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Übung „Mit Rollen spielen“

Diese Übung soll Ihnen helfen, sich insbesondere als neue Führungskraft Ihre (insgeheimen) Aufgaben und Rollen zu verdeutlichen und gerade schwierige Rollen leichter anzueignen.

1. Ober- und Unterrollen: Um welche Ober- und Unterrollen handelt es sich. In einem Führungscoaching arbeiteten wir bspw. zu der Oberrolle Führungskraft die Unterrollen Leistungsträger, loyaler Angestellter, Beschützer, Fels in der Brandung, Dolmetscher (bei Veränderungen), Kumpel und Coach heraus. Diese Unterrollen ergeben sich sowohl aus eigenen Erwartungen an sich selbst, als auch aus Erwartungen von Mitarbeiter*innen sowie aus der Unternehmens- bzw. -Organisationssicht.

2. Klare (Unter-) Rollen: Welche Rollen stehen für sich, sind in sich stimmig oder leicht umzusetzen? Meist handelt es sich dabei um Rollen, die bereits klar definiert wurden, beispielsweise weil sie ein eindeutiger Teil des Aufgabenbereichs einer Führungskraft sind oder weil sie der eigenen Persönlichkeit entsprechen. Im besagten Beispiel waren dies die Rollen Kumpel, loyaler Angestellter und Leistungsträger. Der Kumpel ist für viele Führungskräfte, die intern aufgestiegen sind, eine Rolle, die sie bereits kennen und daher nicht mehr klarer definiert werden muss. Der Leistungsträger und Angestellte wird hingegen idR. von der Organisationsseite als eindeutige Erwartung definiert.

3. Unklare (Unter-) Rollen: Welche Rollen sind weniger klar definiert oder fallen der Person schwerer? Im unserem Beispiel waren das die Rollen Beschützer, Fels in der Brandung, Dolmetscher und Coach.

4. Kernelemente der unklaren Rollen: Jetzt stellt sich die Frage, was eine bestimmte Rolle ausmacht? Solche Kernelemente einer Rolle lassen sich am besten über Haltungen definieren wie Gelassenheit, Respekt, Geduld, Beharrlichkeit, Durchsetzungsvermögen, Ehrlichkeit, Offenheit, Vertrauen, usw.

(Unter-) RolleKernelement / Haltung
BeschützerTapferkeit
Fels in der BrandungRuhe, Gelassenheit
DolmetscherSachlichkeit
CoachRespekt, Beharrlichkeit, Geduld

5. Vorbilder für die unklaren Rollen: Anschließend werden Vorbilder aus der Literatur, Filmen, usw. für die unklaren Rollen gesucht, die zu den Haltungen passen. Wieder an unserem Beispiel:

(Unter-) RolleHaltungenVorbilder
BeschützerTapferkeitHeld
Fels in der BrandungRuhe, GelassenheitGuru
DolmetscherSachlichkeitTagesschausprecher
CoachRespekt, Beharrlichkeit, GeduldPanzerknacker

Manchmal sind die Vorbilder sehr eindeutig. Bei Ruhe drängt sich ein meditierender Guru geradezu auf. Manchmal ist es jedoch hilfreich, mit einem Vorbild zu spielen. Der Panzerknacker als Coach mutet auf den ersten Blick seltsam an. Wenn wir uns jedoch klar machen, dass ein klassischer Panzerknacker ein sehr feines Gehör und Gespür haben sollte, um einen Tresor zu öffnen, ist der Vergleich durchaus stimmig. Dazu passt auch der ehrfürchtige Respekt, der manchmal in Heist-Filmen gegenüber bestimmten Fabrikaten von Tresoren geäußert wird, passt in dieses Bild. Die Regel hier scheint zu lauten: Einfache Exemplare kann jeder öffnen. Aber für besondere Exemplare (Mitarbeiter*innen) braucht es Spezialisten.

