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Erschöpft vom Leben

Bild von storyset auf Freepik

2022 befragte das Meinungsforschungsinstitut Civey 5000 Personen nach ihrem Grad der Belastung. Das Ergebnis: Etwa 50% der Befragten fühlten sich erschöpft. Von der Arbeit. Den täglichen Aufgaben, insbesondere bei Familien mit Kindern. Der Reizüberflutung in Großstädten. Den vielen Krisen um uns herum. Letztlich davon, das Leben gerade so zu meistern. Mehr aber auch nicht. Lebensfreude? Fehlanzeige. Als hätten sich viele von uns mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter Ziele gesetzt, denen sie nun zeitlebens hinterher hecheln: Haus abbezahlen, Karriere machen, Karriere der Kinder fördern, usw.

Paradoxerweise verschlimmern zwei vermeintliche Lösungsstrategien unseren Umgang mit Stress und Krisen nur noch mehr:

  1. Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, sich von den Belastungen des Alltags abzulenken. Doch das Überangebot an sehenswerten Serien, Filmen oder Dokus artet seinerseits in Stress aus.
  2. Noch nie kamen wir so leicht an Informationen über Krisen in der ganzen Welt. Wenn wir schon nicht imstande sind, die Welt zu retten, können wir uns zumindest über den Stand der Dinge informieren. Wissen ist Macht. Oder etwa nicht?

Hilfreich scheint das jedoch nicht zu sein. Denn wer einerseits wütend ist auf den Zustand der Welt oder auch nur auf die Politik der Ampelregierung, sich jedoch außer der Unterstützung einer Onlinepetition außerstande fühlt, etwas zu unternehmen, steht bereits mit einem Bein in der Depression. Denn: Zu wissen, was alles im Argen liegt und gleichzeitig handlungsunfähig zu sein, macht depressiv.

Digital Detox ist auch keine Lösung

Ein dauerhaftes „Digital Detox“ ist sicherlich keine Lösung. Je nach Lebenslage ist es durchaus wichtig beispielsweise die aktuelle Debatte um Gebäudesanierungen mitzubekommen, um vorbereitet zu sein. Auch das Wissen um Deep-Fakes oder die neuesten Trickbetrügermaschen ist hilfreich, um nicht halbblind durch die Welt zu segeln. Ohnehin stellt sich die Frage, wer es sich heute noch leisten kann, nicht digital unterwegs zu sein, und sei es nur zumindest eine Email-Adresse zu haben.

Die Adressatenfrage

Stattdessen sollten wir uns beim Konsum von Weltuntergangsnachrichten die Frage der persönlichen Relevanz stellen:

  • Betreffen mich Gebäudesanierungen, wenn ich selbst kein Haus besitze?
  • Betreffen mich Aufrufe zum „Kalt Duschen“, wenn meine Gasrechnung ohnehin eher bescheiden ausfällt?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Dass wir uns durch Nachrichten in die Probleme anderer Menschen hineinversetzen betrachte ich als eine der Hauptaufgaben von Medien. Medien sollten, wie der Name suggeriert, zwischen verschiedenen Personengruppen vermitteln. In diesem Sinne könnte ich eine Nachricht als Information betrachten: „Ah, das gibt es also auch.“ Mir scheint jedoch, dass sich in den letzten Jahren ein Reiz-Reaktions-Impuls oder besser Informations-Wut-Automatismus beim Medienkonsum etablierte, bei dem die Effekthascherei vieler Medien, insbesondere im digitalen Bereich, nicht ganz unschuldig ist. Die Welt geht sozusagen jeden Tag mindestens einmal unter. Und der große Bevölkerungsaufstand steht auch jederzeit im Raum. Ein Hoch auf das Prepper-Wesen! Ein Wunder, dass wir alle noch leben. Dennoch verlangt niemand von uns, auch nicht der Springer-Verlag, dass wir uns stetig direkt angesprochen fühlen, als müssten wir sofort handeln. Bei mir selbst rauschen viele Informationen einfach durch, weil ich mich ganz oft frage: Meinen die mich? Eher nicht.

