
Es klingt paradox, weil wir eigentlich davon ausgehen, eine positive Leistung durch positives Feedback zu verstärken. Denken wir jedoch genauer darüber nach, töten wir langfristig die Kreativität im Team ab, wenn wir ausschließlich ein Feedback auf positive Leistungen geben. Weil sich dadurch der Konkurrenzdruck erhöht und damit auch die potentielle Scham, nicht gut genug zu sein und deshalb lieber auf Nummer Sicher zu gehen. Denn wer etwas ausprobiert und sich damit exponiert, kann scheitern und sich beschämt fühlen oder sogar beschämt werden.
Die Geschichte ist voller Beispiele, in der sich Menschen über ihr Schamgefühl hinweg setzten und Erfolg hatten. Als Miles Davis nach seiner Bebop-Phase begann ruhige Lieder zu spielen, war das ein Risiko. Mit schnellen Läufen auf der Trompete konnte er technisch glänzen. Doch Balladen können schnell peinlich werden. Oder als EMI das Album-Cover zu New Model Armys „Thunder & Consolation“ von der Künstlerin Joolz rundum nieder machte, hätte sie einen Rückzieher machen können. Stattdessen setzte sie sich durch. Die ikonischen Runen auf der Frontseite zählen mittlerweile zu den meisttätowierten unter Musik-Fans. Und Schmuck-Anhänger sind ebenfalls zu haben. Wir wissen jedoch nicht, wie viele kreative Ideen uns durch Scham verloren gingen.
Wenn uns also jemand sagt, dass wir keine Ahnung haben, könnte er recht haben – oder einfach keinen Mut. Ich selbst bin ja auch mitten drin in diesem Spiel. Manche loben meine Bücher über den grünen Klee. Andere finden daran kein gutes Haar. Das liegt vermutlich daran, dass ich mich v.a. an mir selbst orientiere. Inspirationen sind eine tolle Sache. Und davon gibt es in unserem Zeitalter dank Internet und absoluten Gigant*innen im Coaching-Bereich eine riesige Menge. Wer jedoch darüber hinaus denken will, sollte sich von der Meinung anderer, insbesondere von einem vermeintlich sicheren Applaus, lossagen. Und, naja: Sich selbst von einer KI als Actionfigur „nachbauen“ lassen ist nicht gerade wahnsinnig kreativ. Interessanterweise habe ich aus meiner Sicht lediglich zwei eher provokante Bücher geschrieben: Einmal über Humor in der Führung und einmal darüber, wie sich die Regeln von Bienenvölkern und symbiotischen Tier-Teams auf menschliche Teams übertragen lassen. Und bei beiden Büchern finden sich teilweise vernichtende Kommentare auf Amazon. Bei meinen „seriösen“ Büchern jedoch nicht.
Wenn wir also in Teams unser Augenmerk lediglich auf Leistung richten, fördern wir gleichzeitig eine Kultur der Scham. Und alsbald gibt es nur noch Innovatiönchen. Kann es ein Zufall sein, dass Deutschland immer mehr von einer Schuld- zu einer Schamkultur wird, in der alle Nase lang irgendjemand im Internet gegrillt und gedemütigt wird und gleichzeitig nur noch bestehende Innovationen verfeinert werden, aber keine großen Erfindungen mehr entstehen? Natürlich gibt es dafür mehrere Gründe. Scham jedoch könnte einer davon sein.
Was also können Sie als Führungskraft tun?
Typische O-Töne in meinen Seminaren lauten:
- Ja soll ich die Leute jetzt schon dafür loben, dass sie überhaupt anwesend sind?
- Bei uns zählt v.a. Leistung.
- Die bekommen doch ihren Lohn.
- Wertschätzung? Wir können einfach nicht mehr Geld zahlen.
Sorry, aber darum geht es nicht. Natürlich ist es sinnvoll und wichtig, Leistung zu loben und ein kritisch-konstruktives Feedback zu geben. Gleichzeitig ist es genauso wichtig, nicht nur Mitarbeiter*innen zu sehen, sondern auch Menschen, die eine Existenzberechtigung haben, einfach weil sie Menschen sind. Menschen zu zeigen, dass sie wertvoll sind, ist gar nicht so schwer: Präsenz zeigen, ernst nehmen, aufmerksam zuhören oder sich Zeit nehmen. Es geht hier mehr um eine innere Haltung als um ein konkretes Feedback. Genau das ist mit psychologischer Sicherheit gemeint. Und daraus entstehen nicht selten spannende Innovationen. Einfach so.