Die meisten von uns werden vermutlich von sich behaupten, dass Sie gut zuhören können. Dabei ist richtig gutes Zuhören auch für mich als professionell geschulter Coach nicht immer einfach. Ich ertappe mich selbst regelmäßig dabei, dass ich zu schnell denke und antworte und dabei ein echtes, empathisches Zuhören bisweilen auf der Strecke bleibt. In diesen Momenten bekommt offensichtlich der Trainer in mir Oberhand, während der Coach ein Mittagsschläfchen hält. Zudem gibt es ja auch so viele Gründe gegen ein offenes und geduldiges Zuhören:
Unser Gegenüber ist stur, dominant und egoistisch, will sich ohnehin nichts sagen lassen und sucht auch nicht nach Lösungen, sondern will nur seinen Frust loswerden.
Unser Gegenüber hört selbst nicht zu oder hat mal wieder vergessen, was wir vereinbart haben.
Unser Gegenüber ist überempfindlich. Das nervt.
Unser Gegenüber ist naiv und uninformiert. Wir leben anscheinend auf verschiedenen Planeten.
Unser Gegenüber kommt immer wieder mit den gleichen Themen und entwickelt sich keinen Schritt weiter.
Und schließlich haben wir oft auch keine Zeit bzw. sind uns andere Dinge wichtiger.
Bitte hier gedanklich eigenes Lieblingszuhörhindernis einfügen.
Das mag alles richtig sein. Dennoch gibt es immer wieder Situationen, in denen ein gutes Zuhören zu einer Deeskalation führt und oft auch zu Lösungen. Und vielleicht ist Ihr Gegenüber so stur und egoistisch, weil ihm oder ihr noch nie jemand richtig zuhörte. Dies gilt insbesondere für schwierige Mitarbeiter*innen, die ich geerbte Fälle nenne.
Letztlich gibt es in Gesprächen fünf typische Reaktionen (es gibt natürlich mehr, bspw. das Ironisieren, aber diese 5 sind am häufigsten vertreten):
Ein Ratschlag: Probier doch mal …
Kritik: Das musste ja passieren, weil …
Ein Vergleich: Das ist mir neulich auch passiert.
Empathie: Das ist schlimm. Ich verstehe, dass …
Interesse: Wie geht es dir damit?
Sie können sich folglich in der nächsten Zuhör-Situation selbstkritisch die Frage stellen: Höre ich wirklich zu? Habe ich wirklich verstanden, um was es meinem Gegenüber geht? Zeige ich ein echtes Interesse an meinem Gegenüber? Oder gebe ich vorschnell Ratschläge, lenke ab oder bewerte mein Gegenüber?
Was macht eine gute Führungskraft aus? U.a. dass sie Verantwortung übernimmt, was im Wesentlichen bedeutet:
Verantwortung für die eigenen Handlungen und deren Konsequenzen übernehmen
Verantwortung für sein Team übernehmen
Dabei ist der Begriff der Verantwortung eng verbunden mit unserem Freiheitsbegriff: Ich kann nur für mein Handeln verantwortlich gemacht werden, wenn ich die freie Wahl habe. Kann ich zwischen mehreren Optionen auswählen und mich letztlich für eine Option entscheiden, weil ich deren Konsequenzen für am sinnvollsten halte, machte ich Gebrauch von einer freien Wahlmöglichkeit. Dazu wiederum müssen (mindestens) vier Aspekte berücksichtigt werden:
Der kognitive Aspekt: Ich muss in der Lage sein, mir die Konsequenzen meiner Handlungen vorzustellen. Dazu brauche ich entweder Phantasie oder Erfahrungen mit ähnlichen Situationen. Kann eine Führungskraft, die in einer Krise eine falsche Entscheidung trifft vollkommen für deren Folgen verantwortlich gemacht werden? Für die negativen Folgen vermutlich nicht. Sie könnte jedoch auch dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sie gar keine Entscheidung trifft, zumal jede Entscheidung, insbesondere Fehlentscheidungen, zu einem Erkenntnisgewinn führen. Meine Verantwortung besteht folglich darin, mutig genug zu sein, gerade in unkalkulierbaren Situationen Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen.