Zur Verdeutlichung: Vor etwa 20 Jahren musste mein bescheidenes Pädagogengehalt für unsere kleine Familie ausreichen. Von einem Bekannten erfuhren wir von der Möglichkeit Wohngeld zu beantragen. Mein Verdienst lag knapp unter dem Regelsatz. Also nahmen wir die Armada an Unterlagen und Nachweisen in Angriff. Als wir alles beisammen hatten, um eine mögliche Förderung mit unserem Ansprechpartner auf dem Amt durchzusprechen, schaute uns dieser mit großen Augen an und meinte: „Da muss ein Fehler passiert sein. Niemand kann so wenig Gas und Strom verbrauchen.“ Aber die Belege stimmten natürlich. Dass wir sparsam sind, war uns bewusst. Dass wir so sparsam waren, war uns nicht klar. Und selbst in der aktuellen Energiekrise bekamen wir wieder einmal ein paar Euro von unserem Gasanbieter zurück, obwohl wir unser Verhalten nicht wirklich veränderten. Wenn ich heute ein Video von Winfried Kretschmann sehe, in dem er erklärt, wie man die Heizung über Nacht herunter dreht, entlockt mir das eher ein Schmunzeln als dass ich mich darüber ärgere. Es betrifft mich schlicht und einfach nicht.

Ich trenne seit 35 Jahren meinen Müll. Ich saß in meinem ganzen Leben vier mal in einem Flugzeug und fahre eher mit der Bahn als mit dem Auto. Kurzum: Das Thema Umwelt rauscht bei mir durch. Selbst die Klimakleber betreffen mich nicht, weil ich noch nie einem begegnet bin. Warum sollte ich mich also über etwas aufregen, dass mich nicht betrifft. Stattdessen betrachte ich Nachrichten darüber als das, was sie sind: Informationen ohne Wertung. Sie informieren mich, damit ich Bescheid weiß, was in der Welt passiert. Nicht mehr und nicht weniger.

Konzentration auf das, was uns wirklich betrifft

Gleichzeitig gibt es natürlich Themen, die mich direkt betreffen. Wenn 50% der Menschen tatsächlich wie in der eingangs beschriebenen Umfrage erschöpft sind, betrifft mich das als Coach und Seminarleiter. Auch ich bin schließlich mit Themen wie Stress und Resilienz unterwegs. Und insbesondere bei diesen Themen frage ich mich: Was können wir selber tun und wo sind wir schlichtweg nicht schuld, wie der Titel meines Ebooks (Externer Link: Du bist nicht schuld) zum Umgang mit Dauerbelastungen verdeutlicht. In diesem Spektrum haben viele Nachrichten für mich einen hohen Informationswert:

  • Lockdowns haben die psychische Gesundheit von Jugendlichen langfristig gefährdet.
  • Krankenhauspersonal soll mittels Resilienzseminaren fit gemacht werden, anstatt für mehr Personal zu sorgen.
  • Die Streiks in diesem Land nehmen ungewöhnlich zu. Ist die Zeit Belastungen auszuhalten für viele Personengruppen vorbei?

Zu solchen Nachrichten habe ich einen direkten Bezug. Auch das sind keine schönen Nachrichten. Aber sie affizieren mich. Die Informationen verärgern mich auch manchmal. Aber sie ermüden mich nicht, weil die Informationen als Hintergrund für meine Seminare dienen und mich zum Weiterdenken anregen, wie mit diesen Herausforderungen umgegangen werden kann.

Die beiden Filterfragen

Letztlich geht es also umso zwei Fragen beim Konsum von Medien, um von der Fülle der Informationen nicht erschöpft zu werden: Was betrifft mich? Und was betrifft mich nicht?

