innerhalb … stattfinden.
  • Missverständnisse sollten frühzeitig und besser in Präsenz geklärt werden.
  • Wer krank ist, ist krank und arbeitet auch nicht im Homeoffice.
  • Nach … Uhr werden keine eMails mehr verschickt / beantwortet.

Rituale:

  • Regelmäßige Aktionstage dienen der Bindung im Team.
  • Fehler werden regelmäßig reflektiert und aufgearbeitet.

Literatur:

Jana Glaese – Was heißt hier Struktur? In: Philosophie Magazin 06/2023