Was macht einen mündigen Menschen aus?
Der Philosoph und Manager Michael Andrick (sein Buch heisst „Erfolgsleere“) schreibt, ein wirklich moralischer Mensch steht beständig in einem Monolog mit sich selbst. Er hält den Konformitätsdruck des Zeitgeistes aus, weil er vor einem Dialog mit der Welt erst einen Monolog mit sich selbst hält. Er gleicht seine Wahrnehmung mit seinen Erfahrungen und Wertevorstellungen ab, anstatt als Konformist mit der Meinung der Masse mitzugehen. Nur dieses regelmäßige Nachdenken über die eigenen Werte und das eigene Verhalten ermöglicht später eine echte Begegnung zwischen Menschen. Andernfalls würden sich Funktionäre miteinander unterhalten, was zu beobachten ist, wenn sich nach Beendigung der Funktion, bspw. nach Dienstschluss, keine spannenden Gespräche mehr ergeben. Die Unterhaltungen drehen sich dann um günstige Stromanbieter oder das allgemeine Schimpfen auf die Unpünktlichkeit von Handwerkern und das Finanzamt oder ein Rezitieren von Floskeln des allgemeinen Zeitgeistes – oder auch des Gegenzeitgeistes. Der (moralische) Mensch dahinter ist jedoch nicht zu entdecken.
Dabei ist Konformität eine äußerst anstrengende Angelegenheit, da ein konformer Mensch beständig die Erwartungen anderer antizipieren muss.
Es geht jedoch nicht um ein Rebellieren um jeden Preis, sondern um ein stetiges Hinterfragen der eigenen Umstände, um sich klar zu positionieren, wo ich mitgehen kann und will und wo ich es anders sehe als der Mainstream. Erst dieses Anders-Denken schafft Räume für Innovationen. Wer schweigt oder lediglich mitmacht, unterstützt das Vorhandene. Wer aneckt, schafft sich vermeintliche Feinde und wird bisweilen als Nestbeschmutzer verurteilt, indem er kritische Fragen stellt, sorgt jedoch auch für Bewegung hin zu einem besseren Leben oder in beruflicher Hinsicht zu einer besseren Zusammenarbeit.
Der Kern dieses besseren Lebens oder der besseren Zusammenarbeit sollte jedoch – wie erwähnt – nicht Kritik um der Kritik Willen sein, sondern um ein kritisches Hinterfragen von Umständen, die sich verbessern lassen. Natürlich sollte dazu geklärt werden, was besser bedeutet: Zufriedener? Respektvoller? Auf Augenhöhe? Mit weniger Stress und Konflikten? Fehlerfreier? Kreativer? Oder vorausschauender?
Die Grundlage eines solchen Dialogs sollte ein innerer Monolog sein. Es reicht also nicht, sich anstatt am aktuellen Zeitgeist an einem wohlfeilen Gegenzeitgeist zu orientieren. Auch dieser sollte kritisch hinterfragt werden. Ein echter Monolog ist – insbesondere im Gegensatz zu Diskussionen in digitalen Medien – immer komplex und niemals schwarz-weiß. Es gibt daher zu jedem Verhalten und jeder Meinung mindestens ein Argument dafür und eines dagegen. Der Weg aus diesem Dilemma, um dennoch handlungsfähig zu bleiben, ist der tiefere Bezug zu den eigenen Werten.
Die 7 Todsünden
Verkürzt ließe sich sagen: Mache ich etwas aus Liebe oder aus einer oder mehreren der sieben Todsünden (siehe auch https://www.m-huebler.de/die-sieben-todsuenden-im-bueroalltag):
- Mache ich etwas, weil es meinem Ego schmeichelt und ich damit Karriere machen kann?
- Mache ich es, um mich zu bereichern?
- Will ich lediglich ein geruhsames, genussvolles Leben führen und „stressfrei durchkommen“?
- Handle ich aus Wut und will es anderen (endlich) heimzahlen?
- Habe ich jedes Maß verloren und will mehr und mehr, ohne zu wissen, wofür?
- Bin ich eifersüchtig und neidisch auf andere und missgönne jemandem sein Leben?
