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Postmoderner Aufstieg

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Die Gesellschaft der Moderne ist auf Aufstieg ausgerichtet. Der Mensch strengt sich an, kann sich etwas leisten, bildet sich weiter, wird eine Führungskraft und macht Karriere. Das Aufstiegsversprechen sorgte jahrzehntelang für eine hierarchische Klarheit und Motivation in Unternehmen.

Doch was passiert, wenn einerseits dieses Aufstiegsversprechen nicht mehr funktioniert und andererseits junge Menschen kein Interesse mehr an diesem klassischen Aufstiegsmodell haben?

Manifest eines neuen Aufstiegsversprechens

I. Das Ende der neoliberalen Erzählung

Über Generationen galt: Wer sich anstrengt, wird belohnt. Bildung, Fleiß und Disziplin galten als Schlüssel zum Aufstieg. Doch dieses Versprechen ist gebrochen. Nicht, weil Menschen faul geworden wären, sondern weil die Strukturen erstarrt sind. Wer oben ist, bleibt oben. Wer unten anfängt, arbeitet oft sein Leben lang gegen unsichtbare Wände.
Erbe und Herkunft zählen mehr als Einsatz und Anstrengung. Die alte Erzählung von der Leistungsgesellschaft hat damit ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Früher war Bildung der Schlüssel, um soziale Grenzen zu durchbrechen. Heute reproduziert sie bestehende Unterschiede. Eine Freundin meiner älteren Tochter studiert in Köln. Dort hieß es: „Das Studium ist ein Vollzeitstudium. Wer meint, er könne nebenher arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren, kann sich das abschminken. Sinnvoller ist es, zuhause bei seinen Eltern um mehr Geld zu bitten.“

Auch die Diskussion über den Sinn in der Arbeit, neudeutsch purpose, ist für viele mittlerweile eine schale Angelegenheit. In einer Gesellschaft, die Erfolg in Zahlen ausdrückt – Einkommen, Eigentum und Status – wirkt das Wedeln mit dem Sinn schnell wie ein Trostpflaster dafür, dass ein Unternehmen nicht mehr zu bieten hat.

II. Die Leere im postoptimistischen Zeitalter

Wo kein Aufstieg mehr möglich ist, entsteht Resignation. Wer nicht aufsteigen kann, grenzt sich wenigstens nach unten ab. Und wer auch darin scheitert, greift nach der Zerstörung – aus Wut, Ohnmacht oder dem Gefühl, überflüssig zu sein. Symptomatisch dafür sind Aussagen wie „Eigentlich bin ich kein Fan der AfD, aber ich will, dass die da oben einen Denkzettel bekommen“. Auf der anderen Seite gehen viele junge Menschen unter 25 nicht mehr zu Wahlen (siehe Brexit, Trump oder Bundestagswahlen → Studien der WZB, Friedrich-Ebert-Stiftung oder Bundeszentrale für politische Bildung).

Ein ähnliches Pendeln zwischen Resignation, Wut und Egoismus finden wie in Unternehmen wieder, wenn scheinbar ohne Grund sinnvolle Aufgaben abgelehnt oder Veränderungen blockiert werden.

Erscheint jedoch der Aufstieg als Karriere nicht mehr möglich, fällt auch ein wichtiger Motivator in der Arbeit weg: „Warum sollte ich mich anstrengen, wenn es ohnehin nichts bringt? Dann reicht es auch, das Nötigste zu tun und ansonsten mein Leben zu genießen?“

Dies betrifft vor allem die neue Mittelschicht, die sich im Gegensatz zur alten Mittelschicht weniger auf Materielles verlassen kann (Stichworte: Hausbesitz, Handwerk), sondern in einer Sharing-Community groß wurde und sich mit kreativen und digitalen Tätigkeiten einen höheren Status erarbeitete (→ Andreas Reckwitz: Gesellschaft der Singularitäten). Dieser Status besitzt jedoch wenig Fundament und kann schnell schwinden, bspw. wenn eine KI den eigenen Job übernimmt. Kein Wunder, dass aktuell ein enormer Druck im Kessel ist:

  • Die Oberschicht grenzt sich ab.
  • Die alte Mittelschicht schlägt zurück, bspw. durch horrende Handwerker-Rechnungen.
  • Die neue Mittelschicht hat Angst vor dem Absturz.
  • Die Unterschicht kämpft um ihr Überleben.
  • Und viele junge Menschen weigern sich, Teil eines solchen toxischen Systems zu werden.

