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Postmoderner Aufstieg

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Die Gesellschaft der Moderne ist auf Aufstieg ausgerichtet. Der Mensch strengt sich an, kann sich etwas leisten, bildet sich weiter, wird eine Führungskraft und macht Karriere. Das Aufstiegsversprechen sorgte jahrzehntelang für eine hierarchische Klarheit und Motivation in Unternehmen.

Doch was passiert, wenn einerseits dieses Aufstiegsversprechen nicht mehr funktioniert und andererseits junge Menschen kein Interesse mehr an diesem klassischen Aufstiegsmodell haben?

Manifest eines neuen Aufstiegsversprechens

I. Das Ende der neoliberalen Erzählung

Über Generationen galt: Wer sich anstrengt, wird belohnt. Bildung, Fleiß und Disziplin galten als Schlüssel zum Aufstieg. Doch dieses Versprechen ist gebrochen. Nicht, weil Menschen faul geworden wären, sondern weil die Strukturen erstarrt sind. Wer oben ist, bleibt oben. Wer unten anfängt, arbeitet oft sein Leben lang gegen unsichtbare Wände.
Erbe und Herkunft zählen mehr als Einsatz und Anstrengung. Die alte Erzählung von der Leistungsgesellschaft hat damit ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Früher war Bildung der Schlüssel, um soziale Grenzen zu durchbrechen. Heute reproduziert sie bestehende Unterschiede. Eine Freundin meiner älteren Tochter studiert in Köln. Dort hieß es: „Das Studium ist ein Vollzeitstudium. Wer meint, er könne nebenher arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren, kann sich das abschminken. Sinnvoller ist es, zuhause bei seinen Eltern um mehr Geld zu bitten.“

Auch die Diskussion über den Sinn in der Arbeit, neudeutsch purpose, ist für viele mittlerweile eine schale Angelegenheit. In einer Gesellschaft, die Erfolg in Zahlen ausdrückt – Einkommen, Eigentum und Status – wirkt das Wedeln mit dem Sinn schnell wie ein Trostpflaster dafür, dass ein Unternehmen nicht mehr zu bieten hat.

II. Die Leere im postoptimistischen Zeitalter

Wo kein Aufstieg mehr möglich ist, entsteht Resignation. Wer nicht aufsteigen kann, grenzt sich wenigstens nach unten ab. Und wer auch darin scheitert, greift nach der Zerstörung – aus Wut, Ohnmacht oder dem Gefühl, überflüssig zu sein. Symptomatisch dafür sind Aussagen wie „Eigentlich bin ich kein Fan der AfD, aber ich will, dass die da oben einen Denkzettel bekommen“. Auf der anderen Seite gehen viele junge Menschen unter 25 nicht mehr zu Wahlen (siehe Brexit, Trump oder Bundestagswahlen → Studien der WZB, Friedrich-Ebert-Stiftung oder Bundeszentrale für politische Bildung).

Ein ähnliches Pendeln zwischen Resignation, Wut und Egoismus finden wie in Unternehmen wieder, wenn scheinbar ohne Grund sinnvolle Aufgaben abgelehnt oder Veränderungen blockiert werden.

Erscheint jedoch der Aufstieg als Karriere nicht mehr möglich, fällt auch ein wichtiger Motivator in der Arbeit weg: „Warum sollte ich mich anstrengen, wenn es ohnehin nichts bringt? Dann reicht es auch, das Nötigste zu tun und ansonsten mein Leben zu genießen?“

Dies betrifft vor allem die neue Mittelschicht, die sich im Gegensatz zur alten Mittelschicht weniger auf Materielles verlassen kann (Stichworte: Hausbesitz, Handwerk), sondern in einer Sharing-Community groß wurde und sich mit kreativen und digitalen Tätigkeiten einen höheren Status erarbeitete (→ Andreas Reckwitz: Gesellschaft der Singularitäten). Dieser Status besitzt jedoch wenig Fundament und kann schnell schwinden, bspw. wenn eine KI den eigenen Job übernimmt. Kein Wunder, dass aktuell ein enormer Druck im Kessel ist:

  • Die Oberschicht grenzt sich ab.
  • Die alte Mittelschicht schlägt zurück, bspw. durch horrende Handwerker-Rechnungen.
  • Die neue Mittelschicht hat Angst vor dem Absturz.
  • Die Unterschicht kämpft um ihr Überleben.
  • Und viele junge Menschen weigern sich, Teil eines solchen toxischen Systems zu werden.