6. Elemente der Rollenübernahme: Um eine Rolle zu spielen oder besser noch mit einer Rolle zu spielen, ist es wichtig, sich die Körpersprache und Accessoires der Vorbilder zu eigen zu machen. Dabei handelt es sich mitnichten um die komplette Imitation des Vorbilds. Vielmehr werden einzelne Elemente heraus gepickt, die zum einen für einen selbst essenziell sind und an denen zum anderen ganze innere Welten anhängen. Wenn wir beispielsweise die Becker-Faust machen und „Ja“ sagen, hängt ein ganzes System des Triumphs an dieser Geste. Wir suchen uns folglich eine Geste, eine Körperhaltung, einen Blick, einen Spruch oder auch ein bestimmtes Accessoire, bspw. einen Schal, aus, um zu ergründen, welche neuen Welten uns dieses Symbol eröffnet.

(Unter-) RolleVorbilderGesten, Körperhaltungen, …
BeschützerHeldAufrechte Haltung, Handgeste als Stop-Signal
Fels in der BrandungGuruMehr bei sich sein, als bei anderen bzw. in sich ruhen, mehr fragen als aussagen
DolmetscherTagesschausprecherAufrechte Haltung, langsame, beinahe monotone Sprache und Sätze
CoachPanzerknackerFokussierter Blick, offene Augen, schräge Kopfhaltung, um genauer hinzuhören

7. Üben und anpassen: Da noch nie im Leben ein Meister vom Himmel gefallen ist, gilt es, diese Gesten, Körperhaltungen, usw. immer wieder zu üben, dabei jedoch, um authentisch zu bleiben, nicht zu übertreiben und stattdessen lediglich das zu übernehmen, was mir selbst am leichtesten fällt. Es geht also nicht darum, zu einem Helden, Guru, Tagesschausprecher oder Panzerknacker zu werden, sondern darum, den kleinen Helden, usw. in sich zu entdecken. Dafür reicht bereits eine kleine, pointierte Handgeste als Stop-Signal oder ein fokussierter Blick in den jeweiligen Situationen aus.

Das Prinzip der Verdoppelung in Konflikten

Wer Konflikte lösen möchte, kennt vermutlich das Prinzip der Balance: Zu jeder Position 1 gibt es eine ausgleichende Position 2. Zum Vertrauen bspw. gibt es als Ausgleich die Kontrolle. Ohne gelegentliche Kontrolle artet Vertrauen in Naivität aus. Und ohne ein ausgleichendes Vertrauen wird Kontrolle zur spanischen Inquisition.

Damit es nicht zu einer Ausartung einer Position kommt, gibt es ebenso das Prinzip der Verdoppelung:

  • Wäre eine Mäßigung maßlos, wäre es keine Mäßigung mehr, sondern Exzess.
  • Skepsis wird erst zur Skepsis, wenn sie sich auch selbst skeptisch betrachtet. Ohne diese Meta-Skepsis würde die Skepsis ohne Ausnahme alles skeptisch betrachten und geriete damit zu einem allumfassenden Misstrauen. Die Skepsis lebt jedoch davon, manche Dinge zu glauben und andere skeptisch zu hinterfragen. Es braucht folglich eine Verdoppelung der Skepsis.
  • Auch die Kontrolle, bspw. in der Führung, braucht eine Kontrolle, um nicht auszuarten. Es braucht daher eine kontrollierte Kontrolle.

Warum uns idealistische Vorstellungen in Krisenzeiten nur bedingt helfen

Über das Improvisieren in Zeiten der Krise

Idealismus versus Materialismus

Wird unser Sein durch unser Bewusstsein bestimmt? Oder unser Bewusstsein durch unser Sein? Der Idealismus geht vom ersten aus. Der Materialismus vom zweiten – mit weitreichenden Konsequenzen für unsere Sicht auf die Welt, unsere Verbissenheit im Umgang mit Zielen, unsere Moralvorstellungen und unseren Umgang mit Stress.