III. Ein neues Aufstiegsversprechen

Soll ein neues Aufstiegsversprechen wieder zu mehr Motivation in Unternehmen führen, darf es nicht mehr individuell und exklusiv sein, im Sinne von: „Ich will höher hinaus als du.“ Sondern kollektiv und inklusiv: „Wir wollen gemeinsam besser leben und zusammenarbeiten.“

Aufstieg sollte kein Wettlauf mehr sein, sondern ein Projekt kollektiver Gerechtigkeit, Sicherheit, Solidarität, Zufriedenheit, Autonomie, Sicherheit und Würde.

Tatsächlich zeigen Umfragen, dass junge Menschen v.a. deshalb nicht zu Wahlen gehen, weil sie weniger in Parteiprogrammen, sondern themenorientiert denken:

  • Klima ist wichtig, aber die Grünen sind zu elitär.
  • Solidarität ist wichtig, aber die SPD hängt noch zu sehr in der Vergangenheit und die Linke ist zu wenig liberal.
  • Autonomie ist wichtig, aber die FDP agiert lediglich wirtschaftsliberal.

Übertragen wir diese Erkenntnisse auf Unternehmen, bedeutet ein postmoderner Aufstieg:

  • dass niemand Angst vor einem gesellschaftlichen Absturz haben muss,
  • dass Bildung und Seminare kein Privileg sind, um Karriere zu machen, sondern eine Möglichkeit persönlicher Weiterentwicklung,
  • dass Arbeit Anerkennung erfährt, egal ob sie im Büro, in der Pflege oder an einer Maschine geleistet wird,
  • dass alternative Lebensläufe verstanden, respektiert und gefördert werden,
  • dass sich Wohlstand und finanzielle Sicherheit in einer guten Balance zu Freizeitzeit, Gesundheit und Sinn befinden.

Dieser qualitative Aufstieg funktioniert weniger vertikal, sondern horizontal:

  • Sinnvoll verbrachte (Arbeits-)Zeit,
  • Bildung für alle (Interessierte),
  • Gesundheit als zentraler Baustein,
  • persönliche statt verordnete Sinnsuche,
  • Gemeinschaft statt Abgrenzung,
  • Teilhabe an Unternehmensentscheidungen, wo es möglich und sinnvoll erscheint.

Fazit: Eine Zeitenwende

Es erscheint einfach, sich über die Arbeitsmoral junger Menschen zu beklagen. Schwieriger ist es, zu erkennen, dass wir aktuell mitten in einer großen Zeitenwende stehen. Noch schwieriger ist es Strukturen in Unternehmen anzupassen, damit Motivation auch für diejenigen wieder möglich ist, die nicht vertikal aufsteigen wollen. Logischerweise braucht es hier hybride Lösungen, um nicht die Mitarbeiter*innen vor den Kopf zu stoßen, die mit dem Aufstiegsmodell der Moderne groß wurden. Ein erster wichtiger Schritt wäre es jedoch, zu akzeptieren dass junge Menschen anders arbeiten wollen.

Wieviel Führung braucht der Mensch?

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O.K. Leute. Manche von euch müssen jetzt ganz stark sein. Aber wenn wir Wissenschaft ernst nehmen (Follow the Science!) – in diesem Fall Studien über den Umgang mit Katastrophen – wird klar, dass Menschen viel weniger Führung brauchen als uns das sowohl die Politik als auch Hollywood vormachen wollen. In Wirklichkeit organisieren sich Gruppen von Menschen viel besser als uns weisgemacht wird: Sie helfen sich gegenseitig, sind weniger egoistisch als wir denken und reagieren weniger panisch als wir es aus großen Blockbustern kennen. So geordnet wie Menschen unter Druck reagieren ist fast schon langweilig.

Aber der Reihe nach …

Unser sozialer Aktivierungsmechanismus in Krisen

Geraten Menschen in eine Bedrohungssituation, passiert typischerweise Folgendes:

  • Sie erkennen ihr gemeinsames Schicksal.
  • Dadurch entsteht spontan eine geteilte soziale Identität.
  • Diese neue, gemeinsame Identität und kollektive Hoffnung auf eine Rettung aktiviert die gegenseitige Unterstützung und Koordination.