III. Ein neues Aufstiegsversprechen

Soll ein neues Aufstiegsversprechen wieder zu mehr Motivation in Unternehmen führen, darf es nicht mehr individuell und exklusiv sein, im Sinne von: „Ich will höher hinaus als du.“ Sondern kollektiv und inklusiv: „Wir wollen gemeinsam besser leben und zusammenarbeiten.“

Aufstieg sollte kein Wettlauf mehr sein, sondern ein Projekt kollektiver Gerechtigkeit, Sicherheit, Solidarität, Zufriedenheit, Autonomie, Sicherheit und Würde.

Tatsächlich zeigen Umfragen, dass junge Menschen v.a. deshalb nicht zu Wahlen gehen, weil sie weniger in Parteiprogrammen, sondern themenorientiert denken:

  • Klima ist wichtig, aber die Grünen sind zu elitär.
  • Solidarität ist wichtig, aber die SPD hängt noch zu sehr in der Vergangenheit und die Linke ist zu wenig liberal.
  • Autonomie ist wichtig, aber die FDP agiert lediglich wirtschaftsliberal.

Übertragen wir diese Erkenntnisse auf Unternehmen, bedeutet ein postmoderner Aufstieg:

  • dass niemand Angst vor einem gesellschaftlichen Absturz haben muss,
  • dass Bildung und Seminare kein Privileg sind, um Karriere zu machen, sondern eine Möglichkeit persönlicher Weiterentwicklung,
  • dass Arbeit Anerkennung erfährt, egal ob sie im Büro, in der Pflege oder an einer Maschine geleistet wird,
  • dass alternative Lebensläufe verstanden, respektiert und gefördert werden,
  • dass sich Wohlstand und finanzielle Sicherheit in einer guten Balance zu Freizeitzeit, Gesundheit und Sinn befinden.

Dieser qualitative Aufstieg funktioniert weniger vertikal, sondern horizontal:

  • Sinnvoll verbrachte (Arbeits-)Zeit,
  • Bildung für alle (Interessierte),
  • Gesundheit als zentraler Baustein,
  • persönliche statt verordnete Sinnsuche,
  • Gemeinschaft statt Abgrenzung,
  • Teilhabe an Unternehmensentscheidungen, wo es möglich und sinnvoll erscheint.

Fazit: Eine Zeitenwende

Es erscheint einfach, sich über die Arbeitsmoral junger Menschen zu beklagen. Schwieriger ist es, zu erkennen, dass wir aktuell mitten in einer großen Zeitenwende stehen. Noch schwieriger ist es Strukturen in Unternehmen anzupassen, damit Motivation auch für diejenigen wieder möglich ist, die nicht vertikal aufsteigen wollen. Logischerweise braucht es hier hybride Lösungen, um nicht die Mitarbeiter*innen vor den Kopf zu stoßen, die mit dem Aufstiegsmodell der Moderne groß wurden. Ein erster wichtiger Schritt wäre es jedoch, zu akzeptieren dass junge Menschen anders arbeiten wollen.

Wieviel Führung braucht der Mensch?

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O.K. Leute. Manche von euch müssen jetzt ganz stark sein. Aber wenn wir Wissenschaft ernst nehmen (Follow the Science!) – in diesem Fall Studien über den Umgang mit Katastrophen – wird klar, dass Menschen viel weniger Führung brauchen als uns das sowohl die Politik als auch Hollywood vormachen wollen. In Wirklichkeit organisieren sich Gruppen von Menschen viel besser als uns weisgemacht wird: Sie helfen sich gegenseitig, sind weniger egoistisch als wir denken und reagieren weniger panisch als wir es aus großen Blockbustern kennen. So geordnet wie Menschen unter Druck reagieren ist fast schon langweilig.

Aber der Reihe nach …

Unser sozialer Aktivierungsmechanismus in Krisen

Geraten Menschen in eine Bedrohungssituation, passiert typischerweise Folgendes:

  • Sie erkennen ihr gemeinsames Schicksal.
  • Dadurch entsteht spontan eine geteilte soziale Identität.
  • Diese neue, gemeinsame Identität und kollektive Hoffnung auf eine Rettung aktiviert die gegenseitige Unterstützung und Koordination.