Der neurobiologische Aspekt: Ich darf während der Entscheidung nicht so negativ getriggert werden, dass ich keine Möglichkeit mehr habe, eine freie Wahl zu treffen. Bin ich verantwortlich dafür, das ich laut werde, wenn mich mein Gegenüber minutenlang verbal-aggressiv angeht? Für solche Amygdala-Ausrutscher kann ich – auch als Führungskraft – kaum verantwortlich gemacht werden. Ich bin jedoch verantwortlich dafür, wenn der Konflikt wieder abgeklungen ist, die Situation auf eine ruhige Art noch einmal anzusprechen und zu klären.
Der emotionale Aspekt: Ich muss mich gut mit mir selbst auskennen und meine inneren Muster und Automatismen kennen. Manche Dinge mache ich evtl. (oder auch nicht), weil ich zu stolz, ehrgeizig oder harmonieorientiert (die Todsünde der Feigheit) bin. Anders formuliert: Das freudsche Es bspw. in Gestalt des eigenen Stolzes suggeriert mir: „Du musst das nicht tun oder ansprechen, weil du das gar nicht nötig hast.“ Haben wir in diesem Fall eine freie Wahl, wenn unser Unbewusstes unseren Handlungen und damit langfristig unseren Entwicklungen im Weg steht? Im Moment der Entscheidung wohl kaum. Dennoch liegt es in unserer Verantwortung, uns und unsere inneren Persönlichkeitsmuster in Momenten der Ruhe besser kennen zu lernen.
Der soziale Aspekt: Es gibt Umstände, die eine freie Wahl zumindest behindern. Wenn ich bspw. die Erfahrung machte, mit einem bestimmten Typ Mensch immer wieder aneinander zu geraten, fällt es schwer, hier ruhig zu bleiben. Auch hier geraten wir – dieses mal im Umgang miteinander – schnell in ein Reiz-Reaktions-Schema, für das wir im ersten Moment nichts können und daher auch nicht verantwortlich für unser Handeln sind. Dennoch gilt auch hier: In Momenten der Ruhe sollte ich mir noch einmal genau vor Augen führen, ob ich beim nächsten mal anders handeln könnte.
Verantwortung beginnt folglich mit der Selbstverantwortung, was wiederum bedeutet:
Kurzfristig: Achtsamer zu werden und sich insbesondere unter Stress zurück zu nehmen, um zu einer ent-emotionalisierten Entscheidung und Handlung zu kommen.
Langfristig: Sich seiner selbst bewusst werden und auf Forschungsreise gehen, was die eigenen unterbewussten Muster und inneren Anteile angeht.
Aber auch: Demütig sein und sich mit anderen austauschen, die evtl. mehr Erfahrung mit bestimmten Situationen haben.
Führung ist ein einsames Geschäft. Als Führungskraft bin ich zugleich Teil einer Gruppe und auch wieder nicht. Als Führungskraft muss ich es aushalten können, mich unbeliebt zu machen. Systemisch bedingt muss ich den Spagat schaffen zwischen …
vor meinem Team einen klaren Standpunkt einzunehmen und damit auch mal anzuecken und …
dennoch Verständnis für die Sorgen und Nöte meiner Leute haben.
Dies ist wichtig, weil ich mich als Person zeigen muss, die Widerstände aushält. An der Oberfläche brodelt es deshalb. Doch unter der Oberfläche kommt bei den Mitarbeiter*innen das Signal an: „Meine Führungskraft steht zu ihrem Wort. Sie ist auch bei Gegenwind standhaft. Und das nicht nur bei uns, sondern auch wenn sie dort draußen für unsere Belange einsteht.“
Deshalb ist eine zu große Gleichheit Unsinn. Führung bleibt Führung. In diesem Sinne ist Führung immer auch ein Bollwerk gegen die Welt dort draußen, ähnlich der Rolle eines Scrummasters.