In der Katastrophen-Forschung nennt sich dieser Mechanismus „emergent social identity“.

Emergenz bezeichnet das Phänomen, dass sich aus geordneten Strukturen unter Chaos eine eigene Ordnung herausbildet, die niemand von außen steuert. Das Prinzip der Selbstorganisation ohne Führung klingt komplizierter als es ist. Wenn wir genauer hinsehen, erlebt jede*r von uns täglich solche Situationen.

Ein Beispiel: Spontane Koordination in einer Fußgängerzone

  1. Situation: Ein Gehweg ist plötzlich durch ein Hindernis blockiert (Bauarbeiten, Lieferwagen).
  2. Einzelverhalten: Jeder Fußgänger weicht intuitiv aus, sucht eine Lücke, passt seine Geschwindigkeit an oder wartet, bis es frei ist. Kinderwägen werden gemeinsam getragen. Ältere Menschen werden gestützt.
  3. Emergentes Muster: Es entsteht ein geordnetes „Fließsystem“ ohne Anordnung: Menschen teilen sich automatisch in zwei Richtungen auf, lassen andere passieren und passen ihr Tempo an. Niemand sagt „Du gehst links, du rechts“, keine Ampel regelt das Geschehen. Dennoch funktioniert das System erstaunlich reibungslos – es wirkt fast wie eine organisierte Struktur.

Führung funktioniert anders als wir denken

Wer die Cinefin-Matrix (externer Link) auf Führung überträgt, kann zu der Erkenntnis kommen,

  • dass sich einfache Aufgaben gut delegieren lassen,
  • komplizierte Aufgaben ein gutes Gruppengefüge benötigen,
  • komplexe Aufgaben Schwarmintelligenz brauchen,
  • aber unüberschaubare Situationen, also Krisen und Chaos, eine stringente Führung brauchen, bis wieder Klarheit hergestellt ist.

Fakt ist: Medial präsent sind Plünderungen, Egoismen und Regelbrecher. Auswertungen von Tausenden Überlebenden von 9/11 ergaben jedoch: Die meisten Menschen verließen die Gebäude geordnet, halfen einander, trugen Mobilitätseingeschränkte mehrere Stockwerke nach unten und warteten aufeinander, obwohl sie alleine schneller gewesen wären. Panik in Krisensituationen sind weitgehend ein Mythos.

Das Bild von panischen Menschenmassen hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt und bestimmt daher auch unsere Entscheidungen und unser Wahlverhalten. Wer daran glaubt, dass Menschen in Krisen zu Plünderern werden (Bsp. Hurrican Kathrina) oder während einer Terrorattacke unkoordiniert durch die Gegend rennen, ist auch dafür, die Befugnisse von Führung jeglicher Art auszubauen. Wer darauf vertraut, dass Menschen sich gerade in Krisen gut selbst organisieren, ist ein Anhänger weitgehender Liberalität. Genau jene Liberalität, die wir brauchen, um sowohl gesellschaftlich als auch beruflich Vertrauen zueinander zu haben.

Studien im Nachgang vieler Katastrophen (Erdbeben, Brände, 9/11) konnten zeigen:

  • Es bilden sich spontan Koordinationsnetzwerke.
  • Rollen entstehen und lösen sich wieder auf.
  • Nach der Krise verschwinden diese flach organisierten Gruppen wieder oder werden formalisiert.

Die „Plünderer“ während Kathrina erwiesen sich im Nachhinein als Menschen, die für andere Menschen Essen besorgten.

Alltag- versus Krisen-Führung

Soziologische Studien zu vermeintlichem Panikverhalten legen nahe, dass Menschen im Alltag, in dem es keine unmittelbare gemeinsame Bedrohung gibt und damit eine gemeinsame Identität weniger notwendig ist, mehr Führung brauchen, weshalb Routinen, Autoritäten und klare Rollen wichtig sind, während in Krisen weniger Führung notwendig ist.

Kommt in Krisen eine Führung von außen, bspw. durch eine Autorität, der die Gruppe nicht vertraut, kann dies eine verheerende Wirkung haben. Auf gesellschaftlicher Ebene passiert dies, wenn sich Politiker*innen als Legislative oder Polizist*innen als Exekutive in die Selbstorganisation einmischen. Auf beruflicher Ebene kann ein externes Krisenmanagement mehr kaputt machen als gedacht. Daher ist es gerade in Krisensituationen hilfreich, wenn das Management der Krise von einer vertrauten Person übernommen wird.

