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Sich treiben lassen als Entspannungsmethode

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Vielbeschäftigte Macher*innen tun sich oft schwer damit, einfach mal nichts zu entscheiden. Denn in vielen vermeintlich harmlosen Situationen treffen sie dann doch eine Entscheidung: Welche Musik wähle ich zum Entspannen aus? Wo wollen wir zum Essen hingehen? Wo will ich spazieren gehen? Was kaufe ich zum Kochen ein? Wir lassen uns auch nicht mehr vom Fernseher berieseln, sondern entscheiden im Minutentakt, welche Filmchen wir uns im Internet ansehen wollen. Egal, wohin man blickt, überall Entscheidungen. Entscheidungen jedoch erfordern Energie, ein Nachdenken über und eine Fokussierung auf die aktuelle Situation, eine mindestens unbewusste Beschäftigung damit, wer ich bin oder sein will und oft auch die Kraft, sich gegen Widerstände zu behaupten. Und: Wer entscheidet, übernimmt auch die Verantwortung, wenn etwas schief geht.

Es ist also gar nicht so einfach, von den täglich tausenden Entscheidungen Abstand zu nehmen, um seinen Gedanken ein wenig Ruhe zu gönnen.

Eine Möglichkeit dazu bietet das „Sich treiben lassen“. Stellen Sie sich vor, Sie verbringen ein paar Tage in einer spannenden Stadt. In Prag vielleicht oder Florenz. Sie checken in Ihr Hotel ein, machen sich frisch und tauchen anschließend gut gelaunt ein in die Menschenmenge. Sie haben jedoch überhaupt kein Ziel und keinen Plan, was Sie sich ansehen wollen. Daher stört es Sie auch nicht, sich mit dem Strom treiben zu lassen. Fällt Ihnen ein schönes Gebäude auf oder ein Denkmal, treten Sie aus dem Strom heraus und bleiben stehen. Dann reihen Sie sich wieder ein. Gefällt Ihnen eine romantische Gasse, folgen Sie Ihrem inneren Impuls. Haben Sie Hunger, erkunden Sie die Gegend nach einem Imbiss oder Restaurant.

Hätten Sie klare Ziele und einen klaren Besichtigungsplan, müssten Sie ständig darauf achten, die richtige Straße zu erwischen und oft auch gegen den Strom anschwimmen. So jedoch können Sie sich ganz entspannt treiben lassen, bis Sie genug davon haben.

Würden Sie sich den ganzen Tag treiben lassen oder sogar mehrere Tage, wäre das sicherlich zum einen ebenso anstrengend, zum anderen vermutlich frustrierend. Immerhin haben Sie die weite Reise unternommen, um sich ein paar spezifische Sehenswürdigkeiten anzusehen. Aber für ein paar Stunden die Kontrolle abgeben … Warum nicht?

Solche „Sich treiben lassen“-Situationen gibt es auch im (Arbeits-)Alltag: Beim Spaziergang durch den Wald, beim Schlendern durch einen Supermarkt, in Diskussionen und Gesprächen oder beim Smalltalk mit Kolleg*innen auf dem Gang. Warum nicht nach einem Termin eine U-Bahn-Station früher aussteigen und durch die Straßen schlendern? Warum nicht bei der Frage, wo es zum Mittagessen hingehen soll, andere entscheiden lassen?

Was also hindert uns daran, einfach mal für ein paar Minuten nichts zu entscheiden und uns treiben zu lassen?

Achtsamkeit

Das amerikanische Versicherungsunternehmen Aetna führte 2010 regelmäßige Achtsamkeitstrainings für seine Mitarbeiter/innen ein. Das Ergebnis: Mitarbeiter/innen, die regelmäßig Achtsamkeitsübungen absolvieren, erhöhen ihre Produktivität um 62 Minuten pro Tag und werden seltener krank mit einem Produktivitätsgewinn von 3000 Dollar pro Person und Jahr.
Die Psychologen Killingsworth und Gilbert führten 2010 ein Experiment durch, indem sie Probanden regelmäßig mittels einer App anfunkten, um sich nach ihrer aktuellen Tätigkeit zu erkundigen, ob sie während des Tuns an etwas anderes denken und für wie glücklich sie sich einschätzen.