Diese beiden simplen Fragen lassen sich sogar auf Bereiche übertragen, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich sind: Filme und Serien. Vor ein paar Jahren entdeckte ich für mich, dass mich ein Tatort aufgrund der Beschäftigung mit typisch deutschen Themen mehr affiziert als us-amerikanische Serien. Eine amerikanische Serie mag spannender und besser produziert sein, in dem Moment, wo ein Prototyp von US-Soldat sagt: „Ich würde für dieses Land sterben“, ist bei mir der Ofen aus. Dann doch lieber einen Einblick in die schrullige Seelenwelt von Niederkaltenkirchen bekommen.

Das gleiche Prinzip gilt freilich nicht nur für Nachrichten oder Filme, sondern im gesamten Leben. Auch unsere Arbeit wird häufig von einer Informationsüberflutung bestimmt, bei der wir uns fragen sollten: Ist das jetzt wirklich für mich bestimmt? Sprich:

  • Ist das jetzt wirklich für mich bestimmt? Wenn ja, muss ich mich wohl darum kümmern. Wenn nein, ist es vielleicht gar nicht so wichtig.
  • Ist das jetzt wirklich für mich bestimmt? Wenn ja, ist es offensichtlich auch dringend. Wenn nein, sollte ich mich zuerst am Wichtigeres und Dringenderes kümmern.
  • Ist das jetzt wirklich für mich bestimmt? Wenn ja, muss tatsächlich ich mich darum kümmern. Wenn nein, sollte sich wohl jemand anders darum kümmern.

Auch der Lärm in der Großstadt ist nicht wirklich an uns adressiert oder das Schreien der eigenen Kinder. Sobald wir erkennen, was uns wirklich betrifft und was mehr oder weniger zufällig passiert, fühlen wir uns auch weniger angegriffen und zum Handeln verpflichtet. Und damit wird letztlich auch unsere Erschöpfung abnehmen.

Mit der Traditionellen Chinesischen Medizin durch Krisenzeiten

1 Die fünf Elemente der TCM

Vor ein paar Tagen erzählte mir eine gute Bekannte von ihrem Aufenthalt in einer TCM-Klinik. Ich hatte natürlich schon einmal von den fünf Elementen aus der TCM gehört. Immerhin steht bei uns zuhause ein 5-Elemente-Kochbuch im Regal. Mir war jedoch nicht bekannt, welche Wirkung diese Elemente auf den Umgang mit Veränderungen und Krisen haben. Meine Bekannte berichtete, dass es aktuell eine große Zahl von Leberproblemen gibt. Offensichtlich führten die Anti-Coronamaßnahmen bei vielen Menschen zu einem Energiestau in der Leber, der schwer abzubauen ist, wenn das Leben still steht. Dieser Satz weckte meine Neugier. Und da die TCM trotz einer Verwendung in manchen esoterischen Kreisen auf einer sehr alten und weisen Philosophie beruht, reizte es mich, mich in deren Hintergründe zu vertiefen.