Führung in Krisen ist also nicht ganz obsolet. Sie muss jedoch ein Teil der Gruppe sein, um Gegenwehr zu verhindern. Während in klassischen Modellen davon ausgegangen wird, dass Menschen insbesondere in chaotischen Situationen irrational handeln und von oben gelenkt werden müssen, gehen neuere Modelle davon aus, dass Führung emergent sein sollte: Eine Person oder kleine Gruppe übernimmt dann die Führung, wenn sie als Teil des „Wir“ wahrgenommen wird und glaubwürdig handelt.

Ein Beispiel: Nach dem Anschlag in der Londoner U-Bahn 2005 halfen sich Menschen spontan gegenseitig und befolgten Anweisungen der Einsatzkräfte nicht, weil sie befehligt wurden, sondern weil sie die Einsatzkräfte als ihre Leute wahrnahmen.

Zusammengefasst lässt sich daher festhalten:

Wenn das nicht Hoffnung auf die Zukunft macht?

Literatur

John Drury & Stephen Reicher (Hrsg.) – Crowds in the 21st Century: Perspectives from Contemporary Social Science (Routledge, 2012) → Überblick über moderne Crowd-Psychologie; zeigt, dass „Panik“ selten ist und Solidarität dominiert.

E. L. Quarantelli – What Is a Disaster? Perspectives on the Question (Routledge, 1998) → Klassiker; entwickelt die Idee, dass Katastrophen nicht durch Panik, sondern durch soziale Organisation geprägt sind.

Michael J. Reiss, Roz Diane Lasker, Robyn R. Gershon (Hrsg.) – World Trade Center Evacuation Study: Lessons for Emergency Preparedness
(Centers for Disease Control and Prevention / Columbia University, 2004–2006, diverse Publikationen) → Empirische Auswertung: geordnetes, solidarisches Verhalten, kaum Panik.

Dirk Helbing – Social Self-Organization: Agent-Based Simulations and Experiments to Study Emergent Social Behavior (Springer, 2012) → Quantitative Perspektive auf emergentes Verhalten, auch bei Evakuierungen und Katastrophen.

Was sich aus der No-Kings-Bewegung in den USA lernen lässt

Wer sich wie ich mit dem Thema Hoffnung beschäftigt, kommt an der gestaltenden Kraft von „Hoffnung in der Dunkelheit“ – wie ein Buchtitel der großartigen Autorin Rebecca Solnit lautet – nicht vorbei. Ihr Fazit: Veränderungen kommen für Unbeteiligte oft wie aus dem Nichts. Deshalb erscheint es für uns Zuschauer*innen überraschend, dass gestern „plötzlich“ Millionen von Menschen in den USA gegen Donald Trump auf die Straße gingen. Dabei ist es doch logisch, dass eine solche Aktion monatelang im Hinterzimmer geplant wurde, insbesondere, weil die beteiligten Gruppen derart zusammen gewürfelt sind:

  • Welches Motto geben wir uns?
  • Was verbindet all die verschiedenen Gruppen?
  • Welche Netzwerke nutzen wir?

Wir können sogar noch weiter in der Zeit zurück gehen. Der Mensch als historisches Wesen weiß, dass ein gewaltfreier Widerstand schon oft in der Geschichte erfolgreich war, siehe Ghandi oder Martin Luther King. Der Mensch weiß auch, dass Humor eine großartige Waffe sein kann, um sich zu verweigern. Und der us-amerikanische Mensch weiß, welche Trigger in den USA besonders schmerzhaft sind: Der Slogan „No Kings“ hat Symbolkraft, weil er sich auf eine USA bezieht, die sich bewusst von dem britischen Königshaus loslöste, als sich die Gründerväter zu demokratischen Prinzipien bekannten. Das Anti-Symbol des Königs spricht alle Seiten an. Genau das macht die Bewegung – so fragil sie auch sein mag – so gefährlich für die Republikaner um Donald Trump.

Gleichzeitig läuft damit der Vorwurf der Republikaner, die Demonstrant*innen würden Amerika hassen, ins Leere: Die No-Kings-Bewegung steht für Gewaltfreiheit, Freude (man schaue sich nur die lustigen Konstüme an) und die Verteidigung ur-amerikanischer Grundrechte.