In der Katastrophen-Forschung nennt sich dieser Mechanismus „emergent social identity“.

Emergenz bezeichnet das Phänomen, dass sich aus geordneten Strukturen unter Chaos eine eigene Ordnung herausbildet, die niemand von außen steuert. Das Prinzip der Selbstorganisation ohne Führung klingt komplizierter als es ist. Wenn wir genauer hinsehen, erlebt jede*r von uns täglich solche Situationen.

Ein Beispiel: Spontane Koordination in einer Fußgängerzone

  1. Situation: Ein Gehweg ist plötzlich durch ein Hindernis blockiert (Bauarbeiten, Lieferwagen).
  2. Einzelverhalten: Jeder Fußgänger weicht intuitiv aus, sucht eine Lücke, passt seine Geschwindigkeit an oder wartet, bis es frei ist. Kinderwägen werden gemeinsam getragen. Ältere Menschen werden gestützt.
  3. Emergentes Muster: Es entsteht ein geordnetes „Fließsystem“ ohne Anordnung: Menschen teilen sich automatisch in zwei Richtungen auf, lassen andere passieren und passen ihr Tempo an. Niemand sagt „Du gehst links, du rechts“, keine Ampel regelt das Geschehen. Dennoch funktioniert das System erstaunlich reibungslos – es wirkt fast wie eine organisierte Struktur.

Führung funktioniert anders als wir denken

Wer die Cinefin-Matrix (externer Link) auf Führung überträgt, kann zu der Erkenntnis kommen,

  • dass sich einfache Aufgaben gut delegieren lassen,
  • komplizierte Aufgaben ein gutes Gruppengefüge benötigen,
  • komplexe Aufgaben Schwarmintelligenz brauchen,
  • aber unüberschaubare Situationen, also Krisen und Chaos, eine stringente Führung brauchen, bis wieder Klarheit hergestellt ist.

Fakt ist: Medial präsent sind Plünderungen, Egoismen und Regelbrecher. Auswertungen von Tausenden Überlebenden von 9/11 ergaben jedoch: Die meisten Menschen verließen die Gebäude geordnet, halfen einander, trugen Mobilitätseingeschränkte mehrere Stockwerke nach unten und warteten aufeinander, obwohl sie alleine schneller gewesen wären. Panik in Krisensituationen sind weitgehend ein Mythos.

Das Bild von panischen Menschenmassen hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt und bestimmt daher auch unsere Entscheidungen und unser Wahlverhalten. Wer daran glaubt, dass Menschen in Krisen zu Plünderern werden (Bsp. Hurrican Kathrina) oder während einer Terrorattacke unkoordiniert durch die Gegend rennen, ist auch dafür, die Befugnisse von Führung jeglicher Art auszubauen. Wer darauf vertraut, dass Menschen sich gerade in Krisen gut selbst organisieren, ist ein Anhänger weitgehender Liberalität. Genau jene Liberalität, die wir brauchen, um sowohl gesellschaftlich als auch beruflich Vertrauen zueinander zu haben.

Studien im Nachgang vieler Katastrophen (Erdbeben, Brände, 9/11) konnten zeigen:

  • Es bilden sich spontan Koordinationsnetzwerke.
  • Rollen entstehen und lösen sich wieder auf.
  • Nach der Krise verschwinden diese flach organisierten Gruppen wieder oder werden formalisiert.

Die „Plünderer“ während Kathrina erwiesen sich im Nachhinein als Menschen, die für andere Menschen Essen besorgten.

Alltag- versus Krisen-Führung

Soziologische Studien zu vermeintlichem Panikverhalten legen nahe, dass Menschen im Alltag, in dem es keine unmittelbare gemeinsame Bedrohung gibt und damit eine gemeinsame Identität weniger notwendig ist, mehr Führung brauchen, weshalb Routinen, Autoritäten und klare Rollen wichtig sind, während in Krisen weniger Führung notwendig ist.

Kommt in Krisen eine Führung von außen, bspw. durch eine Autorität, der die Gruppe nicht vertraut, kann dies eine verheerende Wirkung haben. Auf gesellschaftlicher Ebene passiert dies, wenn sich Politiker*innen als Legislative oder Polizist*innen als Exekutive in die Selbstorganisation einmischen. Auf beruflicher Ebene kann ein externes Krisenmanagement mehr kaputt machen als gedacht. Daher ist es gerade in Krisensituationen hilfreich, wenn das Management der Krise von einer vertrauten Person übernommen wird.