2 Die fünf Elemente als Persönlichkeitstypen

Wer sich im Internet umschaut, findet eine Menge 5-Elemente-Coachings. Die Einschätzung, welcher Typ ich bin, ist freilich nicht so wissenschaftlich validiert wie beispielsweise die Big 5-Dimensionen oder das System der DISG-Typen. Die fünf Elemente umweht dagegen ein Hauch von Mystik, so ähnlich wie die Enneagramm-Typen. Auch diese wurden nie wissenschaftlich unter dem soziologisch-psychologischen Mikroskop seziert. Zum einen ist dies evtl. auch gar nicht möglich, weil solche Systeme eher erfühl- als messbar sind. Zum anderen ist es aus meiner Sicht auch nicht nötig, weil sie einfach als Gedankenanstoß dienen können. Wird ein solches Coaching nicht allzu ernst genommen – das soll in esoterischen Kreisen durchaus passieren – sondern lediglich als Orientierung für schwierige Situationen genutzt oder als Metapher zum Nachdenken, kann meines Erachtens wenig schief gehen. Das Problem an der Esoterik ist nicht, dass das darin vermittelte Wissen falsch wäre, sondern dass die Informationen genutzt werden, als würde es sich dabei um das Wissen aus einem naturwissenschaftlichen Labor handeln. Gieße ich zwei Stoffe zusammen und es macht “Bumm!”, weiß ich, wie viele Milliliter ich von dem einen und dem anderen Stoff brauche, um zu einem Bumm zu kommen. Esoterisches Wissen ist jedoch unscharf, weil es sich mit unscharfen Phänomenen auseinandersetzt. Der Mensch, seine Psyche und sein Verhalten lässt sich nur bedingt berechnen und vorhersagen. Es lassen sich lediglich Wahrscheinlichkeiten bestimmen.

In diesem Sinne dienen auch die folgenden Aussagen über die fünf Elemente aus der TCM als Reflexionsansatz über sich selbst, was wir später in den Kontext von Veränderungsphasen übertragen werden:

  1. Ein Holz-Typ gilt als Pionier. Er bahnt neue Wege, bringt Dinge in Bewegung, ist neugierig und engagiert.
  2. Ein Feuer-Typ übernimmt die Führung, überschreitet Grenzen, testet sich in der Rolle, die er in der Weklt einnehmen möchte gerne aus, begeistert andere Menschen, ist herzlich, offen und direkt.
  3. Einem Erde-Typ ist Stabilität wichtig, Sicherheit, Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Er hat seinen Platz in der Welt gefunden, was man ihm auch anmerkt. Während die Holz- und Feuer-Typen zwar mitreißend sind, aber auch unruhig wirken können, strahlt ein geerdeter Typ Ruhe aus.
  4. Ein Metall-Typ agiert häufig als Lehrer oder Mentor. Er zeichnet sich durch eine innere Klarheit und Struktur aus. Er reflektiert, verfeinert und optimiert Prozesse. Er lässt anderen den Raum zur Entwicklung.
  5. Der Wasser-Typ wird geprägt von einem inneren Berater. Er lässt den Dingen ihren Lauf und blickt wohlwollend auf ihren Fluss. Wenn er gefragt wird, steht er beratend zur Seite. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung.

Diese Typen bezeichnen Tendenzen. In meiner langjährigen Karriere als Coach habe ich es noch nie erlebt, dass ein Mensch nur einen Typen in Reinkultur verkörpert. In der Regel, so ist dies auch in vielen anderen Persönlichkeitstypologien, werden wir von einem Typen am stärksten geprägt. Wir fangen zum Beispiel als Holz-Typ schnell Feuer, reißen als feuriger Typ andere mit, lassen uns als geerdeter Typ selten aus der Ruhe bringen, sind als metallischer Typ eher nachdenklich oder stehen als wäss’riger Typ über den Dingen. Andere Typen können jedoch insbesondere in Phasen von Stress, Veränderungen und Krisen ebenso zum Tragen kommen. Oder aber unser Haupttyp erscheint in normalen Phasen in einem positiven Licht und tendiert in Krisenzeiten zu extremen Ausformungen:

  • So könnte ein Holz-Typ unter Stress ständig neue Projekte anfangen ohne etwas zu Ende zu bringen.
  • Ein Feuer-Typ wird diktatorisch und überfährt damit seine Kolleg:innen im Team.
  • Ein geerdeter Typ ist sich seiner Sache zu sicher und verpasst dabei, sich auf die neue Situation einzustellen.
  • Bei einem metallischen Typen wird das Reflektieren zu einem Dauergrübeln.
  • Und ein wäss’riger Typ redet sich die Welt schön und verfällt in Lethargie.