Was lässt sich daraus grundsätzlich für den Umgang mit Systemen lernen?

Nicht wenige Führungskräfte in meinen Seminaren beklagen sich über starre Systeme. Eine große Demonstration ist hier natürlich fehl am Platz. Denn in Organisationen geht es nicht darum, „einen König zu stürzen“, sondern darum, andere Werte als die momentan aktuellen zu leben oder Strukturen zu hinterfragen. Es geht darum, einen guten Weg miteinander zu finden. Es geht um die Ur-Frage von Theodor Adorno: Wie gelingt ein gutes Leben in einem schwierigen System?

Eine Anekdote aus meinem Seminaralltag: Zu Beginn eines einmal im Jahr stattfindenden Führungsseminars in einem mittelständischen Unternehmen lässt eine Führungskraft in der Erwartungsabfrage eine mittelschwere, verbale Bombe explodieren: „Das hier ist doch nur ein Feigenblatt! In Wirklichkeit verändert sich doch sowieso nichts!“

Frage an die Trainer*innen da draußen, bevor ihr weiterlest: Was hättet ihr gemacht?

Ich jedenfalls hab leer geschluckt, kurz durchgeatmet und mich dann bei dem Teilnehmer bedankt: „Danke, dass Sie das hier so offen aussprechen. Damit lässt sich arbeiten. Gleichzeitig zeigt es, dass Sie Kritik üben können, ohne rauszufliegen.“

Daraufhin entstand eine lebhafte, aber immer konstruktive Diskussion mit den anderen Teilnehmer*innen und v.a. mit der anwesenden Personalleiterin. So schnell bin ich noch nie in eine Seminar gestartet. Und am Ende gingen alle mit frischer Motivation nach Hause.

Das Beispiel zeigt: Es gibt viele Möglichkeiten, Veränderungen herbei zu führen. Manchmal ist es die öffentliche Kritik einer einzelnen Person, die etwas in Gang bringt. Manchmal ist es aber auch das jahrelange Netzwerken Gleichgesinnter, manchmal Humor, und manchmal das Bewahren der eigenen Würde, nicht alles mitzumachen.

Egal wie: Wer erkennt, dass er die Zukunft mitgestalten kann, muss nicht resignieren. Denn viele Früchte ernten wir erst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten. Die No-Kings-Demonstrationen werden zu keinem Sturz von Donald Trump führen. Aber sie zeigen: Die Zivilbevölkerung ist wach.

Vielleicht malen die Mühlen langsam. Aber sie malen.

Genauso wenig führt eine offene Kritik an Strukturen in einem Unternehmen sofort zu Veränderungen. Aber auch hier ist das Signal deutlich: „Ich bin nicht zufrieden, wie es hier läuft. Ich will aber auch nicht kündigen, sondern mitgestalten. Lasst uns reden.“

Als Unternehmensleitung würde ich solche Mitarbeiter*innen sofort in die Pflicht nehmen und mindestens als Co-Leitung in einem Restrukturierungsprojekt einsetzen. Eine solche Energie sollte produktiv genutzt werden.

Handlungsfähig bleiben in der Postmoderne

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1. Die Notwendigkeit einer Festlegung trotz widersprüchlichem Wissen

Der postmoderne Mensch glaubt, Handeln sei eine Funktion von Erkenntnis: Wer die Welt versteht, kann rational entscheiden. In der postmodernen Logik bricht diese Beziehung zusammen. Wissen wird unendlich, Gründe widersprechen sich, Perspektiven sind plural. Was bleibt, ist das Bewusstsein der eigenen Vorläufigkeit und damit eine Lähmung durch zu viel Wissen.

Dieses Phänomen hat vermutlich jede*r schon einmal erfahren: Wissen ist hilfreich, um gute Entscheidungen zu treffen. Doch ab einem bestimmten Punkt ist Wissen nicht mehr hilfreich und führt zu Zweifeln. Ein Beispiel aus der Entscheidungsforschung steht stellvertretend für diesen Effekt: Werden an einem Stand im Supermarkt drei Marmeladensorten zum Probieren angeboten, bleiben dort weniger Menschen stehen als an einem Stand mit sieben Sorten. Der Stand mit den drei Sorten führt allerdings zu mehr Verkäufen. Wie soll man sich auch bei sieben Sorten entscheiden?

