Vereinzelte Heilung
Wir denken oft in Symptomen. Ein Körperteil – der Darm, das Herz, die Bronchien, usw. – ist krank und wir suchen nach einer spezifischen Lösung, wieder gesund zu werden. Vielleicht gehen wir zum Arzt, stellen unsere Ernährung um, treiben mehr Sport oder reduzieren persönlichen Stress. Sofern ein Bewusstsein dafür besteht, versuchen wir mehrere Ansätze parallel. Dennoch bleibt die Heilung Stückwerk. Wir kommunizieren im weitesten Sinne mit einzelnen Körperteilen, diese jedoch nicht miteinander.
Entropie und Syntropie
Das Prinzip der Entropie besagt, dass Systeme nach und nach zerfallen und wir Energie aufwenden müssen, um sie wieder zusammen zu fügen. Beziehungen und Teams driften auseinander. Unser Körper zersetzt sich mit dem Alter. Und das Chaos auf dem Schreibtisch entsteht auf wundersame Weise auch von ganz alleine.
Das Prinzip der Syntropie geht davon aus, dass sich nach einer Zersetzung neue Organisationsstrukturen herausbilden. Diese können sinnvoll oder weniger sinnvoll sein. Hauptsache sie funktionieren, damit das Gesamtsystem erhalten bleibt. Paare giften sich an, bleiben aber dennoch zusammen. Für Zerfallsprozesse im Alter gibt es diverse Medikamente. Und um uns auf unserem Schreibtisch noch zurecht zu finden, merken wir uns, wo die Dinge liegen, die wir brauchen und ignorieren den Rest.
Beziehen wir diese beiden Prinzipien auf den menschlichen Körper, lässt sich feststellen, dass kein Körper komplett „streikt“, sondern immer nur einzelne Körperteile – der Darm, das Herz, die Bronchien, usw. Diese Körperteile senden nun Signale in andere Körperregionen. Dadurch ergeben sich Verhaltensveränderungen oder auch Schonhaltungen. So können Probleme mit dem Kiefer zu Schmerzen in der Hüfte oder einem Knie führen. Ein Reizdarm führt zu einer schlechten Laune und evtl. zu Beziehungsstörungen. Und Herzprobleme können zu einer Vermeidung aufregender Situationen in der Realität oder Filmen führen.
Einzelne Körperteile sprechen also miteinander, als würde das Herz dem Gehirn sagen: „Ab jetzt keine Krimis mehr.“ Oder: „Lieber zuhause bleiben. Da ist es weniger aufregend.“ Der Kiefer sagt dem rechten Bein: „Wenn es oben nicht passt, musst du das unten ausgleichen.“ Und der Darm sagt der Mimik: „Zeig, dass da genervt bist, dann wirst du ohnehin nicht mehr auf Partys eingeladen und musst kein schlechtes Gewissen haben abzusagen.“
Wir haben es also sowohl mit einem entropischen Verhalten einzelner Körperteile zu tun, als auch mit einem syntropischen Verhalten des gesamten Körpers.
Von einer negativen zu einer positiven syntropischen Selbstorganisation
Diese syntropische Selbstorganisation kann nun negativ oder positiv ablaufen, denn letztlich geht es primär darum, dass der Körper als Gesamtes funktioniert. Die dargestellten automatisch eintretenden Beispiele sind negativ. Sinnvoller wäre es zu einer positiven Selbstorganisation zu kommen. Doch wie könnte die aussehen?
Wenn wir nun dem rechten Bein sagen, es brauche die Fehlstellung des Kiefers nicht auszugleichen, bekommen wir vielleicht wieder Kieferschmerzen. Und wenn wir uns mit einem schwachen Herz einen spannenden Krimi ansehen, könnte das zu Herzrasen und einer Panikattacke führen. Sobald wir also einseitig etwas verändern, wird das Problem lediglich zurück delegiert oder anderweitig verlagert.
Sinnvoller ist es daher, die Syntropie bzw. Selbstorganisation des Körpers selbst zu nutzen, um auf neue Lösungen zu kommen. Der Körper fand bereits eine Lösung, leider meist eine suboptimale. Was wäre jedoch, wenn die beteiligten Körperteile dazu angeregt würden, miteinander zu kommunizieren und so auf eine neue positive Lösung zu kommen?
Der Darm könnte zur Mimik über den Kanal des sozialen Vagus-Nerv sagen: „Zeig nicht, dass du keine Einladung willst, sondern sag deinen Freunden, was Sache ist und bitte um Verständnis, wenn du eine Party früher verlässt.“ Mit einer solchen Offenheit bräuchte es vermutlich kaum noch Selbsthilfegruppen.
Der Kiefer könnte das Knie bitten, dass die Kommunikation nicht nur nach unten, sondern auch nach oben geht, damit beide gemeinsam nach Lösungen suchen können, evtl. mehr sanften Sport zu treiben oder achtsamer zu kauen und zu gehen.
Das Herz könnte dem Mund über das Gehirn mitteilen, dass Freunde über die Angst des Herzens informiert werden und dass deshalb neue Situationen vermieden werden. Angst hat leider die Angewohnheit, sich zu potenzieren: Erst habe ich Angst vor Neuem. Dann Angst dafür, Einladungen zurückzuweisen. Dann Angst davor, einsam zu sein. Und schließlich Angst davor, Angst zu haben. Mit einem offenen Umgang stelle ich mich meiner Angst, wodurch sie in der Regel kleiner wird.
Bei all diesen Beispielen geht es nicht darum, es genau so machen zu müssen, weil es logisch und schlüssig klingt, sondern darum, eigene Wege der Selbstorganisation zu finden. Das Herz könnte mit dem Gehirn einen ganz anderen Weg vereinbaren, beispielsweise ein Desensibilisierungstraining. Der Darm könnte sich nur wenigen ausgewählten Menschen offenbaren wollen und den Rest der Menschheit mimisch auf Abstand halten. Und der Kiefer könnte mit der Hüfte einen Tanzkurs anvisieren. Und das Knie kommt einfach mit.
Da jeder Mensch anders ist, ist auch jede Selbstorganisation anders. Die einzige Maxime sollte lauten, einen gemeinsamen Deal anzustreben, mit dem alle zufrieden sind.
Eine Körperkommunikationsanleitung
Zum Schluss noch eine Körperkommunikationsanleitung:
- Welche zwei Körperteile sind v.a. beteiligt?
- In welche Richtung läuft die Kommunikation primär?
- Welche „Befehle“ gibt Körperteil I an II weiter?
- Wie behebt Körperteil II die Probleme von I?
- Wie könnte Körperteil I Körperteil II seine Dankbarkeit ausdrücken?
- Was könnte Körperteil II zu I sagen?
- Welche Gefühle haben die Körperteile?
- Werden auch diese an andere Körperteile weitergegeben?
- Gibt es weitere involvierte Körperteile?
- Was können diese zur Diskussion beitragen?
- Die Kommunikation lässt sich unterstützen, indem eine Hand von außen auf das entsprechende Körperteil gelegt wird.
- Auf welche körperlichen oder sozialen Lösungsideen kommen die Körperteile?
Die Kommunikation unserer Körperteile ist freilich nur ein Teil unserer Selbstorganisation. Noch spannender wird es, wenn wir Werte, Glaubenssätze, Prinzipien des Embodiment, persönliche Ziele, Beziehungsmuster, usw. mit in die Kommunikation und Heilung einbeziehen.