Grundsätzlich würden vermutlich die meisten Menschen eine idealistische Sichtweise bevorzugen. Warum soll ich mich in mein Schicksal ergeben, wenn ich von einer besseren Welt oder einem eigenen, besseren Leben träumen kann? Wir wollen doch die Welt retten. Oder zumindest den Klimawandel verzögern. Oder nicht?

Tragisches versus lustvolles Scheitern

Dabei liegt gerade das idealistische Träumen nahe an der Tragödie. Die Tragödie suggeriert dem Menschen, dass etwas idealisiert Großartiges niemals Erfolg haben kann. Held*innen versuchen es dennoch und scheitern. Die wahre Freiheit kann für Idealisten daher nur in der Zukunft stattfinden. Die Welt, in der wir leben ist unvollkommen und muss verbessert werden. Der Mensch muss erzogen oder zumindest entwickelt werden. Daher ist bei idealistischen Menschen auch die Moral niemals weit weg. Für die Durchsetzung der Moral wird gekämpft und werden Kriege geführt, ähnlich den religiösen Kreuzzügen im Mittelalter oder dem modernen Dschihad, dem heiligen, islamischen Krieg.

Wenn wir es jedoch nicht schaffen, dass eine neue Welt entsteht – was aufgrund der Ferne zu den realen Verhältnissen zumindest teilweise immer scheitern muss – entstehen Schuldgefühle, weil wir uns nicht genug angestrengt haben. Deshalb haftet Idealisten immer auch etwas Verkrampftes, Verbissenes, Humorloses und Lustfeindliches an. Dürfen sie es sich überhaupt erlauben, Spaß in einer Welt zu haben, die aus ihrer Sicht dem Untergang geweiht sind? Wäre das nicht ein Frevel?

Eine idealistische Sichtweise auf das Leben muss auch im Einzelfall scheitern, weil es unmöglich ist, dem neoliberalen Mantra der totalen Gleichheit zu folgen. Weil wir über unterschiedliche Startbedingungen verfügen, ist es zwar aus Gleichberechtigungsgründen ethisch richtig, Randgruppen mehr zu ermöglichen als früher. Dennoch kann nicht jede*r alles werden. Diese Rahmenbedingungen erkennt der Materialismus an, wenn er davon ausgeht, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt.

Würde der Mensch sich nun lediglich als Realist in die realen Verhältnisse seines Lebens ergeben, wären die bestehenden Verhältnisse für alle Zeiten zementiert. Der Materialist im Sinne des österreichischen Philosophen Robert Pfallers (Wofür es sich zu leben lohnt) erkennt diese Umstände an und beginnt jedoch anstatt einer bloßen Akzeptanz mit ihnen zu spielen. Damit ist er der Komödie näher als der Tragödie. Er ist kein Held, der einen idealen Zustand anstrebt, sondern begibt sich lust- und humorvoll in die Rolle des einfachen Menschen. Mit großformatigen Helden können wir uns nur identifizieren, wenn wir auch im realen Leben weit über uns hinauswachsen. Andernfalls entlassen sie uns frustriert zurück in unser einfaches Leben. Mit einem Clown, der auf einer Bananenschale ausrutscht, identifizieren wir uns (vermutlich) alle, weil wir alle Situationen eines zufälligen Scheiterns kennen.

In Komödien geht es um das kleine Scheitern im Alltag auf der Basis kleiner Katastrophen und Missverständnisse, während in Tragödien das große Scheitern angesagt ist. Dies wird besonders deutlich in Verwechslungskomödien wie beispielsweise in Charlie Chaplins „Der große Diktator“, wo ein einfacher Friseur aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Diktator Hinkel verwechselt wird. Der Friseur hat keinen idealistischen Plan zur Verbesserung der Welt, sondern wird mit einem manifesten, materialistischen Fakt konfrontiert. Fortan muss er auf diese aufgezwungene Rolle reagieren, was zu einigen paradoxen Situationen führt. Er wird nicht zu einem authentischen Helden, der einer eigenen Agenda folgt, sondern zu einem Helden wider Willen. Diese komödiantischen Verwicklungen und erzwungenen Improvisationen liegen unserem eigenen Alltag wesentlich näher als ein Idealismus mit epischen Zielen zur Rettung der Welt.