Extrapolieren wir dieses Beispiel auf unsere Welt wird klar, dass in der Postmoderne jede Handlung auf unzählige Gründe trifft, die sich gegenseitig neutralisieren. Für alles gibt es ein „Ja, aber“. Jedes Argument ruft sein Gegenargument hervor:

  • Ja, wir sollten Frieden und Diplomatie fördern. Aber versteht Putin nicht nur das Argument der Waffen?
  • Ja, wir sollten Putin mit Waffen bekämpfen. Aber widerspricht das nicht der langfristigen Sehnsucht der meisten Menschen nach einem friedlichen Zusammenleben?

Alles scheint lediglich eine Frage der Verhandlung zu sein. In dieser Lage droht das Subjekt – überinformiert, selbstreflexiv und skeptisch – handlungsunfähig zu werden.

Der Philosoph Slavoj Žižek diagnostiziert genau hier das Paradox der Freiheit: Wir können alles begründen, aber gerade deshalb nichts wirklich tun. Handlungsfähigkeit entsteht, so seine These, nicht durch Wissen, sondern durch eine Setzung. Wir sammeln also nicht Wissen, um darauf aufbauend eine Entscheidung zu treffen. Sondern wir entscheiden uns auf der Basis mangelhaften oder widersprüchlichen Wissens, im vollen Bewusstsein, falsch liegen zu können.

Žižek greift hier auf eine Linie zurück, die von Kierkegaard über Sartre bis Lacan reicht: Der entscheidende Akt ist nicht rational begründet, sondern existentiell. Kierkegaard nannte ihn den „Sprung des Glaubens“, Lacan spricht vom acte, Badiou vom „Treueakt zum Ereignis“. In jedem Fall gilt: Der Moment der Festlegung ist ein Moment des Trotzes: Wir wissen nicht, ob wir richtig liegen, aber tun es dennoch, um uns gegen die Logik der Unsicherheit zu stellen.

Festlegung bedeutet also nicht, zu handeln, weil wir Recht haben, sondern um handlungsfähig zu bleiben. Erst unser Handeln zwingt in einer Kettenreaktion die Festlegung unseres Umfelds, was dem postmodernen Menschen schwer zu fallen scheint, weil er sich damit angreifbar macht. Sie ist jedoch ein zentraler Baustein als Ausweg aus einer postmodernen Beliebigkeit.

2. Formen der Festlegung

In einer pluralen, relativistischen Welt kann Festlegung verschiedene Formen annehmen, die sich nach Motiv und Funktion unterscheiden.

a) Existenzielle Festlegung auf Werte und Haltungen

Der Mensch legt sich fest, um nicht zu zerfallen: „Ich vertraue“, „Ich glaube“, „Und deshalb handle ich“. Solche Entscheidungen sind Akte der Selbstvergewisserung. Ohne sie bleibt das Subjekt ein reflektierendes, aber ohnmächtiges Wesen. Hier geht es nicht um Wahrheit, sondern um Stabilität. Der Akt selbst schafft den Grund, auf dem er steht. In diesem Sinne können wir uns alle festlegen, indem wir sagen: Ich glaube an die Solidarität. Ich vertraue meinen Kolleg*innen. Ich glaube daran, dass ich im Team mehr erreichen kann als alleine. An dieser Stelle finden wir auch unsere Hoffnungen wieder. Obwohl es naiv erscheint, an das Gute im Menschen zu glauben, erscheint es das einzig Sinnvolle zu sein in einer Welt voller Krieg und Hass. Weil wir ansonsten bereits aufgegeben hätten. Andererseits ist das Warten auf eine endgültige Beweisführung, ob der Mensch im Grunde gut oder schlecht ist, ebenfalls naiv, weil es diesen Beleg niemals geben wird. Existenzielle Festlegungen bieten damit einen Ausweg aus dem dialektischen „Sowohl, als auch“.

b) Politische Festlegung auf Meinungen

Neutralität ist feige. Eine politische Festlegung – etwa „Ich setze mich für ein nachhaltiges Wirtschaften ein“ – ist niemals vollständig begründbar, aber sie ist notwendig, weil eine Nicht-Positionierung ebenfalls eine passive Positionierung darstellt, indem die bestehenden Umstände unterstützt werden, ohne zu handeln. Die Festlegung wird zum Akt der Verantwortung und fördert kontroverse Diskussionen.

c) Ironische Übertreibung von Positionen

Gerade im Bewusstsein, dass alles im agilen Fluss ist und sich beständig verändert, kann man sich (temporär) ironisch festlegen: als Spiel, Stil oder Pose. Hier wird die Postmoderne mit ihren eigenen Mitteln überboten. Durch Übertreibung einer Überzeugung wird die Oberflächlichkeit einer ernsthaften und durchaus sinnvollen Ambivalenz als Gesprächsgrundlage entlarvt.