Führung in Krisen ist also nicht ganz obsolet. Sie muss jedoch ein Teil der Gruppe sein, um Gegenwehr zu verhindern. Während in klassischen Modellen davon ausgegangen wird, dass Menschen insbesondere in chaotischen Situationen irrational handeln und von oben gelenkt werden müssen, gehen neuere Modelle davon aus, dass Führung emergent sein sollte: Eine Person oder kleine Gruppe übernimmt dann die Führung, wenn sie als Teil des „Wir“ wahrgenommen wird und glaubwürdig handelt.

Ein Beispiel: Nach dem Anschlag in der Londoner U-Bahn 2005 halfen sich Menschen spontan gegenseitig und befolgten Anweisungen der Einsatzkräfte nicht, weil sie befehligt wurden, sondern weil sie die Einsatzkräfte als ihre Leute wahrnahmen.

Zusammengefasst lässt sich daher festhalten:

Wenn das nicht Hoffnung auf die Zukunft macht?

Literatur

John Drury & Stephen Reicher (Hrsg.) – Crowds in the 21st Century: Perspectives from Contemporary Social Science (Routledge, 2012) → Überblick über moderne Crowd-Psychologie; zeigt, dass „Panik“ selten ist und Solidarität dominiert.

E. L. Quarantelli – What Is a Disaster? Perspectives on the Question (Routledge, 1998) → Klassiker; entwickelt die Idee, dass Katastrophen nicht durch Panik, sondern durch soziale Organisation geprägt sind.

Michael J. Reiss, Roz Diane Lasker, Robyn R. Gershon (Hrsg.) – World Trade Center Evacuation Study: Lessons for Emergency Preparedness
(Centers for Disease Control and Prevention / Columbia University, 2004–2006, diverse Publikationen) → Empirische Auswertung: geordnetes, solidarisches Verhalten, kaum Panik.

Dirk Helbing – Social Self-Organization: Agent-Based Simulations and Experiments to Study Emergent Social Behavior (Springer, 2012) → Quantitative Perspektive auf emergentes Verhalten, auch bei Evakuierungen und Katastrophen.

Vorurteile gegenüber Hoffnung

Seitdem ich mit dem Thema „Hoffnung für Führungskräfte“ unterwegs bin, stoße ich immer wieder auf Vorurteile, warum Hoffnung anscheinend nicht zu Führungskräften passt:

  • Hoffnung ist doch passiv!
  • Hoffnung ist illusorisch!
  • Hoffnung zeigt Schwäche!
  • Hoffnung ist mir zu vage!
  • Hoffnung ist gefährlich!

Schauen wir uns diese fünf Vorurteile im Einzelnen an:

Hoffnung ist zu passiv. Mit 17 Jahren erkrankte Milton Erickson, der spätere Entwickler der ressourcenorientierten Hypnotherapie, an einer Ganzkörper-Kinderlähmung. Eines Tages hörte er einen Arzt zu seinen Eltern sagen, dass er wohl nicht mehr lange zu leben hat. Das mobilisierte ihn so sehr, dass er daran arbeitete, einzelne Körperteile, beginnend mit einem Finger zu bewegen. Zuerst stellte er sich die Bewegung geistig vor. Nach und nach ließen sich seine Körperteile tatsächlich steuern. Zuerst minimal, dann immer mehr. Er beobachtete auch seine kleine Schwester, die gerade dabei war, laufen zu lernen und spielte gedanklich nach, was es dazu brauchte und welche Muskeln im Körper aktiviert werden mussten. Schließlich dehnte er seine Bewegungen auf den ganzen Körper aus. Nach einem Jahr konnte er an Krücken gehen, zwei Jahre später bereits ohne Krücken.

Hoffnung ist illusorisch. Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein Fußballclub aus der 2. oder 3. Liga spielt im Pokal gegen den FC Bayern. In den letzten 10 Jahren haben solche Außenseiter 2 mal gegen die Bayern gewonnen – für die Aficionados: Saarbrücken und Kiel. Verdammt selten, aber möglich. Die Fans welcher Mannschaft werden wohl frenetischer ihren Club anfeuern? Die Optimisten, die wissen, dass ein Sieg ohnehin gewiss ist? Oder die Hoffenden, die zumindest eine klitzkleine Chance sehen? Wenn, ja, wenn sie laut genug sind.