Während also die wahre Freiheit und das wahre Glück für Idealisten niemals stattfindet, weil wir uns in Gedanken immer eine bessere und schönere Welt vorstellen können, gibt sich der Materialist nicht mit der Welt ab – das würde ein Realist tun – sondern begibt sich wie im Improvisationstheater in eine Rolle, in der er humor- und lustvoll mit dem spielt, was er vorfindet. Er sucht sich folglich eine Nische, in der er ein gutes Leben führen kann, und vielleicht gerade aufgrund der Ferne einer idealistischen Verbissenheit die Welt zu einem besseren Ort macht.

Improvisieren in Krisenzeiten

Was folgt nun aus all dem? Ein idealistisches Bild von der Welt ist sicherlich hilfreich, um bestehende Umstände zu verbessern. In Zeiten von Krisen können sich viele Menschen ein solches Bild jedoch nicht mehr vorstellen, weil sich die Bilder von einer besseren Zukunft, die ihnen bis dato präsentiert wurden, als unerreichbar herausstellten.

In solchen Fällen ist es sinnvoller, die Umstände materialistisch anzuerkennen und zu lernen, damit zu spielen. Ein Spiel wiederum erfordert klare Rollen und Regeln. Das einfachste Rollensystem im Improtheater besteht im Unterschied zwischen einem Hoch- und einem Tiefstatus. Der Realist würde nun die damit verbundenen Machtverhältnisse anerkennen. Der Materialist erkennt lediglich an, dass es Unterschiede im Status gibt, was jedoch nicht bedeutet, dass ein Mensch im Tiefstatus automatisch unterlegen sein muss. Bereits Hegel wusste: Meister und Untergebene sind voneinander abhängig. Denn was wäre ein Meister, wenn der Untergebene das “Spiel” nicht mehr mitspielt oder die wunden Punkte des Meisters, beispielsweise seinen Stolz, manipuliert?

Die einfachste Regel im Improtheater lautet “Alles annehmen. Niemals Nein sagen”. Das wieder bedeutet nicht, dass wir alles auf alle Zeiten akzeptieren müssen. Stattdessen können wir mit dem Gegebenen experimentieren, anstatt bloß von einer idealen Zukunft zu träumen und so zu Lösungen kommen, die nicht einmal in unseren kühnsten, idealistischen Träumen auftauchten.

Authentizität als Ideologie

Die Forderung nach mehr Authentizität könnte zu einer Gesamtvereinnahmung des Menschen führen. Der Mensch soll nicht nur mit einem Teil von sich gute Arbeit abliefern, sondern in seiner Gesamtheit begeistert sein. Damit wird jedoch zum einen der Druck in der Arbeit erhöht, weil ich dann mit Leib und Seele bei der Arbeit sein muss, anstatt lediglich eine Rolle auszuüben, bestehend aus klaren aber begrenzten Erwartungen an mich. Rollen wiederum haben den Vorteil im Rahmen eines Spiels stattzufinden, das sich wiederum durch klare Regeln auszeichnet. Durch diese Regeln lässt sich definieren, was eine Führungskraft, ein Einkäufer oder eine Vertrieblerin zu tun haben, um als erfolgreich zu gelten, beliebt zu sein und anerkannt zu werden.

Zum anderen ist es schwerer, am Abend abzuschalten, wenn der gesamte Mensch vereinnahmt wird. Denn eine Trennung zwischen Privatleben und Arbeit findet dann nicht mehr statt. Mehr noch: Soll der Mensch in seiner Arbeit mindestens ebenso begeistert sein wie in seinem Privatleben, stellt sich die Frage, was dann noch in seinem privaten Leben an Begeisterung übrig bleibt. Entweder er toppt seine beruflichen emotionalen Erfolge, indem er auch im Privaten nach ähnlichen emotionalen Höhenflügen strebt, im Sinne von Abenteuerurlauben und Wellnesstempeln. Oder er gerät in Depressionen, wenn ihm sein Privatleben weniger spannend als sein berufliches Leben vorkommt.