Führung ist (verantwortungs-)bewusste Autorität
Diese Ungleichheit zu ignorieren wie es bei einer propagierten Führung auf Augenhöhe teilweise geschieht wäre naiv. Auch wenn jüngere Menschen eine Führung „zum Anfassen“ will, eine Führung, die nahbar ist und authentisch, heißt das noch lange nicht, dass Führung im Team aufgeht. Denn eine Führungskraft weiß immer mehr als ihre Mitarbeiter*innen. Sie sitzt in anderen Gremien als ihre Leute. Sie wird bei Veränderungen früher informiert. Und neben dieser Wissensmacht verfügt sie zudem über Weisungsbefugnisse und damit über eine Macht, mit der sie verantwortungsbewusst umgehen sollte.
Teil des Teams sein
Schauen wir uns nach diesen Grenzen der Gleichheit noch die Aspekte an, mit denen moderne Führungskräfte nahbarer und damit ein authentischer Teil eines Teams werden:
Mitarbeiten mit Metasicht: Die einfachste Möglichkeit Teil des Teams zu sein ist die direkte Mitarbeit. Führungskräfte zeigen damit, dass sie sich nicht für etwas Besseres halten und bspw. in Krisenzeiten mit anpacken, anstatt sich vor der Front zu drücken. Die Kriegsmetapher zeigt deutlich voraus es ankommt: An der Front wird gekämpft, während die Generäle sich aus sicherer Entfernung um Strategien kümmern, für die sie selbst jedoch nicht mit ihrem Leben einstehen müssen. Dennoch darf das Mitmachen nicht dauerhaft auf Kosten der eigentlichen Führungsaufgaben gehen. Als Führungskraft kann ich jedoch auch beim Mitarbeiten ein Auge auf Anleitungen, Verbesserungen oder die Kommunikation haben. Selbst beim Mitarbeiten bleibe ich Führungskraft.
Optimistische Anteilnahme: Für die Anteilnahme gilt: Mitfühlen ja – Mitleiden nein. Ich muss nicht für jedes Jammern und Nörgeln Verständnis haben. Zumal Jammern und Nörgeln ab und an zum Handwerk gehört. Wer jammert und nörgelt bekommt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern vermindert evtl. die eigene Arbeitslast. Aber ich sollte als Führungskraft zumindest versuchen, die Belange, Sorgen und das Leiden meiner Leute zu verstehen. In diesem Sinne gibt es immer zwei Schichten der Kommunikation: Auf das oberflächliche Jammern und Nörgeln muss ich nicht unbedingt eingehen. Ich sollte jedoch hinter die Fassade blicken, um zu erkennen, worum es wirklich geht. Und vielleicht geht es um eine berechtigte Kritik, der ich mich annehmen sollte. Gleichzeitig verlangt es die Rolle einer Führungskraft, immer ein wenig optimistischer zu sein als das Team oder einzelne Teammitglieder.
Involviertheit und Betroffenheit: Die Steigerung der Anteilnahme ist Involviertheit. Während Anteilnahme aus einer Position der Distanzierung erfolgen kann, bin ich als Führungskraft in den meisten Situationen auch selbst betroffen, selbst wenn ich eine andere Perspektive einnehme. Veränderungsprozesse haben auch auf mich Auswirkungen. Auch ich ärgere mich über die hohe Fluktuation oder Dauerbelastungen. Auch mich frustrieren manche Kundenwünsche. Auch ich bin von den Entscheidungen der oberen Führungsetagen abhängig. Auch ich komme mit meinen Wünschen (für das Team) nicht immer durch. Auch mein Job ist evtl. unsicher. Ich könnte also gar nicht so tun, als würde mich das alles nichts angehen. Dennoch gilt hier umso mehr: Als Führungskraft kann ich es mir nicht leisten, zu involviert zu sein, weil ich ansonsten meine Vermittlungsposition zwischen Team und höheren Hierarchieebenen verlieren würde.