Hoffnung zeigt Schwäche. Achilles war nur verwundbar, weil seine Mutter ihn beim Tauchen in den Unterweltfluss Styx, der ihn unverwundbar machen sollte, an seiner Ferse festhielt. Erst durch die Aufrechterhaltung der Bindung blieb er verletzlich. Hätte sie ihn losgelassen, wäre er vermutlich ertrunken. Unsere Verwundbarkeit verhindert damit, dass wir sowohl uns selbst, als auch den Zugang zu anderen verlieren.

Hoffnung ist zu vage. Hoffnung ist eine Mischung aus Zuversicht und Zweifel. Klar ist das vage. Aber das ganze Leben ist vage. Hoffnung geht ins Offene. Hoffnung bildet das komplette Leben ab und nicht nur eine Wunschversion. Interessant dabei ist auch, dass wir optimistisch oder pessimistisch sind, uns aber Hoffnungen machen können. Wir können sogar skeptisch sein und gleichzeitig Hoffnung haben. Deshalb ist der Gegenspieler der Hoffnung nicht die Angst. Unsere Angst ist ein treues Helferlein, weil sie zur Hoffnung dazu gehört. Sich zu fürchten, erdet uns. Die Angst hält uns auf dem Boden der Tatsachen. Sie verhindert falsche Hoffnungen. Die Hoffnung wiederum lässt uns empor steigen. Ein Teil Engel, ein Teil Mensch.

Hoffnung ist gefährlich. Und das ist gut so. Klar kann ich scheitern. Aber am Ende verändern Hoffnungen die Welt. Gott bewahre! Optimismus heisst: Die Dinge gut machen. Sie optimieren. Das Optimum heraus holen. Kein Wunder, dass in Unternehmen Optimismus angesagter ist als Hoffnungen. Zuversicht heisst: Durchhalten. Hoffnung heisst: Die Dinge anders machen. Oder auch: Andere Dinge machen.

Wer progressiv unterwegs ist, wird oft der Schwarzmalerei bezichtigt, während Konservative die Hoffnung haben, dass das alles schon nicht so schlimm wird. Dabei lässt sich die Welt auch mit einem Lächeln im Gesicht verändern, wenn der Fokus auf bereits erreichte Erfolge gerichtet wird.

Michael Hübler – Hoffnung! Eine unterschätzte Führungsstärke für turbulente Zeiten (2025)

Was sich aus der No-Kings-Bewegung in den USA lernen lässt

Wer sich wie ich mit dem Thema Hoffnung beschäftigt, kommt an der gestaltenden Kraft von „Hoffnung in der Dunkelheit“ – wie ein Buchtitel der großartigen Autorin Rebecca Solnit lautet – nicht vorbei. Ihr Fazit: Veränderungen kommen für Unbeteiligte oft wie aus dem Nichts. Deshalb erscheint es für uns Zuschauer*innen überraschend, dass gestern „plötzlich“ Millionen von Menschen in den USA gegen Donald Trump auf die Straße gingen. Dabei ist es doch logisch, dass eine solche Aktion monatelang im Hinterzimmer geplant wurde, insbesondere, weil die beteiligten Gruppen derart zusammen gewürfelt sind:

  • Welches Motto geben wir uns?
  • Was verbindet all die verschiedenen Gruppen?
  • Welche Netzwerke nutzen wir?

Wir können sogar noch weiter in der Zeit zurück gehen. Der Mensch als historisches Wesen weiß, dass ein gewaltfreier Widerstand schon oft in der Geschichte erfolgreich war, siehe Ghandi oder Martin Luther King. Der Mensch weiß auch, dass Humor eine großartige Waffe sein kann, um sich zu verweigern. Und der us-amerikanische Mensch weiß, welche Trigger in den USA besonders schmerzhaft sind: Der Slogan „No Kings“ hat Symbolkraft, weil er sich auf eine USA bezieht, die sich bewusst von dem britischen Königshaus loslöste, als sich die Gründerväter zu demokratischen Prinzipien bekannten. Das Anti-Symbol des Königs spricht alle Seiten an. Genau das macht die Bewegung – so fragil sie auch sein mag – so gefährlich für die Republikaner um Donald Trump.