Authentische Rollen spielen

Um zu klären, wie wir in Zukunft mit Authentizität umgehen sollten, sollten wir Authentizität zuerst einmal als das entlarven, was es ist: Zum einen ist Authentizität eine Ideologie, die im Sinne Slavoj Zizeks unbewusst umso stärker wirkt. Zum anderen ist der Wunsch nach mehr Authentizität in einer Welt voller überbordender Bürokratie und digitaler Ferne und dem Verstecken von Entscheidungsträger*innen gleichzeitig ein nachvollziehbarer Wunsch nach Nahbarkeit und Menschlichkeit.

Die beste Lösung dieses Dilemmas besteht meiner Meinung nach in einer transparenten Erhöhung der Komplexität. Anstatt blind der Vorgabe zu folgen, authentisch zu sein oder sich hinter einer Rolle zu verstecken, sollten wir klar definieren, aus welchen Rollen unser Arbeitsleben im Detail besteht, welche Erwartungen wir selbst an diese Rollen haben und welche Erwartungen es von den Kolleg*innen gibt. Aus der unklar definierten Rolle einer authentischen – vermutlich im Sinne von begeisterten und mitreißenden – Führungskraft wird so eine Führungskraft als Antreiber*in, Visionär*in, Entscheider*in, Tüftler*in, Seelsorger*in, Coach, Vermittler*in, usw. Manche dieser Unterrollen lassen sich sehr authentisch ausleben, weil sie genau dem entsprechen, was zum jeweiligen Charakter passt. Andere Unterrollen werden sich weniger authentisch anfühlen, gehören jedoch ebenso zum Berufsleben dazu. Auch dies lässt sich gegenüber den Kolleg*innen deutlich machen. Die Führungskraft als Kumpel fühlt sich vielleicht besonders authentisch an. Die Führungskraft als Profi kennt jedoch ihr gesamtes (Unter-)Rollenrepertoire und ist in der Lage, von der einen Rolle zu anderen zu wechseln, wenn dies erforderlich ist.

Literatur:

Byung-Chul Han: Vom Verschinden der Rituale

Nieder mit der Ideologie: Philophische Sternstunden mit Slavoj Zizek (externer Link): https://www.youtube.com/watch?v=Lsc1e3pYtRw

Warum wir einen Paradigmenwechsel in Mitarbeiter-Seminaren brauchen

Von der Führungsmacht zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe

In Zeiten von Agilität, Partizipation und Homeoffice haben Führungskräfte immer weniger direkten Einfluss auf ihre Mitarbeiter*innen. Stattdessen nimmt die Macht der Mitarbeiter*innen – auch durch den Fachkräftemangel – immer mehr zu. Mit dieser neuen Macht ist jedoch auch eine neue Verantwortung verbunden, derer sich viele Mitarbeiter*innen noch nicht bewusst sind. Wollen sie dieser neuen Macht gerecht werden, braucht es in Zukunft für Mitarbeiter*innen mehr als nur die üblichen Zeit- und Projektmanagement-Trainings, damit Teams in Zukunft nicht nur arbeitsfähig, sondern auch intern stabil bleiben.

Warum führt Macht zu Stabilität in einem Team?

Ein Team besteht nicht nur aus einer Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften, Kompetenzen und Aufgaben. Diese Gruppe wird auch durch ein unsichtbares Band zusammengehalten, auf das sich, im Falle eines stabilen Teams, alle einlassen, meist ohne darüber zu sprechen. Um dieses Band genauer zu definieren, sollten wir über einen Begriff sprechen, der in Zeiten der Agilität, Gleichberechtigung und Führung auf Augenhöhe aus dem Blick geraten ist. Sprechen wir also über Macht.