In einer Welt, die aktuell wieder zurück pendelt zu einer strengen, klar hierarchischen Führung, zeigt sich auch die Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Auf der anderen Seite ist es ebenso übertrieben, Mitarbeiter*innen an allem zu beteiligen, so wie es Eltern machen, die ihre Kinder in alle Entscheidungen mit einbeziehen und sie damit überfordern. Beides lässt sich ironisch übertreiben und dadurch bloß stellen:

  • Wenn du hierarchisch führen willst, während deine Mitarbeiter*innen im Homeoffice sitzen: Rufst du dann im 30-Minuten-Takt an und fragst nach Ergebnissen? Es wäre sicherlich auch hilfreich, ihnen Essensvorschläge zu machen, damit ihre Leistung konstant bleibt.
  • Wenn du auf Augenhöhe führen willst: Lässt du dann deine Mitarbeiter*innen abstimmen, welche Kaffeesorte beim nächsten Mal eingekauft werden soll und stellst eine Liste auf, dass alle über das Jahr verteilt gleich oft mit dem Einkaufen dran sind? Wobei eine Liste aufzustellen evtl. schon zu hierarchisch ist. Vielleicht sollten wir erst diskutieren, ob eine Liste das richtige Tool ist?

3. Festlegung als Provokation

In all diesen Formen liegt eine provokative Dimension. Die Festlegung irritiert jene, die im Schwebezustand der Postmoderne verharren wollen. Wer sich festlegt, stört den Diskurs der offenen Möglichkeiten, der oft nichts anderes ist als die Ideologie der Passivität. Eine entschiedene Geste – ethisch, politisch oder ironisch – zwingt andere, Stellung zu beziehen: Bist du dafür oder dagegen?

Vor diesem Hintergrund lassen sich auch manche radikale Aussagen als Einladung zur Selbstpositionierung und Diskussion wahrnehmen. Mir scheint beinahe, Politiker*innen oder allgemein Menschen in der Öffentlichkeit wie Marie Agnes Strack-Zimmermann, Oskar Lafontaine, Sarah Wagenknecht oder Alice Schwarzer hätten Slavoj Zizek gelesen.

Im Gegensatz zur landläufigen Wahrnehmung gerade in gesellschaftlichen Kreisen, denen ein gewaltfreier Diskurs wichtig ist, ist eine Festlegung, wenn sie auf gegenseitigem Respekt basiert, kein Hindernis von, sondern förderlich für Diskussionen. In diesem Sinne stehen Entscheidungen nicht am Ende einer Reflexion, sondern am Anfang:

  1. Individuelle Vor-Reflexion
  2. Provokation durch Festlegung
  3. Respektvoller Austausch
  4. Gemeinsame Entscheidung

Der Zusammenhang von Hoffnung und Handeln am Beispiel des Klima-Aktivismus

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Wirkt Hoffnung vertröstend?

Während Hoffnung als zu passiv oder vertröstend empfunden werden kann, gilt ein zupackender Aktivismus gerade in Krisenzeiten als Methode der Wahl.

So sagte Greta Thunberg in ihrer berühmten Rede vor der UN 2019 („How dare you?“) sinngemäß: „Ich will nicht, dass ihr Hoffnung habt. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr handelt.“

Wer Hoffnung hat, so die Denkweise, handelt nicht. Je dringlicher jedoch eine Krise ist, desto aktiver sollten wir werden.

Auch in anderen aktivistischen Kontexten gilt diese Sichtweise, wenn Hoffnung als „Opium der Privilegierten“ kritisiert wird:

  • Wer wenig zu verlieren hat, kann sich Hoffnung leisten.
  • Marginalisierte Gruppen hingegen erleben, dass Hoffnung ohne Aktion leer bleibt.

→ Hoffnung gilt hier als Ersatzhandlung, um Ungerechtigkeit langfristig auszusitzen.

