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Werden wir immer mehr zu einer Schamkultur?

Es gibt Scham- und Schuldkulturen. Schamkulturen haben viel mit Ehre und Status zu tun. Das war bisher für die nordwestliche Welt weniger passend. Dort herrschte bislang eher eine Schuldkultur vor, die weitgehend über soziale Regeln und Gesetze funktioniert. Es scheint jedoch so, dass wir immer mehr zu einer Schamkultur werden, was zivilisatorisch eher ein Rückschritt ist.

Interessant dazu ist die Erkenntnis des Philosophen Robert Pfaller (Zwei Enthüllungen über die Scham), dass wir uns früher eher für ein Zuwenig schämten und heute für ein Zuviel: Zu schnell fahren, zu viel essen, ein zu großes Auto fahren, zu viel mit dem Flugzeug reisen, usw. Darüber lässt sich nachdenken. Während es früher eher darum ging, nicht klug genug zu sein oder sich nicht genug angestrengt zu haben. Ist das wirklich so? Wenn ja, warum ist das so, woher kommt das und wann ist das System umgekippt?

Dass das Konzept der Scham immer mehr um sich greift, lässt sich an verschiedenen Punkten verdeutlichen. Zur Verdeutlichung zwei Beispiele:

  • In negativer Form: Menschen werden online an den Pranger gestellt, ohne dass es eine offizielle Verurteilung und damit eine erwiesene Schuld gibt. Sie sollen sich für ihre Äußerungen schämen.
  • In positiver Form: Fußballspieler, die respektvoll mit einem Balljungen umgehen oder viel Geld spenden sind plötzlich “Ehrenmänner”. Die Begrifflichkeit der Ehre scheint eine Renaissance zu haben.

Sein oder Tun

Vom Ursprung her geht die Scham jedoch tiefer als die Schuld. Scham deutet(e) auf einen persönlichen Mangel hin. Für ein Fehlverhalten war der Begriff der Schuld reserviert. Diese Trennung scheint heutzutage aufgebrochen:

  • Ich kann mir Flugreisen leisten und soll eine Flugscham entwickeln.
  • Ich brauche für meine Arbeit ein großes Auto und soll eine SUV-Scham empfinden.
  • Ich genieße Fleisch nicht mehr, sondern rechtfertige mich dafür: „Ja, ich esse Fleisch, aber immer sehr bewusst.“

In der ursprünglichen Begrifflichkeit war Scham, etwas für das ich nichts konnte. Vielleicht weil ich so erzogen wurde oder eine innere Veranlagung habe. Beschämungen werden jedoch heutzutage häufig auf ein Verhalten angewandt, das sich verändern lässt:

  • Ich könnte ein kleineres Auto fahren.
  • Ich könnte weniger fliegen.
  • Ich könnte weniger Fleisch essen.

Durch die Verlagerung der Diskussionen über richtig und falsch aus der Justiz in den öffentlichen Raum entstand jedoch auch eine Verlagerung weg von Recht und Schuld, hin zu Ehre, Moral und Scham. Da Scham jedoch nicht wie Schuld abstufbar ist (ich schäme mich komplett für etwas, bin jedoch nur teilweise schuld), werden auch die Konflikte kategorischer und damit aggressiver.

Vertrauen vs. Misstrauen

Vertrauen kann eine Menge Zeit sparen. Sicher: es ist nicht immer leicht, Vertrauen in Kollegen oder Mitarbeiter zu haben. Doch wenn es funktioniert spart es Zeit und Geld durch weniger Kontrollen und Regelungen. Und: Wenn Führungskräfte Ihren Mitarbeiter/innen Vertrauen entgegen bringen, unterstützt dies die Gestaltungsfreiheit und damit den Flow Ihrer Mitarbeiter/innen. Zudem sieht die Alternative des Misstrauens nicht eben berauschender aus: vertrauen heuristik

Wenn Sie als erster anderen Vertrauen entgegen bringen, können Sie natürlich auch auf Misstrauen der anderen Seite stoßen. Diese Ent-Täuschung kann allerdings dazu führen, dass sich Ihr Gegenüber geschmeichelt und verpflichtet fühlt, seine Schuld auch einzulösen. Jeder, der schon mal einen solchen Vorschuss bekam (einen Kredit, ein Buch bei ebay, das er erst später bezahlen musste, …), weiss um dieses Wiedergutmachungseffekt.

Natürlich kann es auch zu einer Überforderungssituation kommen. Diese kann jedoch leicht im Rahmen von offenen Feedbackgesprächen geklärt werden.

Die andere Seite sieht weniger rosig aus, da hier in jedem Fall ein (gemeinsamer) Misserfolg vorprogrammiert ist. Spannend in diesem Fall ist auch hier wieder die Ent-Täuschung des Mitarbeiters, der sich wie Kain fühlt, dessen Opfer Gott nicht annehmen wollte. Die Folgen: Scham, die in Schuld umgewandelt wurde. Der Totschlag Abels ist schließlich nicht so weit entfernt von dem Verhalten eines Mitarbeiters nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, …

Dies soll weder die eine noch die andere Reaktion entschuldigen, sondern lediglich die psychologischen Mechanismen verdeutlichen.

Fazit: Mit Misstrauen verlieren Sie immer. Mit Vertrauen besteht zumindest eine gute Chance auf einen gemeinsamen Erfolg.

Damit Sie diese Chance auch gut nutzen können, sollten Sie zudem die folgende Balance im Auge behalten:vertrauen

Dabei gilt: Eine große Portion Vertrauen und eine kleine Portion Feedback sollten immer an erster Stelle stehen. Wenn Ihr Vertrauen missbraucht wird, können Sie immer noch die Zügel enger ziehen und dies am besten schnell. Nach einer Weile können diese dann wieder lockerer gelassen werden, um dem anderen noch eine zweite Chance zu geben.