Bewusste Selbstoffenbarung: Eine Führungskraft, die sich komplett selbstoffenbart ist keine gute Führungskraft. Kein*e Mitarbeiter*in will hören, wie schlecht es ihrer Führungskraft geht oder dass sie neulich ein Kind verloren hat (Originalgeschichte aus einem meiner Seminare). Ich sollte deshalb als Führungskraft meine Selbstoffenbarungen im Sinne einer bewussten Vorbildfunktion einsetzen. Ich kann bspw. offen mit eigenen Fehlern umgehen. Oder ich kann meine Mitarbeiter*innen dazu einladen, mir ein offenes Feedback zu geben. Ich kann humorvoll sein oder auch mal zugeben, dass ich an einem bestimmten Punkt nicht weiter weiß. Führung in diesem Sinne hat immer auch mit Demut zu tun: Als Führungskraft bin ich – so wie wir alle – auf andere Menschen angewiesen, um gemeinsam mehr zu leisten als ich es alleine könnte.
Literatur:
Mina Schneider-Landolf u.a.: Handbuch Themenzentrierte Interaktion
In Zeiten stetiger Veränderungen und oft schwieriger Anpassungsprozesse – denken wir nur an den Umgang mit einer hohen Fluktuation, Unterbesetzung, Digitalisierung, usw. – stehen viele Organisationen und Teams vor der Herausforderung, eine Balance zu finden zwischen dem Druck, Ergebnisse zu liefern und Beteiligte ins Boot zu holen. Nimmt der Druck überhand, besteht die Gefahr, dass Einzelne in der Gruppe das Heft in die Hand nehmen, was oft manchen aus der restlichen Gruppe durchaus entgegen kommt. Gleichzeitig sind die Entscheidungen Einzelner logischerweise perspektivisch limitiert, wodurch sie zwar schnell, jedoch selten nachhaltig geraten. Zudem sinkt bei einer geringen Beteiligung die Verantwortungsübernahme der Unbeteiligten bei der Umsetzung des Beschlossenen. Gerade in Zeiten stetiger Veränderungen sollte es folglich kein Zugeständnis sein, alle Beteiligten mehr einzubeziehen, sondern ein Muss, um gemeinsam langfristig tragfähige Gruppenentscheidungen zu fällen. An dieser Stelle kommt die Moderation ins Spiel.
Eine gute Moderation setzt sich aus drei Bausteinen zusammen:
Moderationshaltungen: Um Entscheidungen und Gruppenprozesse zu moderieren braucht es eine neugierige, ruhige und bisweilen auch beharrliche Haltung. Die Teilnehmer*innen sollten spüren, dass die Moderation jederzeit alles im Griff hat. Sie sollten das Vertrauen haben, alles äußern zu dürfen, auch wenn es zu Konflikten kommen könnte. Moderator*innen brauchen folglich eine Aura, dass sie nichts so leicht aus der Bahn werfen kann.
Gesprächstechniken: Damit einher gehen geschickt eingesetzte Gesprächstechniken – insbesondere Fragen und rhetorische Mediationstechniken – sowie die Fähigkeit, gut zuzuhören aus.
Moderationshandwerkszeug: Als Handwerkszeug betrachte ich alle Strukturen, Methoden oder Moderationstechniken, die Moderator*innen ein ideales Gerüst bieten, um auch bei schwierigen Themen klar und strukturiert vorwärts zu kommen. Dabei kann es sich um Ablaufpläne oder auch „nur“ um verschiedene Kategorien handeln, über die diskutiert wird. Die einfachste Struktur als Beispiel liefert uns die klassische Brainstorming-Regel: 1. Ideen sammeln und 2. Ideen bewerten.
Seminarinhalte des Moderationstrainings
Sich die eigenen Aufgaben und Rollen als Moderation bewusst machen
Wie sehen meine Aufgaben und Rollen als Moderator*in aus?
Wie schaffe ich den Spagat zwischen Ergebnisoffenheit der Moderation und organisatorischen Zwängen, bspw. aufgrund meiner Rolle als Führungskraft oder selbst Betroffene*r?
Wie strahle ich Souveränität und Sicherheit als Moderator*in aus, um die Akzeptanz und das Vertrauen der Teilnehmer*innen zu bekommen?
Wie schaffe ich es, möglichst alle Teilnehmer*innen mitzunehmen?
Wie gehe ich souverän mit Widerstand und schwierigen Teilnehmer*innen um?