Das Ergebnis:
In 47% der abgefragten Momente wich das Tun vom Denken ab. Je höher die persönliche Abweichung war, desto unglücklicher schätzten sich die Probanden ein. Je höher die Achtsamkeit, nach Kabat-Zinn “dem Augenblick bewusst Aufmerksamkeit zu schenken”, desto höher das persönliche Glücksempfinden.

In Untersuchungen an meditierenden Menschen (u.a. von Richard Davidson und Britta Hölzel) stellte sich heraus, dass regelmäßig meditierende Menschen, z.B. Mönche, eine 30 mal höhere Aktivität von Gammastrahlen im Gehirn besitzen. Dadurch nimmt die graue Masse zum Aufbau neuer Strukturen und Netzwerke im Hippocampus zu, die graue Masse in der Amygdala nimmt ab. Meditierende sind damit weniger schnell gestresst, kreativer und schneller im Denken und Erfassen komplexer Zusammenhänge.

Literatur:
Sebastian Purps-Pardigol: Führen mit Hirn
Jon Kabat-Zinn: Gesundheit durch Meditation

Meditation hilft

Seit etwa 3 Jahren ist es amtlich. Meditation hilft gegen den Stress im Alltag.

Ganz ehrlich: Wenn Freunde und Bekannte von mir einige Zeit verschwanden, um in einem Kloster auf Burma oder sonst irgendwo auf der Welt zu meditieren, konnte ich nicht umhin, dies als sehr kognitiv und zielorientiert ausgelegter Mensch immer ein wenig zu belächeln. Auf der einen Seite war da evtl. auch ein wenig Neid, da ich mir solche Selbsterfahrungstrips als Familienvater nicht mehr so einfach leisten kann. Auf der anderen Seite bekam ich allerdings auch häufig mit, dass das kulturelle Loch, in das meine Bekannten fielen, oft noch viel größer war als vor der Auszeit. Doch hier greifen glaube ich andere, meist sehr persönliche Geschichten.

Nun sind seit einigen Jahren die Neurowissenschaften als große Wahrheitslieferanten unterwegs. Und eine neue Erkenntnis besagt: Wenn wir meditieren, verändert sich unser Gehirn. U.a. wird während dem Meditieren unsere Amygdala (für Ängste und Wutausbrüche zuständig) beruhigt. Das allein ist noch keine große Erkenntnis. Doch unser Gehirn funktioniert wie ein großer Muskel, der stetig trainiert werden muss, damit er funktioniert. Und so wie das Areal für Daumenbewegungen bei Jugendlichen mittlerweile im Vergleich zu vor 10 Jahren doppelt so groß ist (der SMS-Muskel im Gehirn), so können auch andere Gehirnbereiche dauerhaft ausgebaut (aber natürlich auch abgebaut) werden.

D.h.: Wenn wir meditieren bzw. Ruhezustände trainieren, reagieren wir später auch in hektischen Situationen ruhiger und besonnener. So konnten neurowissenschaftliche Studien belegen, dass Menschen, die regelmäßig meditieren, auf Babygeschrei oder hektische Alltagssituationen wesentlich entspannter reagieren. Die Amygdala deutete das Geschrei eben nicht wie sonst als Angriff, der sofort pariert werden muss, sondern realisierte das Schreien oder eine reizüberflutende Marketingattacke als ganz normale Information, die folglich ebenso normal und in Ruhe verarbeitet werden konnte. Dass dies enorme Vorteile hat, z.B. für die Entscheidungsfindung, liegt auf der Hand.

So macht es mehr Sinn, vor einem Vortrag, einer Prüfung o.ä. anstatt ein Skript zum 100. mal durchzulesen früh ins Bett zu gehen, eine Runde spazieren zu gehen oder eine Stunde zu meditieren. Aber auch vor Konfliktsituationen mit Kollegen, dem Partner oder den Kindern ist es sinniger, sich mental und in Ruhe vorzubereiten. Neurobiologen sagen dann auch: die Amygdala wird gestreichelt oder auch: Wir bahnen die Nervenzellen, die in uns für Ruhe stehen.