Gleichzeitig läuft damit der Vorwurf der Republikaner, die Demonstrant*innen würden Amerika hassen, ins Leere: Die No-Kings-Bewegung steht für Gewaltfreiheit, Freude (man schaue sich nur die lustigen Konstüme an) und die Verteidigung ur-amerikanischer Grundrechte.

Was lässt sich daraus grundsätzlich für den Umgang mit Systemen lernen?

Nicht wenige Führungskräfte in meinen Seminaren beklagen sich über starre Systeme. Eine große Demonstration ist hier natürlich fehl am Platz. Denn in Organisationen geht es nicht darum, „einen König zu stürzen“, sondern darum, andere Werte als die momentan aktuellen zu leben oder Strukturen zu hinterfragen. Es geht darum, einen guten Weg miteinander zu finden. Es geht um die Ur-Frage von Theodor Adorno: Wie gelingt ein gutes Leben in einem schwierigen System?

Eine Anekdote aus meinem Seminaralltag: Zu Beginn eines einmal im Jahr stattfindenden Führungsseminars in einem mittelständischen Unternehmen lässt eine Führungskraft in der Erwartungsabfrage eine mittelschwere, verbale Bombe explodieren: „Das hier ist doch nur ein Feigenblatt! In Wirklichkeit verändert sich doch sowieso nichts!“

Frage an die Trainer*innen da draußen, bevor ihr weiterlest: Was hättet ihr gemacht?

Ich jedenfalls hab leer geschluckt, kurz durchgeatmet und mich dann bei dem Teilnehmer bedankt: „Danke, dass Sie das hier so offen aussprechen. Damit lässt sich arbeiten. Gleichzeitig zeigt es, dass Sie Kritik üben können, ohne rauszufliegen.“

Daraufhin entstand eine lebhafte, aber immer konstruktive Diskussion mit den anderen Teilnehmer*innen und v.a. mit der anwesenden Personalleiterin. So schnell bin ich noch nie in eine Seminar gestartet. Und am Ende gingen alle mit frischer Motivation nach Hause.

Das Beispiel zeigt: Es gibt viele Möglichkeiten, Veränderungen herbei zu führen. Manchmal ist es die öffentliche Kritik einer einzelnen Person, die etwas in Gang bringt. Manchmal ist es aber auch das jahrelange Netzwerken Gleichgesinnter, manchmal Humor, und manchmal das Bewahren der eigenen Würde, nicht alles mitzumachen.

Egal wie: Wer erkennt, dass er die Zukunft mitgestalten kann, muss nicht resignieren. Denn viele Früchte ernten wir erst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten. Die No-Kings-Demonstrationen werden zu keinem Sturz von Donald Trump führen. Aber sie zeigen: Die Zivilbevölkerung ist wach.

Vielleicht malen die Mühlen langsam. Aber sie malen.

Genauso wenig führt eine offene Kritik an Strukturen in einem Unternehmen sofort zu Veränderungen. Aber auch hier ist das Signal deutlich: „Ich bin nicht zufrieden, wie es hier läuft. Ich will aber auch nicht kündigen, sondern mitgestalten. Lasst uns reden.“

Als Unternehmensleitung würde ich solche Mitarbeiter*innen sofort in die Pflicht nehmen und mindestens als Co-Leitung in einem Restrukturierungsprojekt einsetzen. Eine solche Energie sollte produktiv genutzt werden.

Hoffnung braucht Vergangenheit

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Schnelle und langsam wachsende Bäume

Ungeduld gehört zur Postmoderne: Wir wünschen uns schnell wachsende Bäume, die dem Klimawandel trotzen oder – im übertragenen Sinn – Veränderungen, die in Unternehmen schnell sichtbar werden. Stabiler sind allerdings langsam wachsende Riesen.

Deshalb jammern wir auf sehr hohem Niveau, als hätten sich bestimmte Themen nicht längst in Unternehmen etabliert: Coachings, Mediationen, Burn-out als Thema, Führung auf Augenhöhe, und und und.

Das heißt nicht, dass nichts mehr zu tun wäre. Dennoch gilt es, die Welt ein wenig realistischer zu sehen, auch wenn damit keine Klicks generiert werden, Zwinkersmiley.