Gesprächstechniken üben und anwenden
Mit welchen Fragetechniken lassen sich Teilnehmer*innen einbinden, Lösungen voranbringen und kreative Ideen herauskitzeln?
Mit welchen rhetorischen Gesprächstechniken lassen sich schwierige Situationen wertschätzend und souverän meistern?
Moderationshandwerkszeug gezielt einsetzen
Welche Strukturen und Methoden sind geeignet, um anstehende Aufgaben zielorientiert anzugehen, kreative Ideen zu generieren und Lösungen voranzubringen?
Mit welchen Strukturen und Methoden lassen sich Teambildungsprozesse voranbringen und Konflikte verhindern oder lösen?
Eingesetzte Methoden
Im Training wird das vorgestellte Handwerkszeug, soweit passend zu den Themen der Teilnehmer*innen, direkt angewandt. Es kommen – neben klassischen Kartenabfragen – insbesondere zum Einsatz: Dynamic Facilitation, Reflexions-Stern, Systemisches Konsensieren, Fischgrätendiagramm, Szenario-Technik, PMI (Plus-Minus-Interessant), 5-Finger-Feedback, U-Prozess, Kraftfeldanalyse, 4R-Methode, Systemische Fragetechniken, Themenzentrierte Interaktion (TZI)
Ihr Nutzen
In klassischen Moderationstrainings wird viel mit Kartenabfragen, Clustern und Punkten gearbeitet. Dabei stehen Moderationen oft unter dem (Zeit-)Druck, nachträglich Struktur in eine offene Kartenabfrage zu bringen, was kompliziert und langwierig sein kann. In diesem Training lernen Sie, wie Sie von Anfang an Struktur und Schnelligkeit in die Diskussion bringen, was allen Beteiligten zugute kommt, ob es sich um die Aufarbeitung von Fehlern, Entscheidungsprozesse, Veränderungsworkshops, Teambildungsprozesse, kreative Ideenfindungen oder Konflikte in kleinen oder großen Gruppen handelt.
Zielgruppe
Führungskräfte, Seminarleitungen, Projektleitungen oder Veränderungsbegleitungen
Dauer
Ein Inhouse-Training dauert 2-4 Tage bei einer Gruppengröße von maximal 12.
Passt das? Demut zu haben im Beruf? Und passt Demut überhaupt noch in unsere schnelllebige Zeit?
Auf den ersten Blick erscheint der Begriff der Demut aus der Zeit gefallen. Demut klingt nach Selbsterniedrigung und schmerzenden Knien in der Kirchenbank. Und das in einem Land mit stetig rückläufigen Zahlen bei den klassischen Kirchen.
Zusätzlich nutzen wir den Begriff so gut wie nie. Aus gutem Grund. Wer von sich behauptet, er wäre demütig, präsentiert dies bereits als Eigenschaft in einem leicht stolzen Unterton. Demut lässt sich daher eher zeigen – dazu später mehr. Darüber sprechen ist schwer. Auch wer zu viel Gottesfürchtigkeit zeigt, könnte in die Demutsfalle tappen. Schließlich ist es nicht gerade ein Zeichen großer Demut, dass wir als Mensch davon ausgehen als Abbild Gottes geschaffen worden zu sein.
Der Dämon des Stolzes
Stattdessen scheinen viele von uns von der Todsünde des Stolzes befallen zu sein. Wir präsentieren uns in diesem neoliberalen und neokapitalistischen System stets von unserer besten Seite – insbesondere in den digitalen Medien – und machen sogar Schwächen zu Stärken:
„Was können Sie nicht so gut?“
„Wenn ich mich in was fest gebissen hab, muss ich mich manchmal ganz schön zügeln mit meinem Arbeitseifer. Manchen meiner Kolleg*innen im letzten Job ging das ein wenig zu weit. Ich wäre übereifrig, hieß es dann.“
Subtext: „Und darauf bin ich insgeheim ziemlich stolz. Weil das, wir wir beide wissen, in Wirklichkeit eine Stärke ist.“
Doch nicht nur in der Arbeit, auch gesellschaftlich sind wohl viele von uns ein wenig zu stolz geworden. Was waren wir nicht schon alles in den letzten Jahren: Virolog*innen, Kriesexpert*innen, Bundestrainer*innen, usw.