3 Die fünf Elemente im Kontext von Veränderungen

Die fünf Elemente lassen sich fünf Wandlungsphasen zuordnen, die wir nicht nur in den Jahreszeiten, sondern auch in den Veränderungen eines Menschen oder im Rahmen eines Projekts wiederfinden. Holz steht für Frühling oder auch den Beginn eines Projekts. Feuer steht für Sommer oder das Aufgehen in der Arbeit. Erde steht für den Spätsommer und damit für gesättigte Erkenntnisse. Metall steht für den Herbst oder die Erntephase und den Erfolg. Und das Wasser steht für den Winter und die Erholung.

Im chinesischen Weltbild spielen Zyklen eine wichtige Rolle. Die alten Chinesen waren gute Beobachter und erkannten in den kosmischen Kreisläufen oder den Jahreszeiten Muster, die sie auf den Menschen übertrugen. Im alten China ging man davon aus, dass sich die fünf Wandlungsphasen in der gesamten Natur, im Makro- und Mikrokosmos widerspiegeln. Wir finden in jedem Tag, jedem Monat, jedem Jahr, aber auch in unserer gesamten Lebensspanne den Kreislauf von Entstehen, Aktivität, Reife, Ruhe und Loslassen.

Bezogen auf die Lebensphasen des Menschen stellen sich die Wandlungsphasen wie folgt dar:

  • Wir werden im Wasser-Element gezeugt und geboren.
  • Unsere Kindheit verbringen wir im Holz-Element. Hier sind Wachstum, Aktivität, Bewegung, Neugier und Ausprobieren wichtig.
  • Im Feuer-Element leben wir unsere Jugend, unsere Sturm- und Drang-Phase, Euphorie und Lebendigkeit. Wir überschreiten Grenzen und testen uns selbst und andere Menschen aus.
  • Im Erde-Element gründen wir eine Familie und werden sesshaft. Jetzt sind uns Harmonie, Bodenständigkeit und Klarheit im Leben wichtig.
  • Das Metall-Element spiegelt die Zeit des Ruhestands wieder. Wir finden zu einer inneren Einkehr und blicken auf die Früchte unseres Lebens zurück, auf Kinder und Enkel.
  • Im Wasser-Element schließlich erleben wir die letzte Lebensphase und den Tod. Wir denken darüber nach, was wir der Welt hinterlassen, lassen los und nehmen Abschied.

Schauen wir uns die Elemente noch ein wenig genauer an:

Holz

Die Wandlungsphase Holz wird in der chinesischen Medizin der Jahreszeit Frühling zugeordnet. Sie ist eine Zeit des Aufbruchs, des Neubeginns und des Wachstums. Der Frühling ist eine kurze und schnelle Jahreszeit, genau wie der frühe Morgen und die Kindheit. Die Holzphase wird gestärkt durch Gelassenheit, Tatkraft, das Vertrauen in sich und andere Menschen und ab und an auch durch eine gute Portion jugendlicher Naivität.

Feuer

Die Wandlungsphase Feuer entspricht in der TCM dem Sommer. Im Sommer drängt es uns nach draußen. Die Sonne weckt unsere Lebensgeister und unsere Lebensfreude. Feuer ist die Phase der Leidenschaft. Wir lassen uns mitreißen und können Feuer und Flamme sein – für andere Menschen oder auch ein spannendes Projekt. Die Feuerphase wird gestärkt durch Freude, Begeisterungsfähigkeit, Lebendigkeit und Herzlichkeit.

Erde

Das Element Erde nimmt in der TCM eine besondere Stellung ein. Zwischen dem Sommer und Herbst kommt der Hochsommer. Die Hitze zwingt uns zur Langsamkeit. Das Element Erde symbolisiert unsere Mitte – oder den Boxenstopp in einem Projekt – und die Fähigkeit, sich auf der Welt, in diesem Körper oder in einem Team zu verorten und bestenfalls wohl zu fühlen. Ich weiß, was ich kann und fühle mich gut dabei. Die Erdephase wird gestärkt durch die innere Klarheit, welche Rolle ich in der Welt oder einem Team spiele und die Bereitschaft, von sich und anderen Menschen zu lernen.