Warum das Negative in unserem Gehirn präsenter ist

Wer Hoffnung für die Zukunft haben will, sollte in die Vergangenheit blicken. Das ist leider schwieriger als gedacht, nicht nur weil unser Gehirn negative Aspekte besser abspeichert als positive, sondern über negative Ereignisse auch mehr gesprochen wird. Was positiv verlief, haken wir schnell ab:

  • Gut, dass es nicht so schlimm kam, wie wir dachten.
  • War doch alles super. Brauchen wir also nicht mehr darüber zu sprechen.

Das Negative wiederum bleibt im Gedächtnis:

  • Das hat doch schon damals nicht geklappt.
  • War ja klar, dass das nicht funktioniert.
  • Ich hab’s doch gewusst. Hab ich’s nicht gesagt?

Zudem hat das Positive und damit das, was uns Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht, die Eigenart, sich wie ein zähes, unsichtbares Kaugummi zu ziehen:

  • Einen Konflikt oder Krieg vom Zaun zu brechen geht schnell. An Frieden und guten Beziehungen zu arbeiten und ein gegenseitiges Vertrauen zu fördern dauert lange und bleibt ein Leben lang fragil.
  • Bei einem guten Netzwerk geschieht Ähnliches. Die Früchte daraus lassen sich meist erst Jahrtzehnte später ernten. Gleichzeitig bleibt oft unklar, aus welchen Gründen ein Erfolg erreicht wurde: Waren es wirklich die jahrzehntelang aufgebauten Beziehungen oder doch nur ein glücklicher Zufall?

Erfolge der letzten 30 Jahre – ein echter Paradigmen-Wechsel

Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, sich klar zu machen: Die letzten 30 Jahre gleichen einem Quantensprung in der Zusammenarbeit in Unternehmen:

Vom Humankapital zum „Menschen im Mittelpunkt“

  • Führungskultur: Wer heutzutage noch Führung als Delegieren und Kontrollieren versteht, gehört zu den Dinosauriern. Davon abgesehen würde es im Homeoffice ohnehin nicht so einfach mit der Kontrolle funktionieren. Stattdessen zählen heutzutage Ergebnisse, Eigenverantwortung und Flexibilität.
  • New Work & Agilität: Konzepte wie New Work und agiles Management setzen auf Sinn, Selbstorganisation und Mitgestaltung.
  • Work-Life-Balance → Work-Life-Integration: Unternehmen schaffen Rahmenbedingungen, in denen Arbeit und Privatleben sich gegenseitig stärken (Stichworte: Gleitzeit, Homeoffice, Sabbaticals).
  • Fokus auf psychische Gesundheit: Achtsamkeit, Burnout-Prävention und Coaching-Angebote sind heute weit verbreitet. Wer hätte das vor 30 Jahren gedacht?
  • Diversität & Inklusion: Große Fortschritte in Gleichstellung, LGBTQ+-Akzeptanz, kultureller Vielfalt und Barrierefreiheit. Wer in große Firmen schaut, merkt: Diversity als Thema ist längst etabliert. Nicht weil die dort alle so lieb sind, sondern weil das Thema jahrelang gepusht wurde. Freilich ist hier vieles Fassade und hält deshalb nicht jedem Sturm (Stichwort: Wirtschaftskrieg) stand. Dennoch tun Unternehmen aus eigenem Interesse gut daran, Vielfalt aus Marketing- und Kreativitätsgründen ernst zu nehmen.
  • Feedbackkultur: Als ich noch vor 20 Jahren in Lohn und Brot war, gab es lediglich jährliche Mitarbeitergespräche. Heute gibt es kontinuierliche, dialogorientierte Feedbacks. Ein riesiger Fortschritt!
  • Transparenz und Sinnorientierung: Vision, Werte und soziale Verantwortung prägen nicht nur nach innen, sondern auch bei der Suche nach neuen Bewerber*innen. Während früher Leitbilder mehr oder weniger aus hohlen Phrasen bestanden, definieren sie heute tatsächlich die Kultur eines Unternehmens – oder sollten es auf einem umkämpften Bewerbermarkt tun.

Und warum das alles?

Ganz einfach, weil Unternehmen erkannten, dass Zufriedenheit, Sinn und Vertrauen keine weichen Faktoren in der Wertschöpfungskette, sondern wirtschaftlich entscheidend sind.

Gleichzeitig gilt aber auch: Wir werden in vielen Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, dass ernten, was wir heute sähen.