Die Konflikttheorie des Soziologen Max Weber besagt, dass Macht mit der tatsächlichen oder potentiellen Ausübung von Gewalt zusammenhängt. Auf gesellschaftlicher Ebene mag dies oftmals stimmen: Wenn ich mit meinem Auto ohne Nummernschild durch die Gegend fahre, von der Polizei angehalten werde und daraufhin eine Diskussion beginne, muss ich auf die eine oder andere Weise mit Gewalt rechnen. In beruflichen Situationen spielt Gewalt jedoch eine untergeordnete Rolle. Und dennoch gibt es mehr oder weniger klare Machtverhältnisse, an die sich die Menschen weitgehend halten.

Zur Erklärung der Gründe dieses Zusammenhalts ohne Androhung oder Anwendung von Gewalt entwickelte die Philosophin Hannah Arendt die Konsenstheorie: In einem sozialen Kontext haben alle Parteien ein Nutzen durch die Verteilung von Macht. Die Manager*innen und Führungskräfte bekommen mehr Geld und haben mehr Mitbestimmungsrechte, was für sie häufig mit der Freiheit zu tun hat, sich die eigene Zeit selbst einzuteilen und Aufgaben zu erledigen, die ihnen attraktiver vorkommen. Die Mitarbeiter*innen wiederum vertrauen darauf, dass ihre Chef*innen sie vor Angriffen von außen schützen, bspw. vor verbal übergriffigen Kund*innen, auch mal länger bleiben, wenn etwas dringend erledigt werden muss, während sie sich an einer regelmäßigen Arbeitszeit orientieren und sich nicht unbedingt einen Kopf um die langfristigen und externen Konsequenzen ihrer Arbeit machen müssen. Zudem investieren Führungskräfte i.d.R. mehr Zeit und Mühen, um sich Wissen und Führungskompetenzen anzueignen. Zeit, die die restliche Belegschaft lieber in private Belange investiert.

Aufgrund dieser Vorteile sind Mitarbeiter*innen in der Regel gerne bereit, auf eine umfassende Mitbestimmung zu verzichten. Lassen sich beide Seiten auf diesen Deal ein, erhöht dies die Stabilität in einem Team, weil eindeutig geklärt ist, wer wofür zuständig ist.

Systemische Gründe für eine akzeptierte Machtverteilung

Neben diesen persönlichen Gründen gibt es noch weitere gruppendynamische Argumente für eine Akzeptanz der Verteilung von Macht:

  • Konfliktvermeidung: Sich um Macht zu streiten kostet Energie, die zur Erreichung des Ziels einer Gruppe besser investiert werden kann.
  • Bindung: Menschen wollen dazu gehören. Wer sich unterordnet oder sich eine Nische im System sucht, ohne sich auf einen Machtkampf einzulassen, riskiert in Folge auch keinen Ausschluss aus der Gruppe.
  • Status Quo-Bewahrung: Wer sich einmal auf ein System eingelassen hat, arrangiert sich selbst bei Unzufriedenheit lieber mit dem Status Quo als sich mit Machthabenden anzulegen. Die Folgen eines solchen Machtkampfes können unkalkulierbar sein, sind jedoch mindestens mit Stress verbunden.

Kulturelle Regeln vs. Sanktionsregeln

Dieses unbewusste Band wird durch meist ebenso unausgesprochene kulturelle Regeln gelebt. Solche Regeln lassen sich als Wenn .., dann …-Verknüpfungen erfassen und beziehen sich auf alles Mögliche rund um die Zusammenarbeit:

Lob und Kritik:

  • Wenn ich anderer Meinung bin als mein Chef, (dann) kläre ich das unter vier Augen, um seine Machtposition nicht zu gefährden, indem ich ihn öffentlich herausfordere.