Metall

Die Metallphase bietet uns eine weitere Möglichkeit der Reflexion an, jedoch weniger eine Statusanalyse, sondern mehr als Reflexion der Vergangenheit gedacht. In der Natur kommt nach der üppigen Zeit des Wachstums und Reifens eine Zeit des Innehaltens. Der Herbst beginnt und somit die Phase der inneren Einkehr und Rückschau – auf den Tag, das Jahr, das Leben oder ein gescheitertes Projekt. Wir holen die Zeit der Ernte unseres Lebens ein und sortieren uns neu. Was hat funktioniert? Was eher nicht? Und woran lag das? Die Metallphase wird gestärkt durch Reflexivität, Zuversicht und Optimismus.

Wasser

Das Element Wasser steht in der TCM für den Winter. Es ist die Zeit der Ruhe, des scheinbaren Stillstands und der inneren Einkehr. Es wird nicht einmal mehr reflektiert, sondern losgelassen. Alles ist erledigt. Alles ist auch ohne mein Zutun im Fluss. Das Tagewerk ist getan und ich kann mich vollkommen entspannen und neue Kräfte tanken, bevor der Kreislauf von neuem startet. Die Wasserphase wird gestärkt durch das Selbstvertrauen loszulassen, Vergeben, Verzeihen und die Dankbarkeit dafür was funktioniert hat – trotz schwieriger Umstände.

Zusammenhänge zwischen den Wandlungsphasen

Die Wandlungsphasen hängen jedoch, das ist ein wichtiges Prinzip der 5 Elemente, miteinander zusammen. Besser noch: Sie bauen aufeinander auf. Nur wenn der Start erfolgreich gemeistert wird, kann ich begeistert sein. Erst wenn ich begeistert war, darf ich sesshaft werden. Nur wenn ich sesshaft wurde kann ich reflektieren und entspannen. Erst wenn ich reflektiere kann ich loslassen und wieder ein neues Projekt beginnen.

Es wird also nicht nur die Energie aus der einen Phase in die nächste übertragen. Das Holz nährt das Feuer. Aus Feuer entsteht Asche, welche der Erde entspricht. Aus der Erde wird Metall gewonnen. Metall nährt das Wasser durch Mineralstoffe. Und das Wasser spendet dem Holz Energie, damit es wachsen kann und schließt den Kreislauf. Es kann auch zu einem Energiestau kommen, wenn eine Phase nicht zufriedenstellend abgeschlossen wurde. Und damit sind wir beim Thema der Krise angekommen. Der Energiestau in der Leber, den ich zu Beginn angesprochen habe, hängt damit zusammen, dass Planungen aufgrund des Lockdowns nicht umgesetzt werden konnten. Als nach dem ersten Lockdown 2020 die ersten Öffnungen kamen, befanden sich viele Betroffene in einer Holzphase. Das Leben wurden unterbrochen und musste neu gestartet werden. Hotel-, Cafe- und Restaurantbesitzer dachten sich Hygienekonzepte aus. Theater dachten sich neue Formate aus. Coaches, Mediator:innen und Trainer:innen erforschten die Möglichkeiten von Online-Begleitungen. Anschließend begann die Umsetzungsphase. Das hatte aus meiner Wahrnehmung durchaus etwas von einem Feuer, als würden sie sagen: “Endlich geht wieder etwas. Lasst es uns versuchen! Lasst uns die Chancen erkennen!” Die Musiker:innen im Konzertsaal vergrößerten die Abstände zueinander und bekamen dadurch neue Erkenntnisse. Die Musiker lernten dadurch, besser aufeinander zu hören. In Online-Trainings geht vieles nicht, während anderes sogar besser geht. Als Trainer fiel es mir oft schwer, mir die Namen meiner Teilnehmer:innen zu merken. Online ist das kein Thema mehr. Dennoch lassen sich im Kontext der 5 Elemente bzw. Wandlungsphasen derzeit drei Problem-Komplexe erkennen:

  1. Dauerfeuer: Musiker oder Trainer beispielsweise befinden sich zum Teil in einem “Dauerfeuer”-Zustand, da niemand weiß, wie es mittelfristig weitergeht. Soll ich nun doch wieder Präsenz-Termine ausmachen? Finden im Sommer wieder Konzerte statt? Vielleicht als Open-Air? Das Element der Erde und damit Stabilität und Sicherheit ist noch nicht abzusehen. Kurzum: Diejenigen, für die trotz Krise auf Österreichisch “a bisserl was” geht, pendeln beständig zwischen Holz und Feuer. Das geht laut TCM auf Dauer auf das Herz auf den Dünndarm.
  2. Energiestau: Diejenigen wiederum, die komplett in der Luft hängen, d.h. Fitnessstudio-, Restaurant-, Cafehaus-, Hotelbesitzer, usw. wurden aus der kurzen Feuerphase im Herbst 2020 wieder in die Erdephase zurückgeworfen. Das wirkt auf Dauer frustrierend, deprimierend und führt bei vielen Menschen zu dem bereits erwähnten Energiestau, der langfristig zu Leberproblemen führen kann.
  3. Fehlende Erholung: Während die beiden Elemente Holz und Feuer offensichtlich überstark bedient werden, kommen die Menschen nicht zu anderen Elemente. Die Erde würde zu Stabilität führen, Metall zu Ruhe und Reflexion. Wasser zu Loslassen. Entsprechend fühlt sich die aktuelle Zeit für viele Menschen rast- und ruhelos an. Interessant ist auch, mit welchen Metaphern die Menschen derzeit unterwegs sind: Das Wasser steht ihnen bis zum Hals. Sie bekommen keine Luft mehr. Wir befinden uns noch mehr als sonst in einem Rattenrennen.

Wird also ein Element nicht abgeschlossen, bekomme ich nicht nur Probleme mit dem nächsten Element, sondern auch Probleme durch den Energiestau im vorhergehenden. Ich befinde mich damit in einer Dauerschleife. Der Körper strebt nach dem nächsten Schritt. Es ist ihm jedoch aufgrund der äußeren Bedingungen nicht erlaubt, diesen zu gehen.

Wird ein Element im Übermaß bedient oder gelebt, kommt es zu Überreaktionen. Das Kraftvolle in chinesischen Philosophien – das fiel mir vor einigen Jahren bereits bei Qigong auf – ist die reichhaltige Bilder- und Metaphernwelt. In der Natur lässt zu viel Hitze Böden austrocknen. Zu viel Regen weicht die Erde auf und hinterlässt ein Schlammfeld, auf dem nichts mehr wächst. Aus einem dünnen Zweig lässt sich kein großes Feuer machen. Metall wiederum könnte rosten, wenn es zu schnell, d.h. ohne Veredelung in Berührung mit Wasser kommt.

Eine Dysbalance innerhalb des Kreislaufs, ein Energiestau, eine mangelhafte Achtung und Erfüllung einer Phase oder ein hektisches Springen zwischen Phasen kann sich negativ auf das gesamte System auswirken. Die fünf Elemente sollten jedoch nicht als streng statisches System verstanden werden, sondern stehen miteinander in einer ständigen Balance. Alles andere wäre dogmatisch. Wenn ich aufgrund einer Störung merke, dass ich eine Phase übersprungen habe oder ungenügend bediente, kann ich durchaus “zurückgehen”, um mich dieser Phase nachträglich zu widmen und damit frei zu sein, die darauf folgenden Phasen optimaler zu nutzen. Ich kann also auch Probleme in einzelnen Phasen als Signal nutzen, um herauszufinden, wo etwas fehlt:

  • Bin ich wenig begeistert von einer Aufgabe (Feuer), bietet es sich an, einen Schritt zurück zu gehen, und mir die Frage zu stellen: War die Wachstumsphase lange genug? Sollte ich mir mehr Zeit lassen? (Holz)
  • Fehlt mir in einem Projekt Stabilität und Klarheit (Erde), könnte es auch daran liegen, dass es zuvor keine euphorische, lebendige und neugierige Sturm- und Drang-Phase gabe, in der viele Möglichkeiten ausprobiert wurde. Vielleicht sollten wir etwas Paradoxes tun und anstatt nach Stabilität zu suchen einen Schritt zurückgehen, um erst im übernächsten Schritt Klarheit zu erlangen.
  • Fällt es uns schwer, zur Ruhe zu kommen (Metall), könnte dies daran liegen, dass wir das Gefühl haben, noch nicht alles ausprobiert zu haben, was möglich ist (Feuer) oder noch keine Stabilität erreicht haben, also nicht wissen, wann es genug ist (Erde). Ein typisches Thema von Selbständigen und in Krisenzeiten ein Dauerthema. Es kann also sein, dass wir nicht nur eine Phase, sondern zwei Phasen zurückgehen müssen, um uns selbst die Erlaubnis geben zu können uns zu entspannen.
  • Haben wir schließlich Schwierigkeiten damit, loszulassen, im Beruf oder privat, könnte es daran liegen, nicht genügend Abenteuer im Leben erlebt zu haben (Feuer), das Gefühl zu haben, seinen Kindern nicht genug beigebracht zu haben (fremdes Holz) oder Angst davor zu haben, nicht mehr wichtig zu sein und damit über keine innere Reife und Stabilität zu verfügen (Erde und Metall). In diesem Fall müssen wir drei Phasen zurückgehen, um uns selbst schließlich die innere Erlaubnis zu geben, mit etwas abzuschließen.

Tatsächlich berichtete meine eingangs erwähnte Bekannte davon, dass TCM-Kliniken normalerweise etwa drei Wochen benötigen, damit sich Patient:innen von Stress regenerieren. Aktuell dauert es jedoch eher sechs Wochen, weil mehr Phasen berücksichtigt werden müssen.

Die Wandlungsphasen vermitteln uns eine Orientierung und werden damit zu einem Kompass im Leben, wenn wir Probleme bekommen oder Schwierigkeiten im Beruf, mit einer Aufgabe oder in einem Projekt haben. Dabei lassen durchaus körperliche Probleme wie Rast- und Schlaflosigkeit (zu viel Feuer), Erschöpfung oder Müdigkeit (zu wenig Erde oder Metall) auf den Stand einer Tätigkeit übertragen. Auch für diese müssen wir fit sein. Sie kann uns begeistern oder langweilen. Wohl können uns damit wohl und kompetent fühlen oder überfordert. Wir können an Tätigkeiten wachsen, wenn wir uns Gedanken darüber machen, was eine Aufgabe mit uns zu tun hat und was wir daraus lernen können. Oder wir hetzen schnellstens zur nächsten oberflächlichen Herausforderung. Dann jedoch fällt es uns schwer, zur Ruhe zu kommen und zufrieden auf ein erfülltes Leben oder ein erfolgreiches Projekt zurück zu blicken.

Sie können also, wenn Sie das Gefühl haben, dass es in einem Projekt stockt oder Sie selbst Probleme mit einem Energiestau, Gereiztheit, Erschöpfung oder Müdigkeit zu tun haben, mit den fünf Elementen spielerisch auf Problemsuche gehen, um in dem ein oder anderen Fall auf überraschende Erkenntnisse zur Lösung des Problems und damit langfristig zu einer besseren inneren Balance zu kommen.