Ein Gegenbeispiel war der erste Wahlkampf von Barack Obama, der vielen Menschen als Hoffnungsträger galt („Yes, we can!“). Dies funktioniert allerdings langfristig nur, wenn es auch echte Veränderungen gibt. Andernfalls wird Hoffnung individualisiert.

Tatsächlich geht laut dem Hoffnungsbarometer von Dr. Andreas M. Krafft die kollektive Hoffnung seit Jahren zurück, während die individuelle Hoffnung diesen Verlust gemeinschaftlicher positiver Zukunftsbilder kompensiert: „Die Welt geht den Bach runter, aber mich wird das nicht betreffen.“ (https://www.unisg.ch/de/newsdetail/news/hoffnungsbarometer-2025-was-gibt-menschen-in-der-schweiz-zuversicht)

Hoffnung als Motivationsfaktor

Hoffnung ist jedoch so viel mehr als lediglich Veränderungen auszusitzen und Krisen auszuhalten. Hoffnung hat auch eine gestaltende Kraft. Laut Ernst Bloch (Das Prinzip Hoffnung) ist Hoffnung revolutionär, wenn sie Wege aufzeigt, wie eine bessere Zukunft aussehen kann. (https://www.youtube.com/watch?v=ls8AksUXSYI)

Entsprechend lässt sich festhalten:

  • Hoffnung ohne Handlung wird zur Illusion.
  • Handlung ohne Hoffnung ist zielloser Aktivismus, um des Aktivismus Willen.

Denn wofür sollte sich jemand einsetzen, wenn ohnehin alles verloren ist, es also keine Hoffnung mehr gibt?

Als reifere Version von Greta Thunberg lässt sich Luisa Neubauer anführen. Luisa Neubauer als Mitorganisatorin von Fridays for Future in Deutschland tritt weniger
apokalyptisch und stärker vermittelnd auf und ist damit politisch anschlussfähiger. Für Neubauer ist Hoffnung zentral, um handlungsfähig zu bleiben. Sie entsteht, wenn Menschen handeln, um gemeinsam etwas zu erreichen. Hier wird Hoffnung nicht gegen Aktivismus ausgespielt, sondern durch Aktivismus durch Hoffnung und Hoffnung durch Aktivismus erzeugt. Gleichzeitig warnt sie vor einer verlogenen Hoffnung, die von politischen Eliten oder Medien verbreitet wird: „Wir können uns nicht mit Hoffnung zudecken, wenn wir keine Politik machen, die Hoffnung verdient.“

Hoffnung sollte stattdessen zu einem kollektiven Prozess werden. Neubauer spricht oft von „Hoffnung als Arbeit“ oder „Hoffnung als kollektiver Praxis“. Hoffnung ist kein Gefühl, sondern ein Ergebnis von Solidarität, Engagement und Wandel, die entsteht, wenn gemeinsam Strukturen verändert werden.

(Luisa Neubauer und Alexander Repenning: Vom Ende der Klimakrise, 2019)

Zentrale Einsichten aus dem Aktivismus-Diskurs für Unternehmen

I) Hoffnung ohne Handlung führt zu Resignation.

Hoffnung, die nicht mit konkretem Handeln verbunden ist, wird als vertröstend empfunden. Predigen In Organisationen Führungskräfte Optimismus, ohne dass sich strukturell etwas verändert, sind die Folgen davon Zynismus oder passiver Widerstand.

In diesem Sinne sollten Hoffnungen einen gemeinsamen Prozess anstoßen: „Wir wissen, dass es schwierig wird, aber wir haben drei Initiativen gestartet, die zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

II) Hoffnung entsteht durch kollektives Handeln

Hoffnung entsteht durch ein gemeinsames erfolgreiches Tun. Wer erlebt, dass Veränderungen möglich sind, selbst wenn es nur kleine Schritte sind, glaubt (wieder) an sich selbst und eine bessere Zukunft.

III) Hoffnung braucht Ehrlichkeit

Hoffnungsvolle Utopien dürfen die Realität nicht beschönigen. Nur wenn der Ernst der Lage klar benannt wird, wirkt Hoffnung glaubwürdig: „Ja, es gibt Unsicherheiten – aber wir gehen sie gemeinsam an.“

Literatur:

https://www.walhalla.de/wirtschaft-management/management-und-fuehrung/5115/hoffnung?srsltid=AfmBOopXQWHM4hooqm2vgq56f2aGe08sgGDqF7vBtMhLSrKhYgsDg5QP