Arbeitsethos:

  • Wenn mein Chef länger bleibt, (dann) heißt das noch lange nicht, dass ich auch länger bleiben muss.
  • Wenn ich doch einmal gezwungen bin, „die Extrameile zu gehen“, (dann) sollte das eine Ausnahme sein. Zudem erwarte ich ein Extralob oder eine anderweitige Vergütung.

Wollen Sie selbst den Regeln in Ihren Teams auf den Grund gehen, fragen Sie sich:

  • Wofür bekommen die Teammitglieder Anerkennung?
  • Wofür werden sie bewundert?
  • Was darf nicht angesprochen werden, wird aber dennoch befolgt?

Sollte es in Ausnahmefällen doch einmal nötig sein, wird mittels Sanktionsregeln auf die Gewaltkomponente als eine Art Joker zurückgegriffen, die ebenfalls als Wenn …, dann …-Regeln funktionieren:

  • Wenn jemand dauerhaft gegen Arbeitsregeln verstößt, bekommt er oder sie eine Abmahnung.

Die Regel lautete bislang: Je weniger offizielle Sanktionen notwendig sind, desto mehr halten sich die Teammitglieder an inoffizielle kulturelle Regeln und desto stabiler ist ein Team.

Die „Neue Normalität“ als Irritation

In neuer Zeit hat dieses System einen Riss bekommen und dies nicht erst seit Corona:

  • Agilität und Partizipation: Teamleitungen ohne Weisungsbefugnis, wie es in agilen Teams häufig der Fall ist, verfügen kaum noch über Macht. Damit greift die alte Aufteilung zwischen Mächtigen, die mehr leisten und auch mehr Befugnisse haben und weniger Mächtigen mit klaren Arbeitszeiten nicht mehr. In einem Team zu arbeiten, das alles zusammen entscheidet, macht sicherlich mehr Spaß, als in einem streng hierarchischen Team zu sein. Ob jedoch alle auch gerne länger bleiben, wenn es notwendig ist, hängt meist von den familiären Rahmenbedingungen der Mitarbeiter*innen ab. Zudem gibt es immer noch Menschen, die sich lieber als andere weiterbilden und dafür vermutlich auch einen Macht-Benefit in Unternehmen erwarten. Was würde jedoch passieren, wenn es diesen nicht mehr gibt?
  • Eigeninitiative im Homeoffice: Die Arbeit im Homeoffice führt automatisch zu mehr Eigenverantwortung. Und Eigeninitiative kann eine feine Sache sein, wenn Mitarbeiter*innen dies wollen. Manche Mitarbeiter*innen sind jedoch überfordert bei so viel Verantwortung. Während sie früher von der Arbeit nach Hause gingen, selbst, wenn eine dringende Aufgabe noch nicht erledigt war, mit dem Vertrauen darauf, dass ihr/e Chef*in den Rest erledigen wird, sind sie nun stärker auf sich alleine gestellt. Die Erwartungen an jede/n Einzelnen sind definitiv gestiegen.
  • Krisen und Dauerbelastungen: Lautete der Deal früher für Mitarbeiter*innen „Ich mache meinen Job, aber mehr auch nicht“, wird nun dauerhaft von ihnen verlangt, in unterbesetzten Teams mehr zu leisten als früher, oftmals jedoch ohne die Sicherheit zu haben, dass sie ihren Job auch morgen noch haben werden. Ob dies für sie unangenehm ist, hängt von der jeweiligen Branche und dem entsprechenden Fachkräftemangel ab. Bei vielen Mitarbeiter*innen (und Führungskräften ebenso) geht dies auch an die körperliche Substanz bis hin zu somatischen Beschwerden wie Schlafstörungen, Rückenschmerzen oder psychischen Beschwerden wie Depressionen oder einem Burnout.

