Es war einmal eine moderne Bären-Familie. Mama-Bär arbeitete in ihrem Traumberuf als Baumpflegerin und kümmerte sich nebenher so gut es ging um ihre Kinder. Sie fühlte sich verantwortlich für deren Bildung, genauso wie für ihre Gesundheit. Papa-Bär ging auch arbeiten. Da er aber als Mann mehr verdiente und das Reiheneckenhaus noch abbezahlt werden musste, schuftete er noch viel mehr als seine Frau. Am Wochenende gehörte Papa-Bär jedoch ganz seinen Kindern. Meistens jedenfalls.
Dann kam ein Wochenende, an dem Mama-Bär auf eine Fortbildung fuhr. Als es um die Essensfrage ging, sprach der Vater schmunzelnd: Die Mama immer mit ihrem gesunden Essen. Kinder, was haltet ihr von McDonalds? Dort gibt es fette Honig-Burger. Viel zu süß und schmeckt wie Gummi. Ist aber wenigstens verboten! Die Kinder schrien „Hurra! Papa ist der Beste!“ Papa-Bär jedoch flüsterte: Aber nichts der Mama erzählen.
Die Kinder erzählten der Mama auch nichts. Doch sie posteten es auf facebook. Und vergaßen dabei, dass Mama-Bär auch bei facebook ist. Es kam, wie es kommen musste zu einem riesigen Streit. Bisher hatte Mama-Bär immer recht. Sie hatte sozusagen die gesammelten Fakten der Wissenschaft und des gesamten Gesundheitsministeriums auf ihrer Seite. Doch jetzt mischte sich Papa-Bär ein, der als Baumfäller von Gesundheit nicht wirklich Ahnung hatte:
Ab und zu mal was Ungesundes kann doch nicht so schlimm sein, oder?
Ist auch billiger, als die Kinder später zum Therapeuten-Bär zu schicken.
Mama-Bär blieb hart und zog alle Register: In Honig-Burgern ist schließlich Analog-Honig! Das weiß doch jeder! Doch die Bären-Kinder hatten im Internet erfahren, dass Kinder in Familien auf der ganzen Welt das gleiche Problem haben. Sie hatten damit nicht nur ihren Vater auf ihrer Seite, sondern zusätzlich zumindest gefühlt die halbe Kinderwelt. Und außerdem hieß analog jetzt nicht mehr analog, sondern vegan.
Soweit die kleine Bärengeschichte. Wir tauschen in dieser Geschichte die Kinder gegen kleine, marginalisierte BürgerInnen aus. Papa-Bär gegen Trump, Höcke, Petry oder einen Populisten ihrer Wahl. Und Mama-Bär gegen Merkel, Clinton und die Medien. Das Internet hat sich noch nicht entschieden, auf welcher Seite es steht.
In den letzten Jahrzehnten gaben die Eliten und die Medien als strenge Eltern vor, was wir zu denken haben. Ein Teil der Gesellschaft machte das gerne mit. Man nennt sie Gutmenschen oder Demokraten oder Liberale. Menschen, die das Gefühl haben, dass der Wandel normal ist und dass es besser ist, sich anzupassen. Als unsere Vorvorvorfahren von Süden nach Norden pilgerten, kamen sie nicht umhin, Nadel und Faden, Hütten und Werkzeuge zu entwickeln, um der Kälte zu trotzen. So tummeln wir uns heute in Jobs, für die es vor 20 Jahren noch nicht mal einen Namen gab und führen Kulturveranstaltungen durch, für die man vor 50 Jahren in die Psychiatrie gekommen wäre. Die Sesshaftigkeit führte auch dazu, dass ein Schussel einen Früchtebrei zu lange stehen ließ, bis dieser gärte. Danke dafür: Ohne Wandel keinen Alkohol! Und ohne Fehler müssten wir auf so manche Erfindung verzichten.
Vielleicht aber hat diese Anpassung ihren Preis. Wir alle werden ungern mit unseren Schwächen konfrontiert. Ganz ehrlich: Mein kindliches Ego tendiert nicht dazu, einer Frau im Vorbeigehen zwischen die Beine zu greifen. Doch ab und an die politische Korrektheit beiseite zu lassen, zum Beispiel im Improtheater auf behindert zu machen und anderen in der Nase zu bohren, das hat was. Solche Ausrutscher bestätigen jedoch die Regeln, nach denen wir leben. Nennen wir es nicht politische Korrektheit. Nennen wir es einen Gesellschaftsvertrag auf der Basis humanistischer Werte: Sich umeinander kümmern, Mitmenschlichkeit, Bindung zueinander. Zwischen Alt und Jung, Mann und Frau, Arm und Reich. Mit der Möglichkeit, ab und an, und sei es im Karneval, Dampf abzulassen. Wenn ich mir manche politische Agitatoren ansehe, habe ich das Gefühl, dass sie zu wenig lachen, der Druck im Druckkessel bleibt und sie zu sehr von ihrer Moral gesteuert sind. Als Menschen macht sie das unnahbar. Elite eben!
Der andere Teil der Gesellschaft fremdelt mit dem Wandel. Aus welchen Gründen auch immer. Sein Ich will so bleiben, wie es ist, sei es aus Angst oder Bockigkeit. Leider log uns eine bekannte Werbung aus den 90ern schamlos an: Gerade du darfst eben nicht!
Jedenfalls ging diesem Teil schon seit Jahrzehnten der permantente Wandel auf die Eier(stöcke). Genauso lange war es jedoch nicht erlaubt, seinen Emotionen nachzugehen. Die strenge Mama war im Haus und kontrollierte den Zugang zum Internet. Jetzt kam es zu einem Befreiungsschlag: Der fürsorgliche Vater sorgte sich um seine Kinder und sprach: Schaut her! Auch ich beiße von diesem Burger ab! Und gerade weil das Zeug so ungesund ist, bestelle ich mir noch einen! Und was ich mir erlaube, solltet ihr euch auch erlauben! Du darfst! Just do it!
Auftritt Mama-Bär: Aber Kinder! Bedenkt doch die Fakten!
Die gefühls-emanzipierten Kinder jedoch bildeten sich im Internet weiter und rufen: Bleib mir mit deinen Fakten vom Leib! Früher hatten die Menschen im Alter auch keine Krankheiten! Gesundheitsvorsorge ist doch nur eine Verschwörung!
Die Verbindung zu dieser übergroßen Moral wurde durchbrochen. Endlich kann der kleine Mensch von der Straße tun, was er will.
Das Problem lautet allerdings: Mama-Bär machte die Kinder zu unterwürfigen Ja-Sagern. Papa-Bär erzieht seine Kinder zu trotzigen Nein-Sagern. Beide machen sie jedoch abhängig von sich. Bei beiden lernen sie nicht, selbstverantwortlich ihr Leben zu gestalten. Doch wer sein Leben nicht selbst in die Hand nimmt, sondern sich von anderen an die Hand nehmen lässt, bleibt auf Dauer unglücklich.