Persönliches Intermezzo
Mein eigener kleiner Stolz-Dämon flüstert mir regelmäßig ein, dass ich mich im Notfall nur auf mich selbst verlassen kann. Als Freiberufler ist das eine große Stärke. Ich habe zwar auch ein großes Netzwerk mit wunderbaren Kolleg*innen, die mir den Rücken für meine Trainings freihalten, indem sie mit Kund*innen Verträge schließen, Termine vereinbaren, Hotels buchen, Skripte verschicken und mir Rückmeldungen nach Seminaren geben, wenn etwas Unvorhergesehenes passierte. Aber vor Ort in meinen Trainings gibt es niemanden, den ich fragen könnte, wenn es Probleme gibt. Hier bin ich komplett auf mich gestellt.
Es ist allerdings schwierig, dieses Muster auf andere Situationen und Lebensbereiche zu übertragen. Gratis-Tipp: Nicht machen! Bereits in Seminaren gibt es immer Menschen, die zu einem bestimmten Wissensgebiet mehr wissen als ich. Und im privaten Bereich kenne ich mich nicht wirklich mit Krankheiten und Genesung aus. OK. Ein wenig schon. Aber für Spezialgebiete wie Magen-Darm-Geschichten gibt es Expert*innen. Hier ist also Demut angesagt.
O-Ton meiner Frau, wenn ich in Diskussionen zu wissend daher rede: „Du bist zuhause und nicht mehr im Trainer-Modus“.
Demut als Mut nach innen
Vermutlich sind Sie ebenso wie ich schon über diese seltsame Konstruktion von De und Mut gestolpert. Was hat Demut bitteschön mit Mut zu tun?
Bei mutigen Menschen denken wir wohl eher an Mel Gibson in Braveheart oder eine namenlose Retterin, die ein kleines Mädchen von den Bahngleisen einer U-Bahn rettete. Wir denken an Zivilcourage oder an ein freches Mundwerk, was negative Konsequenzen nach sich ziehen kann. Ich selbst denke daran, dass ich die Abschlussrede unseres Uni-Semesters hielt, vermutlich weil ich es nicht aushielt, dass sich niemand dafür meldete. Ich denke an das Wagnis meiner Selbständigkeit vor 18 Jahren. Und ich denke über mein erstes großes Buchprojekt für Metropolitan nach – passenderweise ein Buch mit dem Titel „Provokantes Führen“.
Demut hingegen ist Mut nach innen. Ich erkenne, dass ich unvollständig bin und jemanden brauche, der mich und mein Wissen oder Können ergänzt. Das Prinzip der Dualität: Mann – Frau, Führung – Angestellte, gesetzt – ungestüm, erfahren – neugierig, usw.
Demut ist daher nicht nur mit der Selbsterkenntnis verbunden, alleine in vielen Situationen nicht gut genug zu sein. Sondern logischerweise auch mit den damit verbundenen Kränkungen.
Unser Ego gaukelt uns selbst und der Welt vor, wie toll wir sind. Doch eigentlich brauchen wir andere Menschen, um noch toller zu sein.
Wofür wir Demut brauchen
Eines klang schon an. Demut macht uns umgänglicher. Wir erhöhen damit nicht uns selbst, sondern unser Gegenüber. Daher ist Demut eng verbunden mit einem echten Interesse an anderen Menschen.
Zudem kann nur ein demütiger Mensch Feedback annehmen, eigene Fehler erkennen und daraus lernen. In Folge dessen kann nur ein demütiger Mensch ehrlich Danke sagen für ernst gemeinte Rückmeldungen.
Und: Demut hilft uns dabei, zu erkennen, dass wir Hilfe brauchen und diese auch annehmen können. Insofern besteht der ganze Mensch nicht nur aus sich selbst, sondern entsteht im Zusammenspiel mit anderen Menschen.
Literatur:
André Comte-Sponville: Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben: Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte
Positiv, Humorvoll, Wissenschaftlich fundiert
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