All dies zeigt uns, dass das bisherige Konsensmodell der Machtverteilung in weiten Teilen nicht mehr greift und damit die Stabilität in vielen Teams gefährdet:

  • Ob in agilen Teams oder im Homeoffice: Die Verantwortung für Ergebnisse hängt nicht mehr final von der Führungskraft ab, sondern wird im besten Fall auf alle Schultern verteilt.
  • Bei einer Führung auf Distanz entsteht zudem der Eindruck, dass Führungskräfte nicht so greifbar sind, so schnell wie vor Ort reagieren und für ihre Mitarbeiter*innen die Kohlen aus dem Feuer holen können, wobei dies v.a. ein psychologischer Faktor ist. Selbst wenn die alten Machtverhältnisse aufrecht erhalten bleiben, ist es für Mitarbeiter*innen schwer, die Signale der Macht zu deuten und damit Klarheit darüber zu erlangen, wem sie aufgrund eines souveränen Auftretens als Führungskraft Macht zutrauen und wem nicht.
  • Am schwersten wiegt jedoch die derzeitige Dauerbelastung: Während Mitarbeiter*innen früher leichter abschalten konnten, werden sie heute mehr in die Pflicht genommen, was die Gefahr mit sich bringt, dass sich manche überarbeiten, während sich andere vehementer als früher abgrenzen und egoistischer werden.

Kulturelle Regeln bewusst machen

Insbesondere der letzte Punkt eröffnet die Gefahr, verstärkt mit Sanktionen gegenüber sich egoistisch Abgrenzenden zu arbeiten, da diese leichter umzusetzen sind, als über kulturelle Regeln der Zusammenarbeit zu sprechen. Dabei würde genau das zu einer nachhaltigen Stabilisierung führen. In diesem Sinne ist es hilfreich für Teams, den bislang unbewussten Nutzen der beiden Seiten bewusst zu machen, um zu klären, welche neuen kulturellen Regeln sich ein Team geben will, um unter neuen Bedingungen, d.h. im Homeoffice und im Rahmen einer Führung auf Augenhöhe als auch unter Dauerbelastungen stabil zu bleiben, bspw:

  • Wenn ich überlastet bin, (dann) spreche ich darüber.
  • Wenn wir gemeinsam Entscheidungen treffen, (dann) hören wir alle Meinungen im Team an, bevor wir ein finales Urteil fällen.
  • Wenn wir an unsere Grenzen kommen, (dann) gehen wir davon aus, dass jede*r sein / ihr Bestes gibt.
  • Wenn ich sehe, dass jemand dauerhaft über seine Grenzen geht, (dann) biete ich ihm oder ihr Hilfe an.

Erhöhung der sozialen Kompetenz

Die Klärung neuer kultureller Regeln machen einen Teil der sozialen Kompetenz in einem Team aus. Diese lässt sich noch weiter erhöhen, indem – insbesondere bei einer Zusammenarbeit auf Distanz – der egozentrierte Blick aller Mitarbeiter*innen immer wieder auf das soziale Zusammenspiel der Akteure gelenkt wird:

  • Wie fördern wir das Verständnis füreinander?
  • Wir bauen wir Bindungen zueinander auf und lassen tragfähige Netzwerke entstehen?
  • Welche Ziele verfolgen wir gemeinsam?
  • Wie sollten wir zusammenarbeiten, um unsere Ziele zu erreichen?
  • Was ist uns in der Arbeit und Zusammenarbeit wichtig?
  • Welches Verhalten könnte zu Missverständnissen führen?
  • Oder konkret: Wie könnte sich Kollege X fühlen, wenn er nicht weiß, wann er seine Unterlagen von Kollegin Y bekommt?

Während die soziale Kompetenz und damit Deutung von Signalen in Präsenz relativ einfach ist, kommen wir nicht umhin, die soziale Kompetenz insbesondere bei einer Zusammenarbeit auf Distanz aktiv zu fördern und weiterzuentwickeln. Letztlich brauchen also auch Mitarbeiter*innen ohne offizielle Führungsverantwortung Weiterbildungen in Kommunikation und Konfliktmanagement, die bislang v.a. Führungskräften vorbehalten waren. Um diese Lücke zu schließen bietet die Digitalisierung (kurze Online-Trainings, Lernplattformen) enorme Chancen.