- Oder bin ich zu träge und ängstlich, um mit mir in einen inneren Monolog zu treten und dort evtl. persönliche Wahrheiten zu erkennen, die mein Leben unbequemer machen könnten?
Einer meiner Standardsprüche in meinen Achtsamkeitstrainings lautet:
Vorsicht! Achtsamkeit ist gefährlich! Wer in sich hinein horcht und dort etwas entdeckt, das mit dem aktuellen, eigenen Leben nicht deckungsgleich ist, könnte Schwierigkeiten dabei haben, so weiterzumachen wie bisher.
Die 6 Räume des Selbstzuhörens
Vor kurzem beschrieb ich mit den 5 Räumen des Zuhörens (https://www.m-huebler.de/die-5-raeume-des-zuhoerens) eine bildhafte Anleitung für tiefer gehende und damit wirklich unterstützende Gespräche und Begegnungen:
- Einordnung (Haustür): Um was geht es, damit ich es einordnen kann? Kenn‘ ich. Erinnert mich an …
- Faktisches Zuhören (Arbeitszimmer): Was genau hast du gemacht? Was hat funktioniert? Was nicht? Auf der Basis welchen Wissens?
- Empathisches Zuhören (Wohnzimmer): Wie ging es dir damit? Was an der Situation ist für dich besonders … (anstrengend, belastend, herausfordernd, spannend, unverständlich, …)?
- Zukunftsorientiertes Zuhören (Balkon mit Fernblick): Was sollte passieren? Wann würde es dir besser gehen? Wann wärst du zufrieden / stolz / erleichtert? Wann hättest du das Gefühl, das die Situation gelöst wäre?
- Verbindendes Zuhören (Küche): Was würde dir helfen? Was erwartest du von mir? Wie kann ich dich unterstützen?
Ich gestehe, dass auch mir als vermeintlichem Kommunikationsprofi die 5 Räume selbst helfen, wenn ich in einem Gespräch bin. Ich stelle mir dann oft die Frage, ob es in diesem Fall ausreicht, mit meinem Gegenüber lediglich ins Arbeitszimmer zu gehen oder ob ich ihn oder sie nicht doch ins Wohnzimmer bitten soll. Manchmal, wenn die Beziehung bereits sehr tragend ist und ich mein Gegenüber gut kenne, überspringe ich das Wohnzimmer und gehe gleich auf den Balkon.
Diese 5 Räume lassen sich auch – entsprechend dem Einstieg mit Michael Andrick – monologisch einsetzen, wobei ich einen weiteren Raum hinzufüge:
- Einordnung der Situation (Haustür): Um was geht es hier? Erinnert mich das an etwas, das ich kenne?
- Faktisches Selbstzuhören (Arbeitszimmer): Was habe ich bereits unternommen, um ein Problem zu lösen? Was hat funktioniert? Was nicht? Auf der Basis welchen Wissens und welcher Erfahrungen und Erkenntnisse?
- Empathisches Selbstzuhören (Wohnzimmer): Wie ging es mir damit? Was an der Situation ist für mich besonders … (anstrengend, belastend, herausfordernd, spannend, unverständlich, …)?
- Moralisches Selbstzuhören (Dachboden, Garten oder Spaziergang): Was ist mir wichtig im Leben (und in der Arbeit)? Wann kann ich mir selbst mit Achtung im Spiegel begegnen? Wann gehe ich mit dem Zeitgeist mit, weil ich Angst vor Stress und Konflikten habe? Wann gehe ich mit dem Zeitgeist mit, weil ich es als sinnvoll erachte?
- Zukunftsorientiertes Selbstzuhören (Balkon mit Fernblick): Was sollte passieren für ein besseres Leben, eine bessere Zusammenarbeit, eine Lösung des Problems, …? Was sollte ich tun, damit ich mit mir selbst im Reinen bin? Wann wäre ich zufrieden / stolz / erleichtert? Wann hätte ich das Gefühl, dass die Situation gelöst wäre?
- Verbindendes Selbstzuhören (Küche): Was erwarte ich von anderen? Wer könnte mich auf welche Weise unterstützen? Wie könnte ich um eine Unterstützung werben? Was würde ich gerne mit anderen unternehmen?
Und nun wünsche ich Ihnen gute Erkennnisse bei Ihren künftigen inneren Monologen.